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- DAZ 27/2001
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Arzneimittel und Therapie
Morbus Fabry: Kausale Enzymtherapie bei lysosomaler Speicherkrankheit
Der Morbus Fabry, benannt nach seinem Entdecker Johann Fabry, gehört zu den genetisch bedingten lysosomalen Speicherkrankheiten: Der Patient leidet unter den Folgen eines teilweisen oder vollständigen genetisch bedingten Mangels an Alpha-Galaktosidase. Diese lysosomale Hydrolase katalysiert eine enzymatische Schlüsselreaktion, nämlich den Abbau von Lipiden mit terminalen Alpha-Galaktosylketten, so genannnten Glykosphingolipiden. Diese Fette, insbesondere das Globotriaosylceramid (GL-3), reichern sich dann im vaskulären Endothel an, aber auch in zahlreichen anderen Zellen, wie den Epithelzellen von Nieren, Neuronen und Kardiomyozyten, und verursachen verschiedenste schwerwiegende Symptome, die unbehandelt zu einem frühen Tod zwischen dem 40sten und 50sten Lebensjahr führen – durch Nierenversagen, kardiovaskuläre und/oder zerebrovaskuläre Erkrankungen wie beispielsweise ein Schlaganfall.
X-chromosomal rezessiver Erbgang
Von dieser zweithäufigsten Lipidose sind in Deutschland, so vage Schätzungen, etwa 3000 bis 5000 Patienten betroffen, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird. Der Erbgang ist X-chromosomal rezessiv. Grundsätzlich wären damit nur Männer betroffen, während Frauen ausschließlich als Überträgerinnen in Frage kämen. Erstaunlicherweise können aber auch Frauen einen klinischen Phänotyp entwickeln.
Möglich ist dies durch den "Lyonisationseffekt": Das "gesunde" X-Chromosom wird ab-, das "kranke" X-Chromosom angeschaltet, sodass auch hier ein Enzymmangel entstehen kann. Allerdings scheint die Erkrankung bei den meisten Frauen eher milde zu verlaufen, sprich mit einer zwar reduzierten, aber nicht kompletten Inaktivität des Enzyms, während bei Männern die Enzym-Restaktivität nahe Null geht und die Symptomatik dementsprechend schwer ist.
Lebensbedrohliche Ablagerungen in den Blutgefäßen
Die Ablagerung der sich ansammelnden Glykosphingolipide in zahlreichen Organen verursachen multisystemische, häufig wenig spezifische Beschwerden. Entsprechend schwierig ist die Diagnosestellung, denn auch bei genauer Betrachtung kommen zumindest im Kindes- und Jugendalter zahlreiche andere Differenzialdiagnosen in Betracht.
Frühes Zeichen sind dermatologische Manifestationen: Dunkelrote, nicht juckende, noduläre 1 bis 3 mm großen Papeln siedeln sich bevorzugt zwischen Taille und Knie an. Sie sind für die Patienten aber meist kein Grund, den Arzt aufzusuchen. Anders bei den neurologischen Symptomen, allen voran Parästhesien in den Akren, die stechende, brennende und beißende Schmerzen verursachen, die minuten-, aber auch tagelang andauern können. Hinzu kommen Hitze- und Kälteintoleranz. Als Frühsymptome gelten auch ophthalmologische Veränderungen. Der Augenarzt kann Hornhauttrübungen und okulare Läsionen feststellen. Hypohidrose und intermittierendes Fieber können bereits im Kindes- und Jugendalter auf die Krankheit hindeuten, ebenso eine Proteinurie.
Im Erwachsenenalter verschärfen sich die neurologischen Komplikationen. Lebensbedrohlich werden dann die Ablagerungen der Lipide in den Gefäßen. Renale, kardiale und zerebrale Dysfunktionen, die beispielsweise zu frühem Schlaganfall, progressiver renale Insuffizienz, Myokardversagen oder Arrhythmien führen, sind vorprogrammiert.
Daran denken heißt die Devise
Trotz oder gerade wegen der Vielzahl der Beschwerden kommen je nach Stadium der Erkrankung verschiedenste Differentialdiagnosen in Betracht, wie z. B. juvenile Arthritis, Erythromyalgie, Lupus erythematodes, "Wachstumsschmerzen", Petechien, Raynaud-Syndrom oder Multiple Sklerose. Bei wiederkehrendem Fieber, unerklärlichen Schmerzen und den charakteristischen Hautläsionen, allerspätestens bei einem vorzeitigen Schlaganfall sollte aber zumindest der Verdacht auf einen Morbus Fabry gestellt werden. Denn einmal daran gedacht, ist die Diagnose biochemisch leicht zu untermauern bzw. zu entkräften: Bestimmt wird die Alpha-Galaktosidase-Aktivität im Plasma.
Endgültige Klarheit bringt die genetische Diagnostik. Bis zu 200 Genmutationen des Morbus Fabry sind bereits identifiziert worden, wobei keine besonders häufig vorkommt. Auch mittels der Pränataldiagnostik ist eine Diagnosestellung möglich. Ob diese inzwischen kausal therapierbare Krankheit allerdings einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt, sei dahingestellt.
