Schmerztherapie

C. BruhnDronabinol – der Wirkstoff im Hanf

Dronabinol ist die INN-Bezeichnung für ein bestimmtes Stereoisomer des Δ9-Tetrahydrocannabinols. Neueste Forschungsergebnisse wecken Hoffnungen auf eine Vielzahl von Therapieoptionen. Seit vier Jahren können Arzneimittel mit dem Inhaltsstoff von Cannabis sativa in Deutschland auf Betäubungsmittelrezept verordnet werden. Da Dronabinol inzwischen als Rezeptursubstanz zur Verfügung steht, kann die Eigenherstellung von Zubereitungen in der Apotheke im Vergleich zum Import ausländischer Fertigarzneimittel Kosten sparen.

Hanf als Faserpflanze und Nahrungsmittel

Hanf (Cannabis sativa L.) zählt zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Seine Nutzung begann wahrscheinlich in China; dort fand man Spuren von Geweben und Schnüren aus Hanf, die auf das 4. Jahrtausend v. Chr. datiert werden. Die ältesten aus Hanfbast gewebten Stoffe Europas sollen aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. stammen, Stoffe aus der voll aufbereiteten Hanffaser sind hier aber erst seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. bekannt.

Im Jahre 120 v. Chr. beschrieb der römische Schriftsteller Lucilius als Erster in der römischen Geschichte die Bedeutung der Faserpflanze Hanf. Um 800 n. Chr. verzeichnete Karl der Große in seiner Landgüterverordnung den Hanf als wichtige Nutzpflanze. In England wurde der Hanfanbau maßgeblich durch Heinrich VIII. gefördert. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde er auch in Nord- und Südamerika eingeführt.

Man ist sich nicht sicher, ob Hanf zuerst als Faserlieferant oder als Nahrungsmittel genutzt wurde. Auf das 5. Jahrhundert v. Chr., also die frühe germanische Zeit, werden Samen von Cannabis sativa in der Asche einer Graburne aus Wilmersdorf in Brandenburg datiert. In skythischen Gräbern in Zentralasien, die zwischen 500 und 300 v. Chr. angelegt worden sind, fand man Metallpfannen und Holzkohle mit Resten von Hanfblättern und -früchten [1, 2].

Hanf als Rauschmittel und Aphrodisiakum

Alle Völker, die Hanf als Faser- und Öllieferant, Nahrungs- oder Heilmittel verwendeten, kannten mit großer Wahrscheinlichkeit auch die euphorisierende Wirkung der Pflanze. Der antike Arzt Galen berichtete beispielsweise, dass hanfhaltiger Kuchen diejenigen berauschte, die zuviel davon aßen. Bei den Indern und Tibetern spielte Hanf in der Religion eine besonders wichtige Rolle. Die Pflanze und bestimmte Zubereitungen aus ihr waren heilig, sie wurden als "Gabe der Götter" verehrt.

Nicht unerwähnt bleiben soll die Verwendung von Hanf als Aphrodisiakum. Ein Mythos berichtet, dass Parvati, die Frau des indischen Gottes Shiva, ihrem Gatten Hanf zu rauchen gab, um ihn stärker an sich zu binden. Es soll ihr gelungen sein, ihn in eine derartige Ekstase zu versetzen, dass er fortan keine Lust mehr verspürte, sich mit anderen Göttinnen zu vergnügen [2].

Hanf als Heilpflanze

Bereits früh diente Hanf in China zur Heilung der verschiedensten Krankheiten und Beschwerden wie Malaria, Verstopfung, rheumatische Schmerzen, Gicht, Ohrenschmerzen und Frauenleiden. Die indische Volksmedizin schrieb ihm unter anderem fiebersenkende, schlaffördernde, antiphlegmatische, verdauungsfördernde und gefäßverengende Eigenschaften zu. In Afrika wurde Hanf (und wird zum Teil noch heute) zur Heilung von Ruhr, Malaria, Milzbrand, Fieber und gegen Schlangenbisse angewendet.

