Feuilleton

Zum 125. Geburtstag von Erich Leimkugel

Zahlreiche Apothekenbesitzer spielten seit Jahrhunderten nebenberuflich eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben ihres Wohnortes. Sie waren wegen ihrer Bildung und Zuverlässigkeit geschätzt und übernahmen Ehrenämter (Ratsherren, Ortsvorsteher, Deputierte, Kirchenvorstände u. a.). So waren einige Besitzer der 1619 gegründeten Einhorn-Apotheke in der ehemaligen Reichsstadt Essen z. B. Gildemeister, Senatoren und Stadtverordnete. Dort machte sich auch Erich Leimkugel als Standes- und Parteipolitiker einen Namen. Zu seinen Hobbys gehörte die Freiballonfliegerei und die Erforschung Till Eulenspiegels.

Als Sohn eines Fabrikanten wurde Erich Leimkugel am 8. August 1877 in Schöppenstedt (Kreis Wolfenbüttel) geboren. Nach dem Besuch der Volksschule in seiner Vaterstadt und des Gymnasiums in Wolfenbüttel erlernte er ab 1894 bei Dr. Oelze in Bielefeld den Apothekerberuf. Nach bestandenem Vorexamen (1897) führten ihn seine Wanderjahre in die Schweiz und an die französische Riviera.

Sein Pharmaziestudium absolvierte er von 1899 bis 1901 an der TH Braunschweig. Nachdem er dann in verschiedenen deutschen Städten konditioniert hatte, kaufte er die Adler-Apotheke in Gevelsberg (Westfalen). Nach zwei Jahren verkaufte er diese Apotheke wieder und wurde 1907 Besitzer der Einhorn-Apotheke in Essen. Im Oktober 1907 heiratete er Gertrud Klingemann, die er in Gevelsberg kennen gelernt hatte. In den Jahren 1913/14 errichtete er neben dem alten Patrizierhaus, in dem die Apotheke untergebracht war, einen Neubau und verlegte in ihn seine Apotheke.

Liebe zum Freiballonsport

Im Juli 1909 machte Leimkugel seine erste Ballonfahrt. Als Fahrtenwart des Niederrheinischen Vereins für Luftfahrt organisierte er Wettfahrten und nahm selbst an internationalen Wettfahrten teil. Besonderes Aufsehen erregte 1912 seine Überquerung der Zentralalpen mit dem Ballon "Tirol" von Innsbruck aus. Seine insgesamt 149 Ballonfahrten nutzte er auch für meteorologische Beobachtungen. 1910 unternahm er zusammen mit Ernst Milarch, Bonn, einen Ballonaufstieg, um den Halleyschen Kometen zu beobachten.

Im Ersten Weltkrieg meldete sich Leimkugel, der nicht gedient hatte, freiwillig an die Front. Er wurde als Meteorologe bei der 34. Feldfliegerabteilung in Cunel bei Verdun eingesetzt und stellte zudem maßgerechte Luftbilder (Ballon-Fotogrammetrie) von diesem Frontabschnitt her. Nach zwei Jahren, als seine approbierten Mitarbeiter zum Kriegsdienst einberufen wurden, kehrte Leimkugel wieder in seine Apotheke nach Essen zurück.

Politisches Engagement

Nach dem Krieg wählten seine Kollegen Leimkugel zum Vorsitzenden des Essener Apothekervereins. Er wurde Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) in Essen und Mitglied des Stadtparlaments. Während der Spartakistenunruhen Anfang 1919 stellte er die Essener Bügerwehr auf, da die Stadt zu dieser Zeit keinerlei polizeilichen Schutz hatte. Nachdem 1923 die Franzosen das Ruhrgebiet besetzt hatten, besuchte Theodor Heuss (1884 bis 1963) Essen, um dort einige Vorträge zu halten.

Er wohnte damals für einige Zeit bei seinem Parteifreund Leimkugel, der auch sein persönlicher Freund wurde. Auch mit dem DDP-Reichstagsabgeordneten Anton Erkelenz (1878 – 1945) war Leimkugel befreundet; er begleitete ihn als Dolmetscher zu Tagungen nach Genf und Paris.

Nachdem sich die politische und wirtschaftliche Lage wieder etwas normalisiert hatte, begann Leimkugel wieder mit dem Freiballonsport. Als einer der ersten Ballonfahrer benutzte er die Radiopeilung, für die er selbst eine einfache Methode entwickelt hatte, zur Ortsbestimmung bei Nacht- und Wolkenfahrten.

