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Phytopharmaka: Forschende Hersteller fordern rationale Phytotherapie
Beliebt beim Patienten – Skepsis bei Ärzten Umfragen zufolge zeigen 84 Prozent der in der GKV Versicherten ein großes Interesse an Naturheilverfahren und wünschen sich mehr Behandlungen mit pflanzlichen Arzneimitteln, sagte Prof. Dr. Gerd Glaeske, der eine Professur für Arzneiversorgungsforschung an der Universität Bremen übernommen hat.
Die Ausgaben für Phytopharmaka machten 1998 mit 1,6 Milliarden DM jedoch nur 5 Prozent der GKV-Ausgaben für Arzneimittel aus. Viele Ärzte vertreten nämlich die Meinung, bei Phytopharmaka handelt es sich um Plazebos, die bestenfalls dazu geeignet sind, Befindlichkeitsstörungen der Patienten positiv zu beeinflussen.
Mangelnde Transparenz
Als eine mögliche Ursache für die schlechte Beurteilung der Phytopharmaka durch die Schulmediziner nannte Glaeske die derzeitige "Intransparenz bei den pflanzlichen Mitteln". Von den knapp 4000 verkehrsfähigen Phytopharmaka ist nämlich nur ein Viertel nach dem Arzneimittelgesetz hinsichtlich Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischer Qualität geprüft. Da es derzeit im Nachzulassungsverfahren einen Stau gibt, so Glaeske, wissen nicht einmal Fachleute, ob die Hersteller registrierter, aber nicht nach dem Arzneimittelgesetz zugelassener Präparate die Nachzulassung beantragt haben oder beabsichtigen, ihre Präparate nach der Übergangsfrist im Jahre 2004 vom Markt zu nehmen.
Qualität muss sich lohnen
Um die Qualität pflanzlicher Präparate besser beurteilen zu können, hat, wie bereits berichtet, eine Expertenkommission der Barmer Ersatzkasse und des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) "Transparenzkriterien für pflanzliche, homöopathische und anthroposophische Arzneimittel" erarbeitet. Wie Glaeske ausführte, sollen Phytopharmakahersteller, deren Präparate sich nach diesen Transparenzkriterien bewerten lassen, "hinsichtlich der Verordnungsfähigkeit ihrer Produkte honoriert werden, weil sie etwas für ihre Produkte getan haben". Solche Präparate sollen nicht im Anhang, sondern im Hauptteil der künftigen Positivliste stehen.
Defizite bei Ärzten
Ärzte werden in ihrem Studium in der Regel nicht über die Therapie mit Heilpflanzen unterrichtet. Deshalb besteht ein großer Bedarf für Ärzte, Transparenzkriterien zu kennen, die für die Bewertung der Phytotherapeutika notwendig sind, erklärte Prof. Dr. Theodor Dingermann vom Frankfurter Institut für Pharmazeutische Biologie. Pflanzliche Arzneimittel werden nämlich nicht nur von vielen Patienten, sondern auch von vielen Ärzten "auf der Basis der Arzneipflanzen" betrachtet. Pflanzliche Fertigarzneimittel bestehen jedoch nicht aus der Pflanze, sondern enthalten als Wirkstoff den Pflanzenextrakt.
Weil es für jede Arzneipflanze zahlreiche Arten der Extraktgewinnung gibt und sich die Extrakte damit je nach ihrer Herstellungsart voneinander unterscheiden, forderte Dingermann mehr Transparenz bei den Informationen auf der Packung. Phytopharmaka müssen, um transparent zu sein, in ihrer Deklaration folgende Elemente aufweisen: 1. Art des Wirkstoffs (Droge, Tinktur, Presssaft, Extrakte) 2. Menge des Wirkstoffs pro Einzeldosis (bei festen Arzneiformen) oder pro Packung (bei flüssigen Arzneiformen) 3. Das Verhältnis von Droge zu Extrakt (DEV: Drogen-Extrakt- Verhältnis; Teile Droge pro 1 g Extrakt) 4. Art und Konzentration des Extraktionsmittels 5. Indikation 6. wirksame Tagesdosis des Extrakts
Großes Potenzial
Die Wirkung von Phytopharmaka muss wie bei synthetischen Arzneimitteln in klinischen Studien nachgewiesen werden, forderte Prof. Dr. Volker Fintelmann, Internist aus Hamburg und Vorsitzender der Expertenkommission Barmer/BPI. Phytopharmaka sind Vielstoffgemische und besitzen daher ein anderes Wirksamkeitsprofil als synthetische Arzneimittel. Pflanzliche Arzneimittel wirken in erster Linie auf die Befindlichkeit der Patienten, indem sie mit den körpereigenen Systemen interagieren. Damit Phytopharmaka überhaupt eine Wirkung zeigen, muss der Patient "antwortbereite Mechanismen" in seinem Körper besitzen.
Phytopharmaka steigern das Wohlbefinden
Wie Fintelmann bedauerte, werden Phytotherapeutika von vielen Ärzten gering geschätzt, weil sie "primär auf die Befindlichkeit des Menschen wirken". Dieses Urteil ist nicht gerechtfertigt, denn das Wiederherstellen der Befindlichkeit ist für das Wohlbefinden und die Lebensqualität von großer Bedeutung und wird auch seit einigen Jahren in klinischen Studien berücksichtigt.
Phytopharmaka lehren, so Fintelmann, dass die Wirksamkeit eines Präparats "mehr ist als eine pharmakologisch definierte Wirkung" und sie sich immer erst am individuellen Patienten realisiert. Der Apotheker sollte dem Arzt behilflich sein, wenn es um pharmazeutische Aspekte von pflanzlichen Präparaten geht, wie zum Beispiel um die Art der Extraktgewinnung oder die Berechnung der Tagesdosis. Auf diese Weise lassen sich Phytopharmaka nach rationalen Kriterien einsetzen.
Ideal zur Prävention
Obwohl Phytopharmaka in aller Regel gut verträglich sind, stellen sie keine "sanfte Therapie" dar, betonte Fintelmann, denn auch pflanzliche Arzneimittel können Nebenwirkungen auslösen und zum Beispiel ein hohes allergenes Potential besitzen. Einen hohen Stellenwert nehmen Phytotherapeutika in der Prävention ein, wenn das Wohlbefinden des Patienten durch erste Vorstadien der Krankheit beeinträchtigt, jedoch noch keine Indikation für den Einsatz synthetischer Arzneimittel gegeben ist. Die Verwendung pflanzlicher Präparate ist hier sinnvoll, da diese frühzeitig in das Krankheitsgeschehen eingreifen, Beschwerden lindern und Befindlichkeitsstörungen wirksam beheben können.
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