In Europa wurde Hanf früher ebenfalls zur Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten und Symptomen eingesetzt, beispielsweise Epilepsie, rheumatoide Arthritis, Dysmenorrhö, Cholera, Hysterie, Depression, Geisteskrankheiten, Tetanus, Gicht, Neuralgie, uterine Blutungen [3]. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden Zubereitungen aus Hanf Eingang in die Arzneibücher sowohl Europas als auch Amerikas.

Das Ergänzungsbuch zum 6. Deutschen Arzneibuch aus dem Jahre 1941 enthielt Tinctura Cannabis indicae – Indischhanftinktur [4]. Mehrere pharmazeutische Firmen brachten Fertigarzneimittel auf den Markt, die jedoch in ihrem Wirkstoffgehalt stark schwankten. Bald drängte jedoch eine Vielzahl synthetischer Medikamente wie Acetylsalicylsäure die medizinische Bedeutung von Hanf zurück. Da der Gebrauch als Rauschdroge stark zunahm, wurde die Pflanze in vielen Ländern den Betäubungsmittelgesetzen unterstellt, so in Deutschland 1951 (von 1982 bis 1996 herrschte hier sogar ein Anbauverbot). Als 1964 die Aufklärung der chemischen Struktur von delta9-Tetrahydrocannabinol gelang, waren Hanfzubereitungen aus den Arzneibüchern der westlichen Industrieländer weitgehend wieder verschwunden.

Auch der Faserhanf wurde zurückgedrängt von billigeren Fasern wie Sisal, Baumwolle oder Jute. In den letzten 50 Jahren bewahrte die Wissenschaft zwar ihr Interesse an Cannabis, therapeutische Erfahrungen aus dieser Zeit wurden jedoch überwiegend außerhalb der medizinischen Fachliteratur kommuniziert [3].

Cannabinoide – Inhaltsstoffe mit breitem Wirkungsspektrum

Für die verschiedenen, vor allem jedoch die psychotropen Wirkungen von Hanf und seinen Zubereitungen sind die Cannabinoide verantwortlich. Diese zu den Terpenen gehörenden Substanzen kommen in den harzigen Exkreten der Drüsenschuppen vor, die hauptsächlich im Bereich der weiblichen Blüten zu finden sind.

Zurzeit sind etwa 65 Cannabinoide bekannt. Sie liegen in der Pflanze überwiegend als pharmakologisch inaktive Carbonsäuren vor. Beim Erhitzen findet eine Decarboxylierung zu den aktiven Cannabinoiden statt. In der Zusammensetzung der Cannabinoide können von Pflanze zu Pflanze große Unterschiede auftreten, dies hängt unter anderem von der Sorte und dem Standort ab.

Die am stärksten psychoaktive Substanz ist Δ9-Tetrahydrocannabinol (Δ9-THC). In manchen Literaturquellen findet sich anstelle Δ9-THC die Bezeichnung Δ1-THC; die Hochzahl ist abhängig davon, ob die Nummerierung der Kohlenstoffatome nach dem ursprünglich in Europa angewendeten Monoterpen-Nomenklatursystem (Δ1) oder dem heute häufiger verwendeten Dibenzopyran-Nomenklatursystem (Δ9) erfolgt (Abb. 2).

Δ9-THC stellt ein Gemisch verschiedener Stereoisomere dar. Das (–)-trans-Stereoisomer ist unter der Bezeichnung Dronabinol seit 1998 nach dem Betäubungsmittelgesetz in Deutschland verkehrs- und verschreibungsfähig. Weitere Cannabinoide, wie beispielsweise Δ8-THC, Cannabidiol, Cannabinol und Cannabichromen (Abb. 3), sind nur in geringem Maße psychoaktiv, besitzen aber beispielsweise analgetische, antiepileptische und muskelrelaxierende Eigenschaften [5].

