Ökonomie

Das deutsche Apothekensystem aus ökonomischer Sicht

Kritiker stellen das deutsche Apothekensystem als wettbewerbsfeindlich und überholt dar. Doch halten diese Behauptungen einer kritischen Überprüfung stand? Eine detaillierte ökonomische Betrachtung zeigt, dass das bestehende System gerade einen funktionsfähigen Wettbewerb sichert. Die Apothekerschaft sollte daher nicht gegen die Ökonomie argumentieren, sondern die ökonomische Leistungsfähigkeit des bestehenden Systems herausstellen.

Die deutsche Apothekerschaft stützt sich bei ihren Bemühungen, das bewährte Apothekensystem gegen verschiedenste Angriffe zu verteidigen, wesentlich auf juristische Argumentationen. In juristischen Gutachten¹ wurde aufgezeigt, dass allein die inhabergeführte Einzelapotheke mit dem typischen Verständnis eines freien Berufes vereinbar ist. Außerdem wird auf das Versandhandelsverbot verwiesen.

Kritiker halten solchen Argumenten entgegen, dass Gesetze geändert werden können und sich auch die Interpretation verfassungsmäßiger Normen durch gesellschaftliche Entwicklungen wandeln kann. Stattdessen verweisen die Kritiker auf die angeblichen ökonomischen Vorteile von Apothekensystemen ohne Fremd- und Mehrbesitzverbot, ohne Preisbindung und mit der Möglichkeit des Arzneimittelversandhandels. Diese werden als Ausdruck eines intensiveren Wettbewerbs angesehen.

Wettbewerb ist nach den überwiegenden Erfahrungen des Wirtschaftslebens vorteilhaft und stellt eine grundlegende Triebfeder unseres Wirtschaftssystems dar. Dies steht im Einklang mit dem ersten Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie. Demzufolge führt vollständige Konkurrenz nicht ins Chaos, sondern zu einer Pareto-optimalen Ressourcenallokation. Aus diesen Überlegungen wird gefolgert, ein stärker wettbewerbsorientiertes System müsse vorteilhaft sein. Dem wird von Seiten der Apothekerschaft entgegengehalten, Wettbewerb könne im Gesundheits- und Sozialbereich nicht das vorrangige Handlungsmotiv sein.

Beide Seiten unterstellen dabei bemerkenswert einmütig, dass das bestehende deutsche Apothekensystem nicht durch intensiven Wettbewerb geprägt ist. Von der einen Seite wird dies angeprangert, von der anderen Seite verteidigt, doch von keiner Seite wird diese Behauptung selbst in Frage gestellt. Dies soll hier nachgeholt werden. Jenseits aller juristischen Aspekte soll hier aus rein ökonomischer Sicht untersucht werden, inwieweit im deutschen Apothekensystem Wettbewerb besteht.

Bedingungen für Wettbewerb

Die Behauptung, der Wettbewerb auf dem Apothekenmarkt sei unzureichend, wird meist auf das Festpreissystem der Arzneimittelpreisverordnung gestützt. Bei festen Preisen könne es keinen Wettbewerb geben. Doch ist dies eine sehr eindimensionale Betrachtung. Es wird ignoriert, dass die Versorgung mit Arzneimitteln ein sehr vielschichtiger Vorgang ist. Dabei wird nicht nur eine Ware gegen Geld ausgetauscht, vielmehr gibt es relevante Nebenleistungen, die über das Arzneimittel als Ware hinausgehen. Gerade dort, wo der Preis seine marktregulierende Funktion aufgrund institutioneller Besonderheiten verloren hat, treten andere ökonomische Parameter an seine Stelle. Hierzu gehören insbesondere Beratung, Betreuung, Serviceleistungen, Notdienst und individuelle Arzneimittelherstellung. Daher kann eine angemessene Beurteilung nicht allein an der Preisbildung ansetzen.

Außerdem ist der Wettbewerb selbst ein sehr vielschichtiges Phänomen, das sich eben nicht in der Preisbildung erschöpft. Allgemein lässt sich Wettbewerb als das Streben von mindestens zwei Personen oder Gruppen nach einem Ziel definieren, wobei der höhere Zielerreichungsgrad des einen typischerweise einen geringeren Zielerreichungsgrad des anderen bedingt. Der Wettbewerb findet auf Märkten statt. Dort stehen sich mindestens zwei Anbieter oder Nachfrager gegenüber, die sich nicht-kooperativ verhalten. Die Intensität des Wettbewerbs hängt von vielen institutionellen Gegebenheiten des betrachteten Marktes ab. Doch bestehen unterschiedliche Vorstellungen, unter welchen Bedingungen intensiverer Wettbewerb stattfindet.

Die Betrachtung soll daher auf einer höheren Ebene ansetzen und vorrangig untersuchen, inwieweit die idealtypischen Voraussetzungen für einen funktionierenden Markt im Apothekenwesen überhaupt erfüllt sind. Diese grundlegenden Voraussetzungen spiegeln sich im "Modell der vollständigen Konkurrenz", das als Leitbild für den idealen Wettbewerb angesehen wird. Die Komponenten der vollständigen Konkurrenz sind²:

  • vollkommene Information (Transparenz),
  • freier Marktzutritt und -austritt,
  • Souveränität der Marktteilnehmer,
  • keine Transaktionskosten und
  • Güterhomogenität³.

Zu analysieren ist einerseits, inwieweit diese Bedingungen im deutschen Apothekensystem derzeit erfüllt sind, und andererseits, wie sich eine Änderung der bestehenden Situation auf diese Kriterien auswirken würde. Als systemkonstituierende Faktoren sind hier insbesondere das Festpreissystem der Arzneimittelpreisverordnung, das Fremd- und Mehrbesitzverbot und das Versandhandelsverbot anzusehen. Hier sollen zunächst die Anforderungen an die Marktteilnehmer und an die Organisation des Marktes untersucht werden, anschließend die eher technischen bzw. pharmazeutischen Aspekte der Güterhomogenität.

Transparenz

Die vollkommene Information oder Transparenz soll insbesondere sicherstellen, dass Verbraucher stets über günstige Angebote informiert sind und nicht aus Mangel an Information ein ungünstiges Angebot annehmen4. Soweit dies den Preis betrifft, ist die Information auf dem Apothekenmarkt vollkommen transparent, da die Preise einheitlich sind. Eben diese Transparenz kann als ein wesentliches Argument für das Festpreissystem angesehen werden.

Für die Nebenleistungen ist die Transparenz dagegen stark eingeschränkt. Bedingt durch Werberichtlinien der Apothekerkammern können Apotheken nur begrenzt auf ihre Kompetenzen aufmerksam machen. Zudem verhindern bisher tradierte Vorstellungen im gesamten Gesundheitswesen aussagekräftige Vergleiche der Ergebnisqualität5.

