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Arzneimittel und Therapie
Diabetes mellitus: Starken Blutzuckeranstieg nach den Mahlzeiten vermeiden
Reduktion des kardiovaskulären Risikos
Atherosklerotische Gefäßkomplikationen sind die Hauptursache für Invalidität und Tod bei Personen mit Typ-2-Diabetes, wobei häufig bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eine fortgeschrittene Atherosklerose vorliegt. Eine Erklärung für dieses Phänomen wurde mit dem Insulinresistenzkonzept formuliert, in dessen Mitte das sogenannte "metabolische Syndrom" steht. Darunter versteht man das gehäufte gemeinsame Auftreten von wechselseitig zusammenhängenden Risikofaktoren und -markern. Dazu gehören Insulinresistenz, Hyperinsulinämie, stammbetontes Übergewicht, progressive Glucoseintoleranz bis hin zur Hyperglykämie (postprandial und nüchtern), Dyslipoproteinämie sowie Störungen der Hämorheologie, Fibrinolyse und Hämostase und schließlich Bluthochdruck und endotheliale Dysfunktion. Da mindestens 80% der Patienten ihren Typ-2-Diabetes auf dem Boden dieses arteriellen Risikofaktorenbündels entwickeln, wird klar, dass eine sinnvolle therapeutische Strategie eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos zum Ziel haben muss.
Störung der Insulinsekretion schon vor der Manifestation des Diabetes
In der Vergangenheit wurde allerdings zu wenig berücksichtigt, dass bei Diabetikern nicht nur die Wirkung des körpereigenen Insulins, sondern auch seine Pharmakokinetik, also der Zeitpunkt der Sekretion frühzeitig, nämlich in aller Regel bereits vor der Diabetesmanifestation gestört ist. Diese Störung ihrerseits erhöht auf komplexe Art und Weise das kardiovaskuläre Risiko. Insulinmangel durch Sekretionsstörung in der frühen postprandialen Phase mit Anstieg der Werte nach den Mahlzeiten ist ein bisher allgemein unterschätztes Problem. Die bisher noch nicht veröffentlichte RIAD-Studie (Risk-factors in IGT for atherosclerosis and diabetes) zeigt, dass bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose eines Typ-2-Diabetes in 74% eine postprandiale Hyperglykämie isoliert oder kombiniert vorliegt.
Biphasische Insulinsekretion bei Gesunden
Die Sekretionsstörung betrifft vor allem die schnelle und kurze erste Spitze der Insulinausschüttung, die beim Diabetiker frühzeitig verschwindet: Bei gesunden Menschen sorgt eine biphasische Insulinsekretion während einer Mahlzeit für eine optimale Kontrolle des Glucosemetabolismus. Bereits innerhalb der ersten 5 bis 10 Minuten nach Beginn der Mahlzeit bewirkt ein früher Insulinpeak, dass pathologische Glucosewellen bei Gesunden vermieden werden. Durch diese Frühphase der Insulinsekretion, die etwa 15 bis 35 Minuten anhält, werden die Gluconeogenese in der Leber sowie die Freisetzung von Fettsäuren inhibiert und auch die Muskelzellen für die Aufnahme von Glucose sensibilisiert. Anschließend folgt eine zweite, späte Phase der Insulinsekretion, in der von den Betazellen bedarfsgerecht Insulin gebildet wird, sodass die Körperzellen die Glucose aufnehmen.
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist die frühe Phase der Insulinsekretion gestört. Die Betazellen sind nicht mehr in der Lage, rechtzeitig auf den Glucosestimulus zu reagieren und ausreichend Insulin auszuschütten. Dadurch entstehen nach jeder Mahlzeit unphysiologisch erhöhte Blutglucosewerte. Der physiologische Insulinpeak ist mit einer prandialen Insulingabe oder mit schnell und kurz wirksamen Insulinanaloga prinzipiell simulierbar, war es mit den bisher verfügbaren oralen Antidiabetika jedoch nicht.
