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Arzneipflanzen: Neuer Apothekergarten in Ulm eröffnet
Phytopharmaka haben eine Zukunft
Dr. Dieter Echkhardt, Mitglied der Geschäftsführung von ratiopharm, legte dar, dass innerhalb der Produktpalette seiner Firma die Phytopharmaka keineswegs den Schwerpunkt, aber doch ein gewichtiges Segment bilden. Die Firma betreibe zwar selbst keine Arzneimittelforschung und stelle auch keine Pflanzenextrakte her, sie achte jedoch auf eine hohe pharmazeutische Qualität der von ihr zum Zweck der Weiterverarbeitung gekauften Extrakte. Zur Positivliste für die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln, deren Entwurf das Bundesgesundheitsministerium eine Woche zuvor den Arzneimittelherstellern zugesandt hatte, meinte Eckhardt, dass die Präparate von ratiopharm gute Chancen hätten, diese "zweite Hürde" (nach der Zulassung) zu nehmen. Er bezweifelte jedoch, dass die Positivliste fahrplanmäßig in Kraft treten werde.
Optimistisch in puncto Phytopharmaka zeigte Eckhardt sich auch insofern, als er auf einen zunehmend "mündigen" Patienten setzt, der sich mit seinen Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen auseinandersetzt und sich entsprechendes Wissen zur Selbstmedikation aneignet. Der Neue Apothekergarten biete den mündigen Patienten eine hervorragende Gelegenheit, ihr Wissen über Arzneipflanzen weiter zu vertiefen.
Prof. Dr. Gerhard Gottsberger, Leiter des Botanischen Gartens, erinnerte in einem Rückblick auf die letzten fünf Jahrhunderte daran, dass Arzneipflanzen in Botanischen Gärten von Universitäten früher eine weitaus größere Rolle gespielt hatten, und freute sich, dass man in Ulm nun an diese Tradition anknüpfen konnte. Freilich bestehe die Hauptaufgabe wissenschaftlicher Gärten heute darin, über das natürliche System der Pflanzen und die verschiedenen (auch ökologischen) Aspekte der Vegetation zu unterrichten.
Gottsberger hat auf Feldforschungen in Amazonien die Erfahrung gemacht, dass dort lebende Indianerstämme bis zu 30% der in ihrer Umgebung wachsenden Pflanzenarten arzneilich nutzen. In Europa ist seiner Meinung viel entsprechendes Wissen während der Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit systematisch ausgerottet worden. Abschließend bedauerte er, dass der Arzt während seiner Ausbildung "nichts über Pflanzen lernt".
Plädoyer für mehr Forschungsgelder
Prof. Dr. Lutz Heide, Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie der Universität Tübingen, analysierte die Rolle der Phytopharmaka im Arzneimittelmarkt. Unter den 1263 Präparaten, die in der Roten Liste 2001 aufgeführt sind, nehmen sie einen Anteil von 13% ein, dagegen machen sie unter den ärztlichen Verschreibungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur 7% aus. Dies liegt bekanntermaßen auch daran, dass viele Präparate nicht (mehr) als erstattungsfähig gelten und deshalb in den Selbstmedikationsbereich abgewandert sind.
Wie Heide darlegte, besteht keine Korrelation zwischen den meistverordneten Phytopharmaka und den in der Bevölkerung am bekanntesten Arzneipflanzen (laut Umfrage). Bei den Präparaten führen folgende Stammpflanzen die Hitliste an: Ginkgo, Johanniskraut, Rosskastanie, Weißdorn, Myrte. Am bekanntesten sind dagegen (in dieser Reihenfolge) Baldrian, Kamille, Pfefferminze, Echinacea und Ringelblume. Es sind Pflanzen, die in der Selbstmedikation eine besonders große Rolle spielen.
Phytopharmaka können gegenüber Synthetika ganz unterschiedliche therapeutische Vorteile aufweisen. Hierfür nannte Heide beispielhaft einige Arzneidrogen:
- Johanniskraut bei Depressionen: keine Entwicklung von Abhängigkeit;
- Rosskastaniensamen bei Veneninsuffizienz: kein Synthetikum als Alternative verfügbar (nur physikalische Therapie);
- Weidenrinde bei Schmerzen: gute gastrointestinale Verträglichkeit.
