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Rechtsprechung aktuell
Kompressionsstrümpfe dürfen in der Apotheke abgegeben werden
Mit seiner Entscheidung, deren Begründung erst jetzt veröffentlicht wurde, schloss sich das oberste deutsche Zivilgericht der Rechtsauffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen an, das bereits im letzten Jahr eine entsprechende sozialrechtliche Unterlassungsklage der Hessischen Landesinnung für Orthopädietechnik und ihres Bundesverbandes gegen den Verband der Angestellten-Krankenkassen und den Arbeiter-Ersatzlassen-Verband abgewiesen hatte (vgl. AZ Nr. 39/2000, S. 1).
Kompressionsstrümpfe als Mittel zur Krankenpflege
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs verstößt ein Apotheker, der in seiner Apotheke Kompressionsstrümpfe vertreibt, nicht gegen geltendes Recht, da es sich bei dieser Produktgattung um "Mittel zur Krankenpflege" im Sinne von §25 Nr. 2 ApBetrO handelt. Unter Gegenständen zur Krankenpflege sind nach der Entscheidung einerseits Mittel zu verstehen, "die eine mit einer Krankheit verbundene Behinderung des Körpers ausgleichen", andererseits aber auch Gegenstände, welche die wegen einer solchen Behinderung erforderliche Pflege erleichtern. Dabei ist es, wie die Karlsruher Richter entgegen der Entscheidung der Vorinstanz ausführen, unerheblich, ob das Mittel zur Krankenpflege von einem Dritten oder von dem Kranken selbst angewendet wird. (1) Diese Auslegung folgt, so das Gericht, bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. In Übereinstimmung damit erkennt auch das Sozialrecht Kompressionsstrümpfe als Mittel zur Krankenpflege an (vgl. Kasten).
Auch Nebengeschäfte können erlaubt sein
Auch der Umstand, dass §25 Nr. 2 ApBetrO dem Apotheker lediglich das In-Verkehr-Bringen von Mitteln oder Gegenständen der Krankenpflege erlaubt, die Abgabe von Kompressionsstrümpfen aber die vorherige Abmessung und Anpassung des Strumpfes voraussetzt, steht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Zulässigkeit des Vertriebs von Kompressionsstrümpfen in Apotheken nicht entgegen. In der Apothekenbetriebsordnung wird zwar nur das In-Verkehr-Bringen von apothekenüblichen Waren geregelt, daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass Apothekern Nebengeschäfte bzw. apothekentypische Dienstleistungen generell untersagt sind. (2) Das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet vielmehr, Nebengeschäfte, die nicht verboten sind, als erlaubt anzusehen. Da weder dem Apothekengesetz noch der Apothekenbetriebsordnung insoweit Einschränkungen zu entnehmen sind, ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs das Anpassen von Kompressionsstrümpfen apothekenrechtlich selbst dann nicht zu beanstanden, wenn darin nicht lediglich eine unselbständige Nebenleistung bei der Abgabe der Strümpfe, sondern ein eigenständiges Nebengeschäft gesehen werden sollte. Auch einen Verstoß gegen Bestimmungen der Handwerksordnung verneinte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung.
Sinn und Zweck von §25 ApBetrO
Ausführlich setzten sich die Karlsruher Richter auch mit Sinn und Zweck von §25 ApBetrO auseinander. Die Vorschrift soll nicht dem Schutz von Wettbewerbern dienen, sondern verhindern, dass der Apotheker durch ein zu weit gehendes Nebensortiment in der Erfüllung seiner Hauptaufgabe, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen (vgl. §1 ApBetrO), beeinträchtigt wird. Die Einschränkung erfasst deshalb von ihrer Zwecksetzung her nur solche Waren, von denen eine derartige Beeinträchtigung ausgeht. Darüber hinaus gehende Beschränkungen würden das Recht der freien Berufsausübung verletzen. §25 ApBetrO ist deshalb zur Erhaltung seiner Gültigkeit restriktiv dahin auszulegen, dass er das Randsortiment nur insoweit begrenzt, wie es zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch die Apotheker geboten ist. (3) Mit der Abgabe von Kompressionsstrümpfen ist eine derartige Gefahr für den Versorgungsauftrag nicht verbunden.
