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Pharmakokinetik
S. KleinPerorale Mesalzin-Präparate
"aut idem"
Kernpunkt der Aut-idem-Regelung ist die Abgabe eines kostengünstigeren, wirkstoffgleichen Arzneimittels für den Fall, dass der Arzt nicht ausdrücklich auf der Abgabe eines bestimmten Handelspräparates besteht. Hierbei muss das aut idem abgegebene Arzneimittel im Vergleich zum verordneten mindestens folgende Eigenschaften aufweisen [1]:
- Wirkstoffgleichheit,
- Identität der Wirkstärke,
- Identität der Packungsgröße,
- gleiche oder austauschbare Darreichungsform,
- Zulassung für den gleichen Indikationsbereich,
- Preisgünstigkeit,
- keine pharmazeutische Bedenken im Einzelfall.
Seit dem 23. Februar gilt für alle Kassenrezepte die so genannte Kästchenumkehr, womit bei fehlender Ankreuzung des Aut-idem-Feldes ein Austausch des verordneten Präparates gegen eines, welches o. g. Anforderungen erfüllt, ermöglicht bzw. sogar "erzwungen" wird. Die möglichen Auswirkungen eines solchen Procedere könnten bei Patienten, die an Morbus Crohn oder an Colitis ulcerosa erkrankt sind, schwerwiegender sein, als es jetzt scheint.
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Morbus Crohn (auch: Enteritis regionalis) und Colitis ulcerosa sind chronisch entzündliche, in Schüben verlaufende Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, die mit Gewebsdestruktion einhergehen. Allein in Deutschland zählt man derzeit mehr als 300 000 Betroffene [2]. Erstmals betroffen ist vor allem die Gruppe der 15 – 30-Jährigen. Zunehmend wird die Diagnose aber auch bei Kindern, bis ins Säuglingsalter hinein, gestellt [3].
Das Wissen über die pathophysiologischen Mechanismen der Entzündung hat in den letzten Jahren zugenommen, die Ätiologie ist jedoch trotz intensiver Forschungen bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Inzwischen geht man von einer genetischen Disposition aus, welche, gepaart mit Reizen aus der Umwelt, Nahrungsmitteleinflüssen und diversen infektiösen Agenzien, zu einer pathologischen Immunantwort des Darmes führt [4].
Die beiden Erkrankungen gehen – besonders im Frühstadium – mit sehr ähnlichen Symptomen einher. Obwohl sie unterschiedliche Verteilungsmuster zeigen, ist es oft erst nach längerer Zeit der Erkrankung möglich, typische makroskopische und histologische Befunde zu erhalten. Auf Grund des langen chronischen Verlaufs und der Gefährlichkeit der Komplikationen bedürfen die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen einer lebenslangen spezialisierten Behandlung, die allerdings nur die Symptome kurieren kann.
Neben zahlreichen krankheitstypischen intestinalen Beschwerden bergen chronisch entzündliche Darmerkrankungen die Gefahr für diverse extraintestinale Manifestationen. In zahlreichen Fällen bestehen Auswirkungen auf andere Organe, welche sich in unspezifischen Gelenkbeschwerden, Augenleiden, krankhaften Hautveränderungen, Störungen im Vitamin- und Elektrolythaushalt und weiteren körperlichen Einschränkungen äußern können. Erschwerend kommt oft noch eine seelische Belastung hinzu, da die meisten Patienten ständig ein neues Aufflackern der Erkrankung befürchten. Weil Erkrankungen des Verdauungstraktes auch heute noch ein Tabuthema darstellen, isolieren sich die Betroffenen häufig. So ist der Leidensdruck erheblich.
Morbus Crohn
In den letzten Jahrzehnten hat die Zahl der an Morbus Crohn Erkrankten in Deutschland stark zugenommen. Zurzeit rechnet man mit etwa 40 Betroffenen pro 100 000 Einwohner [3]. Die Erkrankten leiden unter chronischen Bauchschmerzen, Durchfällen, Blutungen, Gewichtsabnahme, Fieber und allgemeinen Erschöpfungszuständen. Oftmals treten bereits bei der Erstmanifestation komplizierte Fistelleiden auf [3]. Die genannten Beschwerden stellen dennoch nur eine kleine Auswahl aus dem "Pool" von Symptomen und Begleiterkrankungen dar, die sich mit fortschreitender Erkrankung ergeben.