Kausale Therapie mit rekombinanter Alpha-Galaktosidase
Die frühzeitige Diagnosestellung ist um so wichtiger, seit eine kausale Therapie Lebensqualität und Lebensdauer der Patienten normalisieren kann. Wurden die einzelnen Beschwerden bislang symptomatisch behandelt, steht nun ein rekombinantes Alpha-Galaktosidase-A-Enzym (Agalsidase Beta, Fabrazyme) zur Verfügung, das in den USA bereits zugelassen ist und in Deutschland in Kürze auf den Markt kommt.
Fabrazyme wurde anfangs in Zellen chinesischer Hamsterovarien produziert. Inzwischen ist die Klonierung des Alpha-Galaktosidase-A-Gens gelungen, die eine gentechnische Produktion ausreichender Mengen humaner rekombinanter Alpha-Galaktosidase A möglich macht. Dosisfindungsstudien zeigten, dass das beste Ergebnisse hinsichtlich Wirkung und Verträglichkeit durch die Infusion von 1 mg/kg KG, in der Regel alle 14 Tage, erzielt wird.
Der Nachweis von Wirksamkeit und Verträglichkeit wurde in einer multizentrischen, doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Phase-III-Studie erbracht. 58 Patienten, die über 16 Jahre alt waren, erhielten zunächst über 20 Wochen entweder Alpha-Galaktosidase A (n = 29) oder Plazebo (n = 29). Primäres Wirksamkeitskriterium war der Substratgehalt im vaskulären Endothel der Niere, die anhand einer Biopsie bestimmt wurde. Eine vollständige Clearance, sprich keine Substratablagerungen im vaskulären Endothel, wurde hier bei 98 Prozent erreicht, dagegen bei keinem Patienten unter Plazebo. Ähnlich gut war die Wirksamkeit in der Haut, im Endothel der Herzkranzgefäße lag die Clearance bei 75 Prozent. Nach fünf Monaten wurden daher alle Patienten über weitere sechs Monate mit dem Enzym erfolgreich behandelt. Klinisch profitierten sie unter anderem durch eine Stabilisierung der Nierenfunktion, der Schmerzreduktion und einer Verbesserung der Lebensqualität.
Insgesamt wurde die Therapie gut vertragen. 24 der 29 Verumpatienten entwickelten zwar IgG-Antikörper gegen Alpha-Galaktosidase A, die aber nicht zu einer Verschlechterung der Therapie führte. Die von den Antikörpern ausgelösten Reaktionen auf die Infusion wie Fieber, Schüttelfrost und Übelkeit waren leicht bis mäßig und ließen sich durch eine langsamere Infusionsdauer reduzieren. Eine Infusionszeit von zwei Stunden sollte nicht unterschritten werden.
Kostenintensiv pro Patient
Wie bei allen Therapien gegen seltene schwere Erkrankungen, bei denen die Produktion des Wirkstoffs teuer, die Zahl der Patienten dagegen gering ist, handelt es sich auch hier um eine kostenintensive Behandlung. Sie verschlingt mehrere 100 000 Mark pro Jahr und Patient. Da sie jedoch nur selten zum Einsatz kommen muss, sind die entstehenden Kosten immer noch deutlich niedriger als die Therapie der Hypertonie.
Kastentext: Lysosomale Speicherkrankheiten
Es gibt über 40 genetisch bedingte lysosomale Speicherkrankheiten. Sie sind charakterisiert durch die Akkumulation oder Speicherung von Substraten, die wegen eines Enzymmangels nicht abgebaut werden, in den Lysosomen von Zellen. Die bekanntesten sind neben dem Morbus Fabry (Mangel an Alpha-Galaktosidase, Enzymtherapie verfügbar) der Morbus Gaucher (Mangel an Beta-Glukosidase; Enzymtherapie verfügbar), der Morbus Pompe (Mangel an Alpha-Glukosidase; Enzymtherapie in Phase-II-Studien), der Morbus Niemann-Pick (Mangel an saurer Sphingomyelinase, Enzymtherapie in der Präklinik) und die Mukopolysaccharidose I (Enzymtherapie in Phase-III-Studien). Die Enzymzufuhr muss zielgerichtet zu den Lysosomen erfolgen, dem eigentlichen Wirkort, an dem die Enzyme ihre katalytische Wirkung entfalten. Erreicht wird dies durch ein spezielles Glykosilierungsmuster der Polysaccharidseitenketten, bei denen der endständige Zuckerrest als Erkennungssignal dient. Nach Aufnahme in die Zellen gelangen die Enzyme in die Lysosomen und werden erst im dortigen sauren Milieu aktiviert.
Quelle: Einführungs-Fachpressekonferenz "Fabrazyme – die Therapieoption für eine seltene Speicherkrankheit", München, 19. Juni 2001, veranstaltet von Genzyme, Alzenau.
"Orphan Drugs" sind auf dem Arzneimittelmarkt eher selten. Dienen sie doch der Behandlung von Krankheiten, die oft schwerwiegend, aber nicht häufig und damit auch nicht gewinnversprechend sind. Besonders bemerkenswert ist deshalb die Zulassung eines gentechnisch hergestellten Enzyms zur Therapie des Morbus Fabry, einer lysosomalen Speicherkrankheit. Bei einer Inzidenz von 1 : 40000 wird ein Arzt nicht häufiger als ein bis zwei Mal während seiner beruflichen Tätigkeit damit konfrontiert. Das Problem liegt damit auf der Hand: die rechtzeitige Diagnosestellung.
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