Feuilleton

Stuttgarter Wilhelma: Neues Insektarium und Schmetterlingshalle

Ein neues Insektarium ist im Stuttgarter botanisch-zoologischen Garten Wilhelma eröffnet worden. Es bietet Einblicke in Leben und Ökologie von Gliederfüßern und diskutiert das manchmal problematische Verhältnis zwischen Insekt und Mensch. Eine Freiflughalle für tropische Schmetterlinge erlaubt das Beobachten ungewöhnlicher Schönheiten der Natur.

Der zoologisch-botanische Garten der Wilhelma in Stuttgart-Bad Cannstatt entstand nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer Gartenanlage, die der Architekt Karl-Ludwig von Zanth (1796 – 1857) im Auftrag des württembergischen Königs Wilhelm I. ab 1840 konzipiert und erbaut hatte. Wiederholt wurde die Anlage erweitert. Heute ist die Wilhelma mit 1000 Tier- und 5000 Pflanzenarten eine der artenreichsten naturkundlichen Anlagen Deutschlands.

Eine 1989 erstellte Studie über die Randbebauung des östlichen Teils der Wilhelma sah ein Tropenhaus, ein Nachttierhaus und ein Insektarium mit Schmetterlingshalle vor. Im Jahr 2000 wurde das Amazonienhaus mit südamerikanischer Tropenlandschaft eröffnet, seit dem 28. März ist nun auch ein Insektarium der Öffentlichkeit zugänglich. Unter Einbeziehung historischer Sandsteingebäude aus dem Jahr 1864 (ehemalige Remisen) entstand es innerhalb von 16 Monaten. Das Gebäudeensemble verbindet Alt und Neu.

Tropische Schmetterlinge unter Glas

Das Zentrum bildet die Schmetterlingshalle oder Freiflughalle – 22 Meter lang, 12 Meter breit und 6,5 Meter hoch, ein Gewächshaus mit filigraner Stahlkonstruktion und besonders lichtdurchlässigem Glas. Das Klima der Halle ist schwül-heiß mit Temperaturen zwischen 22 und 28 °C und 60 bis 90% Luftfeuchtigkeit.

Etwa 50 Pflanzenarten finden sich hier, u. a. Schönmalve (Abutilon), Palmen (Chamaedorea catacatatum, Chrysalidocarpus lutescens, Cyrtostachys renda, Licuala grandis), Orchideen (Epidendrum), Hibiscus, Passionsblume (Passiflora sp.), Baumfarn (Dicksonia antarctica), Papyrusstaude (Cyperus papyrus) und einige Ficus-Arten. Zwischen den Pflanzen flattern etwa 300 tropische Schmetterlinge, die etwa ein Dutzend Arten angehören: Monarchfalter (Danaus plexippus), Blauer Morpho (Morpho peleides), Afrikanischer Schwalbenschwanz (Papilio dardanus), Mormonen-Schwalbenschwanz (Papilio memnon), Baumnymphen (Idea leuconoe), Bananenfalter (Calligo eurilochus) und einige Passionsblumenfalter (Helioconius).

Tropische Schmetterlinge sind recht einfach zu halten, da sie das gesamte Jahr über ein gleichmäßiges Klima bevorzugen. Einheimische Arten benötigen dagegen wechselnde Temperaturen und Luftfeuchtigkeit für ihre Entwicklung, was Zucht und Haltung schwierig macht.

Import aus Übersee

Alle Falter stammen aus kommerziellen Schmetterlingsfarmen in Südamerika, Afrika und Südostasien, wo sie sich auch verpuppten. Da die Lebenszeit der erwachsenen Schmetterlinge (Imagines) zwischen einem halben Jahr und wenigen Tagen variiert, importiert das Insektarium pro Woche etwa 100 Puppen: Nur in dieser schützenden Gespinsthülle lassen sich die Tiere schadlos transportieren.

Langfristig soll dieser Import reduziert und die Eigenzucht forciert werden. Allerdings muss die Fortpflanzung der Schmetterlinge sorgfältig kontrolliert werden, um einen Kahlfraß durch Raupen zu vermeiden. Die Eiablage der Schmetterlinge erfolgt immer an der arttypischen Futterpflanze, denn die Raupen sind meist auf wenige Pflanzenarten oder -familien spezialisiert. Deshalb werden in der Flughalle keine der bevorzugten Futterpflanzen kultiviert (wie z. B. Pfeifenblume Aristolochia ringens und Zitronenbaum Citrus lemon) – lediglich einzelne Zweige werden davon ausgelegt. Sobald Schmetterlinge Eier darauf ablegen, bringt man sie in Schauterrarien, wo die Entwicklung zu Raupen und Puppen aus nächster Nähe beobachtet werden kann.