Cannabinoid-Rezeptoren und Endocannabinoide

In den Neunzigerjahren wurden beim Menschen zwei Cannabinoid-Rezeptoren (CB1, CB2) identifiziert und kloniert. Man vermutet, dass weitere Subtypen existieren. CB1-Rezeptoren finden sich vor allem in den Basalganglien, im Kleinhirn, im Hippocampus, im limbischen System, im Hypothalamus und im Cortex. Im Hirnstamm sind CB1-Rezeptoren seltener vertreten, sie fehlen vor allem in den vegetativen Kernen. Insofern erscheint plausibel, dass eine tödliche Cannabis-Überdosierung bisher nicht bekannt geworden ist. Weiterhin sind CB1-Rezeptoren in einigen peripheren Organen und Geweben wie endokrinen Drüsen, Leukozyten, Milz, Herz, ableitenden Harnwegen und Gastrointestinaltrakt gefunden worden. CB2-Rezeptoren fand man bisher überwiegend an Zellen des immunologischen Systems.

Die endogenen Liganden der Cannabinoid-Rezeptoren (Endocannabinoide) sind strukturell mit Prostaglandinen und Leukotrienen verwandt. Bisher sind Arachidonethanolamid (Anandamid), 2-Arachidinylglycerol und 2-Arachidinylglycerolether bekannt. Nach den heutigen Erkenntnissen spielt das endogene Cannabinoidsystem eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung, der Schmerzleitung und -hemmung, der Kontrolle des Appetits, bei der Laktation, in emetischen Regelkreisen des Gehirns und als Immunmodulator [3].

Verkehrsfähigkeit von Cannabis in Deutschland

Haschisch, Marihuana sowie Cannabis-Extrakt stehen in Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und sind daher in Deutschland nicht verkehrs- und verschreibungsfähig. Seit 1. Februar 1998 findet sich Dronabinol in Anlage III und ist damit verkehrs- und verschreibungsfähig. Hierbei hat der Gesetzgeber keine Indikationsgebiete vorgesehen, was den therapeutischen Einsatz der Substanz erleichtert. Der Arzt kann im Rahmen seiner Therapiefreiheit mit Dronabinol einen Heilversuch unternehmen.

In § 2 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) ist die Verordnungshöchstmenge für Dronabinol als Zubereitung auf 500 mg Dronabinol pro Patient in 30 Tagen festgesetzt. In Deutschland steht Dronabinol zwar als Reinsubstanz, aber noch nicht in Form von Fertigarzneimitteln zur Verfügung.

Es besteht die Möglichkeit, entsprechend § 73 (3) des Arzneimittelgesetzes cannabinoidhaltige Arzneimittel auf Grundlage einer ärztlichen Verordnung zu importieren. Dies wird in geringem Umfang für Marinol®-Kapseln (synthetisch hergestelltes Dronabinol, Roxane Laboratories Inc., USA) und das z. B. in Großbritannien im Verkehr befindliche Cesamet® mit dem synthetischen Δ9-THC-Analogon Nabilon praktiziert. Nabilon findet sich ebenfalls in Anlage III BtMG.

Die Nachteile ausländischer Fertigarzneien liegen darin, dass sie zum einen sehr teuer und zum anderen nur für einen eingeschränkten Indikationsbereich zugelassen sind. Marinol® beispielsweise ist nur zur Behandlung von chemotherapiebedingter Übelkeit und Erbrechen bei Patienten, die auf eine antiemetische Standardtherapie nicht ansprechen, sowie bei Anorexie mit Gewichtsverlust bei AIDS-Patienten zugelassen.

Dronabinol ist seit Mitte 2000 auch direkt in Deutschland erhältlich ist. Es kann als Rezeptursubstanz von den Firmen THC-Pharm GmbH und Delta 9 Pharma GmbH bezogen werden (Abb. 4). In der Apotheke können Präparate nach den NRF-Rezepturen 22.7 (Dronabinol-Kapseln) und 22.8 (Ölige Dronabinol-Tropfen) hergestellt werden [9]. Soll Dronabinol inhaliert werden, was bei Patienten mit Schluckbeschwerden vorteilhafter sein kann, liefert die THC-Pharm GmbH auf Anfrage einen Herstellungsvorschlag für Dronabinol-Inhalationslösung (siehe Kasten). Von Apothekern, die sich schon seit längerem mit der rezepturmäßigen Herstellung dronabinolhaltiger Zubereitungen befassen, wurden zudem ausführliche Arbeitsanweisungen publiziert [10].

