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Feuilleton
Erbe einer Kulturlandschaft: Muschelkalkhänge um Jena
Botanik und Fauna der Halbtrockenrasen
Der flimmernde Mittagshitze scheint der Eidechse zu behagen. Auf einer kleinen Halde aus Muschelkalkschutt lauert das Tier nach Beute. Flora und Fauna haben sich an die extremen Lebensbedingungen auf der Felsflur angepasst. Bei Mittagstemperaturen bis zu 70 Grad Celsius können noch Blaugräser gedeihen. Ihr dichtes Wurzelwerk schützt den kargen Boden vor Erosion. Auch die Färber-Hundskamille, der Berg-Gamander und Frühblühender Thymian sind "Lebenskünstler", die Trockenperioden überdauern können.
Aus einem verkarsteten Hang im Mittleren Saaletal ragen genügsame Kiefern empor. Die flachgründigen Böden bieten gerade genug Nahrung, dass die Bäume überdauern können. Sie werden kaum höher als zehn Meter. Gerade deswegen blieben Mikroklima und Lichtintensität nahezu konstant, die Halbtrockenrasenflora wurde nicht verdrängt. Im Sommer entdeckt der Wanderer hier die Blütenkörbe der Golddistel Carlina vulgaris. Auch die Infloreszenzen des Bayerischen Vergissmeinnicht und der Ästigen Graslilie prägen die Landschaft. Nirgendwo sonst am Ortsrand des Thüringer Beckens entwickelten aber Flora und Fauna solch einen Artenreichtum wie an den flacheren Hangpartien. Euphorbia cyparissias, Carlina acaulis und Salvia pratensis sind nur einige von mannigfaltigen Spezies, denen der Halbtrockenrasen zusagende Lebensbedingungen bietet. Mit 27 Arten ist die Region wohl der Orchideen-Standort Nummer eins in ganz Deutschland.
Nicht minder vielfältig ist die Tierwelt, Insekten- und Vogelarten, die anderswo längst verdrängt worden sind, finden hier noch Nahrung und können sich vermehren. Wintergoldhähnchen, Dompfaffen und Wacholderdrosseln kann der Naturfreund hier ebenso beobachten wie die Rotflügelige Schnarrschrecke, den Schwalbenschwanz, Trauermantel und andere seltene Insektenarten. Schließlich ist hier der Uhu heimisch, und mitunter schlängeln Ringelnattern hastig über den Weg. Eine außergewöhnliche Biotopvielfalt, die sich letztendlich erst durch menschlichen Einfluss so entwickeln (und erhalten) konnte.
Relief und Klima
Im Laufe von Jahrmillionen haben sich die Saale und ihre Nebenflüsse, aus den engen Tälern des Schiefergebirges kommend, 250 Meter tief in den Muschelkalk und den darunter liegenden Buntsandstein eingeschnitten. In der jüngsten Erdgeschichte hat der Fluss das Tal teilweise mit Geröll gefüllt und Terrassen gebildet, deren unterste sich als breite Aue darstellt. In zahlreichen Seitentälern, die mit ihren steilen Hängen stellenweise an Canyons erinnern, setzen sich die Felspartien fort.
Das Klima ist mild: Betrug von 1886 bis 1930 die mittlere Jahrestemperatur 8,4 Grad Celsius, so wurde für die vier Jahrzehnte von 1961 bis 1990 ein Mittel von 9,3 Grad Celsius errechnet. Ebenso nahm die Niederschlagsmenge zu: 1881 bis 1930 wurde ein Durchschnitt von 570 mm gemessen. In dem Zeitraum von 1961 bis 1990 dokumentierten die Meteorologen ein Jahresmittel von 586 mm. Aufgrund des reichgegliederten Landschaftsreliefs wandelt sich das insgesamt trocken-warme Klima je nach Hangneigung und Himmelsrichtung mehr oder weniger stark ab. Insbesondere im Frühjahr, wenn die Streuobstwiesen in Blüte stehen, während die Hochflächen noch mit Schneeresten bedeckt sind, werden die unterschiedlichen Mikroklimata deutlich sichtbar.
Nutzung durch den Menschen
Die Naturlandschaft begannen schon die Menschen der Jungsteinzeit umzugestalten. Es entstanden Siedlungen mit Äckern, Wiesen, Weiden und Weinbergen. Auch der Obstanbau und die Forstwirtschaft veränderten die ursprüngliche Landschaft. Gerade durch die Vielfalt der Kulturen entstanden im mittleren Saaletal einzigartige Biotope für Wildpflanzen und Tiere, die im 19. Jahrhundert erstmals durch Botaniker entdeckt und dokumentiert wurden.
Im Mittelalter war der Weinbau ein wichtiger Erwerbszweig. Noch um 1600 standen auf einer Fläche von 700 Hektar Rebstöcke. Gut anderthalb Jahrhunderte später wurden nur noch auf 44 Hektar Trauben geerntet, und infolge der von Nordamerika eingeschleppten Reblaus und klimatischer Veränderungen wurde der Weinbau im 19. Jahrhundert unrentabel. Heute haben einige Hobby-Winzer zumindest einige kleine Flächen wieder aufgerebt. Bereits im 18. Jahrhundert waren Weinberge zusehends als Weiden, Wiesen und - soweit es Böden und Hangneigung zuließen - als Äcker genutzt worden. Heute noch erinnern Luzerne und Esparsette, die zuweilen an den Wegrändern wachsen, an den früheren Anbau von Futterpflanzen. Die Steilhänge wurden einst mit Schafen und Ziegen beweidet.
Mitunter entdeckt der Wanderer sogar verwilderte Päonien, Iris, Salbei, Färberwaid oder Weinraute - Indizien für gärtnerische Kulturen. Darüber hinaus sind bis heute zahlreiche Streuobstwiesen erhalten geblieben. Sie werden jedoch erst in geringem Umfang wieder genutzt.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man begonnen, Flächen aufzuforsten, um die Landschaft zu regenerieren. Im Mittelalter waren nämlich zahlreiche Waldbestände gerodet worden. Auch hatten Ziegen und Schafe die Hänge überweidet, die Weinberge waren zerfallen. Auf den kargen, steinigen Böden konnten indessen allenfalls die Kiefer und die Schwarzkiefer (Pinus sylvestris bzw. P. nigra) gedeihen. Sie prägen heute noch die Landschaft, sind jedoch nicht unumstritten. Bei unkontrollierter Vermehrung durch Aussaat drohen die Bäume licht- und wärmeliebende Heuschrecken, Tagfalter, Orchideen und andere Wiesenpflanzen zu verdrängen.
Naturschutzprojekt
Um die Landschaft in ihrer Vielfalt für künftige Generationen zu erhalten, wurde das Naturschutzprojekt "Orchideenregion Jena - Muschelkalkhänge im Mittleren Saaletal" ins Leben gerufen. In einen Pflege- und Entwicklungsplan werden Flächen mit erhaltenswerten Biotopen auf einem Gesamtareal von 14300 Hektar ausgewiesen, um sie weiterhin auf herkömmliche Weise zu bewirtschaften.
Kastentext
Museum für Naturkunde Gera Nicolaiberg 3, 07545 Gera Tel.: (0365) 52003. Internet: www.gera.de/Tourismus Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.
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