Doch würde die von Kritikern des Apothekensystems geforderte Preisfreigabe dieses Problem nicht beheben, sondern die Intransparenz auf den dann sehr bedeutsamen Bereich der Preise ausdehnen. Die angestrebten Maßnahmen würden das System damit vom Ideal der vollkommenen Information weiter entfernen, es ihm aber nicht annähern. Dabei wäre dieser Effekt sehr erheblich, zumal die Verbraucher nicht geübt sind, im Bereich des Gesundheitswesens Preise zu vergleichen.

Freier Marktzutritt und -austritt

Der freie Zutritt zum Markt ist auf beiden Seiten gut möglich. Die Gründungen neuer BKKs haben gezeigt, dass neue Krankenkassen durchaus entstehen können. Den Marktzutritt auf der Apothekenseite sichert die Niederlassungsfreiheit, die in dieser Form in der EU einzigartig ist6. So kann jederzeit und an jedem Ort eine neue Apotheke entstehen, wenn der Gründer die Approbation als Apotheker besitzt und über die notwendigen Räume und Geräte verfügt7. Zahlreiche Neugründungen, insbesondere in den neuen Bundesländern, haben immer wieder gezeigt, wie leistungsfähig dieses System ist. In gleicher Weise ist auch die Schließung von Apotheken jederzeit möglich.

Der freie Marktzutritt wird wohl von niemandem ernsthaft bezweifelt. Das deutsche Apothekensystem verkörpert in dieser Hinsicht das Idealbild eines freien Wettbewerbs, wie es nirgendwo sonst in der EU realisiert ist. Es gilt bei vielen Apothekern in anderen europäischen Ländern als extreme Verkörperung eines liberalen Konzeptes im Vergleich zu den vielgestaltigen stark abgeschotteten Konzessionierungs- oder Lizensierungssystemen in den meisten anderen EU-Ländern8. Aus dieser Perspektive erscheint es daher erstaunlich, wenn andere Systeme als stärker wettbewerbsorientiert bezeichnet werden.

Jede Änderung des Systems könnte den freien Marktzutritt allenfalls beschränken, aber nicht verbessern. So würde die marktbeherrschende Stellung von Kettenapotheken gründungswillige Einzelapotheker eher von einer Neugründung abhalten als heute die Konkurrenz einer benachbarten Einzelapotheke9. Es wäre zu erwarten, dass die Existenz von Ketten die Niederlassungsfreiheit für Einzelapotheker faktisch aushöhlt, wie es beispielsweise die Entwicklung des Lebensmittel- und des Elektroeinzelhandels in der Vergangenheit gezeigt hat.

Souveränität der Marktteilnehmer

Wesentlich differenzierter ist die Souveränität der Marktteilnehmer zu beurteilen. Weder Krankenkassen noch Apotheken können nach den derzeit geltenden Regelungen ihre Kunden auswählen. Krankenkassen schließen ihre Verträge nicht mit einzelnen Leistungserbringern, sondern mit Verbänden ab. Die Apotheken unterliegen ihrerseits einem Kontrahierungszwang. Diese Konstellation steht im krassen Gegensatz zum Ideal des freien Wettbewerbs mit freien Vertragsmöglichkeiten. Doch führt gerade die fehlende Vertragsfreiheit der Krankenkassen und Apotheken zu einer freien Wahl der Patienten. Wird der Patient als Marktteilnehmer definiert, wendet sich die Beurteilung ins Gegenteil. Der Patient besitzt die vollkommene Souveränität, an welche Apotheke er sich wendet10.

Inwieweit das Wettbewerbskriterium der Souveränität der Marktteilnehmer erfüllt ist, hängt demnach von der Definition der Marktteilnehmer ab. Prekärerweise bedingt die Einschränkung der Souveränität der Krankenkassen und Apotheken gerade die freie Wahl der Patienten und umgekehrt. Daher würde die von Krankenkassen immer wieder geforderte Möglichkeit, Einzelverträge mit Leistungserbringern abzuschließen, deren Souveränität vergrößern, aber in gleichem Maße die Souveränität der Patienten verringern.

Transaktionskosten

Hinsichtlich der Transaktionskosten erfüllt der Apothekenmarkt in seiner derzeitigen Ausprägung die Bedingungen des freien Wettbewerbs in nahezu idealer Weise. Hierzu tragen in erster Linie die Apothekenrechenzentren bei. Sie ermöglichen allen Apotheken zu geringen Transaktionskosten die Abrechnung mit allen Krankenkassen und damit die Versorgung aller Patienten. Wenn ein Patient eine Apotheke aufsucht, spielt es damit keine Rolle, bei welcher Versicherung der Patient versichert ist. Die Abrechnung ist in jedem Fall gleichermaßen einfach. Das Erbringen der Leistung wird nicht durch technische Barrieren unterschiedlicher Abrechnungsmodalitäten beeinträchtigt. Das Marktgeschehen wird nicht durch externe Effekte aufgrund unterschiedlicher Transaktionskosten verzerrt.

Auch hier könnte jede denkbare Änderung, insbesondere Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Apotheken, nur eine Verschlechterung der derzeitigen Idealsituation bringen. Das Wettbewerbskriterium nicht entscheidungsrelevanter Transaktionskosten dürfte durch kein anderes System besser zu erfüllen sein, da die Transaktionskosten derzeit bei den Entscheidungen der Marktbeteiligten nicht beachtet werden müssen.

Vollständige Konkurrenz

Insoweit sprechen die bisher untersuchten Kriterien für gute Voraussetzungen zur Erfüllung des Modells der vollständigen Konkurrenz. Vollständige Konkurrenz bedeutet: Jeder einzelne Marktteilnehmer ist wirtschaftlich so unbedeutend, dass seine Verhaltensweise das Ergebnis des Marktprozesses auf der Makroebene nicht erkennbar beeinflusst. Es existieren demnach sehr viele kleine Anbieter und Nachfrager, deren Angebots- und Nachfragemengen nur einen kleinen Anteil der umgesetzten Gütermengen ausmachen. Darüber hinaus gibt es keine Präferenzen, d. h., die Anbieter bevorzugen keinen Nachfrager, und die Nachfrager zahlen keinem Anbieter einen höheren Preis. Dies wird gerade durch das Festpreissystem unterstützt, bei dem es keine Preisnachlässe, sondern eine Preisbindung gibt. Insofern bestehen zumindest keine preisbezogenen Anlässe für Präferenzen der Marktteilnehmer.

Wenn alle eingangs erwähnten Kriterien erfüllt sind, wird diese Konstellation als Markt mit vollständiger Konkurrenz bezeichnet. Auf einem Markt mit vollständiger Konkurrenz ergibt sich dann ein gemeinsamer Marktpreis für alle Anbieter und Nachfrager. Sie können den Preis bei dem unterstellten nicht-kooperativen Verhalten nicht beeinflussen und verhalten sich daher als Mengenanpasser.