Umdenken in der Therapie des Typ-2-Diabetes
Dass der Gedanke der möglichst raschen und kurzzeitigen Sekretionssteigerung von Insulin in der bisherigen oralen Therapiestrategie des Typ-2-Diabetes keine Rolle spielte, war auch in der Unkenntnis über die Bedeutung des Problems der postprandialen Glucosespitzen begründet.
Die aktuelle Studienlage (UK Prospective Diabetes Study Group, UKPDS-Studie) zeigt jedoch, dass die klassischen blutzuckersenkenden Therapieansätze mittels Insulin bzw. oralen Antidiabetika (Sulfonylharnstoffen, Metformin) das Fortschreiten der Atherosklerose sowie die diabetische Stoffwechselkontrolle nicht nachhaltig genug verbessern. Eine effektive Senkung des HbA1c von 7,9 auf 7,0% reduzierte in der UKPDS das Risiko für diabetesbedingte Komplikationen und mikrovaskuläre Folgeerkrankungen signifikant, während die Senkung des makrovaskulären bzw. Herzinfarktrisikos außerhalb des Signifikanzbereichs rangierte.
Eine skandinavische Studie mit männlichen Probanden ergab, dass das Herzinfarkt-Risiko für einen Diabetiker ebenso hoch ist wie das Re-Infarktrisiko für einen nicht-diabetischen Herzinfarkt-Rekonvaleszenten. Zahlreiche Studien (z. B. DECODE, DIS) belegen heute, dass postprandiale Glucosespitzen ein unabhängiger Risikofaktor für das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko sind.
Nateglinid (Starlix) als neue Therapieoption
Da man früher bei der Therapiekontrolle des Diabetes vor allem den Nüchternblutzucker im Auge hatte, wurden nur lang wirksame orale Insulinsekretagoga entwickelt. Mit der Ausbietung von Nateglinid im April 2001 steht nun ein orales Antidiabetikum zur Verfügung, das den Anforderungen an eine zeitgemäße orale antidiabetische Therapie genügt:
- Vermeidung früher postprandialer Spitzen
- Vermeidung später postprandialer Hypoglykämien
- Ermöglichung von Flexibilität in der Kohlenhydrat-Verteilung der Mahlzeiten.
Nateglinid ist in seiner Wirkung schnell und kurz ("Quick on - Quick off"). Das führt beim Typ-2-Diabetiker zu einer physiologischeren Insulinsekretion und zu einem günstigen Effekt auf die hepatische Glucoseabgabe und damit den prandialen Blutzuckerverlauf.
Erfahrungen in der Praxis
Nateglinid ist bisher nur in Kombination mit Metformin zugelassen. Im allgemeinen bildet Metformin zunächst die Basis der medikamentösen Therapie. Es induziert über eine Verbesserung der Insulinsensitivität ausgeprägte Effekte auf den Nüchternblutzuckerspiegel. Bei einem sorgfältigen Monitoring fallen unter dieser Therapie immer wieder Patienten auf, bei denen postprandial die Blutglucosewerte über die Toleranzgrenze steigen.
Insbesondere bei Typ-2-Diabetikern mit bekannter koronarer Herzkrankheit muss zur Vermeidung solcher postprandialer Glucosespitzen der frühzeitige Einsatz von Nateglinid empfohlen werden. Unter der Kombination nimmt die Zahl und Intensität der "Ausreißerwerte" signifikant ab - allerdings gibt es auch bei Nateglinid Nonresponder. Möglicherweise sind dies vor allem Patienten mit einer schon lang andauernden Diabetes-Karriere, deren Inselzellen keinerlei Insulin mehr produzieren können. Diese Frage muss noch durch Studien aufgeklärt werden.
Eine zweite inzwischen gebräuchliche Behandlungsoption ist die prandiale Therapie mit Nateglinid in Kombination mit abendlicher Gabe eines Langzeit-Insulins. In der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 ist die Kombination oraler Antidiabetika mit einem "Bed time-Insulin" zur Nacht schon lange gebräuchlich.
