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Berichte
Raucherentwöhnung in Europas Apotheken
Die Ergebnisse dieser von der Europäischen Kommission unterstützten Untersuchung wurden nun publiziert [1]. Dabei wurde nicht nur festgestellt, dass Apothekenmitarbeiter seltener rauchen als vergleichbare Populationen der Gesamtbevölkerung, sondern dass Europas Offizinapotheker auch durchweg aufgeschlossen gegenüber Raucherentwöhnung als Serviceleistung in der Apotheke sind. In der Beratungsintensität zeigen sich jedoch noch länderspezifische Unterschiede, zum Beispiel in der regelmäßigen und proaktiven Ansprache von potenziellen Kunden. Hier liegen für die Offizinapotheken in Deutschland noch große Chancen zur weiteren Profilierung in der patientenorientierten Pharmazie.
Der Patient im Mittelpunkt der Beratung
In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Aufgaben der Apotheker in vielen Ländern stark gewandelt – weg von der reinen Arzneimitteldistribution hin zu Dienstleistungen, bei denen der Patient im Mittelpunkt der Beratung steht. Die Begriffe Klinische Pharmazie und Pharmaceutical Care umfassen nicht nur die bereits weit entwickelten Projekte der pharmazeutischen Betreuung von Diabetikern und Asthmapatienten, sondern auch Konzepte zur Gesundheitsförderung und Vorbeugung in Therapiegebieten wie der Raucherentwöhnung, bei der die Apotheker als kompetente Arzneimittelfachleute eine zunehmend wichtigere Rolle einnehmen.
Nikotinersatz ist "First Line" Therapie
Viel zu oft glauben entwöhnungsbereite Raucher, es käme nur auf ihren "festen Willen" beim Rauchstopp an. Die klinische Datenlage spiegelt jedoch andere Zahlen wieder: langfristig liegt die Abstinenzwahrscheinlichkeit für solche Entwöhnungsversuche ohne Inanspruchnahme einer Therapie ("Cold Turkey") nach einer Metaanalyse bei nur 6,4 % [2].
Apotheker wissen aufgrund ihrer pharmakologischen Ausbildung, dass der Tabakinhaltsstoff Nikotin maßgeblich für die Entwicklung einer körperlichen Abhängigkeit ist. Durch das schnelle Anfluten von Nikotin binnen weniger Sekunden bei Inhalation ist der Tabakrauch die wirksamste "Darreichungsform" der Nikotinzufuhr überhaupt [3]. Gerade diese schnelle Kinetik sorgt beim Raucher für den besonderen "Kick", auf den viele dann nicht mehr verzichten können.
Pharmazeutische Zubereitungen mit dem Wirkstoff Nikotin, wie transdermale Pflaster, Kaugummis, Lutschtabletten, Nasensprays und Inhalatoren sind bewährte und sichere Arzneimittel zur stufenweisen Entwöhnung des Rauchers vom Nikotin. Die Wirksamkeit der Nikotinersatztherapie (Nicotine replacement therapy, NRT) wurde in zahlreichen klinischen Studien belegt.
Eine umfangreiche Metaanalyse der Cochrane Library, in der über 90 klinische Studien zur Nikotinersatztherapie eingeschlossen wurde, kam zu dem Schluss, dass NRT – über alle Darreichungsformen gewertet – die Chancen der erfolgreichen Entwöhnung nahezu verdoppelt [Odds ratio = 1,71 (95% Konfidenzintervall 1,60 – 1,83)] [4]. Die Kombination der NRT mit einem maßgeschneiderten Entwöhnungsprogramm (NiQuitin-Quit System), das den Abschied von mit dem Rauchen assoziierten Gewohnheiten erleichtert, kann die Entwöhnungschancen nochmals um 26% gegenüber der alleinigen Anwendung des 24-Stunden Nikotinmembranpflasters steigern [5].
Ergebnisse der Europäischen Untersuchung
Die Möglichkeit der Profilierung in der Entwöhnungsberatung verlangt vom Apothekenpersonal jedoch auch ein gewisses Engagement. Die Mitarbeiter sollten idealerweise ihre Kunden nicht nur umfassend über die Gefahren des Tabakrauchens und die Möglichkeiten des Rauchstopps informieren sowie verhaltensorientierte Tipps geben, sondern möglichst auch mit gutem Beispiel voran gehen und selbst nicht rauchen.
