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Weltpoliotag: Mit Schluckimpfung und Spritze – bis 2005 soll die Welt frei
In der Nachkriegszeit, also während der 50er Jahre, traten in Deutschland Jahr für Jahr Tausende von symptomatischen Poliofällen auf, was bedeutete, dass die Zahl der jährlich Infizierten stets in die Millionen ging, da man bei jedem tatsächlich Erkrankten epidemiologisch von einer tausendfachen infizierten Menschenmenge ausgehen muss. Somit zirkulierte das Poliovirus damals in der Bevölkerung in ähnlichen Größenordnungen wie Viren, die lediglich für banale Erkältungskrankheiten verantwortlich sind.
Der Durchbruch: Impfung mit Lebendimpfstoff
Ausgehend von Impfstoffentwicklungen in den USA wurde Mitte der 50er-Jahre in Westdeutschland wie auch in anderen europäischen Staaten die Impfung mit einem inaktivierten Polio-Impfstoff (Salk-Impfstoff) eingeführt. Dieser Impfstoff war aber relativ teuer, musste selbst bezahlt werden und die Impfung wurde lediglich im Gesundheitsamt, nicht aber beim Hausarzt durchgeführt. Darüber hinaus hatte der inaktivierte Impfstoff gerade zu jener Zeit der Polio-Epidemien einen ganz erheblichen Mangel: Er führte lediglich zu einem Individualschutz, nicht aber zu einem Kollektivschutz, da Geimpfte durchaus den Erreger weitergeben konnten. Infektionsketten vermochte er deshalb nicht zu durchbrechen.
Weitaus bessere Eigenschaften zu Zeiten der Polio-Epidemien hatte der Lebendimpfstoff nach Sabin. Sabin, so der Name des Forschers, hatte es geschafft, lebende Polioviren auf Zellkulturen derart zu verändern, dass sie ihre krankheitserregenden Eigenschaften verloren, aber trotzdem noch so stabil blieben, dass sie sich als Impfviren im Impfling vermehren konnten und somit eine Immunität hervorbringen konnten, ohne Krankheit auszulösen. Wegen der anfangs erfolgreichen Impfkampagne mit dem Salk-Impfstoff in den westlichen Ländern kam dort die Schluckimpfung mit dem Lebendimpfstoff erst verzögert zum Einsatz.
Die erste Möglichkeit zur Erprobung der Schluckimpfung im großen Stil ergab sich Ende der 50er-Jahre in Ländern, die noch keinen Impfstoff nach Salk erhalten hatten. Dazu gehörte neben Ländern in Asien, Afrika und Südamerika besonders die Sowjetunion. Beginnend mit den Gebieten Estland und Lettland wurde die Schluckimpfung schließlich 1959/60 in der Sowjetunion gesetzlich eingeführt. Sämtliche osteuropäischen Länder schlossen sich dieser Impfkampagne an. So konnte bereits 1960 in der DDR Bilanz gezogen werden, dass auf freiwilliger Basis 85,5% der Bevölkerung bis zum 20. Lebensjahr zunächst gegen den Polio-Typ I immunisiert waren. Bei einer weiteren Aktion wurden 79,5% der Bevölkerung dieser Altersgruppe zusätzlich gegen die Polio-Typen II und III nachimmunisiert.
Drastischer Rückgang der Erkrankungszahlen
Während in der Bundesrepublik noch 1961 rund 4500 Polio-Fälle auftraten, blieb in der DDR schon 1960 der Herbstanstieg der Poliomyelitis aus und 1961 traten nur noch vereinzelt poliobedingte Lähmungen auf, ab 1962 überhaupt keine mehr. Nachdem auch in Westdeutschland 1963 die Impfung mit allen drei Polio-Varianten eingeführt wurde, gingen die Erkrankungszahlen auch dort drastisch zurück: In der Zeitspanne der Jahre 1963 bis 1977 traten in der Bundesrepublik insgesamt nur noch 199 Fälle auf, die allerdings überwiegend auf den wachsenden Reiseverkehr zurückzuführen waren. Seit 1987 gibt es in ganz Deutschland auf Grund der hohen Impfbeteiligung und auf Grund der nachhaltigen Schutzwirkung der Schluckimpfung keine einheimischen Poliofälle mehr.
Problem durch Rückmutationen
Der große Vorteil der Lebendimpfung zu Epidemiezeiten - die Impfviren wurden noch Tage und Wochen nach der Impfung mit dem Stuhl ausgeschieden und sorgten sowohl für eine Darmimmunität der Impflinge als auch für eine Auffrischung des Impfschutzes der Kontaktpersonen - verkehrte sich in den folgenden Jahren aber in einen Nachteil. Durch Rückmutation des abgeschwächten Impfvirus kam es in den 90er-Jahren zu insgesamt 12 impfbedingten Polio-Erkrankungen. Dieser Umstand veranlasste die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut, Berlin, am 30. Januar 1998 dazu, die Impfstrategie zu ändern und von da an anstelle der Schluckimpfung die Spritze mit inaktivierten Impfviren nach Salk zu empfehlen. Dies wurde möglich durch die Einführung von Fünffach-Impfstoffen und mittlerweile sogar Sechsfach-Impfstoffen im Säuglings- und Kleinkindalter. Die Kopplung der Polio-Impfung an die anderen Impfungen mit Totimpfstoffen garantierte gleichbleibend hohe Durchimpfungsraten.
Impftermine ernst nehmen!
Vor diesem Hintergrund rät Prof. Dr. med. Burkhard Schneeweiß, Berlin, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Aktionskreis Impfschutz e. V., die Impftermine laut Impfkalender ernst zu nehmen und auf eine vollständige Grundimmunisierung aller Kinder in den ersten Lebensmonaten sowie auf die Auffrischimpfung im Alter von 9 bis 17 Jahren zu achten. Denn solange das Poliovirus weltweit noch nicht ausgerottet ist, besteht noch die Gefahr, dass die Erkrankung aus den verbliebenen Endemiegebieten in Afrika und auf dem indischen Subkontinent sowie vereinzelt auch aus Krisengebieten in Osteuropa eingeschleppt werden könnte. Deshalb, so Schneeweiß, sollten auch alle Erwachsenen geplante Auslandsreisen, insbesondere in Polio-Endemiegebiete, zum Anlass nehmen, den eigenen Impfschutz zu überprüfen.
Bis zum Jahr 2005 soll der Globus poliofrei sein
Wenn es nach den Plänen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht, so dürfte der gesamte Globus bis zum Jahr 2005 poliofrei sein. Hierfür hat die WHO ein weltweites Beobachtungs- und Kontrollsystem akuter Lähmungen, die auf Polio-Infektionen hinweisen könnten, eingerichtet und führt in Endemiegebieten groß angelegte Impfkampagnen durch. So bekamen zum Beispiel in Indien an drei nationalen Impftagen vergangenes Jahr 152 Millionen Kinder die Schluckimpfung! Weltweit gab es 1999 noch rund 7000 Poliofälle. Diese Zahl ist im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen auf 500 Fälle. Die Zeichen stehen also günstig, dass nach den Pocken bald eine zweite große Seuche durch Impfungen von der Erdkugel verbannt werden könnte.
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