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DPhG: Gentechnik in Diagnose und Therapie – Fortschritte ohne Bedenken? (B

Auf einer gemeinsamen Veranstaltung der DPhG und der Bayerischen Landesapothekerkammer am 14.Februar in München referierte Prof. Dr.Hans Günter Gassen, Direktor des Instituts für Biochemie der Technischen Universität Darmstadt, über "Gentechnik in Diagnose und Therapie". Er versuchte eine Bilanz zu ziehen und Antwort auf folgende Fragen zu geben: Wie weit führen die Möglichkeiten und neuen Technologien der Gentechnik, welche Ziele können insbesondere in der Humanmedizin erreicht werden, gibt es einen Fortschritt ohne Bedenken?

Von der Werte- zur Werbegesellschaft

In schöner Regelmäßigkeit liefert die Molekularbiologie Sensationen. Derzeit füllt die Sequenzierung des menschlichen Genoms "im zweiten Durchgang" die Nachrichten, zu anderen Zeiten waren es die DNA-Doppelstrangstruktur, Humaninsulin aus Bakterien, die Polymerase-Kettenreaktion, enzymatisch aktive RNA oder das Schaf Dolly.

Wie Gassen weiter ausführte, muss in einer zunehmend auf Wettbewerb ausgerichteten Wissenschaft alles einem Zweck dienen: dem Wohl des Menschen, der Erhaltung der Natur oder auch nur der Nachhaltigkeit. Zudem habe sich die "Wissenschaftslandschaft" in den letzten Jahren stark verändert: Mit den armen Universitätsinstituten konkurrieren die reichen Biotechfirmen. Die Kommerzialisierung der Forschung könne sozusagen als Symptom einer "verbalen Punktmutation" von der Werte- zur Werbegesellschaft angesehen werden.

Gerade in der Diskussion um die Anwendung der Gentechnik scheiden sich viele Geister, werden Ängste geweckt und geschürt. Bei der Diskussion um den Einsatz der Gentechnik speziell in der Humanmedizin, etwa beim therapeutischen Klonen mit dem Ziel, Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson zu therapieren, zeige sich zurzeit der Gegensatz zwischen Gesellschaftsethik und gelebter individueller Moral in besonderer Schärfe.

Ambivalenz des Neuen

Immer schon habe Neues die Menschen erschreckt und gleichzeitig auch angezogen. So habe der von dem Renaissance-Anatomen Andreas Vesalius gezeichnete "Skelettmensch" die Menschen seiner Zeit nicht weniger erregt als die "Entschlüsselung" des Humangenoms die heutigen. Weitere wissenschaftliche Sensationen waren das erste Röntgenbild, mit dem die bildgebenden diagnostischen Verfahren in der Medizintechnik begannen, und die Strukturaufklärung der DNA-Doppelhelix durch Watson und Crick 1953, die den Menschen mit einem Schlag alle Phantasien zur Vererbung genommen habe. Heute begünstige das fehlende Geschichtsbewusstsein eher das Misstrauen gegenüber dem Fortschritt.

Laienhaftes Vorstellungsvermögen könne mit der wissenschaftlichen Realität längst nicht mehr mithalten. Und darin liege auch eine große Gefahr: Schon nach ersten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen werden oftmals vorschnelle Zielsetzungen und leichtfertige Versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden können. Gassen erzählte ein Beispiel aus der Angiogeneseforschung, wo die voreilige Ankündigung einer "tumoraustrocknenden" Verbindung vielen Krebspatienten Hoffnung gab und die Aktienkurse der Herstellerfirma in schwindelnde Höhen trieb, aber das Mittel schließlich doch nicht zum Einsatz kam.

Gedämpfter Optimismus bei der "grauen" Gentechnologie

Während die "grüne" Gentechnologie, der Einsatz transgener Pflanzen in der Landwirtschaft, immer noch - zu Unrecht, so der Referent - heiß umstritten ist, gehören mit Hilfe der "grauen" Gentechnologie hergestellte Proteine schon zum therapeutischen Repertoire, allen voran das Humaninsulin aus E.coli, Wachstumsfaktoren wie z.B. der Erythrozytenbildungsstoff Erythropoietin (Epoetin), Interferone und Interleukine. 55 gentechnisch produzierte Medikamente sind inzwischen bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMEA zugelassen. Die Euphorie der ersten Stunde für diese "nebenwirkungsfreien" Proteinmedikamente hat sich allerdings seither gelegt. Proteine werden schnell zerlegt, und die Fragmente reagieren anders als das Gesamtprotein, das zudem sehr vielseitig, "pleiotrop", wirken kann. Und bei Langzeitanwendung bilden sich Antikörper.

