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Arzneimittel und Therapie
Marktrücknahme von Cerivastatin: Rhabdomyolyse – Nebenwirkung mit Todes
Seit 1989 sind CSE-Hemmer, die Statine, auf dem Markt und haben sich seitdem zur Senkung erhöhter Cholesterinspiegel bewährt. Schon beim ersten CSE-Hemmer, Lovastatin, traten Myalgien (Muskelschmerzen), Myopathien (Muskelschwäche) und Rhabdomyolysen (Degeneration von Herz- und Skelettmuskulatur) als Nebenwirkungen auf, die sich dann auch bei allen nachfolgenden Substanzen zeigten. Ebenso wurde ein Anstieg der Serum-Kreatin-Phosphokinase (CK) beschrieben. Zu diesen Nebenwirkungen kam es vor allem bei Patienten, die als Begleitmedikation die Lipidsenker Gemfibrozil oder Nicotinsäure erhielten. Sie traten aber auch in Kombination mit Immunsuppressiva wie Ciclosporin, mit Erythromycin und anderen CYP450-3A4-Hemmern, Azolderivaten, Grapefruitsaft oder mit Glucocorticoiden auf.
Heute schätzt man, dass die Rhabdomyolyse mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 2,5% bei der Einnahme von allen CSE-Hemmern, also außer Cerivastatin auch Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin und Fluvastatin, vor allem in Kombination mit Fibrinsäure-Derivaten vorkommen kann. Diese Kombination ist zur Therapie der Hyperlipidämie sehr effektiv.
Ist Cerivastatin besonders riskant?
Seit 1997 haben rund sechs Millionen Menschen in 80 Ländern Lipobay verschrieben bekommen. Im Jahr 2000 waren im Zusammenhang mit Cerivastatin erst zwei Todesfälle bekannt. Im März 2001 berichtete das "arznei-telegramm" über eine Warnung der australischen Arzneimittelbehörde. Die Australier hatten den Verdacht geäußert, dass das relativ neue Cerivastatin riskanter sei als die anderen Statine. Dort wurde in 17 Fällen über eine Rhabdomyolyse im Zusammenhang mit Cerivastatin berichtet. In sieben von 15 Meldungen mit Dosisangaben wurden Tagesdosierungen von 0,4 mg Cerivastatin und höher verwendet, bei zwei Patienten war die Dosis kurz zuvor auf 0,8 mg gesteigert worden. Zehn Patienten hatten nach Angaben vom "arznei-telegramm" gleichzeitig Gemfibrozil eingenommen.
Ein ähnliches Bild ergeben die Verdachtsberichte an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seit 1990. Auch hier entfallen laut "arznei-telegramm" die meisten Meldungen, nämlich 46, auf den jüngsten CSE-Hemmer. Dabei rangierte Cerivastatin 1999 mit 88 Mio. Tagesdosen erst an dritter Stelle der Verordnungshäufigkeit nach Atorvastatin (Sortis®, 223 Mio. Tagesdosen, 11 Meldungen) und Simvastatin (Denan®, Zocor®, 142 Mio. Tagesdosen, 24 Meldungen). Der älteste CSE-Hemmer Lovastatin (Mevinacor®) wird 12 Mal verdächtigt, Pravastatin (Pravasin® u. a.) 5- und Fluvastatin (Cranoc®, Locol®) 6 Mal. Schon im März warnte das "arznei-telegramm" aufgrund dieser Daten vor der Einnahme von Cerivastatin.
Mehrere Todesfälle
In Deutschland wurde Lipobay im Jahr 1999 rund 900 000 Mal verordnet. Im Zusammenhang mit Cerivastatin sind hier nach einer Information des "Spiegel" in seiner Ausgabe vom 13. August 2001 sechs Todesfälle bekannt geworden; den ersten Todesfall habe es bereits vor drei Jahren gegeben. Demnach starb bereits 1998 ein Patient in Deutschland nach der Einnahme von Cerivastatin an Muskelzerfall und Nierenversagen. Der Fall sei als Verdacht einer Arzneimittelnebenwirkung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet und dort geprüft worden, so der "Spiegel". Im Januar 2000 wurde dann der erste Todesfall in den USA bekannt. Eine Häufung der Fälle sei aber erst im März und April dieses Jahres aufgetreten, sagte der Leiter des BfArM, Harald Schweim, im "Spiegel". In Spanien sind laut "Spiegel" vier Todesfälle bekannt, in den USA 31.
