Arzneimittel und Therapie

Chronische Schmerzen: Tolperison – Lokalanästhesie zum Schlucken

Ein akuter Schmerz ist ein notwendiges Alarmsignal für den Organismus, das zu raschen Abwehrreaktionen führt. Häufig wiederkehrende schmerzhafte Reize verändern dagegen die Signalentstehung und Weiterleitung Ų aus dem als Schutz- und Alarmsignal wichtigen Akutschmerz wird ein quälender chronischer Schmerz. Der Natriumkanalblocker Tolperison (Mydocalm) moduliert spannungsabhängige Natriumkanäle an Nozizeptoren: normale Aktivität gelangt hindurch, pathologisch erhöhte Aktionspotenzial-Aktivität dagegen nicht. So kann einer Chronifizierung entgegengewirkt werden.

Das Aminoketon Tolperisonhydrochlorid ist ein Muskelrelaxans, das bei schmerzhaften Spasmen und Verspannungen der quergestreiften Muskulatur durch degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule eingesetzt wird. Es vermindert den schmerzreflektorisch erhöhten Muskeltonus und hilft so, den Teufelskreis aus Schmerz, Fehl- und Schonhaltung und daraus resultierender Muskelverspannung zu durchbrechen. Die wiederholte Reizung peripherer Schmerzrezeptoren verändert langfristig strukturell die Nervenzellen des nozizeptiven Systems. Diese neuronale Plastizität führt dazu, dass ein so genanntes Schmerzgedächtnis entsteht, das die Grundlage für die Chronifizierung von schmerzhaften Muskelverspannungen bildet.

Natriumkanäle spielen entscheidende Rolle

Der Schmerzreiz, eigentlich ein lebensnotwendiges Warnsignal, verliert beim chronischen Schmerz seine ursprüngliche Funktion. Werden die Nozizeptoren erregt, so werden die Informationen über periphere Nervenbahnen zum Rückenmark und nach der Umschaltung an Synapsen teilweise zum Gehirn geleitet, wo es zum bewussten Schmerzerlebnis kommt.

Treffen z. B. als Folge degenerativer Veränderungen oder Entzündungen wiederholt Schmerzreize auf den Nozizeptor, so kann sich das nozizeptive System verändern: der Nozizeptor wird durch diese wiederholten Reize sensibilisiert. Bei der Weiterleitung von Nervenimpulsen spielen Kanäle in der Zellmembran eine entscheidende Rolle. Diese Natriumkanäle sind spannungsabhängige Kanäle, die durch Proteine gebildet werden. Eine vermehrte Ausbildung von Natriumkanälen bewirkt unter anderem eine veränderte Empfindlichkeit am Nozizeptor, eine veränderte Aktivität im Spinalganglion und eine verstärkte Reizübertragung auf Rückenmarksebene.

Für den Betroffenen heißt das: schon sehr schwache Schmerzen lösen ein Aktionspotenzial und damit eine Schmerzempfindung aus. Wird zu diesem Zeitpunkt keine ausreichende analgetische Therapie durchgeführt, so besteht die Gefahr, dass sich diese Sensibilisierung im nozizeptiven System weiter ausbreitet. Als Folge reagieren die Neurone auf den gleichen Reiz nicht nur immer stärker, die Reizschwelle wird gesenkt und es können sich sogar Spontanaktivitäten entwickeln – der Schmerz ist chronifiziert.

Blockade der Natriumkanäle

Eine Blockade spannungsabhängige Na+-Kanäle durch Lokalanästhetika kann bewirken, dass die Depolarisationsschwelle nicht mehr erreicht und die Erregung nicht mehr weitergeleitet wird. Die Wirkung der Lokalanästhetika ist allerdings nur örtlich begrenzt. Auch Tolperison wirkt als ein Natriumkanalblocker und entfaltet seine Wirkung ähnlich wie ein Lokalanästhetikum, allerdings systemisch. Die Membran der Nervenzellen wird durch Tolperison stabilisiert und überschießende Aktionspotenziale werden unterdrückt. Tolperison moduliert spannungsabhängige Natriumkanäle an Nozizeptoren und wirkt hier wie ein Filter: normale Aktivität gelangt hindurch, pathologisch erhöhte Aktionspotenzial-Aktivität dagegen nicht, sodass die Weiterleitung an das zentrale Nervensystem unterbrochen wird.

Kein sedierender Einfluss

Ein häufiges Problem von Muskelrelaxanzien sind die unerwünschten Arzneimittelwirkungen, welche besonders in Form der Sedierung auftreten. Für Tolperison wurde dagegen in einer GCP-konformen, plazebokontrollierten Doppelblindstudie nachgewiesen, dass die Reaktionsfähigkeit unter Tolperison nicht eingeschränkt ist. Dem Patienten ist es somit möglich, ohne Gefährdung ein Fahrzeug zu führen bzw. Maschinen zu bedienen, die Arbeitsfähigkeit bleibt erhalten. Damit ist Tolperison auch zur Langzeittherapie geeignet.

Reduktion der neuronalen Erregbarkeit

Da Na+-Kanäle mit ähnlichen pharmakologischen Eigenschaften auch auf Dendriten zentraler Neurone nachweisbar sind, besteht die Möglichkeit, dass über diesen zusätzlichen Wirkort auch nach einer bereits eingetretenen Chronifizierung durch konsequente langfristige Reduktion des neuronalen Einstroms und Dämpfung zentraler neuronaler Überaktivität noch therapeutische Erfolge erzielt werden können. Man vermutet, dass eine aktivitäts-abhängige Genexpression, die zu einer Steigerung der neuronalen Erregbarkeit geführt hat, bei einer Verminderung z. B. des synaptischen Zustroms oder der spontanen Entladungstätigkeit zentraler Neurone auch wieder abnehmen kann.