Typisch für den Morbus Crohn ist ein diskontinuierliches Verteilungsmuster, d. h., erkrankte und gesunde Darmabschnitte können sich abwechseln ("segmentaler Befall"), wobei insgesamt jedoch der gesamte Gastrointestinaltrakt vom Ösophagus bis zum After befallen sein kann. Der Entzündungsprozess verläuft transmural, betrifft also alle Darmwandschichten. Hierdurch kann es zu typischen Komplikationen wie Stenosen und Fisteln kommen, welche einen operativen Eingriff oft unabdingbar machen.
Ein weiteres Charakteristikum für den Morbus Crohn ist die Hauptlokalisation im terminalen Ileum. Hier beginnt in den meisten Fällen die Entzündung und breitet sich dann meistens in Richtung Kolon, manchmal aber auch in Richtung Magen aus:
- Bei ca. 30% aller Patienten findet sich eine reine Ileitis,
- bei ca. 40% eine Ileokolitis,
- bei ca. 25% eine Kolitis und
- in seltenen Fällen eine Gastroileitis.
Die unterschiedlichen Verlaufsformen und Manifestationen werden definitionsgemäß unterschieden in den akuten Schub, den chronisch aktiven Verlauf und die Phase der Remission [5].
Bis heute ist der Morbus Crohn weder durch medikamentöse noch durch chirurgische Maßnahmen zu heilen; daher ist das Ziel aller konservativen (medikamentösen) Maßnahmen, Schwere und Dauer eines entzündlichen Schubes zu reduzieren, das Auftreten von Rezidiven zu verhindern und krankheits- oder therapierelevante Mangelzustände auszugleichen [3]. Es wurden spezielle Therapieschemata erstellt, die in Abhängigkeit von Schweregrad und Stadium der Erkrankung verschiedene Basistherapeutika einsetzen [5, 6]. Zur Anwendung kommen Corticosteroide, Antibiotika, Immunsuppressiva und Aminosalicylate, von denen das Mesalazin (5-Aminosalicylsäure, 5-ASA) in Form peroraler Arzneiformen in allen Stadien eingesetzt wird.
Colitis ulcerosa
Wie der Morbus Crohn, stellt auch die Colitis ulcerosa eine weltweit verbreitete Erkrankung dar, welche Männer und Frauen in gleichem Ausmaß treffen kann. Sie weist ein kontinuierliches Verteilungsmuster auf, und die Entzündung beschränkt sich vorwiegend auf die Schleimhaut.
Die Entzündungsreaktion beginnt im Rektum und bleibt bei ca. 30% aller Betroffenen auch auf das Rektum beschränkt (Proktitis). Meist breitet sie sich jedoch von dort kontinuierlich in proximale Dickdarmabschnitte aus. Daher kommt es in den häufigsten Fällen (ca. 40%) zum Befall des Colon descendens und damit zum Erscheinungsbild einer distalen, linksseitigen Kolitis. Im Extremfall kann die Entzündung sogar das gesamte Kolon betreffen (Pankolitis), was bei ca. 30% aller Patienten der Fall ist. Bei etwa jedem zehnten Pankolitis-Patienten ist auch noch das terminale Ileum mitbeteiligt (Backwash-Ileitis) [3].
Die Colitis ulcerosa beginnt oft schleichend mit Durchfall, blutig-schleimigen Stuhlbeimengungen und abdominellen Krämpfen. In schweren Fällen kann die Stuhlfrequenz bis zu 30 Entleerungen pro Tag betragen. Hinzu kommen, abhängig von Schwere und Ausdehnung der Erkrankung, unspezifische Symptome wie Fieber, Anorexie und Gewichtsverlust. Bei dem typischen, schubweisen Verlauf kann es zu kurz- oder längerfristigen Remissionsphasen kommen. Allerdings kann die Krankheit auch in eine chronische Form übergehen.
