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Deutsche Skispringer: Der Mann, der Hannawald und Schmitt in der Hand hat
Abends, nach dem Essen, da klopfen sie alle bei Rudi Lorenz an dessen Hotelzimmertür: Sven Hannawald braucht eine Massage, Martin Schmitt will sein lädiertes Knie behandeln lassen und Jungstar Stephan Hocke will nur mal bei ihm telefonieren. "Bei mir finden sie, was sie brauchen", erzählt der 50-Jährige und zeigt auf seine Massagebank, die medizinischen Geräte oder die große Alu-Kiste, randvoll mit Medikamenten: "Gottseidank brauch ich wenig Arzneimittel", berichtet er, "heutzutage gibt's ja kaum noch Verletzungen beim Skispringen, vielleicht mal was zur Durchblutung. Oder gegen Erkältungen – die sind relativ häufig bei Sven und Co. Kein Wunder, das dauernde Hin und Her zwischen der Eiseskälte an der Schanze und den warmen Containern bzw. TV-Studios."
Rudi Lorenz erzählt ruhig, mit tiefer bayerischer Stimme. Er wirkt gelassen und kompetent. Seine "Patienten" sind voll des Lobes über ihren Masseur: "Zum Rudi kannst immer kommen, der hilft dir in fast jeder Lage!", schwärmt z. B. Mannschaftsweltmeister Michael Uhrmann.
Und Trainer Steiert sagt: "Der Rudi macht einen Super-Job!" Und das seit rund 15 Jahren: so lange schon zieht Lorenz jeden Winter mit den deutschen Skispringern kreuz und quer durch die Welt. Eigentlich ist er ja Stabsfeldwebel bei der Bundeswehr, inzwischen kennt er die Großen des Skisports, er hat Jens Weissflog geknetet, Dieter Thoma in den Griff gekriegt und trägt nun zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden unserer Olympiateilnehmer Hannawald, Schmitt, Hocke, Späth und Duffner bei. Lorenz ist der gute Geist des Teams, bei ihm auf der Bank lösen sich die Zungen, er hat das Vertrauen der Truppe, er arbeitet diskret und effektiv: "Die Trainer sind fürs Sportliche zuständig", erklärt Uhrmann, "der Rudi für den Rest. Und wenn du eine Massage für die Haxen kriegst, dann hilft das auch dem Kopf!" Rudi Lorenz nickt: " Manchmal bringt ein Gespräch mit dem Athleten viel mehr als eine medizinische Behandlung, ich sag dann: komm, lass uns ein Bier trinken und reden, das tut dann meistens richtig gut."
Lorenz weiß: er sitzt an der Schnittstelle zwischen den beiden Erfolgstrainern Reinhard Hess und Wolfgang Steiert auf der einen und den sensiblen Sportlern auf der anderen Seite. Da kann er vermitteln, erklären, anschieben, bremsen – je nachdem. "Ich bin ja auch der Erste, mit dem sie Kontakt haben, nach ihrem Sprung von der Schanze."
Stimmt: Rudi steht immer im bzw. am Auslauf, er notiert auf einer großen Kladde die Anlaufgeschwindigkeiten, teilt Hannawald, Schmitt und Co. seinen ersten Eindruck vom Sprung mit und stellt via Funkgerät sofort Verbindung zu Hess oder Steiert her: "Ich bin der Mittelsmann", lacht der überzeugte Oberbayer – und als solchen sehen ihn Abermillionen von deutschen Fernsehzuschauern in Aktion: mal nüchtern, mal mit einem aufmunternden Klaps auf den Rücken von Martin, mal jubelnd, wie nach dem historischen Sieg Hannawalds bei der Vierschanzentournee in Bischofshofen. "Die Sache macht Riesenspaß", gibt er zu, auch wenn er jeden Winter Tausende von Kilometern fahren muss.
Über seine Qualitäten als Physiotherapeut und unentbehrlicher Helfer an der Schanze gibt's keine Diskussionen, seine Leistungen als Busfahrer der bayerischen Teammitglieder bieten allerdings Anlass zu Frotzeleien. Vor allem Steiert – er chauffiert die Badener Schmitt, Hannawald und Duffner – zieht den Masseur immer ein bisschen auf: "Rudi stellt sich garantiert in jeden Stau rein, wer mit ihm fährt, der kommt immer viel später ans Ziel!" Lorenz' bayerischer Mitfahrer Uhrmann grinst: "Naa, so schlimm is des net. Der Rudi fährt – sagen wir mal – einfach vorausschauend. Und sicherer auf jeden Fall." Und damit kann Rudi Lorenz leben, zumal er demnächst ja nicht fahren muss, sondern fliegen darf – zu den Olympischen Spielen in Salt Lake City.
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