Noch besteht großer Forschungsbedarf. Zwar werde der Anteil gentechnisch produzierter Medikamente weiter steigen, trotzdem prognostizierte Gassen eine vermehrte Rückkehr zu niedermolekularen Arzneistoffen.

DNA-Diagnostik

Das diagnostische Potenzial hat sich mit der DNA-Diagnostik enorm erweitert. Die Untersuchung auf Abweichung eines Gens von der Norm wird in zehn Jahren bereits zur Routinediagnostik eines Arztes gehören. Individualisierung heißt das Stichwort in der Medizin. Mit der Untersuchung ganzer isolierter Völkergruppen, z.B. in Island oder Lettland, hofft man Einblick in genetisch begründete Krankheitsbilder zu finden, etwa für Asthma oder rheumatoide Arthritis, um dann die Populationsgenetik mit den Krankenregistern vergleichen zu können.

Das weite Feld der DNA-Diagnostik liegt in der prädiktiven Medizin. Außer in Einzelfällen weiß man aber heute noch wenig über die physiologischen Konsequenzen von Genabweichungen. Das Ziel ist, die Veranlagung für bestimmte Krankheiten zu erkennen, um ihnen nach Möglichkeit vorzubeugen, z.B. durch veränderte Essgewohnheiten.

Therapeutisches Klonen

Mit Dolly war eine neue Ära der Molekularbiologie und auch der reproduktiven und therapeutischen Medizin eingeläutet worden. Dem menschlichen Klonen wurden durch das Embryonenschutzgesetz von vornherein Schranken gesetzt, zumindest in Deutschland. Forscher bemühen sich jedoch, das Verfahren für das therapeutische Klonen nutzbar zu machen, indem sie es streng vom reproduktiven Klonen trennen.

Durch Gabe von entsprechenden Wachstumsfaktoren kann man embryonale Stammzellen (ES-Zellen) nach Wunsch differenzieren. Das Ergebnis sind immunologisch kompatible Transplantate von Geweben und auch ganzen Organen. Hierin liegt wahrscheinlich die wichtigste medizinische Anwendung humaner pluripotenter ES-Zellen. Sie können zur Erneuerung von defekten Zellen bei einer Vielzahl von Krankheiten - beispielsweise Parkinson-Krankheit, Alzheimer-Krankheit, Diabetes, Osteoarthritis, rheumatoide Arthritis, Hautverletzungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Schädigungen des Rückenmarks - eingesetzt werden.

Daneben können humane Zelllinien zum Screening und für pharmakologisch/toxikologische Testungen dienen; die so erhaltenen Daten sind weit zuverlässiger auf den Menschen zu übertragen als solche aus Tierversuchen.

Aufgrund unserer Gesetzgebung kann dies erst eine medizinische Vision sein, betonte Gassen. Er selbst lehne die in Deutschland erwogene Möglichkeit, statt humaner Eizellen adulte Stammzellen, etwa aus Haut, Haar, Rückenmark oder Nerven, für das Verfahren einzusetzen, als Methode der zweiten Wahl ab.

Neue Moral

Während in Amerika und England Patente auf menschliche Embryonen bereits gang und gäbe sind, leben bei uns die Diskussionen um Gesetzesänderungen oder -lockerungen wieder auf. Man könnte meinen, so der Referent, dass in Deutschland der Artikel 1 des Grundgesetzes (Schutz des Lebens) sehr hoch gehalten, darüber aber Artikel 2 (Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, d.h. auch auf die bestmögliche Behandlung) eher vernachlässigt wird.

Seit je habe sich die Moral über die Zeiten verändert. Für das Konfliktfeld der ES-Zellen müsse eine eigene Moral entwickelt werden, die von den Realitäten ausgeht. Auf der einen Seite stehen heute hervorragende Kenntnisse und ein rasend wachsendes Wissen, auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Wächst auch unsere Verantwortung mit, oder wird sie an moralisch-ethische Institutionen delegiert? Jeder, insbesondere jeder Wissenschaftler, müsse sich eine eigene moralische Meinung dazu bilden. Darin liege die Aufgabe und die Spannung, in der die Forschung steht. "Playing God with DNA" nannte es Arthur Lubov schon 1977.

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