Aufgrund der bislang noch immer ungeklärten Ätiopathogenese gibt es bisher keine kausale Therapie. In Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität behandelt man, wie auch beim Morbus Crohn, primär antiinflammatorisch, um die Erkrankung möglichst lange in Remission zu halten bzw. sie bei einem akuten Schub möglichst schnell ins Remissionsstadium zu führen. Als Medikamente dienen Corticosteroide und Aminosalicylate, Antibiotika und Immunsuppressiva.
Bei Proktitis und linksseitiger Kolitis ist die Therapie der ersten Wahl eine topische Applikation von Mesalazin oder Corticoiden mit Einläufen. Liegt jedoch eine Pankolitis vor, muss zusätzlich mit peroralen Arzneiformen therapiert werden. In diesen Fällen spielt das Mesalazin eine tragende Rolle.
Mesalazin-Präparate
Seit mehr als 50 Jahren wird der antibakteriell wirksame Azofarbstoff Sulfasalazin (Salazosulfapyridin), der ursprünglich für die Behandlung entzündlicher rheumatischer Erkrankungen entwickelt wurde, auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, besonders bei der Colitis ulcerosa, eingesetzt.
Mittlerweile ist geklärt, dass Sulfasalazin ein Prodrug darstellt, welches im Dünndarm nicht resorbiert und erst durch die reduktive Aktivität der Darmflora im terminalen Ileum und Kolon in Mesalazin (siehe Abb. 1) und Sulfapyridin gespalten wird. Das Mesalazin stellt die therapeutisch wirksame Verbindung dar, wohingegen man dem Sulfapyridin die Mehrzahl der zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen zuschreibt [3, 7]. Sulfasalazin wird aus diesen Gründen inzwischen nur noch selten eingesetzt.
Eine wichtige Rolle in der antiinflammatorischen Standardtherapie der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen spielt heute das Mesalazin, welches einen komplexen Wirkungsmechanismus aufweist. Als wesentlich für die antiinflammatorische Wirksamkeit wird ein Eingriff in die Arachidonsäurekaskade, speziell die Hemmung der 5-Lipoxygenase, des Schlüsselenzyms der Leukotriensynthese, in der Darmmucosa angenommen [8]. Mesalazin wird
- bei chronisch aktivem Morbus Crohn,
- in der akuten Phase bei leichten bis mittelschweren Schüben von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa und
- in der Remissionsphase der beiden Erkrankungen eingesetzt.
Es wird (abgesehen von Proktitis und linksseitiger Kolitis) peroral in einer solchen Menge verabreicht, dass lokal an der betroffenen Darmmucosa therapeutische Wirkstoffkonzentrationen erzielt werden. Dabei kann der Anteil des Wirkstoffes, der durch Absorption im Dünndarm in den systemischen Kreislauf gelangt, ein relativ breites Nebenwirkungsspektrum verursachen. Typisch sind Diarrhö, Kopfschmerzen, Schwindel, Anstieg der Transaminasen, Methämoglobinämie und Überempfindlichkeitsreaktionen [8]. Auch über Fälle von Pankreatitis, Perimyokarditis und Nephritis wurde berichtet [3].
Da Mesalazin (insbesondere zur Remissionserhaltung) über Jahre hinweg hochdosiert eingenommen werden muss, gilt es in erster Linie, die Resorption im Dünndarm so gering wie möglich zu halten.
Therapeutisches Konzept
Mesalazin wird sehr gut im proximalen Dünndarm absorbiert [9]: Nach intraluminaler Instillation einer äquimolaren Lösung ist die Resorption aus dem Jejunum fast 40-mal größer als aus dem Kolon. Der Wirkstoff soll nach peroraler Applikation jedoch nicht im Jejunum resorbiert werden, sondern lokal am Ort der Entzündung in der Darmmucosa wirken. Je mehr von der Dosis resorbiert wird und nicht an den Wirkort gelangt, desto geringer ist die Wirkung und desto größer das Risiko von Nebenwirkungen. Das Mesalazin, das in das Kolon gelangt, steht dort fast quantitativ zur lokalen Therapie der Dickdarmmucosa zur Verfügung. Aufgrund der sehr geringen Resorptionsrate im Kolon ist die Inzidenz von Nebenwirkungen hier sehr gering.