Körpereigene Antichronifizierungssysteme

Aus akuten Schmerzen, insbesondere bei unzureichender Behandlung, können quälende chronische Schmerzen entstehen. Aber nicht jeder akute Schmerz wird chronisch, was auf körpereigene Faktoren hindeutet, die einer Chronifizierung entgegenwirken können. Solche Antichronifizierungsfaktoren sind bislang wenig erforscht. Akute Schmerzreize lösen im Zentralnervensystem vermutlich auf zahlreichen Ebenen Vorgänge aus, die einer Entwicklung von Überaktivität in schmerzrelevanten neuronalen Strukturen entgegenwirken. Es sind mehrere, meist funktionell hemmende Systeme, die durch akute Schmerzreize aktiviert werden, bekannt. Dazu zählen unter anderem das Endorphinsystem, das Endocannabinoidsystem, das GABAerge segmentale und das monaminerge deszendierende Bahnsystem. Es besteht daher die Möglichkeit, dass diese Systeme durch ihren inhibitorischen Einfluss die Entwicklung neuronaler Überaktivität in schmerzverarbeitenden Systemen begrenzen.

Zitat

Die Schmerzerinnerung ist gefährlicher als die eigentliche Schmerzerfahrung.

Prof. Dr. med. Walter Zielggänsberger

Quelle

Nach Vorträgen von Prof. Dr. med. Walter Zieglgänsberger, München; Dr. med. Jochen Bauer, Bad Rothenfelde; auf dem Mydocalm-Workshop "Therapie chronischer Schmerzsyndrome", Tremsbüttel, 15. bis 16. Februar 2002, veranstaltet von der Strathmann AG, Hamburg.

1 Kommentar

Flupirtin war in viele Fällen besser

von Peter Schmitz am 01.12.2019 um 13:10 Uhr

Flupirtin war in viele Fällen besser. Hier an meinem Beispiel incl. weiterer Meinung, Erfahrung und Warnung zum Schluss

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Flupirtin (Einer der Handelsnamen in Deutschland ist, war Katadolon.) ist und war nie für die langzeitlichen, täglichen Einnahme gedacht. Das Schmerzmittel verliert kaum die sedative und relexane Wirkung wie es bei Benzodiazepinen der Fall ist. Darum hat Flupirtin ein höheres Suchtpotential als Benzodiazepine. Bei regelrechten Schmerzpatienten ist eine psychische Sucht diagnostisch ausgeschlossen. Das gilt auch für Schmerzmedikamente nach dem BTM-Gesetz. Die Verordnung von Flupirtin durch den Hausarzt oder Schmerztherapeuten (Anästhesist) verlangte und verlangt eine im Quartal nötige Blutkontrolle um die Leberwerte zu beobachten.

Das Antidepressiva bei Schmerzen helfen soll, halte ich für ein Ammenmärchen. Die dazu geschehene, aggressive, internationale Werbung hat Ärzte davon überzeugt. Diese Werbung begann zunächst Anfang der 80r Jahre in den USA, ohne da dazu bis heute wirkliche Beweise vorgelegt werden konnten.

Seit einem brutalen Überfall vor 23 Jahren habe ich die anerkannte Schädigung CRPS II. Die römische II steht für Nervenschädigung. Vormals hieß die Schädigung Morbus Sudeck und dann Sympathische Reflexdystrophie sprich Sympatikus ---> Reflex ---> Dystrophie / Schwäche. Es ist eine reine Schmerzerkrankung.

Wir Gewaltopfer haben alle mentale Schwierigkeiten. Hier mit Bezug auf eine ständige, innere Aufregung, welche sich kaum therapieren lässt. Wenn dazu noch eine schwere, körperliche Schädigung kommt, wird es schwierig.

Ich bin also hochpotenter Schmerzpatient. Kam ich trotz BTM-Versorgung in eine Schmerzkriese, hat mir bis zum Verbot immer Flupirtin geholfen. Chronische Schmerzen regen Patienten an sich auf. Die zusätzlich ermüdende und entspannende Wirkung von Flupirtin hat mir in Schmerzkreisen immer geholfen. Nach wenigen Tagen war diese Überwunden bzw. die chronischen Schmerzen waren wieder eingedämmt und ich konnte mit meiner normalen BTM-Medikation wieder fortfahren.

Das durch die entsprechende Kommission ausgesprochene Verbot von Flupirtin hat nun bei mir zur Hyperalgesie geführt. Wer davon etwas versteht, weiß was dem bedeutet. Es fällt mir immer schwere meine Selbständigkeit zu leben.

Mit Bezug auf die vorangetriebenen Leberschäden finde ich das Verbot von Flupirtin nach über 30 Jahren lächerlich. Wenn dem schon sein musste, so hätte man das Analgetikum als verschreibungspflichtiges BTM-Medikament weiter vertreiben können. Dabei sehe ich das Suchtpotential nennenswerter als die vorangetriebenen Leberschäden.

Im Vergleich zu den apothekenpflichtigen NSAR und deren Gefahren bei täglicher Langzeiteinnahme erscheint mir das Verbot von Flupirtin völlig übertrieben.

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