Arzneimittel und Therapie

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer: Sertralin nach Herzinfarkt?

Zwischen 15 und 23% der Patienten mit koronarer Herzkrankheit leiden an einer "Major Depression" (in Deutschland auch als depressive Episode bezeichnet). Gleichzeitig ist die Depression ein unabhängiger Risikofaktor für die kardiovaskuläre Morbidität und Letalität. Dennoch erhalten die meisten depressiven Patienten kurz nach Herzinfarkt oder instabiler Angina pectoris keine Antidepressiva. Trizyclische Antidepressiva werden bei diesen Patienten wegen ihrer möglichen kardiotoxischen Wirkung gemieden.

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wirken zwar bei Depressiven ohne Herzerkrankung nicht kardiotoxisch. Patienten mit Herzerkrankung wurden jedoch bisher von Antidepressiva-Studien ausgeschlossen. Deshalb ist wenig über neuere Antidepressiva bei herzkranken Patienten bekannt.

Der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Sertralin unterschied sich in einer Studie an depressiven Patienten nach Herzinfarkt oder instabiler Angina pectoris in allen kardialen Sicherheitsparametern nicht von Plazebo. Die Wirksamkeit wurde für Patienten mit wiederholter Depression gezeigt.

Nach Herzinfarkt oder instabiler Angina pectoris

In der SADHART(Sertralin antidepressant heart attack randomized trial)-Studie wurden die Sicherheit und Wirksamkeit des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers Sertralin (Gladem®, Zoloft®) bei Patienten mit einer Major Depression kurz nach einem Krankenhausaufenthalt wegen Herzinfarkt oder instabiler Angina pectoris untersucht.

Die Studie fand in 40 kardiologischen Ambulanzen und psychiatrischen Kliniken in sieben Ländern statt. Erfasst wurden Patienten, die in den vergangenen 30 Tagen wegen Herzinfarkt oder instabiler Angina pectoris stationär aufgenommen worden waren. Alle litten aktuell an einer Major Depression und nahmen noch keine Antidepressiva ein. Sie hatten keine weitere lebensbedrohliche Erkrankung.

In einer zweiwöchigen, einfachblinden Plazebo-run-in-Phase wurden alle erforderlichen kardiovaskulären Untersuchungen abgeschlossen und überprüft, ob die depressive Episode andauerte. Danach bekamen die Patienten randomisiert 24 Wochen lang Sertralin oder Plazebo zur oralen Einnahme. Die Dosierung konnte in festgelegten Abständen von 50 mg bis auf 200 mg erhöht werden. Am Studienende wurde Sertralin ausschleichend abgesetzt.

Sicherheit im Vordergrund

In dieser Studie ging es in erster Linie um die Sicherheit von Sertralin bei herzkranken Patienten. Primäres Zielkriterium war daher die Veränderung der linksventrikulären Ejektionsfraktion. Sekundäre Zielkriterien waren weitere kardiale Surrogatparameter, darunter Blutdruck, Puls und verschiedene EKG-Parameter, aber auch die Häufigkeit kardiovaskulärer Nebenwirkungen.

Als sekundäre Zielkriterien wurden auch Wirksamkeitsparameter erfasst: die Punktwerte auf der Hamilton-Depressions-Skala und der Clinical-Global-Impression-Improvement(CGI-I)-Skala. Die Punktwerte wurden für die Gesamtpopulation und für zwei Untergruppen berechnet:

  • Patienten mit wiederholter Major Depression (mindestens einer früheren Episode)
  • Patienten mit schwerer, wiederholter Major Depression (Hamilton-Depressions-Score > 18 und zwei oder mehr frühere Episoden).

369 Patienten wurden randomisiert, 186 erhielten Sertralin, 183 Plazebo.

Überwiegend Infarktpatienten

Fast zwei Drittel der Teilnehmer waren Männer. Das Durchschnittsalter lag bei 57 Jahren. Drei Viertel hatten einen Herzinfarkt erlitten. Der mittlere Hamilton-Depressions-Score betrug zu Beginn 19,6. Vom Herzinfarkt oder der Klinikaufnahme wegen instabiler Angina pectoris bis zum Beginn der Depressionsbehandlung vergingen durchschnittlich fast 34 Tage. Nach 24 Behandlungswochen lag die mittlere Sertralin-Tagesdosis bei 69 mg.