Wachstum und Metamorphose

Das Wachstum der Raupen ist gewöhnlich mit vier bis sechs Häutungen (bei manchen Arten bis zu neun) verbunden, die unter dem Einfluss der Hormone Neotenin (dem "Juvenilhormon") und Ecdyson (löst die Verpuppung aus) erfolgt. Die Raupenzeit bei tropischen Faltern ist kurz, etwa drei Wochen (bei überwinternden Raupen unserer Breiten kann sie neun Monate, unter Umständen sogar mehrere Jahre dauern).

Die ausgewachsene Raupe sucht zur Verpuppung, der vorletzten Häutung, einen geschützten Ort auf. Mithilfe eines von Spinndrüsen abgegebenen Sekrets, das an der Luft zu einem Seidenfaden erstarrt, fertigen die Raupen oft kunstvolle Gespinste an, die ebenfalls mit einem Spinnfaden an Ästen und Zweigen befestigt werden. Während der anschließenden Verpuppung wird die Raupenhaut abgestoßen.

Die Puppe ist ein Übergangsstadium zwischen Raupe und Falter, die Nahrungsaufnahme wird völlig eingestellt. Im Innern setzt aber eine fundamentale Metamorphose ein. Die Raupenorgane werden histolytisch ab- und die künftigen Organe aufgebaut Die kräftigen Mandibeln der beißenden Mundwerkzeuge bilden sich zu einem spiralig aufgerollten Saugrüssel um, einem idealen "Werkzeug" für das Nektarsaugen der Imagines. Die sechs lichtschwachen Punktaugen werden zu höchst leistungsfähigen Facettenaugen, aus Imaginalzellen entwickeln sich Flügel.

Die Puppenruhe dauert bei tropischen Arten einige Tage, bei Arten gemäßigter Klimazonen Monate, selten sogar Jahre. Der Falter schlüpft, indem die Puppenhülle an Kopf und Brust an einer vorgesehenen Naht gesprengt wird. Die Flügel werden anschließend durch Hämolymphdruck und Luftaufnahme ausgebreitet, binnen weniger Stunden härten sie an der Luft aus.

Wenn's nur bunt und süß ist

Das Geruchsvermögen der Tagschmetterlinge ist nur schwach entwickelt (im Gegensatz zu den olfaktorisch sehr empfindlichen Nachtfaltern), sie "schmecken" mithilfe von Tasthaaren an den Tarsen ihrer Beine, wenn sie sich auf Blüten niederlassen. Zur Partner- wie zur Nahrungssuche orientieren sie sich vorwiegend optisch.

Das Farbensehen der Schmetterlinge ist ausgezeichnet, sie sehen auch im UV-, Tagschmetterlinge sogar im Rotlicht-Bereich. Deshalb suchen sie als Nahrungsquelle nicht spezifische Blüten auf, sondern fliegen auf alles, was kräftig gefärbt ist und süß schmeckt (verdünntes Honigwasser nehmen sie ebenso an wie überreifes Obst). Überall in der Halle sind deshalb künstliche Futterquellen aufgestellt – grell-bunte Plastikblüten mit kleinen, Zuckerwasser-gefüllten Plastikröhrchen.

Beobachten und informieren

Die Schmetterlingshalle ist offen gestaltet, zwischen Mensch, Tier und Pflanzen gibt es keine Barrieren. Bänke laden zu ausgiebigem Beobachten ein. Entlang einer Pergola – gegenüber dem Gewächshausteil – informieren Wandtafeln über Schmetterlinge im Allgemeinen und Besonderen (u. a. zur Wanderung des Monarchfalters Danaus plexippus zwischen Mexiko und dem Norden der USA).

Integriert sind mehrere Terrarien, in denen sich die beiden prinzipiellen Entwicklungsformen der Insekten verfolgen lassen. Schmetterlinge vollziehen eine "vollständige" (holometabole) Entwicklung, bei der zwischen Raupe und Imago das Puppenstadium zwischengeschaltet ist. Als Beispiel für die "unvollständige" (hemimetabole) Entwicklung von Insekten dient die Wanderheuschrecke (Locusta migratoria). Ihre Larven entwickeln allmählich imaginale Merkmale aus: Jedes Häutungsstadium wird dem adulten Insekt etwas ähnlicher, ein Puppenstadium fehlt.

Insekten bevölkern die gesamte Erde

Das Insektarium präsentiert nicht nur exotische Schönheiten, sondern vermittelt auch Wissen. Insekten, auch als "Kerbtiere" bezeichnet (lat. insectus = eingeschnitten, gegliedert), sind eine Klasse der Gliederfüßer (Arthropoda), die rund 80% aller bekannten Tierarten ausmachen und auch mengenmäßig dominieren. Schätzungsweise kommen auf jeden Menschen ungefähr 200 Mio. Gliederfüßer.