Im deutschen Apothekensystem wird der Preis dagegen administrativ auf der Grundlage der Herstellerabgabepreise festgelegt. Auch dies führt zu einem einheitlichen Preis, wenn auch nicht zu einem Marktpreis. Daher verhalten sich die Marktteilnehmer auch hier als Mengenanpasser. Da der Preis nicht auf einem Markt zustande kommt, muss sich der Wettbewerb zwischen Anbietern und Nachfragern auf die Nebenleistungen beziehen, die für die Verbraucher sehr bedeutend sein können.

Bei vollständiger Konkurrenz dürfen weder auf der Nachfragerseite noch auf der Anbieterseite zu große und mächtige Akteure stehen. Die Idealvorstellung ist, dass weder ein einzelner Anbieter noch ein einzelner Nachfrager die gegenüberliegende Seite zu bestimmten Bedingungen "erpressen" kann, weil kein Anbieter und kein Nachfrager wirtschaftlich von der Geschäftsbeziehung zu einem einzelnen Partner abhängt11.

Die Nachfrageseite

Dies ist im Apothekenmarkt für die Nachfrageseite nicht gewährleistet. Die Apotheken sind weitgehend von ihrem wichtigsten Abnehmer abhängig, denn die gesetzlichen Krankenkassen stehen den Apotheken als ein monolithischer Block gegenüber. Wenn der Staat aus übergeordneten Gründen gesetzliche Krankenkassen mit einem weitgehend einheitlichen Leistungsangebot wünscht, ergibt sich daraus eine Verzerrung des marktwirtschaftlichen Idealbildes. Im Sinne der Idee der counterveilling power könnte daraus eine Verpflichtung abgeleitet werden, die gegenüberliegende Seite vor den negativen Folgen einer solchen marktbeherrschenden Stellung zu schützen. Die Arzneimittelpreisverordnung bildet faktisch einen solchen Schutz, obwohl sie aus anderen Gründen – wegen des Verbraucherschutzes – entstanden ist.

Doch werden vielfach Änderungen des Systems diskutiert, bei denen dieser Schutzeffekt wegfiele. Bei einer Preisverhandlung zwischen Krankenkassen und Apotheken stünden dann Quasi-Monopolisten den stark differenzierten Apotheken gegenüber. Dies entspräche dem klassischen Fall des Marktversagens aufgrund eines Monopols, der auf vielen anderen Märkten durch eine wirksame Wettbewerbsaufsicht gezielt verhindert werden muss. Änderungen des Gesundheitssystems mit dieser Zielrichtung würden dann ein neues Steuerungsinstrument erfordern, um die Wirkung der Marktkräfte zu sichern. So würden auch hier die diskutierten Änderungen nicht zu mehr Wettbewerb führen, sondern in eine Situation, in der typischerweise gerade kein Wettbewerb zustande kommt oder dieser erst durch neue regulierende Eingriffe geschaffen werden müsste.

In der jüngsten Diskussion um Reformvorschläge wird die Forderung nach Abschaffung des Kontrahierungszwanges zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern mit Qualitätsaspekten begründet. Anderenfalls müssten die Krankenkassen auch nicht qualitätsgesicherte Leistungen akzeptieren und finanzieren12. Doch besteht ein gesellschaftliches Interesse, dass alle Gesundheitsleistungen unabhängig vom Zahlungspflichtigen den einschlägigen Qualitätskriterien genügen.

Dies zu regeln und zu überprüfen, ist Aufgabe des Gesetzgebers und seiner Überwachungsorgane sowie der beruflichen Selbstverwaltung. Diese Aufgabenverteilung ist historisch gewachsen und bewährt. Es mag allerdings durch die erhebliche Entwicklung der modernen Qualitätswissenschaft im Gesundheitswesen in mancher Hinsicht ein Nachholbedarf gegenüber den tatsächlichen Möglichkeiten entstanden sein. Doch würde dies einen Auftrag an Gesetzgeber und Selbstverwaltung begründen, aber keine grundlegend neuen Marktstrukturen erfordern.

Die Angebotsseite

Für die Angebotsseite ist das Idealbild der vollständigen Konkurrenz dagegen in geradezu vorbildlicher Weise erfüllt, wenn nicht die fehlende Wirkung auf den Preis, sondern das Verhalten der Marktteilnehmer als Maßstab herangezogen wird. Durch das Fremd- und Mehrbesitzverbot agiert jede Apotheke einzeln am Markt und setzt die Rahmenbedingungen ihres Angebotes in den rechtlichen Grenzen frei fest. Auf den meisten anderen Märkten wird dieses Idealbild durch große Konzerne als Anbieter gestört, die bei den Apotheken nicht zu finden sind. Auf anderen Märkten gehört es zu den Aufgaben des Staates, durch eine wachsame Wettbewerbsaufsicht einen wirksamen Wettbewerb sicherzustellen13. Das in der Realität kaum erreichbare marktwirtschaftliche Ideal ist dagegen eine atomistische Marktstruktur, wie sie bei den Apotheken zu finden ist.

In der Debatte um die Zukunft des Apothekenmarktes haben Kritiker des bestehenden Apothekensystems diesem seine "atomistische Struktur" vorgeworfen. Doch entspricht gerade diese Struktur dem theoretischen Idealbild des Modells der vollständigen Konkurrenz. So bleibt festzuhalten, dass sich das System bei den derzeit diskutierten Änderungen eher vom Ideal der vollständigen Konkurrenz entfernen würde als sich ihm zu nähern, d. h. diese idealtypische Bedingung für den Wettbewerb wäre dann in geringerem Maße erfüllt.

Wettbewerbsintensität

Allerdings sind die idealtypischen Bedingungen für vollständige Konkurrenz von der tatsächlich erreichten Wettbewerbsintensität zu unterscheiden. Ob die klassischen Idealbedingungen den intensivsten möglichen Wettbewerb garantieren, ist nicht unumstritten. So kann beispielsweise gerade bei sehr vielen Anbietern eine ruinöse Konkurrenz entstehen, die keine optimale Ressourcenallokation mehr gewährleistet und langfristig zum Ausscheiden vieler Anbieter führt. So wird argumentiert, dass das weite Oligopol mit mäßiger Produktheterogenität und begrenzter Transparenz die größte effektive Wettbewerbsintensität bietet. Gewinnchancen, Existenzrisiken und Finanzierungsmöglichkeiten bilden hier eine besonders günstige Kombination14.

Sollten die Kritiker der "atomistischen Struktur" der Apotheken auf diese Argumentation bezüglich der effektiven Wettbewerbsintensität abzielen, wäre darzulegen, ob die Abschaffung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes in ein solches weites Oligopol münden würde. Darüber kann aber nur spekuliert werden. Wenn das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben würde, wären demnach einerseits Konzentrationstendenzen bei Apotheken zu befürchten, die potentiell wettbewerbsbeschränkend wirken. Andererseits könnte aber auch ein wettbewerbsintensives weites Oligopol entstehen.