Kardiale Sicherheitsparameter unbeeinflusst

Sertralin hatte keinen signifikanten Behandlungseffekt auf die mittlere linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF). In der Sertralin-Gruppe entsprach die LVEF nach 16 Wochen dem Ausgangswert (54%), in der Plazebogruppe war sie fast unverändert (53% statt 52%). Auch bei den sekundären Sicherheitsparametern bestand kein Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Kardiovaskuläre Ereignisse waren in beiden Gruppen gleich häufig. Schwere kardiovaskuläre Ereignisse traten unter Sertralin nicht signifikant seltener auf als unter Plazebo: bei 27 (14,5%) gegenüber 41 Patienten (22,4%).

Wirksam bei wiederholter Depression

In der Gesamtpopulation war Sertralin nach 24 Wochen gemäß Clinical-Global-Impression-Improvement-Skala, aber nicht gemäß Hamilton-Depressions-Skala wirksamer als Plazebo. In den beiden Untergruppen mit wiederholter bzw. schwerer, wiederholter Depression zeigte sich Sertralin auf beiden Depressionsskalen wirksamer als Plazebo.

Patienten galten als Responder, wenn sie einen CGI-I-Punktwert von einem oder zwei Punkten aufwiesen (= sehr stark oder stark gebessert). Dies war in der Gesamtpopulation bei 67% der mit Sertralin Behandelten und bei 53% der mit Plazebo Behandelten der Fall, in der Untergruppe der Patienten mit wiederholter Depression bei 72% gegenüber 51% und in der Untergruppe der Patienten mit schwerer, wiederholter Depression bei 78% gegenüber 45%. Als nichtkardiale Nebenwirkungen traten Übelkeit und Durchfälle in der Sertralin-Gruppe etwa doppelt so häufig auf wie in der Plazebo-Gruppe.

Die Studie zeigt erstmals, dass ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz (etwa einen Monat) nach einem Herzinfarkt oder instabiler Angina pectoris verabreicht, sicher ist. Sie weist außerdem darauf hin, dass Sertralin bei herzkranken Patienten mit wiederholter Depression wirksam ist. Unklar ist, ob die Ergebnisse auf andere SSRI übertragen werden können. Zukünftige Studien müssen zeigen, ob die erfolgreiche Depressionsbehandlung die Postinfarktsterblichkeit verringern kann. Zu klären ist auch, welche Patienten tatsächlich eine antidepressive Therapie benötigen. Bei einem Teil der Postinfarktpatienten gehen die Depressionen nämlich spontan zurück.

Kastentext: Major Depression (depressive Episode)

Das wesentliche Merkmal einer depressiven Episode ist eine mindestens zwei Wochen lang andauernde Zeitspanne mit schwermütiger Stimmung und/oder der Verlust des Interesses und der Freude an fast allen Aktivitäten. Außerdem müssen – laut Diagnostischem und Statistischem Manual Psychischer Störungen (DSM IV) – mindestens fünf der folgenden Symptome bestehen, die während dieser zwei Wochen täglich und permanent vorhanden sind:

  • depressive Verstimmung
  • Interessenverlust
  • Gewichtsverlust/-zunahme oder verminderter/gesteigerter Appetit
  • Schlaflosigkeit/vermehrter Schlaf
  • psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung
  • Müdigkeit oder Energieverlust
  • Gefühle von Wertlosigkeit oder Schuldgefühle
  • Konzentrationsschwierigkeiten/verringerte Entscheidungsfähigkeit
  • Suizidgedanken

Literatur

Glassman, A. H., et al.: Sertraline treatment of major depression in patients with acute myocardial infarction or unstable angina. J. Am. med. Ass. 288, 701 – 709 (2002). Carney, R. M., A. S.: Jaffe: Treatment of depression following acute myocardial infarction. J. Am. med. Ass. 288, 750 – 751 (2002).

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