Etwa 1,2 Mio. Insektenarten sind beschrieben worden; Hochrechnungen gehen sogar von 10 bis 30 Mio. Arten aus. Sie stehen nur 4650 Säugetierarten gegenüber und besiedeln praktisch alle Lebensräume von der Meeresküste bis in den hochalpinen Bereich, vom Süßwasser bis zur Wüste. Allein das offene Meer haben sie sich nicht erobert, dort hat man bisher lediglich eine Wanzenart gefunden.

Evolution der Insekten

Insekten stellen stammesgeschichtlich eine sehr alte Tiergruppe dar. Das älteste Insektenfossil stammt aus dem oberen Devon (370 Mio. Jahre) in Schottland. Im Karbon und vor allem im Perm (250 Mio. Jahre) hatte sich bereits eine enorme Vielfalt entwickelt. Die Vorfahren der Insekten hatten einen mehr oder weniger gleichmäßig gegliederten Körper, wie er heute noch bei den Tausendfüßern (Myriapoda) und Hundertfüßern (Chilopoda) anzutreffen ist.

Kennzeichnend für die Evolution waren die funktionelle Verschmelzung einzelner Körperglieder zu Tagmata – Kopf, 3-teilige Brust (Thorax) und Hinterleib (Abdomen) – und die Entwicklung einer aus Chitin (Glucosamin-Polymer) und Proteinen bestehenden Cuticula, eines elastischen und zugleich widerstandsfähigen Außenskeletts. An vielen Stellen ist es mit der Hornsubstanz Sklerotonin verstärkt, das ähnlich hart wie unsere Finger- und Zehennägel ist. Ein wasserabweisender Wachsüberzug verbesserte den Verdunstungsschutz entscheidend.

Bei den Pterygota, der Masse der Insekten, kommt entscheidend die Entwicklung von Flügeln hinzu. Anders als der Vogelflügel, der eine umgebildete Vordergliedmaße darstellt, entwickelt sich der Insektenflügel als Ausstülpung der Rückenschild-Cuticula im Brustbereich. Die Flugfähigkeit ermöglichte den Insekten die Besiedelung vieler neuer ökologischer Zonen.

Die Evolution der Insekten hatte tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung der Blütenpflanzen. Vor mehr als 100 Mio. Jahren waren alle Pflanzen noch windblütig, d. h., ihre Pollen wurden durch den Wind übertragen. Ungeheure Mengen mussten davon erzeugt werden, denn mit diesem Mechanismus erfolgt die Bestäubung, die Übertragung des Pollens auf die Narbe einer artgleichen Blüte, rein zufällig. Dies änderte sich mit dem Entstehen der Insekten. Mithilfe farbiger Blüten machten sich Pflanzen Insekten als zuverlässige Pollenüberträger dienstbar.

Die Insektenbestäubung ist die stammesgeschichtlich älteste Form der Zoogamie. Mit Aufkommen der Zweiflügler, besonders der Bienen, und der Schmetterlinge in der Kreidezeit (100 Mio. Jahre) und im Tertiär entwickelte sich parallel eine in Form und Farbe ungeheuer mannigfaltige Blütenwelt (Co-Evolution).

Wie leben Insekten?

Das Insektarium will exemplarisch die Anatomie, Physiologie und Ökologie der Insekten erklären. Am Anfang steht die Frage "Was ist eigentlich ein Insekt?" Was unterscheidet sie von den verwandten Spinnenartigen (Chelicerata), Tausendfüßern (Myriapoda) und Krebstieren (Crustacea)? Modelle und große freistehende Vitrinen, u. a. mit einer Radnetzspinne (Nephila sp.) und der "Wandernden Geige" (Gongylus gongyloides), geben darauf Antwort.

Ein dunkles Seitenkabinett ist speziell nachtaktiven Geißelspinnen, Vogelspinnen und Skorpionen gewidmet. Auch findet sich hier ein Aquarium mit Pfeilschwanzkrebsen (Limulus polyphemus), die – anders als ihr Name vermuten lässt – zu den Spinnenartigen gehören. Kennzeichnend für Insekten sind zwei multifunktionale Antennen am Kopf. Sie dienen nicht nur zum Abtasten, mit ihnen nehmen sie unterschiedlichste Ferninformationen aus der Umgebung auf. Mit den Antennen hören, riechen, fühlen, schmecken sie, orientieren sich im Raum, finden Geschlechtspartner und nehmen Temperaturunterschiede wahr.