Es wird erwartet, dass auch Cannabis-Extrakt in naher Zukunft verkehrs- und verschreibungsfähig wird. Voraussetzung dafür ist der wissenschaftliche Nachweis von reproduzierbarer Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit [11].

Dronabinol – neue Hoffnung aus dem "Wirkstern"

Dronabinol besitzt eine Vielzahl von Wirkungen, deren Profil sich anschaulich in Form eines "Wirksterns" darstellen lässt (Abb. 5). Die Länge der Spitzen repräsentiert dabei die Stärke der einzelnen Wirkungen. Wegen seines breiten Wirkungsspektrums könnte Dronabinol bei einer Vielzahl von Erkrankungen und Symptomen eingesetzt werden (Tab. 1).

Für einige dieser Indikationen liegen inzwischen kontrollierte klinische Studien vor, sodass eine Beurteilung der Evidenz möglich ist. Man vermutet aber, dass das therapeutische Potenzial von Dronabinol noch viel größer ist, da viele historische und kasuistische Hinweise auf mögliche Indikationen noch nicht in klinischen Studien überprüft wurden.

In der Grundlagenforschung wird unter Verwendung von Tiermodellen nach weiteren zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten von Dronabinol gesucht. Dabei zeigten sich neuroprotektive, blutdruckregulierende, antidiarrhoische, bronchospasmolytische und antineoplastische Eigenschaften der Substanz. Neben Dronabinol testet die Forschung zahlreiche weitere natürliche und synthetische Cannabinoidrezeptor-Agonisten und -Antagonisten wie beispielsweise Dexanabinol und Levonantradol [5].

Dronabinol in der Schmerztherapie

Dronabinol besitzt ein großes Potenzial in der Schmerztherapie. Es stellt jedoch kein Akut-Analgetikum dar, sondern ist ein Wirkstoff, der durch eine Vielzahl von Wirkungen hilft, die Gesamtsituation schmerzkranker Patienten zu verbessern. Seit 1998 sammeln Schmerztherapeuten in Deutschland systematisch ihre Erfahrungen in der Anwendung von Dronabinol. Bisher hat sich gezeigt, dass vom adjuvanten Einsatz des Wirkstoffs vor allem solche Patienten profitieren können, die folgende Beschwerden haben:

  • spastikbedingte Schmerzen, z. B. nach Querschnittsläsionen, bei Multipler Sklerose, nach Schlaganfall;
  • neuropathische, sympathisch mit unterhaltene Schmerzen, z. B. nach Nervenverletzungen, Gürtelrose, Rückenmarkstraumen, bei sympathischer Reflexdystrophie, bei Polyneuropathie (neuropatische Schmerzen entstehen durch direkte oder indirekte Schädigungen von Nerven und sind oft schlecht durch übliche Schmerzmedikamente beeinflussbar);
  • amputationsbedingte Schmerzen, z. B. Phantomschmerzen, Stumpfschmerzen, schmerzhaftes Stumpfschlagen;
  • Arthrose- und Osteoporose-Schmerzen;
  • durch Ödeme verstärkte Schmerzen, z. B. nach Mamma-Amputation;
  • Schmerzen durch Fibrosen, z. B. nach Bestrahlung, bei Postnukleotomie-Syndrom.

Man beginnt mit der Therapie zunächst in niedrigen Dosierungen (ab 2,5 mg) in 12- bis 8-stündigem Intervall; eine Steigerung der Dosis sollte vorsichtig erfolgen. Die Wirkung wird anhand von Schmerztagebüchern erfasst, die neben der Schmerzintensität auch andere Bestandteile der Lebensqualität abfragen.

Eine Schweizer Studie zum Einsatz von Cannabis-Extrakt bei spastischen Schmerzzuständen hatte sich zum Ziel gesetzt, die Wirksamkeit von Cannabis in der Behandlung der MS-bedingten Spastik wissenschaftlich zu belegen. 57 Patienten mit medikamentös unbefriedigend therapierbaren Muskelspasmen (bisherige Behandlung mit herkömmlichen antispastischen und analgetischen Mitteln wie Baclofen, Tizanidin und Diazepam) wurden in zwei Gruppen eingeteilt.