Heide beklagte, dass die öffentliche Hand nicht mehr Gelder für die Erforschung des therapeutischen Nutzens von Phytopharmaka zur Verfügung stellt. Die USA habe für diesen Zweck 100 Mio. Dollar im Etat 2002 eingeplant. Es bestehe die Gefahr, dass in Zukunft die in ihrer Wirksamkeit besser dokumentierten amerikanischen Präparate auch den europäischen Markt erobern.
Open-Air-Information
Dr. Alexander Schenk, Leiter des Instituts für rationale Phytotherapie in Münster, hat sowohl das Konzept für den Neuen Apothekergarten entworfen als auch den Text für die Broschüre über diesen Garten geschrieben. Es war ihm dabei ein Anliegen, dass die Information über Arzneipflanzen in einer ansprechenden Umgebung unter Einsatz aller Sinne erfolgt, nach dem Motto: open air statt online.
30 Beete des Gartens sind bestimmten Indikationen gewidmet, von "Appetitlosigkeit" bis zu "Vorbeugung von Herz- und Kreislauferkrankungen". Dabei hat er manche traditionellen Anwendungsgebiete aufgrund des aktuellen Forschungsstandes durchaus kritisch bewertet. Schenk wörtlich: "Es ist nicht alles Gold, was glänzt im Reiche der Natur."
Steckbrieflich sind bei den einzelnen Pflanzen der Name, die Wirk- und Inhaltsstoffe, die Anwendungsgebiete und sonstiges Wissenswertes angegeben. Eine Besonderheit ist die Gegenüberstellung von Arzneipflanzen und ähnlich aussehenden Pflanzenarten, die leicht mit ihnen verwechselt werden können. Giftige Pflanzen sind durch rote Schilder deutlich kenntlich gemacht.
Der Neue Apothekergarten findet seine thematische Fortsetzung in den nur etwa 100 m entfernten Gewächshäusern, in denen exotische Pflanzen wie Guarana, Myrrhenstrauch, Ananas oder Campherbaum besichtigt werden können.
Apotheke bürgt für Qualität
Der Garten wurde mit zahlreichen Grußworten von Vertretern der Universität, der Firma ratiopharm und anderer Beteiligter, darunter auch der Apotheker, eröffnet. Geschäftsführer Dr. Philipp Merckle betonte, dass die Firmen der Merckle-Gruppe (einschließlich ratiopharm GmbH) bei der Vermarktung ihrer Präparate auf die Kompetenz der Apotheker setzen.
Dr. Günter Theurer, Ehrenpräsident des Landeapothekerverbandes Baden-Württemberg, hob hervor, dass der Kunde in den Apotheken die nötige Beratung über Arzneimittel findet. Das gelte insbesondere für pflanzliche Arzneimittel und für freiverkäufliche Präparate. Die Apotheke bürge auch in diesem Segment für Arzneimittelsicherheit und -qualität.
Kastentext: Der Garten in Zahlen
Der Neue Apothekergarten Ulm ist 2000 m² groß. In ihm wachsen 200 Arzneipflanzenarten, die nach 30 medizinischen Anwendungsgebieten und fünf weiteren Themen zur Pflanzenheilkunde geordnet sind. Jede Pflanzenart ist beschildert. 75 illustrierte Informationstafeln sind direkt an den Beeten angebracht. Acht große Tafeln zu übergreifenden Themen stehen auf dem Informationsplatz.
Kastentext
Botanischer Garten der Universität Ulm, Hans-Krebs-Weg, Nähe James-Franck-Ring, www.apothekergarten-ulm.de Geöffnet: Im Sommer 9 bis 20 Uhr; Gewächshäuser Dienstag und Donnerstag 9 bis 12, 13 bis 15 Uhr. Führungen: 2., 16., 30. August, 18.30 Uhr. Broschüre: 114 Seiten, farbig illustriert, 5 DM, erhältlich bei ratiopharm GmbH, Marketing OTC, Graf-Arco-Str. 3, 89079 Ulm.
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