Die starke Konzentration auf den vorgelagerten Marktstufen der internationalen pharmazeutischen Industrie und insbesondere des deutschen pharmazeutischen Großhandels ließe wohl eher eine Wettbewerbsbeschränkung erwarten, wenn das Fremd- und Mehrbesitzverbot für Apotheken aufgehoben würde. In diesem Zusammenhang sollte der Wettbewerb auch über die Gesamtheit der Marktstufen des Arzneimittelhandels betrachtet werden. Angesichts der großen horizontalen Konzentration auf den Ebenen der pharmazeutischen Industrie und des pharmazeutischen Großhandels wären zusätzlich vertikale Konzentrationen über die Marktstufen hinweg zu befürchten. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot der Apotheken wirkt damit auch als Wettbewerbsschutz auf die vorgelagerten Marktstufen zurück, was in der bisherigen politischen Diskussion weitgehend vernachlässigt wurde.

Änderungen verbessern nichts

Ungeachtet der Frage, ob Polypol oder weites Oligopol in der Praxis zu intensiverem Wettbewerb führen, bleibt festzuhalten, dass der bestehende Apothekenmarkt die bis hierhin betrachteten Kriterien für den idealtypischen Wettbewerb in erstaunlich hohem Maße erfüllt. Dies steht im Widerspruch zu der von Kritikern und Befürwortern des Systems gleichermaßen immer wieder geäußerten Annahme, hier existiere kein Wettbewerb. Außerdem wäre keines der bis hierhin betrachteten Kriterien für idealtypischen Wettbewerb durch die derzeit diskutierten Änderungen des etablierten Systems eindeutig besser zu erfüllen. Hingegen sind viele Änderungen vorstellbar, die das System eher weiter vom Ideal eines funktionierenden Wettbewerbs entfernen würden. Die geforderten Änderungen mit intensiverem Wettbewerb zu begründen, ist daher hinsichtlich der hier untersuchten Kriterien empirisch nicht belegbar.

Ist Wettbewerb mit Arzneimitteln möglich?

Neben den Verhältnissen der Marktbeteiligten zueinander ist für die Frage, ob ein funktionsfähiger Wettbewerb stattfindet, auch zu klären, ob das gehandelte Gut überhaupt für einen kompetitiven Handel geeignet ist. Hierzu wird von Apothekerseite oft argumentiert, Arzneimittel seien eine "Ware der besonderen Art". Diese in der pharmazeutischen Standespolitik häufig gebrauchte Formulierung erscheint aus ökonomischer Sicht nebulös und nicht greifbar, da dieser Begriff in der ökonomischen Literatur nicht definiert ist. So ist zu fragen, worin die Besonderheit der Arzneimittel nach ökonomischen Kriterien besteht, um die Aussage ökonomischen Überlegungen zugänglich zu machen. Die Leerformel ist mit Inhalt zu füllen.

Arzneimittel als öffentliche Güter

Hierzu bieten sich zwei Ansätze an. So könnte argumentiert werden, Arzneimittel seien öffentliche Güter. Der Staat oder die von ihm legitimierten Körperschaften hätten dann für ihre Bereitstellung zu sorgen. Ob dies zutrifft, ist eine Frage der Gütereigenschaften. Die Antwort kann nur aus den betrachteten Gütern abgeleitet werden. Doch sind Arzneimittel als physische Waren keine geborenen öffentlichen Güter, sondern überwiegend private Güter. Sie sind zweifellos handelbare Waren, an denen privates Eigentum möglich ist und die sich nicht aufgrund körperlicher Eigenschaften den Regeln eines kompetitiven Wettbewerbs entziehen.

Allenfalls meritorische Beweggründe können dafür sprechen, dass Arzneimitteln in einem politischen Prozess einen Status in der Art öffentlicher Güter zuerkannt bekommen. Dies kann aber nicht die Prämisse eines politischen Entscheidungsprozesses sein, sondern nur sein Ergebnis. Als Voraussetzung für einen Diskurs ist dieser Ansatz damit ungeeignet.

Mangelnde Güterhomogenität

Doch bleibt ein weiterer Ansatz. Arzneimittel unterscheiden sich von den meisten anderen Handelsgütern durch ihre extrem schlechte Substituierbarkeit. Dies macht sie in der Tat zu einer "Ware der besonderen Art", da es sie von den weitaus meisten anderen Gütern unterscheidet.

Diese Überlegung zielt auf die Homogenität der gehandelten Güter und damit auf eine weitere eingangs genannte Voraussetzung für die vollständige Konkurrenz. Es gibt nicht den einen Markt für Arzneimittel, sondern eher eine unüberschaubare Anzahl winziger Teilmärkte für pharmazeutisch-chemisch definierte Wirkstoffe oder sogar pharmazeutisch-technologisch definierte Zubereitungen. Im Unterschied zu den meisten anderen Gütermärkten sind auch ähnliche Arzneimittel nur in engen Grenzen substituierbar. Ein krasses Gegenbeispiel hierzu bilden Lebensmittel, da die Ernährung beim Mangel an bestimmten Lebensmitteln ohne größere Schwierigkeiten durch andere Lebensmittel sicherzustellen ist.

Arzneimittel in ihrer Gesamtheit sind eine sehr inhomogene Gruppe von Gütern. Aufgrund dieser Eigenheit der Arzneimittel reicht es nicht aus, einen funktionierenden Markt für Arzneimittel insgesamt15 sicherzustellen. Stattdessen ist jeder winzige Teilmarkt für einzelne Zubereitungen oder zumindest einzelne Wirkstoffe zu betrachten. Nur auf der Ebene einzelner Zubereitungen oder Wirkstoffe ist die Güterhomogenität gewährleistet, die für funktionsfähigen Wettbewerb erforderlich ist. Keine Änderung des Gesundheitssystems könnte diese Tatsache beeinflussen, da es sich um eine begriffsbestimmende Eigenschaft der Arzneimittel handelt.

Die geringe Substituierbarkeit von Arzneimitteln ergibt sich unmittelbar aus ihrer Zweckbestimmung. Denn Arzneimittel dienen nur im übergeordneten Sinn einem gemeinsamen Zweck, der Heilung bzw. Linderung von Krankheiten. Bei differenzierter Betrachtung müssen die zu behandelnden Krankheiten, ihre Begleitumstände und die Eigenheiten der Patienten unterschieden werden. So folgt aus der Vielzahl der zu behandelnden Krankheiten und den interindividuellen Unterschieden der Patienten unmittelbar die Vielfalt der nötigen Arzneimittel. Wenn künftig immer mehr Krankheiten kausal und nicht symptomatisch therapiert werden und die Therapie dank pharmakogenetischer Differenzierung individueller wird, wird sich diese Vielfalt in Zukunft noch weiter verstärken. Letztlich folgt die mangelnde Güterhomogenität damit unmittelbar aus dem medizinisch-pharmazeutischen Fortschritt.