Im Übrigen, so das Gericht, sei auch zu berücksichtigen, dass die in §25 ApBetrO genannten Waren gemäß §2 Nr. 4 ApBetrO nur in einem Umfang angeboten und feilgehalten werden dürfen, der den ordnungsgemäßen Betrieb der Apotheke und den Vorrang der Arzneimittelversorgung nicht beeinträchtigt. Schon von daher sind dem Verkauf von Kompressionsstrümpfen in der Apotheke Grenzen gesetzt, so dass nach Auffassung des Bundesgerichtshofs für ein generelles Abgabeverbot kein Raum besteht. Mit seiner Entscheidung hat der Bundesgerichtshof einen jahrelangen Rechtsstreit zugunsten der bestehenden Apothekenpraxis beendet. Das Urteil ist rechtskräftig.
Kastentext: Aus den Urteilsgründen
"Für die Einstufung als Mittel zur Krankenpflege kommt es nicht darauf an, ob das Mittel von einem Dritten oder von dem Kranken selbst angewandt wird. Gegenstände, die von dem Kranken selbst benutzt werden, wie beispielsweise Gehstützen oder Gehstöcke, können auch Mittel zur Krankenpflege sein. Ebenso wenig steht der Einordnung als Mittel zur Krankenpflege entgegen, dass es eine Heilung oder Linderung der Krankheit bewirkt. So werden etwa Wärmeflaschen, die eine lindernde oder sogar heilende Wirkung haben können, zu den Gegenständen der Krankenpflege gezählt.
Unter "Mittel zur Krankenpflege" sind bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch solche Mittel zu verstehen, die dazu dienen, den Zustand eines Kranken zu verbessern oder eine Verschlechterung seines Zustandes zu vermeiden. Es ist ausreichend, wenn das Mittel im weiteren Sinne der Krankenpflege dient (...). In diesem Sinne sind Kompressionsstrümpfe Mittel zur Krankenpflege. Sie werden (...) zur Behandlung chronischer Venenkrankheiten mit dem Ziel eingesetzt, die durch in ihrer Funktion gestörte Venenabschnitte bedingte venöse Insuffizienz zu kompensieren und deren Fortschreiten zu verhindern. Es entspricht zudem dem Sprachgebrauch des Sozialrechts, Kompressionsstrümpfe als Mittel zur Krankenpflege anzusehen. Der bereits in §12 Nr. 2 ApBetrO 1968 enthaltene Begriff der Krankenpflege fand sich früher schon in §182 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Die Krankenpflege umfasste danach die Versorgung mit kleineren Heilmitteln (in der seinerzeit geltenden Fassung dieser Bestimmung) bzw. orthopädischen Hilfsmitteln (in der zuletzt geltenden Fassung dieser Vorschrift). Nach den an die Stelle des §182 Abs. 1 Nr. 1 RVO getretenen Regelungen des §27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und §33 Abs. 1 und 2 Satz 3 SGB V umfasst die Krankenbehandlung die Versorgung mit Hilfsmitteln, darunter auch orthopädische Hilfsmittel und insbesondere Hilfsmittel zur Kompressionstherapie; dementsprechend sind in dem von den Spitzenverbänden der Krankenkassen gemäß §128 SGB V gemeinsam erstellten Hilfsmittelverzeichnis auch Kompressionsstrümpfe aufgeführt."
Fußnoten (1) So auch Cyran/Rotta, Kommentar zur Apothekenbetriebsordnung, Loseblatt, Stand: Juli 2000, §25 Rdnr. 20ff. (2) Cyran/Rotta, a.a.O., §25 Rdnr. 6ff. (3) Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. März 1988, DAZ 1988, S. 1558; Cyran/Rotta, a.a.O., §25 Rdnr. 4f.
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