Ulrich Hagemann vom BfArM spricht von 90 Verdachtsfällen und vier Berichten über "tödliche Verläufe eines Muskelzerfallsprozesses" im Zusammenhang mit Cerivastatin in Deutschland. Am 13. August berichtete die Firma Bayer von weltweit 52 Todesfällen, die mit Cerivastatin in Zusammenhang gebracht werden, davon fünf in Deutschland.
Kombination mit Gemfibrozil kontraindiziert
In Deutschland durfte Cerivastatin seit Juli 2001 nicht mehr gemeinsam mit Gemfibrozil eingenommen werden. In unserer DAZ-Ausgabe vom 5. Juli wies die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker auf das erhöhte Risiko einer Rhabdomyolyse als Folge der Interaktion von Cerivastatin mit Gemfibrozil hin. Die Fachinformationen von Cerivastatin wurden entsprechend geändert, die gleichzeitige Gabe von Cerivastatin mit Gemfibrozil (Gevilon®, Gemfi®) als Kontraindikation aufgenommen.
Auch eine Frage der Dosis?
Wahrscheinlich ist aber nicht nur die kontraindizierte Kombination Schuld an den schweren Nebenwirkungen. Im "Spiegel" meint der Pharmakologe Peter Schönhofer aus Bremen: "Es ist nicht nur die Kombination." Von den 90 Fällen, bei denen Cerivastatin zu Muskelschwund führte, hatten nur neun Patienten gleichzeitig Gemfibrozil eingenommen. In den USA überprüft die Arzneimittelbehörde FDA derzeit die 31 Todesfälle im Zusammenhang mit Cerivastatin. Nur in zwölf Fällen wurde dabei auch Gemfibrozil verabreicht.
Bei Monotherapien mit Cerivastatin sind tödliche Rhabdomyolysen allerdings nur bei den Patienten vorgekommen, die die hohe Tagesdosis von 0,8 mg erhalten hatten. Bei uns wird Cerivastatin in einer Tagesdosis von 0,4 mg eingesetzt, in den USA sind Tagesdosen von 0,8 mg zugelassen. Ende Juli setzte die Europäische Beörde für Cerivastatin eine Höchstgrenze von 0,4 mg fest.
Die Firma Bayer spricht von einem "mitunter bestimmungswidrigen Einsatz der Höchstdosis von 0,8 mg als Anfangsdosis zu Beginn der Behandlung, der auch bei einer Monotherapie zu Spontanmeldungen von Todesfällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Einnahme von Cerivastatin geführt hat." In den Verschreibungsempfehlungen für die 0,8-mg-Dosis werde deutlich darauf hingewiesen, eine Behandlung nicht mit der höchsten Dosierung zu starten, sondern mit einer geringen Dosis zu beginnen und diese dann erst schrittweise zu erhöhen. Ein Sprecher von Bayer bedauerte, dass gegen diesen Hinweis immer wieder verstoßen worden sei.
Akkumulation durch unzureichende Ausscheidung?
Möglicherweise kann auch eine Überdosierung oder eine Akkumulation im Körper die Ursache für die gefährlichen Nebenwirkungen sein. Dafür spricht, dass Cerivastatin das wirksamste Statin ist und zudem mit 60% die höchste Bioverfügbarkeit aller Statine aufweist. Außerdem wird Cerivastatin zu einem größeren Teil über die Nieren ausgeschieden als die anderen Statine. Mit dem Alter nimmt jedoch die Nierenfunktion kontinuierlich ab. Wenn der Wirkstoff nicht mehr ausreichend über die Nieren exkretiert wird, kann er sich im Körper anreichern.
Nierenwerte überprüfen
Durch die neuesten Ereignisse ist die Arzneimittelsicherheit in Deutschland wieder einmal in den Blickpunkt gerückt. Verbraucherverbände fordern verbesserte Sicherheitsmaßnahmen und ein vermehrtes Mitspracherecht bei der Arzneimittelzulassung. Viele Experten sehen das anders: Die Pharmakologin Karen Nieber vom Leipziger Institut für Pharmazie weist die Kritik an den Zulassungsverfahren zurück. Der Heidelberger Pharmakologe Ulrich Schwabe äußert sich in einem Gespräch mit der "Stuttgarter Zeitung" , das am 11. August veröffentlicht wurde: "Die Arzneimittelsicherheit in Deutschland hat sich innerhalb einer Generation deutlich verbessert."