Konsequenzen für den Wettbewerb

Daraus ergeben sich für den funktionsfähigen Wettbewerb zwei beachtliche Probleme. Erstens erschwert die geringe Größe solcher Teilmärkte den Wettbewerb. Je kleiner ein Markt ist, umso weniger können Marktkräfte durch große Anbieter- und Nachfragerzahlen, Konkurrenzeffekte und Transparenz über verschiedene Angebote ihre Wirkung entfalten. Zweitens verhindert die mangelnde oder fehlende Substituierbarkeit ein freies Entscheidungsverhalten der Nachfrager.

Zum Wettbewerb gehört aber die Freiheit der Nachfrager, ein unangemessenes Angebot der Anbieter ablehnen zu können16. Diese Möglichkeit begrenzt den Spielraum der Anbieter und trägt wesentlich zu einem fairen Ergebnis bei. Wenn die Nachfrager von dem Gut abhängig sind und das Gut nicht substituierbar ist, fehlt diese grundlegende Voraussetzung für den Wettbewerb.

Genau dies trifft für die Nachfrage nach Arzneimitteln auf der Ebene zwischen Endverbrauchern und Apotheken zu. Die Patienten können wegen der geringen Substituierbarkeit der Arzneimittel nur selten auf andere Produkte ausweichen. Sie können zumeist auch die Anwendung des Arzneimittels nicht lange aufschieben, um auf ein günstigeres Angebot zu warten oder dies zu suchen. Dies sind wesentliche Unterschiede zu anderen Produktmärkten, die die Möglichkeiten des Wettbewerbs zwischen Apotheken und Endverbrauchern erheblich beschränken.

Aufgrund dieser Besonderheiten kann für die kleinen Teilmärkte einzelner nicht substituierbarer Arzneimittel ein klassischer Fall von Marktversagen konstatiert werden. Es sei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nur für die Teilmärkte nicht substituierbarer Arzneimittel gilt. Daraus lässt sich nicht auf die Gesamtbeziehung zwischen Apotheken und Krankenkassen schließen.

Antworten auf das Marktversagen

So bleibt zu fragen, wie dem Marktversagen auf den Teilmärkten einzelner Arzneimittel zu begegnen ist. Eine zeitgemäße Antwort der dominierenden ökonomischen Strömungen auf das Phänomen des Marktversagens ist die Principal-Agent-Theorie. Demnach müssen die Marktkräfte durch Vertragsbeziehungen zwischen den Marktbeteiligten ersetzt werden, deren immanente Anreizstruktur für das ökonomisch oder politisch gewünschte Allokationsergebnis sorgt.

So dürfte sich das derzeit große Interesse an Disease-Management-Programmen und neuen Versorgungsformen mit einem Trend zu einzelvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Marktbeteiligten erklären lassen. Solche Vertragslösungen mögen geeignet sein, die Probleme aufgrund der geringen Substituierbarkeit der Arzneimittel wirksam zu lösen. Doch bliebe die geringe Größe der Teilmärkte als Problem bestehen. Wenn das Marktgeschehen auf solchen Teilmärkten vollständig durch Vertragslösungen ersetzt werden soll, ist ein erheblicher Regelungsaufwand zu befürchten. Die Anzahl der zu beachtenden Teilmärkte könnte zu ausufernden Transaktionskosten für eine solche Lösung führen.

Die bisher etablierte und seit langem angewendete Lösung dieses Problems ist dagegen das Festpreissystem für Arzneimittel auf der Apothekenebene. Mit dem Festpreissystem können extreme Ungleichgewichte mit vertretbarem Regelungsaufwand verhindert werden. Die Preise sind insoweit frei, als sie auf hinreichend großen Märkten zustande kommen, d. h. zwischen der Industrie und den Apotheken insgesamt. Sie sind aber dort nicht mehr frei, wo einzelne Apotheken und Krankenkassen bzw. deren Versicherte aufeinander treffen. Damit wird das zentrale Problem der mangelnden Substituierbarkeit mit denkbar geringem Regelungsaufwand gelöst. Die Marktkräfte werden nur dort begrenzt, wo dies unverzichtbar erscheint, und bleiben ansonsten wirksam.

Lenkungsfunktion des Preises

Der Hauptkritikpunkt gegenüber dieser Lösung ist, dass der Preis dabei seine Funktion als zentrales Lenkungsinstrument des Wettbewerbs und als Knappheitsindikator verliert. Doch ist der Preis nicht der einzige Mechanismus, über den der Wettbewerb wirken kann. Neben Preiswettbewerb kann es einen intensiven Leistungswettbewerb geben, der gerade angesichts der komplexen Leistungen der Apotheken17 hier eine zentrale Bedeutung hat. Wenn der Preiswettbewerb durch das Festpreissystem ausgeschlossen wird, ist dies allein noch kein Grund für die Behauptung, auf dem betrachteten Markt existiere kein Wettbewerb. Leistungswettbewerb ist so durchaus möglich und findet auf dem Apothekenmarkt statt. Dass die übrigen Rahmenbedingungen für einen solchen Wettbewerb förderlich sind, hat die vorangegangene Analyse gezeigt.

Zudem kann das Argument der fehlenden Lenkungsfunktion des Preises im Gesundheitswesen nur sehr begrenzt herangezogen werden, da die Preise hier ohnehin kaum eine Lenkungsfunktion aufweisen. Wenn die Kosten von gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen werden und Zahlungsträger, Leistungsempfänger und Verordner nicht identisch sind, ist die Nachfrage kaum über Preise zu steuern18. Eine Nachfragesteuerung ist dann allenfalls über administrativ geregelte Zuzahlungen oder Selbstbehalte möglich, die hier aber nicht zur Diskussion stehen.

Räumliche und zeitliche Differenzierung von Angebot und Nachfrage

Es gilt hervorzuheben, dass die Preisbindung nur auf der Ebene der Apotheken, nicht auf der Ebene der Hersteller oder des Großhandels geboten erscheint, um den Besonderheiten der Arzneimittel als inhomogene Güter zu begegnen. Hierzu sind die weiteren Komponenten der Güterhomogenität zu betrachten. Neben den Produkteigenschaften im engeren Sinne gehören hierzu die räumliche und zeitliche Differenzierung von Angebot und Nachfrage.

Güterhomogenität schließt damit eine möglichst geringe räumliche und zeitliche Differenzierung von Angebot und Nachfrage ein. Diese Bedingung ist im Arzneimittelmarkt erfüllt, soweit sie das Marktgeschehen zwischen Pharmaindustrie bzw. Apotheken in ihrer Gesamtheit und den Krankenkassen betrifft. Werden dagegen die einzelnen Patienten als Nachfrager und die einzelnen Apotheken in deren Wohnumfeld als Anbieter betrachtet, ist der Markt räumlich differenziert, da der einzelne Patient nur eine begrenzte Anzahl von Apotheken mit vertretbarer Mühe erreichen kann19.