Die Gabe eines reinen NPH-Insulins vor dem Zubettgehen ist hauptsächlich indiziert bei Patienten mit hohen Nüchtern-Blutzuckerwerten und noch ausreichender Insulin-Eigensekretion, so dass über den Tag mit medikamentöser Therapie noch eine entsprechende Stoffwechselnormalisierung erreicht werden kann. Hier ist, sofern die mangelnde Insulinsekretion im Vordergrund steht, die insulinstimulierende Therapie mit Glibenclamid etabliert oder, sofern die Insulinresistenz eher im Vordergrund steht, die Kombination mit Metformin. Auch eine Kombination beider ist durchaus möglich.
Optimale Stoffwechseleinstellung
Da die Einstellungskriterien des Typ-2-Diabetikers zunehmend strenger gesehen werden, müssen verstärkte Anstrengungen der Kombinationstherapie genutzt werden, um eine optimale Stoffwechseleinstellung zu erreichen. Unter den betazytotropen Substanzen hat Nateglinid deutliche theoretische Vorteile gegenüber den Sulfonylharnstoffpräparaten, insbesondere wegen der stärkeren prandial bezogenen Wirksamkeit, der kürzeren Wirkdauer und des deutlich verminderten Hypoglykämierisikos. Doch Vorsicht!: Die Kombination von Nateglinid und Insulin ist momentan noch nicht zugelassen, so dass sie nur im Einzelfall mit ausdrücklichem Einverständnis des Patienten nach entsprechender Aufklärung durchführbar ist.
Studien zur Kombination von Nateglinid und Insulin erforderlich
In einem Musterbeispiel solcher Therapie wurde Nateglinid zur prandialen Therapie am Tage kombiniert mit einer Basis-Insulingabe zur Nacht und mit einem Biguanid (Glucophage®). Es zeigte sich eine deutliche Verbesserung des HbA1c-Wertes und der Lebensqualität des Patienten. Die Möglichkeit einer Flexibilisierung der insulinstimulierenden Therapie präprandial war nicht mit einer erhöhten Hypoglykämierate verknüpft. Somit konnte durch eine möglichst einfache Therapie bei nur einmaliger Insulingabe zur Nacht in Kombination mit Starlix und 850 mg Glucophage eine wesentliche Stoffwechselverbesserung erreicht werden.
Die Alternative wäre eine intensivierte Insulintherapie nach klassischem Basis-Bolus-Konzept gewesen, die erheblich mehr Beeinträchtigung des Patienten bedeutet hätte und mit einem deutlich höherem Schulungs- und Betreuungsaufwand verbunden gewesen wäre. Dieser Sachverhalt zeigt, dass Studien zur Kombination von Gliniden mit Insulin, die derzeit noch nicht verfügbar sind, dringend benötigt werden, um diese viel versprechende Therapieform auch abzusichern.
Quelle: Nach Vorträgen von Prof. Dr. Kristian Rett, Baden-Baden, Dr. med. Rainer Betzholz, Diabetologische Schwerpunktpraxis, Neuss, Dr. med. Bernd Donaubauer, Oschatz und Dr. med. Richard Daikeler, Sinsheim auf dem Satellitensymposium: "Neue therapeutische Optionen in der Diabetes-Therapie, Nateglinid: Quick on - Quick off" anlässlich des XVI. Internationalen Donausymposiums (FID-Symposium), Wiesbaden, 11. Oktober 2001, veranstaltet von Novartis, Nürnberg und Merck, Darmstadt.
Die Beherrschung der Glukoseausschüttung bei Nahrungsaufnahme ist ein wirksames Mittel gegen die makroangiologischen Schäden des Diabetesgeschehens. Dies gehört zu den wichtigsten Botschaften auf einem Satellitensymposium zu Nateglinid (Starlix) als neuer therapeutischer Option in der Diabetes-Therapie, das im Rahmen des XVI. Internationalen Donausymposiums (FID-Symposium), Wiesbaden, stattfand.
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