Feuilleton

Archäologie: Das "himmlische Jerusalem" ist entdeckt

Unter Beteiligung der Universität Heidelberg gelang es einer internationalen Forschergruppe, das fast zwei Jahrtausende alte Geheimnis um Pepouza, den ehemaligen Hauptsitz und heiligen Ort der christlichen Sekte der Montanisten, zu lüften. Der Ort ist nun nach 200 Jahren intensiver Suche in der Türkei zweifelsfrei identifiziert worden.

Apokalyptik

Wenn es mit der Welt zu Ende zu gehen scheint, schlägt die große Stunde der Sekten und charismatischen Prediger. Die Sehnsucht nach der heilen Welt und der Wunsch, die Nöte der Gegenwart zu fliehen, hat zu allen Zeiten apokalyptische Visionen geboren, die das Ende der Welt beschwören.

Im Alten Testament begegnet man der Apokalyptik nur im zweiten Teil des Buches Daniel. Dort soll die Verkündigung des drohenden Weltendes die Menschen von unmoralischem Handeln abbringen. Die christliche Apokalyptik beginnt mit der Offenbarung des Johannes, die um 95 auf der Insel Patmos im Ägäischen Meer geschrieben worden ist.

Dem Apokalyptiker von Patmos galt die Stadt Rom wegen der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. als neues Sündenbabel. Nach der totalen Zerstörung der Welt sollen Himmel und Erde neu geschaffen werden und die Anhänger Christi ewig leben. Wahrscheinlich hat Montanus an diese Vorstellung angeknüpft. Er lebte und wirkte in der damals römischen Provinz Phrygien, westlich vom heutigen Ankara.

Vorbereitung auf das Ende der Welt

Um 156 begann Montanus in Trance mit der Stimme des heiligen Geistes zu sprechen. Gemeinsam mit den beiden Frauen Maximilla und Priscilla oder Prisca, die ihre heidnischen Männer verlassen hatten, reiste er durch ganz Kleinasien und verkündete die "Neue Prophetie". Ihnen sei der Paraklet (Heilige Geist) erschienen. Sie lehrten, dass Christi Wiederkunft unmittelbar bevorstehe und Sünder nicht gerettet werden können. Ihre Anhänger sollten die Verfolgung und sogar das Martyrium suchen und nicht davor fliehen. Nur durch strenge Kirchenzucht und asketische Lebensweise könnten die Menschen vor dem Jüngsten Gericht als Gerechte dastehen und dem Unheil entkommen.

Enthusiastische Auftritte

Montanus und seine Anhänger schlugen ihr Hauptquartier in Pepouza auf. Ihre Auftritte liefen immer nach demselben eingespielten Muster ab: Zunächst erschien der Prophet, außer sich vor Entsetzen. Dann sprach er, aber nicht als Bote Gottes, sondern an Gottes Statt bzw. besessen von Gott: "Ich bin der Vater, das Wort und der Paraklet; als allmächtiger Gott herabgestiegen zu den Menschen."

Dem folgte Maximilla: "Höre nicht auf mich, aber auf Christus. Ich bin aus der Herde der Schafe gejagt worden wie der Wolf. Aber ich bin kein Wolf, sondern das Wort, der Geist und die Kraft." Darauf Montanus: "Siehe, der Mensch ist die Leier und ich das Plektrum, das sie zum Klingen bringt. Der Mensch schläft, und ich wache." Und schließlich Priscilla: "Der heilige Diener weiß der Heiligkeit zu dienen. Die ihre Herzen reinigen, sehen und neigen ihr Haupt."

Es sprach aus den drei Propheten, die sich der göttlichen Besessenheit (griech. Enthusiasmus) anscheinend nicht widersetzen konnten. Über sie entstanden die merkwürdigsten Gerüchte. Sie würden während der Predigten mit den Zeigefingern in der Nase bohren und um volle Weinschläuche tanzen. Montanus sei ein Priester des Apoll oder der Fruchtbarkeitsgöttin Kybele gewesen, bevor er sich dem Christentum zuwandte. Vielleicht sind dies aber ebenso böswillige Behauptungen wie das nach seinem Tod entstandene Gerücht, er habe sich umgebracht.

Montanus setzte den Enthusiasmus der frühen Christen fort, den Paulus in den Korintherbriefen beschrieben hatte. Er bezog sich auf das Evangelium des Johannes, indem er predigte, dass die Weissagung von Jesus "Aber der Beistand, den mein Vater in meinem Namen senden wird, der heilige Geist, der wird euch alles lehren und an alles erinnern, was ich euch gesagt habe." (Joh. 14,26) durch die Erscheinung des Paraklet in ihm verwirklicht werde.