Ein galenisches Konzept für eine perorale Mesalazin-Darreichungsform muss also darauf abzielen, den Wirkstoff direkt an den Ort der Entzündung in die distalen Bereiche des Dünndarms (Ileum) und in das Kolon zu bringen.
Auf dem deutschen Markt befinden sich mehrere Handelspräparate zur oralen Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen, die Mesalazin gemäß diesem Ziel gesteuert freigeben. Anhand der verschiedenen Steuerungsmechanismen kann man die Präparate in zwei Gruppen unterteilen:
- magensaftresistente Tabletten, deren Polymerzug sich pH-abhängig im Jejunum und im Ileum auflöst (Claversal®, Salofalk®, Asacolitin®), und
- Mikrogranulate, die den Wirkstoff über einen diffusionsgesteuerten Freisetzungsmechanismus gleichmäßig über einen längeren Zeitraum freigeben (Pentasa®, Salofalk® Granustix®).
In einer Versuchsreihe haben wir die verschiedenen Freisetzungsprofile der Präparate in vitro charakterisiert und anhand der Aut-idem-Kriterien verglichen.
Materialien und Methoden
Prüfpräparate Untersucht wurden verschiedene perorale Mesalazin-Präparate zur antiinflammatorischen Behandlung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie ein Präparat (Asacolitin®), welches ausschließlich zur Therapie der Colitis ulcerosa zugelassen ist. Es handelte sich um folgende Fertigarzneimittel:
- Claversal® 250 mg Tabletten (Ch.-B.: 161726), Merckle GmbH, Ulm;
- Salofalk® 250 mg Tabletten (Ch.-B.: 98H04918/E), Dr. Falk Pharma GmbH, Freiburg;
- Pentasa® 500 mg Tabletten (Ch.-B.: EI260T), Ferring Arzneimittel GmbH, Kiel;
- Asacolitin® 400 mg Tabletten (Ch.-B.: 13323), Henning GmbH & Co., Berlin.
Als Referenzsubstanz wurde reine 5-Aminosalicylsäure (Charge U60554, Chemie S.p.A., Italien) verwendet. Die Produkte zeigen Unterschiede in der galenischen Formulierung (siehe Tab. 1), wodurch unterschiedliche Freisetzungsmuster zu erwarten sind. Von den verschiedenen Salofalk®- und Claversal®-Darreichungsformen haben wir für unsere Untersuchungsreihe speziell die 250 mg Tabletten ausgewählt, da diese laut Beipackzettel alle wichtigen Aut-idem-Kriterien erfüllen. Anhand ihrer Bestandteile und ihrer Überzüge sind die Tabletten formal nicht zu unterscheiden.
In-vitro-Freisetzung Alle Untersuchungen erfolgten mit jeweils n = 3 Tabletten, aufbauend auf einer vorausgegangenen Untersuchungsreihe von Rudolph et al. [10], mit der Reciprocating Cylinder Methode (USP apparatus 3, BIO-DIS® RRT 8, Caleva Ltd., Dorset, England) unter Verwendung von je 220 ml Medium und einer Diprate von 10 dpm [11]. Die Versuchsdauer betrug 300 bzw. 310 min. Nach festgelegten Zeitabständen wurden Proben mittels einer Spritze entnommen, über einen 0,45 µm PTFE-Filter filtriert und photometrisch analysiert.
Verwendete Medien, pH-Werte und Passagezeiten Um die gastrointestinalen Verhältnisse im nüchternen Zustand zu simulieren, wurden fünf verschiedene kompendiale Medien verwendet (siehe Tab. 2).
