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Arzneimittel und Therapie
Diabetes mellitus: Inselzelltransplantation – Fiktion oder Realität?
Die Vorstellung, Diabetikern mithilfe einer Inselzelltransplantation zu helfen, ist schon mehr als dreißig Jahre alt. Bereits in den frühen 70er-Jahren wurden erfolgreiche Tierversuche bei Nagern durchgeführt, die Humanversuche der folgenden zwanzig Jahre schlugen allerdings fehl. Auch die Bemühungen der letzten zehn Jahre waren nicht erfolgversprechend: Von 267 durchgeführten allogenen Inselzelltransplantationen hielt der Erfolg nur in rund 8% aller Fälle länger als ein Jahr an. Fortschritte in der Transplantationstechnik und in der Gewinnung der benötigten Inselzellen sowie die Entwicklung neuer Immunsuppressiva veranlassten eine kanadische Arbeitsgruppe zu einem erneuten Versuch.
Neuer Therapieansatz
Bei früheren Inselzelltransplantationen erhielten die Patienten ein Antilymphozytenglobulin, Ciclosporin, Azathioprin und Glucocorticoide. Durch diese Therapie konnten zwar die Abstoßungsreaktionen beherrscht werden, die unerwünschten Wirkungen (Schädigung der Betazellen, Induktion einer peripheren Insulinresistenz, diabetogene Wirkung der Corticoide) mussten allerdings in Kauf genommen werden. Daher wurde bei der kanadischen Studie eine glucocorticoidfreie Pharmakotherapie gewählt, und die Patienten erhielten als Dauertherapie die Immunsuppressiva Sirolimus und niederdosiertes Tacrolimus sowie während zehn Wochen Daclizumab (monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-2-Rezeptor). Diese Kombination verhindert eine Aktivierung der Immunkaskade, da sie die T-Zellaktivierung, die Produktion von Interleukin-2 und weiterer Zytokine, das Binden von Interleukin-2-Rezeptoren an seine Liganden und die klonale Expansion von Lymphozyten hemmt.
Inselzelltransplantation bei sieben Diabetikern
Für die Studie wurden sieben Typ-I-Diabetiker im Durchschnittsalter von 44 Jahren ausgewählt, deren Diabetes trotz intensiver Insulintherapie nicht mehr einstellbar war und die unter schweren multiplen hypoglykämischen Episoden litten. Die benötigten Inselzellen wurden aus dem Pankreas hirntoter Spender gewonnen und aufgearbeitet. Jeder Patient erhielt durchschnittlich insgesamt 800000 Inselzellen, die durch die Vena portalis in die Leber transplantiert wurden. Bei sechs Patienten waren zwei, bei einem Übergewichtigen sogar drei Inselzellgaben erforderlich, um eine Unabhängigkeit von exogen zugeführtem Insulin zu erzielen. In der Folgezeit wurde die glykämische Stoffwechsellage überwacht, und es wurden regelmäßig diverse Parameter (z.B. Glucose-Toleranztest, Serum-C-Peptide, glykosiliertes Hämoglobin) bestimmt.
Erfolgreich bei allen Patienten
Ein Jahr nach der Transplantation konnte folgende Zwischenbilanz gezogen werden:
- Sobald die erforderliche Menge an Inselzellen transplantiert war, benötigte kein Patient mehr exogen zugeführtes Insulin.
- Kein Patient erlitt mehr eine hypoglykämische Krise. Dies bedeutet eine enorme Verbesserung der Lebensqualität, da die Patienten früher extrem unter ihren hypoglykämischen Episoden gelitten hatten.
- Es gab keine klinisch relevanten Hinweise auf Abstoßungsreaktionen.
- Vor der Inselzelltransplantation wiesen die Blutzuckerwerte der Patienten starke tageszeitliche Fluktuationen auf (z.B. Werte von 50 bis 550 mg/dl). Nach erfolgreichem Eingriff zeigte der Blutzuckerspiegel nur noch physiologisch normale Schwankungen.
- Bei allen Studienteilnehmern fiel in der Folgezeit der Glucosetoleranztest normal aus, und die mittleren glykosilierten Hämoglobinwerte lagen im Normalbereich (5,7 vs. 8,4 vor der Transplantation).
- Nach einem Jahr wurde keine signifikante Veränderung bei den Lipidparametern festgestellt; auch zeigte sich keine Veränderung beim Serumkreatininwert.
- Die immunsuppressive Therapie wurde von allen Patienten gut vertragen, und es wurden keine nennenswerten unerwünschten Wirkungen festgestellt.
Kastentext: Inselzelltransplantation - Fiktion oder realisierbares Therapiekonzept?
In der vorgestellten Studie konnte erstmals eine erfolgreiche Inselzelltransplantation dokumentiert werden. Die übertragenen Zellen nehmen schnell und zuverlässig ihre Insulinproduktion auf und führen so zu einer physiologisch normalen glykämischen Stoffwechsellage. Im Gegensatz zu einer invasiven und risikoreichen Pankreastransplantation ist der Eingriff geringfügig und für den Patienten wenig belastend, auch scheinen die erforderlichen Immunsuppressiva wenig unerwünschte Wirkungen aufzuweisen.
Allerdings kann eine Inselzelltransplantation heute noch nicht als therapeutische Alternative zu einem medikamentös nicht mehr einstellbaren Diabetes angesehen werden, da noch viel zu wenig Daten vorliegen. So wurden die Patienten erst ein Jahr lang beobachtet, es ist also nicht sichergestellt, wie lange der Therapieerfolg anhält.
Ferner sind langfristige Nebenwirkungen der immunsuppressiven Therapie nicht geklärt; noch weiß man nicht, ob durch eine Inselzelltransplantation auch die Folgeschäden eines Diabetes verhindert oder eingeschränkt werden können. Um also den Stellenwert einer Inselzelltransplantation einschätzen zu können, sind weitere, langfristige Untersuchungen erforderlich. Bestätigt sich der Nutzen dieses Therapieansatzes, dann dürfte ein weiteres ungelöstes Problem der Transplantationsmedizin - das des Angebots und der Nachfrage - relevant werden.
Literatur: Shapiro, J., et al.: Islet transplantation in seven patients with type 1 diabetes mellitus using a glucocorticoid-free immunosuppressive regimen. N. Engl. J. Med. 343, 230-238 (2000). Robertson, R.: Successful islet transplantation for patients with diabetes - fact or fantasy? N. Engl. Med. 343, 289-290 (2000).
Fortschritte in der Transplantationstechnik und in der Gewinnung von Spender-Inselzellen rücken eine neue Therapieform für Diabetiker in greifbare Nähe: Mithilfe einer Inselzelltransplantation ist es einer kanadischen Arbeitsgruppe erstmals gelungen, konventionell nicht mehr einzustellenden Typ-I-Diabetikern zu einer dauerhaften normalen glykämischen Stoffwechsellage zu verhelfen.
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