Die eine Gruppe erhielt zuerst 10 Tage lang Plazebo, dann 17 Tage lang einen Δ9-THC-haltigen Cannabisextrakt, die andere Gruppe erhielt beides in umgekehrter Reihenfolge. Die individuelle Dosis wurde in einer Dosisfindungsphase ermittelt und lag zwischen 5 und 30 mg. Während der Therapie mit dem Verum spürten die Patienten weniger Spasmen und waren mobiler. Physische und psychische Nebenwirkungen waren gering und in keiner Weise lebensbedrohlich [6].

Allgemein zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass die interindividuelle Ansprechbarkeit auf Dronabinol sehr variabel ist. Es wird daher eine einschleichende Dosierung empfohlen. Einstiegsdosierungen bei oraler Anwendung sind beispielsweise 2 x 2,5 mg oder 2 x 5 mg pro Tag. Je nach Ansprechbarkeit ist eine Steigerung bis auf 5 x 10 mg pro Tag möglich [3].

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik von Dronabinol

Die Wirkung von Dronabinol erklärt sich unter anderem aus der Wechselwirkung mit zahlreichen Neurotransmittern und Neuromodulatoren. Seine antiemetische Wirkung beruht wahrscheinlich auf einer Wechselwirkung mit Serotonin. Die Interaktion mit GABA-ergen, glutamatergen und dopaminergen Transmittersystemen ist möglicherweise die Ursache für seine antispastische Wirkung. Tachykardie und Mundtrockenheit nach Einnahme von Dronabinol lassen sich durch seine Wirkung auf die Acetylcholin-Freisetzung und -verstoffwechslung erklären [3].

Nach oraler Gabe erfolgt eine nahezu vollständige Resorption. Aufgrund des starken First-pass-Metabolismus ist die Bioverfügbarkeit jedoch gering, sie liegt nur bei etwa 5 bis 10%. Der Wirkungseintritt erfolgt 30 bis 60 min nach Einnahme. Die psychischen Effekte erreichen nach zwei bis drei Stunden ihr Maximum und halten je nach Dosis vier bis acht Stunden an.

In klinischen pharmakokinetischen Studien wurden und werden neben der oralen Applikation weitere Applikationsformen untersucht, wie beispielsweise ein sublingual zu applizierendes Spray, Aerosole, Augentropfen sowie Zäpfchen mit dem Wirkstoff Δ9-THC-Hemisuccinat.

Dronabinol passiert die Blut-Hirn-Schranke und die Plazentaschranke. Es akkumuliert leicht in der Muttermilch und fettreichen Geweben. Von dort gelangt es nur langsam wieder in andere Gewebe und die Blutbahn. In der Leber wird Dronabinol nahezu vollständig (zu 95%) metabolisiert. Hauptmetabolit ist das ebenfalls pharmakologisch wirksame 11-Hydroxy-Δ9-THC. Dieses wird durch Oxidation weiter zum unwirksamen 11-Nor-9-Carboxy-Δ9-THC umgewandelt. Zahlreiche weitere Metaboliten (etwa 100) sind inzwischen bekannt geworden [5].

Die Elimination von Dronabinol erfolgt nach einem Mehrkompartimentmodell (2 bis 4 Kompartimente). Die terminale Plasmahalbwertszeit beträgt 20 bis 30 Stunden, das heißt, die vollständige Elimination einer einzigen Dosis Dronabinol kann mehrere Tage dauern. Bei regelmäßiger Einnahme können nach Absetzen die Metaboliten im Durchschnitt etwa einen Monat lang im Urin nachgewiesen werden. Die Ausscheidung erfolgt zu etwa einem Drittel renal, zu etwa zwei Dritteln über die Fäzes [3].

Kontraindikationen von Dronabinol

Bei einer Hypersensitivität gegen Dronabinol, die allerdings selten auftritt, ist die Substanz absolut kontraindiziert. Relative Kontraindikationen sind schwerwiegende psychische Erkrankungen wie schizophrene Psychosen, Manien und endogene Depressionen, da sie exazerbieren können.