Insekten besitzen sehr verschiedene Typen von Mundwerkzeugen, wie übergroße Modelle zeigen. Damit sind sie an spezifische Nahrungsquellen angepasst. Lebende Anschauungsobjekte sind beispielsweise Riesenstabschrecke (Eurycnema goliath), Gottesanbeterin (Heterochaeta strachanae), Rosenkäfer (Pachnoda ephippiata) und ein "Wandelndes Blatt" (Phyllium celebicum). Die tropischen Blattschneiderameisen (Acromyrmex sp.) sind Beispiele für staatenbildende Insekten mit starker Differenzierung in einzelne Kasten.

Die Königinnen legen nach der Befruchtung lebenslang Eier, die Arbeiterinnen mit Nahrung versorgen. Andere legen als Nahrungsquelle unterirdische Pilzgärten an, Blattschneider versorgen die Pilzgärten selbst mit lebensnotwendigem Pflanzenmaterial. Soldaten schließlich wehren Eindringlinge ab.

Nützlich, lästig, schädlich

Auch die ambivalente Beziehung zwischen Insekt und Mensch wird näher beleuchtet. Honigbienen (Apis mellifera) liefern nicht nur Honig, sondern sind auch für die Bestäubung unserer Obstbäume unerlässlich. Ägyptische Grabmalereien beweisen, dass am Nil bereits vor 2500 Jahren Imkerei betrieben wurde.

Auf der anderen Seite gibt es auch Fichtenborkenkäfer (Ips typographus) und Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata), die enorme wirtschaftliche Schäden anrichten, Vorratsschädlinge wie Mehlkäfer (Tenebrio molitor) und Schinkenkäfer (Necrobia rufipes), die Lebensmittel vernichten. Schaben (Periplaneta americana), höchst anpassungsfähig und resistent gegen- über vielen Insektiziden, verschleppen Krankheitserreger.

Kopfläuse nisten mit Vorliebe in ungepflegten Haaren, an die sie täglich bis zu 300 Eier ("Nissen") ankleben. Die Kleiderlaus deponiert ihre Eier an Kleidungsstücken. Auf der Kopfhaut saugen die Mitesser mehrmals täglich Blut. Tödliche Parasiten werden von tropischen Insekten übertragen, Plasmodien durch Anopheles-Mücken (Malaria), Trypanosomen durch Tsetsefliegen (Schlafkrankheit) und Raubwanzen (Chagas-Krankheit).

Ausführlich werden einige der giftigen Arthropoden vorgestellt, etwa afrikanische Killerwespen, der Skolopender (ein Hundertfüßer), der Dickschwanzskorpion (Androctonus australis) und die Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus). Auch Schmetterlingsraupen können giftig sein, Raupen von Fichtenspinner und Eichenprozessionsspinner besitzen giftgefüllte Brennhaare.

Kaum eine Tierklasse ruft so gegensätzliche Empfindungen hervor wie die Insekten. Das neue Insektarium in der Stuttgarter Wilhelma führt die faszinierende Vielfalt und die außergewöhnlichen Lebensweisen dieser (un-)heimlichen Herrscher unserer Erde vor Augen und könnte dazu beitragen, die tiefsitzende Insekten-Phobie vieler Menschen zu überwinden.

Kastentext: Etymologisches

Der deutsche Name Schmetterling leitet sich wahrscheinlich vom österreichischen "Schmetten" ab, was hier Rahm bedeutet. Der "Rahmlecker" geht auf den Aberglauben zurück, nach dem Hexen – in Schmetterlinge verwandelt – Sahne, Milch und Butter stehlen; auch die englische Bezeichnung "butterfly" weist auf diesen Zusammenhang hin.

Die Flügel der Schmetterlinge sind – wie auch der Körper und die Beine – mit abgeplatteten, luftgefüllten echten Haaren, den Schuppen, bedeckt. Daraus leitet sich der zoologische Ordnungsbegriff "Lepidoptera", Schuppenflügler ab.

Die außergewöhnlichen Flügelfarben beruhen in erster Linie auf Interferenzen der Lichtwellen: Im Inneren der Schuppen befinden sich parallel angeordnete Chitinrippen, an denen Lichtstrahlen reflektiert werden und sich überlagern; je nach Abstand dieser Rippen entstehen unterschiedliche Farberscheinungen. Die Farbe reicht von Blau bis Metallisch- Grün. Zusätzlich kann das Pigment Melanin eingelagert sein, dadurch entstehen Braun- und Schwarztöne.

Daten zur Wilhelma

Die Wilhelma in Stuttgart-Bad Canstatt, Neckartalstraße, ist ganzjährig ab 8.15 Uhr geöffnet, das Insektarium ab 9 Uhr. Informationen rund um die Wilhelma und eine detaillierte Anfahrtsbeschreibung im Internet: www.wilhelma.de

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