Feuilleton

Ausstellung: Der (im-)perfekte Mensch

"Der (im-)perfekte Mensch Ų vom Recht auf Unvollkommenheit" ist das Thema einer Ausstellung, die bis zum 12. August 2001 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden gezeigt wird. Das Konzept wurde von der Deutschen Behindertenhilfe Aktion Mensch e.V. und Mitarbeitern des Museums gemeinsam entwickelt. An Beispielen des historischen und aktuellen Umgangs mit Gehandikapten wird der Begriff "Normalität" hinterfragt.

Wunsch nach Vollkommenheit

Immer haben die Menschen Hilfsmittel erfunden, um Mängel auszugleichen und sich zu perfektionieren: Auf einem in Serpentinen ansteigenden Weg entdeckt der Besucher Utensilien von der Bürste über den Feldstecher bis zum Kompass, von der Maurerkelle und Ziegelsteinen über den Feuerlöscher bis zum Computer. Die menschliche Urangst inspirierte sogar pfiffige Süßwarenhersteller, einen Karamell-Riegel zu erfinden, der verbrauchte Energie zurückbringen soll.

In einem dunklen Tunnel wird der Besucher akustisch mit Pauschalurteilen von Menschen, die sich selbst in die gesellschaftliche "Norm" einordnen, gegenüber erkennbar Gehandikapten konfrontiert. Währenddessen verzerren Spiegel sein eigenes Ego zur Karikatur. Im anschließenden Bereich werden durch Videoinstallationen Sprachbarrieren zwischen Behinderten und Nichtbehinderten, jedoch auch alternative Kommunikationsformen aufgezeigt. Nur sehr wenige Menschen, die alle Sinnesorgane gebrauchen können, können in der Gebärdensprache mit Gehörlosen oder durch Daktylieren oder Lormen mit Taubblinden kommunizieren.

Ungewohnte Wahrnehmungsweisen

In einem Erlebnispark soll dann die Erfahrung vertieft werden, dass es noch andere als die gewohnten, mitunter sogar erheblich sensiblere Wahrnehmungsweisen gibt. Der Saal wird in regelmäßigen Abständen verdunkelt. Über Lautsprecher wird dann ein Text vorgelesen, der die Empfindungen einer blinden Schwimmerin schildert. Eine Trommel vermittelt, wie Gehörgeschädigte durch besondere sensorische Fähigkeiten die Schwingungen von Musik wahrnehmen. Ein "Symbolkalender" spiegelt wider, wie ein Schizophrener die Welt erlebt und sich mitzuteilen versucht.

Häufig ist ein nicht nach den allgemeinen Kriterien funktionsfähiger Körper auch Objekt für Eingriffe: Im "Brunnen der Wünsche" vermitteln Filmsequenzen Berührungen. Obwohl nicht gewünscht, müssen sie als therapeutische Maßnahmen häufig geduldet werden. Der Wunsch nach Zärtlichkeit bleibt bei vielen gehandikapten Menschen wiederum unerfüllt.

Teils Ausgrenzung, teils Zurschaustellung

Bewegung, Autonomie und Beschleunigung, die in einem riesigen "Hamsterrad" per Projektion thematisiert werden, sind seit Menschengedenken Ideale. Schon für den "normalen" imperfekten Homo sapiens sapiens nur eingeschränkt erreichbar, blieben Gehandikapte vom Wettbewerb ausgeschlossen. Hilflosigkeit mag ein Grund gewesen sein, Behinderte jahrhundertelang zu verstecken oder auszugrenzen. Andererseits stellte man kleinwüchsige Personen auf Jahrmärkten dem staunenden Publikum zur Schau, und auch an Fürstenhöfen hatten sie ihren festen Platz.

Aus dem Korsett der Norm befreit

Seit dem 19. Jahrhundert gab es Anstalten, in denen versucht wurde, Behinderte medizinisch und heilpädagogisch zu behandeln. Dabei wurden sie in Normen gezwängt. In einem weiß gefliesten Saal wird die Entwicklung von der Verwahrung in Gitterbetten und der Ruhigstellung auf Zwangsstühlen über die Korrektur von Deformationen durch medizinische Maßnahmen und orthopädische Hilfsmittel bis zur Emanzipation der Betroffenen ab den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts dokumentiert.

Diese Bewegung, die in der Organisation betroffener Eltern ihren Ursprung hatte und schließlich durch selbstbewusste Menschen, die ihre Behinderung anzunehmen gelernt hatten, politische Dimensionen annahm, blieb nicht ohne Konsequenzen: Seit fünf Jahren garantiert das Grundgesetz, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Und die Deutsche Behindertenhilfe, 1964 als "Aktion Sorgenkind" gegründet, musste ihre Philosophie auf den Prüfstand stellen: Seit dem 1. März 2000 engagiert sie sich als "Aktion Mensch" für Menschen, die ihr Recht auf Unvollkommenheit einfordern.

Dolly lässt grüßen

Das Ideal des vollkommenen Menschen scheint indessen nicht mehr lange Utopie bleiben zu müssen: Gezielte Eingriffe ermöglichen es zusehends, Funktionsdefizite des menschlichen Körpers zu kompensieren und an Normen anzugleichen. Der Grat zwischen sinnvollen Maßnahmen, welche die individuelle Lebensqualität verbessern, und dem Verlust an der Kultur menschlicher Verschiedenheit wird indessen bedrohlich schmal. Dies wurde uns spätestens 1997 bewusst, als Dolly, das erste geklonte Schaf, Schlagzeilen machte.

Diskussion um die Lebensqualität

Mit Dokumenten und Video-Interviews werden die Besucher auf der "Lichtung" mit ganz subjektiven Stellungnahmen zu der Frage, inwiefern Lebensqualität von Außenstehenden genormt werden kann, konfrontiert: Ein behinderter Mann fragt, ob Glück etwas ist, das man erst festlegen muss. Eine Frau wiederum bezweifelt, ob ein Leben mit Querschnittlähmung unbedingt mit Leiden identisch sein muss. Und ein anderer Mann, der ebenfalls trotz – oder vielleicht gerade mit – Handikap das Leben zu bewältigen gelernt hat, weiß, dass er über seinen Lebenswert nur mit sich selbst diskutieren kann.

Ausstellungsdaten

Bis 12. August im Deutschen Hygiene-Museum, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden, Tel. (0351) 4846670, Fax (0351) 4846595, www.dhmd.de, service@dhmd.de

Geöffnet Di, Do, Fr 9 bis 17 Uhr (Freitag ab 13 Uhr freier Eintritt), Mi 9 bis 20 Uhr, Sa, So, feiertags 10 bis 18 Uhr.

Begleitbuch zur Ausstellung mit Texten von Peter Gorsen, Dietmar Kamper, Detlef B. Linke, Peter Sloterdijk u.a., 264 Seiten, 125 Abb., 38 DM. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern. ISBN 3-7757-0997-5.

Eine behindertenfreundliche Internetpräsentation www.imperfekt.de informiert über die Inhalte der Ausstellung und ihr Rahmenprogramm. Sie enthält darüber hinaus eigens entwickelte interaktive Elemente und bietet in einem Besucherforum die Möglichkeit, anderen Benutzern die eigene Meinung oder Kritik zugänglich zu machen.

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