Zur Charakterisierung des Freisetzungsverhaltens am Ort der größten systemischen Absorption des Wirkstoffes, dem mittleren Jejunum, wurde ein Testreihe in SIFsp USP 24 mit einem pH-Wert von 6,8 (siehe Abb. 2) durchgeführt. Zum Vergleich erfolgten Freisetzungsuntersuchungen unter Bedingungen
- des nüchternen Magens (simulated gastric fluid sine pepsin, SGFsp USP 24, pH 1,2, Ergebnisse nicht aufgeführt [10]),
- des proximalen Ileums (Phosphatpuffer pH 7,2, siehe Abb. 3) und
- des distalen Ileums (simulated intestinal fluid sine pancreatin, SIFsp USP 23, pH 7,5, siehe Abb. 4).
Um die gesamte Passage durch Magen und Dünndarm zu simulieren, wurden anschließend alle Präparate mittels einer physiologisch basierten pH-Gradientenmethode [12] untersucht. Die Verweilzeiten in den verschiedenen Medien, welche die Passagezeiten durch verschiedene Segmente des Gastrointestinaltrakts widerspiegeln sollen, ergeben sich aus Mittelwerten verschiedener gammaszintigraphischer Studien [13 – 15]. Die Magenverweilzeit wurde hierbei auf einen, für den nüchternen Zustand eher unphysiologischen Mittelwert von 2 h angehoben, um gleichzeitig die Magensaftresistenz der Darreichungsformen zu untersuchen.
Ergebnisse
In der simulierten Magenflüssigkeit SGFsp kommt es bei allen mit Eudragit® L/S-überzogenen Präparaten (auch bei mehr als 2-stündiger Verweilzeit) nicht zu einer Freisetzung von Mesalazin. Nur das multipartikuläre System von Pentasa® fängt, gesteuert über einen Diffusionsmechanismus, bereits im Magen an, in nicht unerheblichem Ausmaß Wirkstoff freizusetzen [10, 16].
Erhöht man den pH-Wert im Testsystem auf Bedingungen des mittleren Jejunums, so sieht man bereits deutliche Unterschiede im Freisetzungsmuster der verschiedenen Fertigarzneimittel (siehe Abb. 2). Auch unter diesen Bedingungen erfolgt bei Pentasa® eine gleichmäßige, diffusionsgesteuerte Freigabe. Die Eudragit® S-Hülle der Asacolitin®-Tablette löst sich, wie anhand der Eigenschaften des Überzuges (Auflösung ab pH 7,0) zu erwarten war, in diesem pH-Bereich nicht auf. Es kommt also nicht zu einer Freisetzung des Wirkstoffes. Dieses Verhalten weist darauf hin, dass eine Freisetzung erst in distalen Abschnitten des Dünndarms oder im Kolon erfolgt.
Eine erstaunliche Beobachtung bietet sich bei den Freisetzungsprofilen der beiden mit Eudragit® L überzogenen Präparate Claversal® und Salofalk® 250 mg. Die Tabletten, die anhand ihrer Bestandteile und ihrer Überzüge formal nicht unterscheidbar sind, zeigen zwar beide eine sigmoides Freisetzungsprofil in der simulierten Darmflüssigkeit SIFsp; Claversal® setzt den Wirkstoff jedoch unter exakt gleichen Bedingungen erst 2h (!) später frei als Salofalk®.
Erhöht man den pH-Wert im Testsystem nun weiter auf Bedingungen, die dem Milieu des proximalen Ileums bzw. des distalen Ileums entsprechen, so verschwimmen die in SIFsp gemessenen Unterschiede zwischen Claversal® und Salofalk® mehr und mehr. Während die Wirkstofffreisetzung von Claversal® im Vergleich zu Salofalk® bei einem pH-Wert von 7,2 noch mit ca. 30-minütiger Verzögerung eintritt (siehe Abb. 3), kann man bei pH 7,5 keinen Unterschied mehr ausmachen. Selbst das Profil von Asacolitin® unterscheidet sich bei einem pH-Wert von 7,5 nicht mehr signifikant von den beiden erstgenannten (siehe Abb. 4).