Inwieweit dieser Effekt den Wettbewerb beeinträchtigt, hängt in hohem Maße von der Mobilität und vom Wohnort des Patienten ab. Eine zeitliche Differenzierung ist hingegen nicht zu beobachten, da alle Apotheken in das Belieferungssystem des pharmazeutischen Großhandels eingebunden sind. So können nicht vorrätige Arzneimittel von allen Apotheken relativ schnell und in etwa vergleichbaren Zeiträumen geliefert werden.

Im Zusammenhang mit der mangelnden Substituierbarkeit ergeben sich auf lokaler Ebene die erwähnten winzigen Teilmärkte für einzelne Arzneimittel, während auf Hersteller- oder Großhändlerebene größere Märkte existieren. Dies legt nahe, die Regelungen für den "großen" und den "kleinen" Markt zu trennen. Bei der Preisbildung im "Großen", wo die räumliche und zeitliche Differenzierung unproblematisch ist, kann der Preiswettbewerb zur Wirkung kommen. Hier kommen die Probleme der Endverbraucher, die die Arzneimittelanwendung nicht substituieren und nicht aufschieben können, kaum zum Tragen. So erscheint an dieser Stelle die freie Preisbildung als marktwirtschaftliche Ideallösung.

Wo aber die räumliche Differenzierung zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann, bietet sich die Einschränkung des Wettbewerbs auf einen Leistungswettbewerb ohne lokalen Preiswettbewerb als geringster Eingriff in den Markt an. So bleiben die Marktkräfte im größtmöglichen Maße wirksam.

Auch im internationalen Vergleich wird die deutsche Regelung als vergleichsweise geringer Eingriff in den Markt deutlich. Denn in vielen anderen Ländern greifen staatliche oder parastaatliche Institutionen auf der Herstellerebene in die Preisbildung ein. Das deutsche System ist demnach eher am marktwirtschaftlichen Ideal orientiert als die Gesundheitssysteme vieler anderer Länder. Auch die räumliche Beschränktheit des Marktes ist in vielen anderen Ländern noch stärker ausgeprägt, da dort die Apothekendichte oft erheblich geringer als in Deutschland ist.

Andererseits ist auch hier zu fragen, ob eine Änderung des Systems zu einer besseren Erfüllung der Bedingungen für die vollständige Konkurrenz, d. h. zu einer noch stärker marktwirtschaftlichen Konzeption führen würde. Die räumliche Beschränktheit des lokalen Marktes wäre durch Versandapotheken zu überwinden, die überregional konkurrieren. Ob dies an jedem Ort die Zahl der Anbieter vergrößern würde, hinge aber davon ab, ob ein weites oder enges Oligopol entstünde. Doch würde dieser mögliche, aber keineswegs sichere Gewinn hinsichtlich der räumlichen Differenzierung im Gegenzug zu neuen zeitlichen Beschränktheiten führen, da der Versand die Lieferzeit beachtlich verlängern würde.

Noch viel stärker wäre aber der Effekt auf die anderen Bedingungen für den idealtypischen Wettbewerb. Wie zuvor dargestellt, könnte der Wettbewerb mit großen überregional agierenden Apotheken-Gesellschaften den freien Marktzutritt erheblich beeinträchtigen und zu einer starken Konzentration führen. Außerdem würde der Versandhandel aufgrund des physischen Warentransportes zu beachtlichen Transaktionskosten führen, die wiederum die Marktbedingungen verzerren würden. Dem geringfügigen und keineswegs sicheren Vorteil hinsichtlich der räumlichen Bedingungen des Wettbewerbs stünden damit erhebliche Einschränkungen des Wettbewerbs hinsichtlich anderer Kriterien gegenüber. Angesichts solcher Aussichten bei Änderungen des Systems kann die bestehende Preisbindung auf der Ebene der Apotheken als gelungene Lösung angesehen werden.

Eine Beschränkung des Wettbewerbs würde zudem durch eine andere in jüngster Zeit diskutierte Änderung des Systems drohen. Es wurde von Seiten des Gesundheitsministeriums vorgeschlagen, die Rabatte im Geschäftsverkehr zwischen Pharmagroßhandel und Apotheken abzuschaffen20. Doch greifen die Argumente hinsichtlich der zu kleinen Märkte und der Probleme durch die mangelnde Substituierbarkeit der Arzneimittel auf dieser Ebene gerade nicht.

Hier ist der Preiswettbewerb durchaus praktikabel und im Sinne eines möglichst geringen Eingriffes in die Marktmechanismen sinnvoll. So würde diese Maßnahme den dort bestehenden Preiswettbewerb verhindern, was im Widerspruch zu den sonst vielfach erhobenen Forderungen nach mehr Wettbewerb stünde.

Begrenztes Festpreissystem und Leistungswettbewerb

Es verdient Beachtung, dass das bestehende begrenzte Festpreissystem von seiner Konzeption her hier gerade dazu dient, die Marktkräfte für den beabsichtigten Leistungswettbewerb zu nutzen und den Preiswettbewerb soweit zuzulassen, wie dies angesichts der Probleme hinsichtlich der Güterhomogenität akzeptabel erscheint. Es wird nur gezielt auf kleinen Teilmärkten auf der Ebene zwischen Apotheken und Krankenkassen bzw. Patienten eingegriffen, damit ansonsten Marktkräfte wirken können. Dies ist als Ersatz für eine Wettbewerbsaufsicht zu verstehen, deren Bedeutung auf großen Märkten unbestritten ist, die aber auf den beschriebenen winzigen Teilmärkten auf der Mikroebene wohl nicht mit vertretbarem Aufwand funktionieren könnte.

So ist das Festpreissystem der Arzneimittelpreisverordnung im ökonomischen Sinne primär ein Instrument zur Sicherung des Leistungswettbewerbs, das angesichts der mangelnden Substituierbarkeit der Arzneimittel und der geringen Größe ihrer Teilmärkte dringend geboten erscheint. Daraus ergibt sich eine bisher kaum beachtete ökonomische Begründung für die Arzneimittelpreisbindung. Ziel ist gerade die Sicherung eines funktionierenden Leistungswettbewerbs, nicht die Verhinderung von Wettbewerb.

Im Rahmen des Leistungswettbewerbs sind auf dem Apothekenmarkt durchaus dynamische und nicht-kooperative Verhaltensweisen und Mechanismen der "schöpferischen Zerstörung" empirisch zu beobachten. Beispiele hierfür bieten vielfältige Dienstleistungsangebote, Serviceleistungen, über das Kernsortiment hinausreichende Warenangebote, Herstellungskapazitäten für innovative Rezepturen, indikationsspezifische Beratungs- und Betreuungsangebote, das Arzneimittelmonitoring mit Patientendateien und Beziehungen zu anderen Anbietern im Gesundheitswesen, die von verschiedenen Apotheken in unterschiedlichem Umfang und in sehr unterschiedlicher Zusammensetzung geboten werden.