Da bis zum Erhebungszeitpunkt im Jahr 2000 keine verlässlichen Daten zur Praxis der Raucherentwöhnung in Apotheken vorlagen, wurde ein Forschungsprojekt zur Datenerhebung in europäischen Offizinapotheken gestartet. Ziel der Erhebung war die Generierung von Daten zur Einstellung der Apotheker zur Raucherentwöhnung, sowie den derzeitig angebotenen Beratungsleistungen und Services zu diesem Beratungsthema in der Apotheke.
Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit den nationalen Apothekerverbänden in den europäischen Staaten durchgeführt, in Deutschland wurde die Erhebung von der ABDA begleitet. In den jeweiligen Staaten wurden Fragebögen an eine repräsentative Stichprobe von Offizinapotheken gesandt. Der Rücklauf der ausgesandten Fragebögen lag europaweit bei durchschnittlich 35,5% wobei Finnland eine hervorragende Quote von 75,3% erzielte und Deutschland mit 22,8% Rücklauf bedauerlicherweise die schlechteste Antwortquote aufwies.
Aktivitäten zur Raucherentwöhnung in Apotheken
In der überwiegenden Mehrheit der europäischen Apotheken (73%) gehört die Beratung zur Raucherentwöhnung zur täglichen Beratungstätigkeit im Handverkauf. Es zeigten sich jedoch deutliche nationale Unterschiede: in Großbritannien und Belgien gehört diese Beratungsleistung für über 80% der Apotheken zum Alltag, wohingegen in Deutschland, Dänemark, Luxemburg, in den Niederlanden und Portugal fast 40% der Apotheken die Raucherentwöhnung nicht als Bestandteil ihrer täglichen Aufgaben sehen oder diese Frage nicht beantworteten.
Diese Zahlen sollten zunächst ohne Wertung gesehen werden, da es innerhalb Europas deutliche kulturelle Unterschiede gibt. Auch die Entwicklung der Offizinpharmazie hin zur patientenorientierten Pharmazie ist in den Ländern der Europäischen Union unterschiedlich weit fortgeschritten. In Großbritannien haben die Apotheken im Gesundheitssystem eine herausragende Bedeutung in der Betreuung der Patienten, zudem werden dort Nikotinersatzpräparate vom Sozialversicherungsträger erstattet. Die Apotheken in Deutschland sehen sich hingegen mit einer unterentwickelten Nichtraucherschutz-Gesetzgebung konfrontiert. Die Frage, ob in ihrem Land die Gesetzgebung gegen das Rauchen ausreichend sei, beantworteten konsequenterweise nur 18% der befragten Apotheker in Deutschland zustimmend.
Auch das proaktive Beraten der Kunden und die Motivation zu einem Rauchstopp ist in den europäischen Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt. In Finnland wird das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung als Privatsache angesehen, finnische Apotheker fragen ihre Kunden daher nicht routinemäßig nach ihrem Rauchverhalten. In Belgien, Frankreich und Portugal geben hingegen 60% der Apotheken ihren Kunden häufig den expliziten Rat mit dem Rauchen aufzuhören, in Deutschland gaben 30% der Apotheken an, ihre Kunden häufig zum Rauchstopp zu motivieren.
Nikotinersatz zur Raucherentwöhnung wird in den europäischen Apotheken in allen Staaten mit Ausnahme der Niederlande zu mehr als 80% "häufig" oder "manchmal" empfohlen. (In den Niederlanden wird NRT auch von Drogisten abgegeben, was möglicherweise einen Einfluss auf das Ergebnis der Umfrage hatte.)