Die Verwendung der pH-Gradientenmethode (siehe Abb. 5) zur Simulation der Passage der Arzneipräparate durch den oberen Gastrointestinaltrakt liefert In-vitro-Ergebnisse, die weitaus aussagekräftiger als ein Test in einem Einzelmedium sind. Auch hier findet man wieder erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Prüfpräparaten:
- Pentasa® setzt während der gesamten Passage diffusionskontrolliert frei, wobei das Ausmaß im sauren Milieu größer ist als im neutralen oder leicht alkalischen Bereich.
- Asacolitin® zeigt unter Annahme der verwendeten Passagezeiten bis zum Erreichen der ileozäkalen Klappe keine Freisetzung.
- Claversal® und Salofalk® verhalten sich trotz gleicher Zusammensetzung auch bei diesem Test verschieden. Die Freisetzung beginnt bei Salofalk® bereits im mittleren Jejunum bei einem pH-Wert von 6,8. Der Wirkstoff wird anschließend innerhalb von 60 min nahezu komplett freigesetzt. Claversal® dagegen passiert das Jejunum unbeschadet und beginnt erst beim Übergang ins distale Ileum, den Wirkstoff freizugeben.
Diskussion
Aus den Daten der vorliegenden Versuchsreihe wird schnell deutlich, dass sich die untersuchten Mesalazin-Handelspräparate stark in ihrem Freisetzungsverhalten unterscheiden. Zugleich bestätigt sich die Wahl des In-vitro-Testsystems: Würde man nämlich ausschließlich Testbedingungen wählen, die das terminale Ileum als favorisierten Ort der Wirkstofffreisetzung widerspiegeln, so könnten die spezifischen Eigenschaften von Asacolitin®, Claversal® und Salofalk® nicht unterschieden werden (siehe Abb. 4). Nur wenn man auch die Faktoren berücksichtigt, welche die Arzneiform vor Erreichen des terminalen Ileums beeinflussen, treten bei den getesteten Fertigarzneimitteln signifikante Unterschiede auf.
Pentasa® setzt den Wirkstoff bei allen verwendeten Versuchsanordnungen diffusionskontrolliert frei, wobei das Ausmaß der Freisetzung im nüchternen Magen, begünstigt durch die bessere Löslichkeit von Mesalazin in saurem Milieu, größer ist als im Intestinum. Die Problematik der multipartikulären Arzneiform ist jedoch darin zu sehen, dass bei einer angenommenen Magenpassagezeit von 30 min bereits ca. 20% (100 mg) des Wirkstoffes beim Übertritt ins Duodenum gelöst zur Verfügung stehen. Auch während der Passage des Intestinum mesenteriale und des Jejunums wird weiter kontinuierlich Wirkstoff freigesetzt.
Man kann davon ausgehen, dass unter Vorraussetzung einer "normalen" Darmmotilität bis zum Erreichen des Ileums bereits mehr als 50% (250 mg) des Wirkstoffes freigesetzt wurden. Die kontinuierliche Wirkstofffreisetzung birgt aufgrund der hohen Absorptionsrate im Jejunum ein erhöhtes Nebenwirkungspotenzial, und gleichzeitig steht weniger Wirkstoff für die lokale Therapie im distalen Ileum und im Kolon zur Verfügung. Die Arzneiform scheint sich daher nur zur Therapie solcher Fälle von Morbus Crohn zu eignen, in denen der gesamte Gastrointestinaltrakt betroffen ist. Für die Therapie einer Ileokolitis oder einer Kolitis ist der Wirkstoffverlust in den proximalen Abschnitten des Gastrointestinaltrakts jedoch zu groß.