1929 verlieh man ihm das "Deutsche Sportabzeichen für Freiballonfahrer in Gold Nr. 2"; 1929 und 1932 vertrat er Deutschland bei internationalen Freiballonveranstaltungen ("Gordon-Bennett-Ballonwettfahrt", Internationale Luftfahrertagung in Paris). Seine letzte Ballonfahrt in St. Louis, USA, unternahm Leimkugel 1933. Dann durfte er diesen Sport wegen seiner demokratischen Gesinnung nicht mehr ausüben.

Till Eulenspiegels lustige Streiche

Doch bald fand Leimkugel ein neues Betätigungsfeld in der Volks- und Heimatkunde. Seine unermüdliche Sammlertätigkeit führte später zu der Gründung des Heimatmuseums in Schöppenstedt, welches er in einem Teilgebäude seines Elternhauses einrichtete.

Ganz besonders hatten es ihm die Schildbürgerstreiche, die man seiner Vaterstadt (das braunschweigische Abdera oder Schilda) seit dem 17. Jahrhundert nachsagte, sowie der nahe bei Schöppenstedt in dem Dorf Kneitlingen geborene Till Eulenspiegel angetan. Im Museum richtete er eine besondere Abteilung "Humor der Heimat und Till Eulenspiegel" ein. Er sammelte alles, was er über diesen Schalk bekommen konnte (Literatur, Plastiken, Bilder, Musik u. a.). Nach Leimkugels Tod ging die Sammlung, seinem letzten Willen entsprechend, in den Besitz der Stadt Schöppenstedt über. Sie befindet sich heute in einem neuen Gebäude in einem wesentlich größeren Rahmen.

Widerstand im 3. Reich

Während des 3. Reichs schloss sich Leimkugel um 1935 dem "Steffensmeier-Kreis" in Essen an, einer Widerstandsgruppe, die von dem Kaufmann und ehemaligen Mitglied der Zentrumpartei Dr. Heinrich Steffensmeier (*1893) gegründet worden war. Darüber berichtete der Verleger Walter Bacmeister: Leimkugel "wagte, unter Lebensgefahr wichtige im Ausland erschienene Bücher über Hitler und sein Regime aus Holland hereinzuholen, indem er sie mit Romanumschlägen tarnte.

In der Fähigkeit, Beamte und Agenten der Gestapo zu täuschen, war er unübertrefflich. Mit schwer fassbaren ironischen Bemerkungen, die er seiner Apotheken-Kundschaft leichthin zuwarf, hat er nicht nur wenige Menschen zum Nachdenken gebracht [...]

Steffensmeier, Leimkugel und ich verfügten über Büros und zuverlässige Mitarbeiter, sodass die Vervielfältigungen hergestellt werden konnten, ohne Verrat fürchten zu müssen. Man kam mit solchen ,streng vertraulichen' Sachen an viele Leute heran, die nicht in den engeren Widerstandskreis gezogen werden konnten ..." Damals war das Hinterstübchen der Apotheke ein Treffpunkt der Widerständler.

Durch einen Luftangriff am 5. März 1943 wurden Leimkugels Haus und seine Apotheke in Essen zerstört. In den letzten Kriegsmonaten lebte er dann in seiner Vaterstadt und kehrte 1945 wieder nach Essen zurück, wo er mit dem Wiederaufbau der Apotheke begann. Am 2. Mai 1946 konnte bereits die neue Apotheke eröffnet werden.

Bereits 1945 gehörte Leimkugel zu den Mitbegründern der FDP in Essen. Auf Bitten seiner Kollegen wurde er mit dem Amt des Kreisapothekers betraut. Von der Apothekerkammer der Nord-Rheinprovinz wurde er zum Mitglied des Arbeitsausschusses berufen und vom Gesundheitsamt Essen zum Vertrauensapotheker bestellt.

Am 13. März 1947 erlitt Leimkugel einen schweren Herzanfall. Er bekam eine doppelte Lungenentzündung und starb am Morgen des 22. März 1947 in Essen. Seine Beisetzung auf dem Friedhof von Schöppenstedt fand am 30. März 1947 statt. Zur Erinnerung an ihren bedeutenden Sohn benannte seine Vaterstadt eine Straße nach ihm.

Literatur

G. Leimkugel: Erich Leimkugel zum Gedächtnis. Privatdruck 1947. W. Bacmeister: Von einer Essener Widerstandsgruppe im NSDAP-Staat. Maschinenschrift, 1953. Das Eulenspiegelmuseum in Schöppenstedt in Gefahr. Dtsch. Apoth. Ztg. 99 (1959), S. 477. S. Guttmann: Deutsche Einhorn-Apotheken, Teil 2. Ettlingen (Fa. Spitzner), S. 19 f. Auskunft der Stadt Schöppenstedt vom 2. 11. 1982. Mitteilungen von Frau M. Barleben-Leimkugel, 1983. Deutsche Apotheker-Biographie. Erg.-Bd., Stuttgart 1986, S. 276 (Schwarz).

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