Während auf anderen Märkten teilweise scharfe Wettbewerbskontrollen erforderlich sind, um solche Ergebnisse sicherzustellen, gelingt dies bei Apotheken aufgrund der marktwirtschaftlichen Anreize, die durchaus ohne freie Preisbildung auf der Apothekenebene wirken. Die empirisch feststellbaren Unterschiede im Leistungsspektrum der Apotheken und die große Dynamik dieses Leistungsspektrums sollten als deutliche Zeichen für den leistungsfähigen Wettbewerb betrachtet werden. Die offensichtliche Leistungsfähigkeit dieses Wettbewerbes ist als politische Legitimation für das bestehende System anzusehen.

Andererseits ist die Einschränkung des Wettbewerbes unter Apotheken auf einen Leistungswettbewerb erforderlich, um der praktisch fehlenden Substituierbarkeit der Arzneimittel zu begegnen. Das Funktionieren des Leistungswettbewerbs kann als Argument dienen, dass dieser Weg offenbar nur einen vergleichsweise geringen Eingriff in das Marktgeschehen darstellt.

Fazit

Die Festpreise für Arzneimittel auf der Apothekenebene sichern die schnelle und flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln und den Wettbewerb bei den bedeutsamen Nebenleistungen der Arzneimittelversorgung. Ein funktionierender Preiswettbewerb auf den Teilmärkten der nicht substituierbaren Arzneimittel erscheint dagegen unpraktikabel. Doch berührt dies nicht den Gesamtmarkt. So erscheint das bestehende Marktsystem für Arzneimittel mit Preiswettbewerb auf der Hersteller- und Großhandelsebene und mit Preisbindung und Fremd- und Mehrbesitzverbot zur Sicherung des Leistungswettbewerbs auf der Apothekenebene gerade angesichts der Forderung nach funktionierendem Wettbewerb als ideale Lösung. Das bestehende System nutzt weitmöglichst die Wettbewerbskräfte und enthält in vieler Hinsicht liberale Regelungen. Bei vielen derzeit diskutierten Änderungsvorschlägen für das System würden dagegen Beschränkungen des Wettbewerbs drohen. So sollte gerade der Wettbewerb als ein wichtiges Argument für das bestehende System betrachtet werden.

Kastentext: Glossar

  • Counterveilling Power: Prinzip von Macht und Gegenmacht. Nach der Konzeption von Galbraith kann die Marktmacht auf einer Seite des Marktes durch eine Gegenmacht auf der anderen Seite neutralisiert werden21.
  • Disease Management: "Organisationsansatz, der die Gesundheitsversorgung von Patientengruppen über den gesamten Verlauf einer Krankheit und über die Grenzen der einzelnen Leistungserbringer hinweg koordiniert und optimiert" 22.
  • externe Effekte: Wirkungen der Produktion oder Konsumption eines Gutes auf Dritte, die nicht selbst am Marktgeschehen teilnehmen23.
  • homogene Güter: gleichartige, substituierbare Güter.
  • kooperatives Verhalten: abgestimmtes Verhalten mehrerer Akteure (Marktteilnehmer) mit dem Ziel der gemeinsamen Nutzenmaximierung.
  • Marktversagen: gesamtwirtschaftlich suboptimale Wirkung des Marktprozesses, z. B. bei Marktformen, die von den theoretischen Idealbedingungen abweichen24.
  • meritorische Güter: "Güter, von denen die Regierung meint, die Menschen würden sie nicht in ausreichendem Maße konsumieren, und die daher subventioniert oder kostenlos bereitgestellt werden sollten" 25.
  • öffentliche Güter: Güter, deren Konsum nicht ausschließbar ist und um die die Nachfrager nicht rivalisieren26.
  • Oligopol: Marktform, bei der mindestens auf einer Seite (Angebot oder Nachfrage) nur einige wenige große Akteuere auftreten.
  • Pareto-Optimum: gleichgewichtige Verteilung von Gütern, bei der ohne Verhandlungen oder Ausgleichszahlungen niemand seinen Nutzen mehren kann, ohne dass der Nutzen anderer gemindert wird.
  • Polypol: Marktform, bei der viele kleine Anbieter und Nachfrager auftreten, die jeweils allein das Marktgeschehen nicht beeinflussen können.
  • Pharmakogenetik: "klinisch bedeutsame, erblich bedingte Unterschiede in der Wirkung von Arzneistoffen, deren Ursache ein genetischer Polymorphismus in den betreffenden Patienten ist"27.
  • Principal-Agent-Theorie: Konzept zur Beschreibung und Analyse des Verhaltens von Wirtschaftssubjekten aufgrund unterschiedlicher Informationen und Anreize in einem unvollkommenen Markt28.
  • Ressourcenallokation: Verteilung der Produktions- oder Finanzmittel in einer Volkswirtschaft.
  • Transaktionskosten: Kosten der Geschäftsabwicklung, die über den Preis des gehandelten Gutes hinausgehen.
  • Wohlfahrtstheorie: Teilgebiet der Mikroökonomie, das sich mit dem Erreichen von Marktgleichgewichten und den dabei möglichen Fehlsteuerungen beschäftigt.

Fußnoten:

1 vgl. Zuck, Lenz (1999); zu den Hintergründen vgl. Rotta, C. (1999a); zum gleichen Ergebnis kommt ein Gutachten von C. Starck, vgl. Rotta, C. (1999b). 2 Die hier genannten Bedingungen ergeben sich als Zusammenstellung verschiedener Darstellungen, vgl. insbesondere Blum (2000), 135, Demmler (1997), 38, Hajen, Paetow und Schumacher (2000), 41 und Sloman (2000), 237. Die in diesen Quellen nicht genannte Bedingung souverän handelnder Marktteilnehmer sollte als implizite Voraussetzung für jegliches Handeln am Markt ergänzt werden, denn rationales marktwirtschaftliches Handeln setzt die Freiheit zu selbstbestimmtem Handeln voraus. Die bei Blum genannte Bedingung fehlender persönlicher Präferenzen wird weiter unten unter der Zwischenüberschrift "vollständige Konkurrenz" betrachtet. 3 Die Güterhomogenität schließt das Kriterium der fehlenden räumlichen und zeitlichen Differenzierung von Angebot und Nachfrage ein. Denn homogene Güter müssen nicht nur aufgrund ihrer Eigenschaften austauschbar sein, sondern auch unabhängig von Ort und Zeit handelbar sein. 4 vgl. Sloman (2000), 437 – 439. 5 exemplarisch hierfür: o. A. (2001). 6 vgl. Bauer (2001), 17 – 20. 7 vgl. § 2 ApoG. 8 für eine Übersicht über die Vielfalt der europäischen Systeme vgl. Bauer (2001). 9 zu den Auswirkungen der Marktmacht großer Anbieter vgl. Demmler (2000), 266 – 272; zur Bedeutung von Markteintrittsbarrieren für den Wettbewerb vgl. Demmler (2000), 160. 10 vgl. § 11 ApoG 11 vgl. Samuelson und Nordhaus (1987), 132. 12 siehe Positionspapier "Eckpunkte einer neuen Gesundheitspolitik", vgl. Sucker (2002a). 13 zur negativen Wirkung von Marktmacht auf den Wettbewerb vgl. Sloman (2000), 435 – 436. 14 vgl. Kantzenbach (1967), Knieps (1997), 63, im Abschnitt "Robuste Lösungen in Oligopolmärkten" und Schmidt (1999), 13. 15 In der gesundheitsökonomischen Literatur wird zumeist der Arzneimittelmarkt in seiner Gesamtheit betrachtet, vgl. z. B. Hajen, Paetow und Schumacher (2000), 178 – 187 und Zdrowomyslaw und Dürig (1999), 194 – 201. Dabei geht es jedoch um seine quantitative volkswirtschaftliche Gesamtbedeutung, nicht um die Betrachtungen zur Funktion der Marktkräfte. Nur für den letzteren Fall ist die Differenzierung in Teilmärkte von Interesse. 16 Hierzu bei Samuelson und Nordhaus (1987), 95: "Die wirtschaftliche Definition des vollkommenen Wettbewerbs auf einem Markt setzt eine so große Zahl von Anbietern oder ein so hohes Maß an Konkurrenz voraus, dass kein Unternehmen den Preis eines Gutes beeinflussen kann." 17 vgl. weiter unten unter der Zwischenüberschrift "Begrenztes Festpreissystem und Leistungswettbewerb". 18 vgl. Schulenburg und Greiner (2000), 77 – 104. 19 Die räumliche Differenzierung des Apothekenmarktes relativiert die zuvor gemachten Ausführungen über seine polypolistische Struktur. Möglicherweise entspricht der regionale Apothekenmarkt – zumindest außerhalb großer Städte – eher einem Oligopol. Hierfür spricht die Erfahrung, dass in Apotheken das Wettbewerbsverhalten der benachbarten Apotheken beachtet wird und in Entscheidungen einfließt, was eine typisch oligopolistische Verhaltensweise darstellt. Dies entspräche dann nicht mehr der Idealvorstellung der vollständigen Konkurrenz, würde aber im Ergebnis immer noch für eine große Wettbewerbsintensität sprechen. 20 vgl. Sucker (2002b). 21 vgl. McConell (1978), 608 – 609. 22 Hajen, Paetow und Schumacher (2000), 149. 23 vgl. Sloman (2000), 433 – 434 und Hajen, Paetow und Schumacher (2000), 48 – 49. 24 zum Marktversagen im Gesundheitswesen vgl. Hajen, Paetow und Schumacher (2000), 47 – 48. 25 Sloman (2000), 443. 26 vgl. Demmler (1997), 272 - 273, Sloman (2000), 439 und Woll (1992), 196 – 203. 27 Jäger (1998), 71. 28 ausführlich zur principal-agent-Theorie vgl. Bamberg und Spremann (1987); zur Anwendung der principal-agent-Theorie im Gesundheitswesen vgl. Hajen, Paetow und Schumacher (2000), 52 – 53.

Danksagung: Der Autor bedankt sich herzlich bei Prof. Dr. Volker Ulrich, Greifswald, und Dr. Klaus G. Brauer, Essen, für die kritische Diskussion und die zahlreichen Anregungen zu diesem Beitrag.

Literatur Bamberg, G. und K. Spremann, Hrsg. (1987), Agency Theory, Information and Incentives, Berlin und Heidelberg. Bauer, E. (2001), Pharma-Länder-Dossiers, Eschborn. Blum, U. (2000), Volkswirtschaftslehre, 3. Auflage, München und Wien. Demmler, H. (1997), Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 6. Auflage, München und Wien. Hajen, L., H. Paetow und H. Schumacher (2000), Gesundheitsökonomie, Stuttgart. Jäger, W. (1998), Pharmakogenetik, in: Jaehde, U., Radziwill, R., Mühlebach, S. und W. Schunack (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Pharmazie, Stuttgart, 71 – 81. Kantzenbach, E. (1967), Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2. Auflage, Göttingen. Knieps, G. (1997), Wettbewerbspolitik, in: von Hagen, J., Welfens, P. J. J. und A. Börsch-Supan (Hrsg.), Springer`s Handbuch der Volkswirtschaftslehre, Band 2, Wirtschaftspolitik und Weltwirtschaft, Berlin et al., 39 – 80. McConell, C. R. (1978), Economics, 7. Auflage, New York et al. o. A. (2001), Medvantis-Forum – Medica 2001, Gefragt: Mehr Innovation und Transparenz, in: Management und Krankenhaus 20, Nr. 12, 9. Rotta, C. (1999a), Das Fremd- und Mehrbesitzverbot ist rechtmäßig, in: Deutsche Apotheker Zeitung 139, 19 – 22 Rotta, C. (1999b), Fremd- und Mehrbesitzverbot ist rechtmäßig, in: Apotheker Zeitung 15, Nr. 27, 1 und 8. Samuelson, P. A. und W. D. Nordhaus (1987), Volkswirtschaftslehre, Band 1, 8. Auflage, Köln. Schmidt, I. (1999), Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 6. Auflage, Stuttgart. Schulenburg, J.-M. Graf v. und W. Greiner (2000), Gesundheitsökonomik, Tübingen. Sloman, J. (2000), Mikroökonomie, 3. Auflage, München und Wien. Sucker, K. (2002a), SPD-nahe Wissenschaftler unterbreiten Reformvorschläge, in: Deutsche Apotheker Zeitung 142, 1840 – 1841. Sucker, K. (2002b), Arzneimittelversorgung im Visier der Ministerin, in: Deutsche Apotheker Zeitung, 142, 1960 – 1961. Woll, A. (1992), Wirtschaftspolitik, 2. Auflage, München. Zdrowomyslaw, N. und W. Dürig (1999), Gesundheitsökonomie, 2. Auflage, München und Wien. Zuck, R. und C. Lenz (1999), Der Apotheker in seiner Apotheke, Stuttgart.

Kritiker stellen das deutsche Apothekensystem als wettbewerbsfeindlich und überholt dar. Doch halten diese Behauptungen einer kritischen Überprüfung stand? Eine detaillierte ökonomische Betrachtung zeigt, dass das bestehende System gerade einen funktionsfähigen Wettbewerb sichert. Die Apotheker sollten daher nicht gegen die Ökonomie argumentieren, sondern die ökonomische Leistungsfähigkeit des bestehenden Systems herausstellen.

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