Asacolitin®, das ausschließlich zur Therapie der Colitis ulcerosa zugelassen ist, gelangt aufgrund des Eudragit®-Überzugs, der eine Freisetzung unterhalb eines pH-Wertes von 7 verhindert, unbeschadet in den distalen Dünndarm. Somit besteht keine jejunale Absorption. Insbesondere beim Betrachten der mittels der pH-Gradientenmethode generierten Daten (siehe Abb. 5), welche bei einer angenommenen ilealen Passagezeit von insgesamt 1 h keine Wirkstofffreisetzung zeigen, stellt sich jedoch die Frage, ob der Wirkstoff nach Übertritt der Tablette in das Kolon ausreichend schnell freigesetzt werden kann. In diese Überlegung sollte mit einbezogen werden, dass besonders im akuten Stadium der Colitis ulcerosa häufig heftige Durchfälle auftreten, welche die Kolonpassagezeit stark verkürzen können. Ein Großteil des Wirkstoffes könnte daher, ohne zur Wirkung gekommen zu sein, wieder ausgeschieden werden. Aus den genannten Gründen dürfte sich Asacolitin® am ehesten für die Remissionserhaltung der Colitis ulcerosa eignen.
Für die Umsetzung der Aut-idem-Regelung bei peroralen Mesalazin-Präparaten stellen Claversal® und Salofalk® die einzige Kandidaten dar. In beiden Fällen handelt es sich um magensaftresistente Arzneiformen mit einem pH-abhängigen Freisetzungsmechanismus, die laut Deklaration in ihrer Zusammensetzung völlig übereinstimmen. (Weil Pentasa® 500 mg den Wirkstoff weitestgehend pH-unabhängig über einen diffusionskontrollierten Mechanismus abgibt, ist es trotz gleichen Wirkstoffes, gleicher Wirkstärke und der Zulassung für den gleichen Indikationsbereich nicht mit Claversal® oder Salofalk® austauschbar.)
Claversal® und Salofalk® stehen in zwei verschiedenen Wirkstärken (250 mg bzw. 500 mg) zur Verfügung. In der vorliegenden Studie wurde das In-vitro-Freisetzungsverhalten der Präparate mit einer Wirkstärke von 250 mg untersucht. Obwohl zu erwarten war, dass beide Präparate ein identisches Freisetzungsverhalten zeigen, ist dies keineswegs der Fall (siehe Abb. 2 und 3). Salofalk® setzt in vitro bereits unter Bedingungen des mittleren Jejunums in relativ kurzer Zeit fast 100% des Wirkstoffes frei. Damit sind der Verlust großer Wirkstoffmengen vor Erreichen des Targets und das Risiko eines erhöhten Nebenwirkungspotenziales durch systemische Absorption verbunden. Claversal® zeigt zwar ebenfalls ein schlagartiges Freisetzungsverhalten, jedoch erst nach Übertritt in das Ileum (siehe Abb. 5).
Rudolph et al. [10] haben die Ursache für die Differenzen in der initialen Wirkstofffreigabe ermittelt. Im Verlauf verschiedener Testserien stellten sie fest, dass die initiale Wirkstofffreisetzung mit dem Entstehen einer Bruchstelle im Eudragit® L-Film, speziell an den Kanten der Tablettenstege, korreliert. Hier, an den jeweils dünnsten Stellen, beträgt die Dicke des Films bei Salofalk® ca. 100 µm, bei Claversal® hingegen ca. 250 µm, sodass die Freisetzung früher bzw. später beginnt.
Die Austauschbarkeit von Claversal® und Salofalk® erscheint nach diesen Untersuchungen in einem ganz anderen Licht: Obwohl beide Präparate alle Anforderungen zur Austauschbarkeit nach der neuen Aut-idem-Regelung erfüllen, sind sie aufgrund der signifikanten Unterschiede in ihrem Freisetzungsverhalten nicht gegeneinander austauschbar.
Unsere Versuchsreihe zur topischen Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen mit Mesalazin-Präparaten zeigt, dass für spezielle Therapieziele nicht nur die Wirkstoffe und Hilfsstoffe entscheidend sind, sondern dass oft erst bestimmte galenische Eigenschaften der Arzneiform für ihre Wirkungen (und Nebenwirkungen) entscheidend sind.