Frauen als Priester

Montanus belebte auch die wichtige Rolle der Frauen, die diese bei den Urchristen noch gespielt hatten. Sie waren gleichberechtigt zum Priesteramt zugelassen.

Die neue Bewegung war berühmt durch ihre weiblichen Propheten. Die entscheidende Weissagung kam denn auch von Maximilla. Sie hatte folgende Vision: Während sie schlief, kam Christus in Gestalt einer Frau zu ihr, legte sich, angetan mit einem prachtvollen Kleid, neben sie und, so Maximilla, "pflanzte Weisheit in mich". Christus verkündete ihr, Pepouza sei ein heiliger Ort. Jerusalem werde genau hier aus dem Himmel auf Erden niederkommen, so wie es in der Offenbarung des Johannes prophezeit worden sei.

Aufstieg und Untergang

Als die Massen nach Pepouza zogen, um sich die neue Lehre anzuhören, begann Apollinarius, Bischof von Hieropolis in Phrygien, gegen Montanus anzuschreiben. Denn die drei Propheten hielten sich für besser und näher an Jesus, als selbst die Apostel es gewesen waren. Der große Erfolg der neuen Bewegung forderte die Kirche und später auch den Staat heraus. Erste Exkommunikationen von Montanus-Anhängern gab es schon 177, zwei Jahre bevor Maximilla starb (Montanus war schon vorher gestorben). Der Versuch der Eindämmung bewirkte dennoch das genaue Gegenteil. Bis Ende des 2. Jahrhunderts hatte sich die Neue Prophetie bis nach Gallien, Rom, Konstantinopel und Nordafrika verbreitet.

Seinen Höhepunkt erreichte der Montanismus im 3. Jahrhundert in Karthago, als sich ihm Tertullian (160 - 220), der temperamentvolle Schöpfer der lateinischen Kirchensprache, anschloss. Er wurde ihr bekanntester Verfechter und schrieb sieben Bücher zur Verteidigung von Montanus.

Die Kirche begann sich nun stärker zu wehren. Auf der Synode von Iconium im Jahr 235 wurde der Montanismus zur "Phrygischen Häresie" erklärt. Auch die römischen christlichen Kaiser begannen die Sekte zu verfolgen. Das Konzil von Konstantinopel lehnte es 381 ab, das Bischoftum der Montanisten zu sanktionieren, und stellte den Montanismus auf die Stufe des Heidentums. Die Bewegung war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon sehr stark im Niedergang begriffen.

Um 550 verschwand sie ganz: Den angeblich Wunder wirkenden Schrein der Gebeine von Montanus, Maximilla und Priscilla, der jahrhundertelang Pilger angezogen hatte, ließ der Bischof von Ephesus durch kaiserliche Truppen zerstören. Unterstützt von Kaiser Justinian, wurden die Häretiker ebenso wie Juden und Heiden gewaltsam bekehrt.

Einige Historiker sagen, die Kirche habe durch die Bekämpfung des Montanismus einen Spaltpilz zermalmt. Andere sehen Paulus' Ermahnung ignoriert: "Den Geist löscht nicht aus. Prophetische Weisungen verachtet nicht." (1. Thess. 5,19 - 20)

Prophetische Bewegungen heute

Aus heutiger Sicht kann der Montanismus mit dem unglaublichen Erfolg der Pfingstbewegung, die aus der amerikanischen Heiligungsbewegung des William Miller (1782 - 1849) hervorgegangen ist, verglichen werden. Weissagungen und Zungenreden - ein unverständliches Gemurmel - der Vorbeter und ekstatische Frömmigkeit, Spontaneität und mystische Vorstellungen der Gläubigen sind Zeichen dieser außerordentlich erfolgreichen Bewegung, vor allem in der dritten Welt. 250 Millionen Anhänger werden heute gezählt.

Glaubensheilungen und Exorzismus breiten sich aus. Nach Aussage von Prof. Dr. Peter Lampe von der Universität Heidelberg, dem Kirchenhistoriker und Archäologen, der maßgeblich an der Entdeckung Pepouzas beteiligt war, schießen in Afrika jeden Monat 1200 neue Kirchen aus dem Boden, die mit dem europäischen Christentum nur noch wenig gemein haben. Deren Kirchenführer seien durchaus mit Montanus vergleichbar.

Zitat

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Offenbarung 21,1 - 2

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.