Im üblichen oralen Dosierungsbereich von 5 bis 15 mg sind relevante kardiale Nebenwirkungen nicht zu erwarten, dennoch sollte bei bestimmten Vorerkrankungen (Koronarsklerose, Arrhythmien, Herzinsuffizienz) die Dosis nur sehr vorsichtig erhöht werden. Einige Autoren warnen vor der Anwendung von Cannabispräparaten bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung, da neuere Befunde auf eine erhöhte Rate ischämischer Ereignisse bei Cannabiskonsum hinweisen [5].

In der Schwangerschaft und Stillzeit sollte Dronabinol nur mit Zurückhaltung eingesetzt werden. Bei chronischen Cannabiskonsumentinnen wurden diskrete Störungen der kognitiven Entwicklung ihrer Kinder beobachtet. Britische und neuseeländische Wissenschaftler stellten in einer Studie mit 12 000 Schwangeren fest, dass das regelmäßige Rauchen von Joints eine vergleichsweise verringerte Körpergröße und ein niedrigeres Gewicht der Neugeborenen zur Folge hatte. Kinder, deren Mütter Cannabis konsumiert hatten, wogen im Durchschnitt 90 Gramm weniger und hatten außerdem kleinere Köpfe [7].

Unerwünschte Wirkungen von Dronabinol

Dronabinol gilt als gut verträglich und toxikologisch ausgesprochen sicher. Todesfälle nach Vergiftungen sind nicht bekannt. Bei Hunden und Affen, denen hohe Dosen von THC verabreicht wurden (bis 3000 bzw. 9000 mg/kg), kamen keine Todesfälle vor [5].

Nach akutem Gebrauch kommt es bei der Anwendung von Dronabinol zu einem Anstieg des Sympathikotonus, der sich insbesondere durch eine Tachykardie bemerkbar machen kann; damit kann eine orthostatische Hypotonie einhergehen. Beide Wirkungen unterliegen allerdings einer raschen Toleranzentwicklung.

Weiterhin kann Dronabinol das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit, Feinmotorik und Bewegungskoordination beeinträchtigen. Die Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeuges oder zum Bedienen von Maschinen kann beeinträchtigt sein. Diese Nebenwirkungen unterliegen teilweise einer Toleranzentwicklung und sind nach Therapieende voll reversibel.

Obwohl Hanf ein relativ geringes Suchtpotenzial besitzt, können auch nach therapeutischen Dosen Entzugssymptome auftreten. Dazu zählen beispielsweise psychische Effekte wie Angst, Unruhe und Schlaflosigkeit sowie physische Symptome wie Speichelfluss, Durchfall, Erhöhung des Augeninnendrucks [3]. Bei Hanf konsumierenden Jugendlichen wurde eine psychische Abhängigkeit und das Auftreten des "amotivationalen Syndroms" beobachtet.

Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Expertise von Kleiber und Kovar kam jedoch 1997 zu dem Schluss, dass sich Belege für eine schädliche Substanzwirkung auf die geistige Gesundheit nicht finden lassen und dass das amotivationale Syndrom bei Jugendlichen weniger eine Folge als vielmehr die Ursache des Cannabiskonsums sein könnte [8].

Wechselwirkungen von Dronabinol

Bei der Kombination von Dronabinol mit einer Vielzahl von Medikamenten konnten bisher keine starken unerwünschten Wechselwirkungen beobachtet werden. Von klinischer Bedeutung sind vor allem die Verstärkung der sedierenden Effekte anderer psychotroper Substanzen wie Alkohol und Benzodiazepine und die Wechselwirkung mit kardial wirkenden Substanzen wie Betablockern, Diuretika und anderen. Einige Wechselwirkungen können erwünscht sein, wie zum Beispiel die Interaktionen zwischen Opioiden und Cannabinoiden.

In einer Studie führte die Gabe von THC zu einer erhöhten Genexpression und Konzentration von endogenen Opioiden wie beispielsweise Dynorphin A. Tierexperimentelle Untersuchungen zeigten, dass eine niedrigdosierte Gabe von THC die Wirkung von Opioiden teilweise erheblich verstärken kann. Daher könnten niedrigdosierte Cannabinoide als Coanalgetika therapeutisch sinnvoll sein [3].