Schwabe sah keine erkennbaren Versäumnisse im Zusammenhang mit Cerivastatin. Er betonte, dass es wichtig sei, diese Gruppe der Cholesterinhemmer auf jeden Fall zu erhalten. Patienten und Ärzte sollten aber verstärkt Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, zum Beispiel die Nierenwerte überprüfen und darauf achten, ob andere Arzneimittel eingenommen werden. So könne eine Muskelauflösung rechtzeitig erkannt und das Mittel abgesetzt werden. Auch der Bremer Pharmakologe Schönhofer wirft der Firma Bayer nichts vor: "Die Entscheidung zur Marktrücknahme ist rechtzeitig gefallen."
Auf andere Statine umstellen
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte rät den Patienten, die Cerivastatin eingenommen haben, ihren Hausarzt aufzusuchen und sich einen anderen Cholesterinsenker verordnen zu lassen. Die Behandelten sollten weiterhin auf Nebenwirkungen wie Muskelschwäche, Fieber, Erbrechen und dunklen Urin achten.
Kastentext: Rhabdomyolyse
Bei der Rhabdomyolyse lösen sich die Muskeln, vor allem an den Beinen, am Rücken und am Herz, auf. Die Symptome ähneln zu Beginn denen einer Grippe, später einem schweren Muskelkater mit progredienten Muskelschmerzen. Der Urin ist rotbraun verfärbt, und bei der Laboruntersuchung ergeben sich sehr hohe CK-Werte. Die Abfallprodukte des zerstörten Muskelgewebes, vor allem das Myoglobin, gelangen in die Nieren und schädigen deren empfindliche Kanälchen – es kann zum Nierenversagen und im schlimmsten Fall zum Tod kommen. Die Ursachen einer Rhabdomyolyse sind vielfältig: Die Muskeln können durch Traumen, beispielsweise nach Unfällen oder durch einen Stromschlag, geschädigt werden oder durch chemische Stoffe und Gifte, wie das des Schierlings, oder Arzneimittel, wie die Statine. Andere Auslöser können Elektrolytentgleisungen, endokrinologische Störungen und Muskelerkrankungen sein.
Wenn die Erkrankung schnell behandelt wird, ist die Prognose relativ gut. Dazu muss sofort eine Diurese von mindestens 2,5 Litern eingeleitet werden, und der Urin muss alkalisiert werden. Bei einem akuten Nierenversagen ist eine sofortige Dialyse notwendig, damit sich die Nieren wieder erholen können.
Kastentext: Cerivastatin
Cerivastatin ist ein CSE-Hemmer wie Atorvastatin (Sortis®), Fluvastatin (Cranoc®, Locol®) Lovastatin (Mevinacor), Pravastatin (Pravasin®) und Simvastatin (Denan®, Zocor®). Wie die anderen CSE-Hemmer senkt Cerivastatin Cholesterol- und Lipoproteinspiegel im Plasma, indem es die HMG-CoA-Reduktase und dadurch die Cholersterolsynthese in der Leber hemmt. Im Gegensatz zu den anderen Substanzen wirkt Cerivastatin in sehr niedriger, bis zu 100-fach geringerer Dosierung. Bei uns ist Cerivastatin in Tagesdosen von 0,1 bis 0,4 mg auf dem Markt, in den USA sind auch 0,8 mg täglich zugelassen.
Nach oraler Gabe wird Cerivastatin rasch und nahezu vollständig resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach zwei bis drei Stunden erreicht. Die absolute Bioverfügbarkeit beträgt etwa 60%. Cerivastatin wird über zwei Wege verstoffwechselt, und zwar durch Demethylierung der Benzylmethylethergruppe sowie durch Hydroxylierung einer Methylgruppe am 6-Isopropylsubstituenten, wobei biologisch aktive Metabolite entstehen. An der Metabolisierung ist das Cytochrom-P450-Isoenzym 3A4 beteiligt. Cerivastatin und seine Metabolite werden zu 30% über den Urin und zu 70% über die Fäzes ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit aus dem Plasma beträgt etwa zwei bis drei Stunden.
Als der neue CSE-Hemmer Cerivastatin (Lipobay, Zenas) im September 1997 eingeführt wurde, hatte er wegen seiner starken Wirkung und seiner relativ geringen Dosierung von 0,1 bis 0,4 mg Aufsehen erregt. Jetzt hat wahrscheinlich ausgerechnet diese niedrige Dosierung zu Problemen und als Folge zur weltweiten Marktrücknahme mit Ausnahme von Japan geführt. Vor allem in Kombination mit dem Fibrat Gemfibrozil besteht die Gefahr einer lebensgefährlichen Rhabdomyolyse. Gemfibrozil ist in Japan nicht im Handel.
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