OTC-Status: Chance für die Apotheke
Nikotinersatzprodukte sind seit Mitte der 80er Jahre im Handel und wegen ihrer guten Verträglichkeit und günstigen Nutzen-Risiko-Relation in vielen Ländern auch ohne ärztliche Verordnung ("Over-the-counter" = OTC) in Apotheken verfügbar. In Deutschland sind zur Zeit transdermale Pflaster und Nikotinkaugummis rezeptfrei in den Apotheken verfügbar. Der OTC-Status der Nikotinersatzprodukte rückt den Apotheker in das Zentrum der Beratungstätigkeit, da die Hausärzte häufig nicht die Zeit finden, ihre Patienten umfassend über die Raucherentwöhnung zu beraten. Darüber hinaus wird die pharmakologische Therapie zur Raucherentwöhnung derzeit in Deutschland (noch?) nicht von der gesetzlichen Krankenkasse getragen, sodass die Patienten häufig ohne weitere Beratung oder Verordnung vom Arzt direkt in die Apotheke geschickt werden.
Viele Kunden suchen die Information zum Rauchstopp daher gezielt in ihrer Apotheke. In den USA stieg die Zahl der Aufhörversuche mit NRT nach der Freistellung der betreffenden Arzneimittel von der Verschreibungspflicht um 152% im Vergleich zum vorherigen Zeitraum unter Rezeptpflicht an [6]. Eine jüngst abgeschlossene Studie konnte nun auch zeigen, dass die Erfolgsrate der Entwöhnung im OTC-Umfeld sogar noch effektiver ist als in der ärztlichen Verordnung [7]. Dies eröffnet den Apothekern hervorragende Möglichkeiten, sich als kompetente Heilberufler zu profilieren. Hierzu muss die universitäre Ausbildung, beispielsweise im neuen Fach Klinische Pharmazie der Approbationsordnung, die nötigen wissenschaftlichen Grundlagen vermitteln.
Zusätzlich sollten sich aber auch alle in der Beratung tätigen pharmazeutischen Berufe in Fortbildungsveranstaltungen mit dem nötigen Know-how zur Betreuung von entwöhnungswilligen Rauchern vertraut machen. Solche Fortbildungsveranstaltungen werden beispielweise von Apothekerverbänden und Pharmazeutischen Großhändlern angeboten. Darüber hinaus bietet die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg ein Zertifkatsseminar "Suchtpharmazie" an, das neben anderen Suchterkrankungen auch auf die Behandlung der Tabakabhängigkeit eingeht. Als Apotheker sollten wir die Gunst der Stunde nutzen und unseren Kunden eine umfassende, medizinisch-wissenschaftlich fundierte Beratung zum Ausstieg aus der Tabakabhängigkeit anbieten – bevor andere Berufsgruppen diese Chance für sich nutzen.
Literatur
[1] Teräsalmi, E.; Gustafsen, I.; Juncher, V.; Djerf, K.: "Smoking habits of community pharmacists in 12 European countries and their attitudes towards non-smoking work." Research report, Pharmacists against Smoking. EuroPharm Forum 2001. [2] Baillie A.J., Mattick R.P., Hall, W.: "Quitting smoking: Estimation by meta-analysis of the rate of unaided smoking cessation." Aust. J. Public Health, 1995, (19), 129 – 131. [3] Batra, A., "Tabakabhängigkeit: biologische und psychosoziale Entstehungsbedingungen und Therapiemöglichkeiten." Steinkopff Verlag, Darmstadt, 2000. [4] Lancaster, T.; Stead, L.; Silagy, C.; Sowden, A.: "Effectiveness of intervention to help people to stop smoking: findings from the Cochrane Library." BMJ, 2000, (321), 355 – 358. [5] Shiffman, S.; Paty, J.A.; Rohay, J.M.; di Marino, M.E.; Gitchell, J.G.: "The efficacy of computer-tailored smoking cessation material as a supplement to nicotine patch therapy". Drug Alc. Depend. 2001, (64), 35 – 46. [6] Shiffman, S.; Gitchell, J.; Pinney, J.M.; Burton, S.L.; Kemper, K.; a Lara, E.: "Public health benefit of over-the-counter nicotine medications." Tobacco Control, 1997, (6), 306 – 310. [7] Shiffman, S.; Rolf, N.C.; Hellebusch, S.J.; Gorsline, J.; Gorodetzky, C.W.; Chiang, Y.-K. Schleusener D.S.; di Marino, M.E.: "Real-world efficacy of prescription and over-the-counter nicotine replacement therapy" Addiction, 2002, (97) in press.
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