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Arzneimittel und Therapie
Peginterferon – durch Umhüllung widerstandsfähiger gegen enzymatischen A
Das pegylierte Interferon weist verglichen mit den früheren 8,5 Stunden eine etwa zehnfach erhöhte Halbwertszeit auf und muss daher anstatt dreimal nur noch einmal wöchentlich injiziert werden. Außerdem entfallen die vorher auftretenden Schwankungen im Blutserum, was zu einer Verbesserung der Ansprechrate beiträgt.
Zellen nach Erstinfektion gegen Viren resistent
Das Interferon wurde 1957 von zwei in London arbeitenden Wissenschaftlern, dem Briten Alick Isaacs und dem Schweizer Jean Lindemann, entdeckt. Beide stießen auf die Substanz, als sie die Auswirkungen von Virusinfektionen auf Zellen in einer Gewebekultur analysierten. Dabei fiel ihnen auf, dass bereits mit einem Virus infizierte Zellen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes gegenüber einer weiteren Infizierung durch ein anderes Virus resistent verhielten. Die zweite Infektion überlagerte sich ("interferierte") also mit der ersten. Der aus solchen Zellkulturen isolierte Eiweißstoff, welcher den nicht mit Viren befallenen Zellen fehlte, erhielt daher von den Forschern den Namen Interferon (IFN).
Inzwischen ist bekannt, dass es sich bei den Vertretern derartiger Stoffe um Proteine handelt, die als Teil der natürlichen Immunabwehr von weißen Blutkörperchen produziert werden, sobald der Körper beispielsweise mit Viren, Mikroorganismen oder Tumorzellen in Kontakt kommt. Interferone lassen sich nach ihrer Struktur in die drei Gruppen Interferon alfa, beta und gamma einteilen. Allein die Alfa-Gruppe besteht aus mindestens 15 Subtypen, die sich in ihrer Aminosäurensequenz unterscheiden und durch Schwefel-Doppelbindungen gefaltet sind. Das Interferon alfa-2a ist ein Protein aus 165 Aminosäuren ohne Glucose-Zuckereinheit, das durch zwei Disulfidbrücken in seiner dreidimensionalen Schlaufenstruktur gehalten wird.
Interferone setzen eine Reaktionskaskade in Gang
Infolge der Bindung von Alfa-Interferon an einen spezifischen Rezeptor an der Zelloberfläche können die Konzentrationen von fünfzig bis hundert Proteinen innerhalb der Zelle verändert werden. Diese spielen in vielen zellulären Prozessen wie der Regulation des Zellwachstums und der Immunantwort eine Rolle. Durch die Induktion der Zelldifferenzierung kann der Zellzyklus verändert und die Teilung der sich undifferenziert vermehrenden Tumorzellen gebremst werden. Interferon alfa wird deshalb gegen Krebszellen des Haut- oder Immunsystems eingesetzt. Beispiele sind die Anwendung bei Haarzell-Leukämie, chronischer Myeloid-Leukämie, Non Hodgkin-Lymphomen oder malignem Melanom, Nierenzellkarzinom sowie dem durch das HI-Virus verursachten Kaposi-Sarkom.
Das Medikament bekämpft aber auch Viren. Eines der ersten Proteine, das nach dem Hinzufügen von Interferon alfa-2a nachgewiesen wird, ist das Enzym Oligoadenylat-Synthetase. Dieses katalysiert die Synthese von kleinen Oligonukleotiden. Daraufhin wird ein weiteres Enzym aktiviert, welches die einsträngige virale RNA abbaut und so die Vermehrung von Viren unterbindet. Sobald Interferon sich an einen Zellrezeptor anheftet, werden verschiedene weitere Zellen des Immunsystems dazu angeregt, sich an die Virusfragmente auf der Oberfläche der infizierten Zellen anzulagern und so eine Immunabwehr zu induzieren. Auf diese Weise werden eindringende Viren zerstört und noch nicht infizierte Zellen vor deren Invasion geschützt. Aufgrund dieser Wirkungsmechanismen eignet sich Interferon auch zur Behandlung der chronischen Hepatitis B und C.