Kastentext: Darmabschnitte
Dünndarm: Duodenum - Intestinum mesenteriale - Jejunum - Ileum
Dickdarm: - Caecum - Colon ascendens - Colon transversum - Colon descendens - Colon sigmoideum
Mastdarm: - Rectum
Kastentext: Formen und Verbreitung der Colitis ulcerosa
Proktitis: 30% Linksseitige Kolitis: 40% Pankolitis: 30%
Literatur [1] N.N.: Aut-idem-Regelung – Sie müssen sich damit auseinander setzen! Dtsch. Apoth. Ztg. 141 (13), 24 – 26 (2002). [2] Bundesverband für chronisch entzündliche Erkrankungen des Verdauungstraktes, Paracelsusstr. 15, 51375 Leverkusen. www.dccv.de. [3] Caspary W.F., Stein J.: Darmkrankheiten. Springer-Verlag, Berlin 1999, S. 439 – 489. [4] Wakefield A.J.: Wenig Wissen über Erreger, die Darmmukosa verändern. Aerztezeitung, 3. 12. 2001. [5] Stange E.F. et al.: Therapie des Morbus Crohn – Ergebnisse einer Konsensuskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Z. Gastroenterol. 35, 541 – 554 (1997). [6] Messori A. et al.: Effectiveness of 5-aminosalicylic acid for maintaining remission in patients with Crohn's disease: A metaanalysis. Am. J. Gastroenterol. 89, 692 – 698 (1994). [7] Roth H.J., Fenner H.: Arzneistoffe, Pharmazeutische Chemie 3 – Struktur, Bioreaktivität, Wirkungsbezogene Eigenschaften, 2. Auflage. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1997, S. 41 – 44, 279 – 280. [8] Mutschler E., Geisslinger G., Kroemer H.K., Schaefer-Korting M.: Arzneimittelwirkungen, 8. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2001, S. 645 – 647. [9] Myers B. et al.: Metabolism and urinary excretion of 5-amino salicylic acid in healthy volunteers when given intravenously or released for absorption at different sites in the gastrointestinal tract. Gut 28 (2), 196 – 200 (1987). [10] Rudolph M.W. et al.: A new 5-aminosalicylic acid multi-unit dosage form for the therapy of ulcerative colitis. Eur. J. Pharm. Biopharm. 52, 183 – 190 (2001). [11] Rohrs B.R. et al. : USP dissolution apparatus 3 (reciprocating cylinder): instrument parameter effects on drug release from sustained release formulations. J. Pharm. Sci. 84 (8), 922 – 926 (1995). [12] Klein S. et al.: Comparing drug release characteristics of different marketed Mesalazine dosage forms by simulating their gi-passage with a new BIO-DIS method (Abstract), Proceedings 28th International Symposium on Controlled Release and Bioactive Materials, #6089, Controlled Release Society, Inc., San Diego, California, USA, 2001. [13] Davis S.S. et al.: A comparative study of the gastrointestinal transit of a pellet and tablet formulation. Int. J. Pharm. 21, 167 – 177 (1984). [14] Davis S.S. et al.: Transit of pharmaceutical dosage forms through the small intestine. Gut 27 (8), 886 – 892 (1986). [15] Coupe A.J. et al.: Variation in gastrointestinal transit of pharmaceutical dosage forms in healthy subjects. Pharm. Res. 8 (3), 360 – 364 (1991). [16] Christensen L.A. et al.: Pharmakokinetik der oral verabreichten 5-Aminosalicylsäure (Mesalazin)-Präparate: Unterschiede und mögliche klinische Auswirkungen. Chirurgische Gastroenterologie 9 (suppl. 1), 38 – 43 (1993).
Die aktuelle Aut-idem-Regelung rief bei vielen Ärzten und teilweise auch bei Patienten Widerspruch und Misstrauen hervor. Eine aktuelle Untersuchung an Mesalazin-Präparaten zeigt, dass diese Reaktionen nicht gänzlich unbegründet sind. Auch wenn Wirkstoff, Hilfsstoffe und Darreichungsform der Präparate identisch sind, können sie sich auf Grund der Galenik in ihrer Wirkung und Nebenwirkungen erheblich voneinander unterscheiden
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