Vom Umgang mit der Rauschdroge Hanf

Die aktuellen Diskussionen um die medizinische Anwendung von Cannabis sind eng mit der Diskussion um die generelle Legalisierung von Hanf verflochten. Nach Ansicht der Bundesregierung ist für die medizinische Anwendung von Cannabis keine generelle Legalisierung der Pflanze und ihrer Produkte erforderlich [11].

Es mehren sich jedoch die Stimmen, die eine Entkriminalisierung von Cannabis fordern, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass stark gesundheitsschädliche Substanzen mit hohen Abhängigkeitspotenzial wie Nicotin und Alkohol leicht verfügbar sind. So forderte beispielsweise der Vizepräsident der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, die Abgabe von Cannabis über die Apotheken. Der Besitz einer begrenzten Menge von Cannabis für den Eigenbedarf sollte straffrei sein. Damit könnten seiner Ansicht nach kriminelle Händlerstrukturen zerschlagen werden.

Von der LAK Baden-Württemberg wurde dieses Modell unter anderem mit der Begründung abgelehnt, dass die Apotheke kein Genussmittel-Laden sei [12]. Der Bundesverband der Angestellten in Apotheken (BVA) steht dem Verkauf von Haschisch oder Marihuana in Apotheken jedoch aufgeschlossen gegenüber. Die BVA-Vorsitzende Monika Oppenkowski sieht einen Vorteil darin, dass sich die Apotheke dann einer gleichzeitigen Beratung der Konsumenten widmen und dadurch einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Drogenmissbrauch leisten könnte. Sollte die Cannabis-Abgabe in Deutschlands Apotheken einmal erlaubt werden, würde der BVA verstärkt Fortbildungen zum Thema Drogenberatung anbieten [13].

Außerhalb Deutschlands wird die Thematik ebenfalls diskutiert. In Holland beispielsweise wurde 1999 ein dem Gesundheitsministerium unterstelltes "Office of Medical Cannabis" gegründet, das sich unter anderem um die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen bemüht, damit Cannabis ab 2003 in Apotheken legal und in einwandfreier medizinischer Qualität erhältlich ist [14].

Dronabinol – hochwirksam, aber unbezahlbar?

Schmerzkranke multimorbide Patienten in Deutschland, die durch Dronabinol eine Linderung ihrer Beschwerden erfahren haben, befinden sich in einer schwierigen Situation, denn die Krankenkassen erstatten nur in seltenen Fällen die Therapiekosten. Die in der Apotheke hergestellten Zubereitungen sind zwar wesentlich preiswerter als die ausländischen Fertigpräparate, für viele Patienten dennoch unerschwinglich. Daher besorgen sich einige von ihnen Cannabis auf illegalem Weg. Dies ist zwar kostengünstiger, macht sie aber zu Kriminellen.

Die Internationale Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e. V. (IACM) versucht, diesen Patienten zu helfen, indem sie sich für die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Nutzung der Hanfpflanze einsetzt (siehe Kasten). In Kanada ist es beispielsweise schwerstkranken AIDS- und Krebspatienten erlaubt, Cannabis zum Eigenverbrauch anzupflanzen, wenn alle anderen Schmerzmittel nicht mehr helfen. Sie benötigen dazu eine mit strengen Auflagen verbundene Erlaubnis vom "Office of Cannabis Medical Access" [14].

In Deutschland drängen führende Schmerztherapeuten auf eine vollständige Erstattung von dronabinolhaltigen Arzneimitteln durch die Krankenkassen. Damit könnten viele schwerstkranke Patienten, bei denen bisherige Therapien unzureichend waren, angemessen versorgt werden [6].

Kastentext: Botanische Klassifikation

Die botanische Klassifikation von Cannabis war lange Zeit umstritten. So wurde die Pflanze zunächst zu den Brennnesselgewächsen (Urticaceae), später zu den Maulbeergewächsen (Moraceae) gerechnet. Heute bildet die Gattung Cannabis gemeinsam mit der Gattung Humulus (Hopfen) die Familie der Hanfgewächse (Cannabaceae) [15]. Während man früher annahm, dass es nur eine einzige, allerdings stark variable Art Cannabis sativa gibt, geht man heute von der Existenz dreier Arten aus: C. sativa, C. indica, C. ruderalis [1].