Bakterien können menschliche Interferone produzieren
Lange Zeit war menschliches Blut in einer Größenordnung von 60000 Litern erforderlich, um ein Gramm Interferon zu gewinnen. Zur Steigerung der Ausbeuten wird die Substanz inzwischen gentechnisch hergestellt. Dazu wurde diejenige DNA-Sequenz isoliert, welche für das gewünschte Protein kodiert und in das genetische Material des Bakteriums Escherichia coli eingebaut. Diesem Mikroorganismus wurde zusätzlich das menschliche Leukozyten-Interferon-Gen eingefügt, sodass er daher außer seinen eigenen Proteinen auch das menschliche Interferon in hohen Konzentrationen herstellt. Das entstandene Produkt wird in mehreren Chromatographie- und Filtrations-Schritten gereinigt. Das erste genrekombinante Interferon alfa-2a von Roche (Roferon A®) wurde im Juni 1986 in den USA und in der Schweiz zur Behandlung von Haarzellen-Leukämie zugelassen.
Kombination mit Ribavirin
Für die Behandlung der chronischen Hepatitis C empfehlen die europäischen Fachgesellschaften eine Therapie mit 3 bis 6 Millionen internationalen Einheiten (MIU) Interferon alfa, welche dreimal pro Woche während einer Gesamttherapiedauer von 12 Monaten unter die Haut (subkutan, s.c.) gespritzt werden. Zunehmend wird es beim Vorliegen des Hepatitis-C-Genotyps 1 für 12 Monate mit oral einzunehmendem Ribavirin kombiniert und für 6 Monate bei nicht mit Genotyp 1 Infizierten. Der Mechanismus, durch den Ribavirin die Wirkung von Interferon verbessert, ist bisher noch nicht bekannt. Der Umfang der Interferon-Antwort wird weitgehend durch das infizierende Virus, aber auch durch die jeweils befallenen Zellen bestimmt.
Der "Response" wird definiert als Normalisierung der Konzentration des Enzyms Alanin-Aminotransferase und dem Verschwinden der RNA des Hepatitis-C-Virus unter die Nachweisgrenze. Ein langanhaltendes Ansprechen bedeutet, dass noch sechs Monate nach Therapieende keine virale RNA nachgewiesen wird. Rückfälle bei solchen Personen sind sehr selten.
Interferon verursacht in etlichen Fällen Nebenwirkungen. Sie reichen von Übelkeit und Appetitverlust bis zu grippeähnlichen Symptomen einschließlich Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Muskelschmerzen. Die Symptome verringern sich meistens im Laufe der Behandlung. Es können allerdings auch Autoimmunkrankheiten zum Ausbruch kommen und Depressionen entstehen, die in seltenen Fällen zum Selbstmord geführt haben. Ein Patient mit guten Aussichten auf Heilung ist idealerweise jung, weiblich, schlank, erst seit kurzer Zeit infiziert, weist eine niedrige Konzentration an Viren im Körper auf, eine geringe oder gar keine Zellschädigung bei der Leberbiopsie und einen Virus mit einem bevorzugten Genotyp. Ein derartiges Profil passt jedoch nur auf 10 bis 20 Prozent der Patienten.
Pegylierung verbessert die Moleküleigenschaften
Um die Wirksamkeit des Therapeutikums zu steigern, wurde das Interferon alfa-2a pegyliert. Durch eine mit Polyethylen-Glykolen (PEG) erzielte Neuordnung der Molekülstruktur lassen sich nämlich auch die physikalischen Eigenschaften eines Medikamentes verändern. PEGs sind nicht toxisch und sie sind amphophil, was bedeutet, dass sie sowohl in Wasser als auch in den meisten organischen Lösungsmitteln löslich sind.
Eine Proteinpegylierung wird zu einem Großteil durch stabile, kovalente Bindungen zwischen einer Amino- oder auch Sulfhydrylgruppe am Protein und einer chemisch reaktiven Gruppe (Carbonat, Ester, Aldehyd oder Tresylat) auf dem PEG herbeigeführt. Die entstehenden Strukturen können linear oder verzweigt sein. Die Reaktion kann durch Faktoren wie Proteinart und -konzentration, Reaktionszeit, Temperatur sowie pH-Wert gezielt gesteuert werden. Solche Umweltfaktoren nehmen ebenfalls Einfluss auf die elektrostatischen Bindungseigenschaften, die Proteinladung samt Form und Größe. Daher müssen für jedes therapeutische Molekül auch die passenden PEGs ermittelt werden.
Die Pegylierung stellt eine Methode dar, die vor allem therapeutische Proteine, die intravenös gegeben werden, so verändern kann, dass deren Stabilität, Halbwertszeit in den biologischen Zellsystemen, Wasserlöslichkeit und immunologische Eigenschaften verbessert werden. Eine PEG-Masse von etwa 40 bis 50 KiloDalton genügt, um kleine Moleküle so zu vergrößern, dass sie sich nicht mehr so leicht aus dem Nierengewebe herausfiltrieren lassen und damit länger im Körper verbleiben. Außerdem werden pegylierte Proteine, die sozusagen von den angehängten PEGs umhüllt sind, nicht mehr so schnell durch körpereigene Enzyme abgebaut wie unveränderte Substanzen.
Mithilfe dieser Veränderungen ist es möglich, eine längere Bioverfügbarkeit und verbesserte Wirksamkeit der Medikamente im Körper zu erreichen, sodass ein Patient daraufhin eventuell eine geringere Anzahl von Injektionen benötigt. Die molekularen Modifikationen sorgen auch dafür, dass die Immunabwehr die Interferon-Moleküle nicht so rasch und intensiv bekämpft.
Nahezu jedes Molekül kann derartig modifiziert werden. Nicht nur therapeutische Proteine und Peptide wie Wachstumsfaktoren oder Blutderivate in der Medizin werden pegyliert, sondern wegen der Unbedenklichkeit der Methode beispielsweise auch in Nahrungsmitteln oder Kosmetika eingesetzte Liposomen. Auf diese Weise kommt der Mensch prinzipiell täglich mit PEGs in Kontakt.
Potenzial für "therapeutische" Impfstoffe
Chronische Hepatitis C entsteht, wenn es dem Immunsystem des Körpers nicht gelingt, das Virus zu erkennen und rechtzeitig zu eliminieren. Dies ist in 85 Prozent der Infektionen der Fall. Studien mit Personen, die das Virus beseitigen konnten, weisen auf bestimmte Immunantworten hin, die bei diesen häufiger ablaufen als bei chronisch Infizierten. Insbesondere CD4-T-Zellen reagieren sehr stark auf verschiedene Virusproteine, indem sie Zytokine produzieren und ausscheiden. Der gleiche Reaktionstyp scheint auch bei Personen die Viruselimination zu unterstützen, die mit Interferon behandelt werden.
Wissenschaftler versuchen nun, das Immunsystem so anzuregen, dass es sehr effizient auf virale Proteine reagiert. Um eine geeignete Reaktion der T-Zellen auszulösen, werden in Versuchen formulierte Viruseiweiße zusammen mit einem verstärkenden Hilfsmittel verabreicht. Obwohl bekannt ist, dass das Virus mit dem Genotyp 1 nicht auf eine Interferon-Therapie anspricht, ist die molekulare Basis für das Ausbleiben der Wirkung noch nicht aufgeklärt. Falls die genauen, dafür verantwortlichen genetischen Sequenzen analysiert werden könnten, ließen sich diagnostische Tests entwickeln, die vor einer Behandlung die Personen herausfiltern, die am besten auf das Medikament ansprechen.
Das Potenzial, die menschlichen Genvariationen im Zusammenhang mit den verschiedenen Aspekten der Krankheit zu identifizieren, könnte neuartige Tests zur direkten Therapie hervorbringen und zur Entdeckung neuer Wirkstoffziele im Rahmen der Medikamentenentwicklung beitragen.
Quelle Roche Facetten Nr. 16 "Neue Waffen gegen Viruskrankheiten"
Bei der Behandlung der chronischen Hepatitis C weist ein pegyliertes Interferon alfa-2a (Peginterferon alfa-2a, Pegasys®) bessere Eigenschaften auf als das bislang verwendete, nicht modifizierte Interferon: Diesem wurde ein verzweigtes Polyethylenglykol(PEG)-Molekül mit einem durchschnittlichen Molekulargewicht von 40 kDa angehängt. Mit einer solchen Pegylierung konnte in Tiermodellen eine Wirkungssteigerung um das 12- bis 135-fache gegenüber Viren und um das 18-fache gegenüber Tumorzellen erzielt werden. Pegasys soll demnächst eingeführt werden.
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