Kastentext: Dronabinol-Inhalationslösung

Für diese Zubereitung gibt es noch keine NRF-Vorschrift. Einen Herstellungsvorschlag stellt die THC-Pharm GmbH auf Anfrage zur Verfügung. Kontakt: Christian Steup, Fax 0 69/65 30 22 24. Entsprechende Inhalatoren können von der Firma Vapormed bezogen werden: www.vapormed.de

Kastentext: Internationale Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Die Internationale Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (IACM) wurde im März 2000 von Mitgliedern der im deutschsprachigen Raum tätigen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) gegründet. Es ist eine gemeinnützige wissenschaftliche Gesellschaft, die sich für die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Nutzung der Hanfpflanze und ihrer pharmakologisch wirksamsten Inhaltstoffe, der Cannabinoide, für therapeutische Zwecke einsetzt. Sie unterstützt die Forschung und die Verbreitung von Informationen.

Kontakt: Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. Arnimstraße 1a, 50825 Köln Tel. 02 21-95 43 92 29, Fax 02 21-1 30 05 91 E-Mail: info@cannabis-med.org

Literatur

[1] Schultes, R. E., Hofmann, A.: Pflanzen der Götter. Die magischen Kräfte der bewusstseinserweiternden Gewächse. AT Verlag, Aarau 1998. [2] Rätsch, Ch.: Pflanzen der Liebe. Aphrodisiaka in Mythos, Geschichte und Gegenwart. Hallwag Verlag, Bern 1990. [3] Das Cannabinoid Dronabinol als Rezepturarzneimittel. Informationen für Ärzte und Apotheker. DELTA 9 Pharma GmbH, Neumarkt. www.delta9pharma.de. [4] Ergänzungsbuch zum Deutschen Arzneibuch, 6. Ausgabe: Tinctura Cannabis indicae – Indischhanftinktur. Deutscher Apotheker Verlag, Berlin 1941. [5] Grotenhermen, F. (Hrsg.): Cannabis und Cannabinoide. Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potenzial. Verlag Hans Huber, Bern 2001. [6] Referate und Diskussionsbeiträge von M. Popp, Neumarkt, D. Jungck, Hamburg, C. Vaney, Montana (Schweiz), G. Ernst, Berlin, auf der Fach-Pressekonferenz "Das Cannabinoid Dronabinol – eine neue therapeutische Perspektive", veranstaltet von DELTA 9 Pharma GmbH am 3. Mai 2002 in Berlin. [7] Dtsch. Apoth. Ztg. 142 (1/2), 6 (2002). [8] Kleiber, D., Kovar, K. A.: Auswirklungen des Cannabiskonsums – eine Expertise zu pharmakologischen und psychosozialen Konsequenzen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1997. [9] Neues Rezeptur Formularium, 18. Erg. 2001, Rezepturen NRF 22.7 und 22.8. [10] Pharm. Ztg. 147 (21), 2271ff. (2002). [11] Möller, H., Flenker, I.: Cannabis als Arzneimittel. Dtsch. Apoth. Ztg. 141, 2132ff. (2001). [12] Dtsch. Apoth. Ztg. 142 (11), 1318 (2002). [13] Dtsch. Apoth. Ztg. 142 (13), 1698 (2002). [14] Dtsch. Apoth. Ztg. 142 (10), 1216-1218 (2002). [15] Zander, Handwörterbuch der Pflanzennamen, 16. Aufl. Eugen Ulmer, Stuttgart 2000.

Dronabinol ist die INN-Bezeichnung für ein bestimmtes Stereoisomer des Delta9-Tetrahydrocannabinols. Diese Substanz ist als suchterregender Inhaltsstoff des Hanf berüchtigt, doch besitzt sie auch ein therapeutisches Potenzial, das zunehmend erforscht und auch schon in der Praxis angewandt wird. Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol werden in Deutschland nicht hergestellt, die Substanz steht jedoch zur Eigenherstellung in der Apotheke zur Verfügung.

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