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Symposium: Veterinärmedizin und Phytopharmaka

BSE, Massentierhaltungsskandale, Antibiotika-Folgelasten Ų all dies hat die Verbraucher aufmerksamer und vorsichtiger gemacht. Aber auch Produzenten und Veterinärmediziner selbst suchen nach Alternativen zu den schweren medikamentösen und chemischen Geschützen in der Tierhaltung und -behandlung. Was böte sich mehr an als das, womit man in der Humanmedizin Ų und auch in der traditionellen Behandlung von Tieren Ų längst und jahrhundertelang gute Erfahrung gemacht hat: pflanzliche Arzneimittel und biogene Arzneistoffe. In diesem Sinne hatte am 4. und 5. Oktober das Institut für Angewandte Botanik der Veterinärmedizinischen Universität Wien unter der Leitung von Prof. Dr. Chlodwig Franz in Kooperation mit der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) und der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie zum ersten Europäischen Symposium "Funktionelle Pflanzenstoffe in der Veterinärmedizin" eingeladen. Etwa 80 Wissenschaftler, Praktiker und Industrievertreter aus zehn Ländern waren dem Aufruf gefolgt.

1765 war die Veterinärmedizinische Universität Wien (VUW), eine der ältesten tierärztlichen Hochschulen, von Kaiserin Maria Theresia als kurzentschlossene Reaktion auf die große Rinderpest des 18. Jahrhunderts mit den Worten gegründet worden: "Ich habe beschlossen, eine Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten einzurichten."

Nun sieht sich die VUW wieder einmal zu einer Initiative verpflichtet: In einem europaweiten Netzwerk sollen die vielen, aber bisher eher einzelgängerisch vorhandenen Forschungsansätze und Bemühungen zur veterinären Phytotherapie und zu alternativen Behandlungsmethoden koordiniert werden. Bereits existierendes wissenschaftliches und technologisches Know-how aus universitärer Forschung wie aber auch aus Tierarznei-, Futtermittel- und Agrar-Industrie zusammengeführt, kann die dringend notwendigen Entwicklungen in eine neue, sicherere Richtung beschleunigen, betonte Professor Chlodwig Franz in seiner Begrüßung. Solch ein Zusammenschluss könne aber auch stark machen, um den zu erwartenden strengen Regulierungen und Auflagen in der EU mit Kompetenz zu begegnen.

Natürliche Ersatzstoffe für Antibiotika

Hauptthemen dieses ersten Meetings waren u. a. natürliche Ersatzstoffe für die so umstrittenen und ab 2006 in der Tierhaltung verbotenen Antibiotika. Ihr überdimensionaler Verbrauch in der Vergangenheit (und immer noch in außereuropäischen Staaten, s. SZ vom 23. 10. 2002) diente einerseits zur Vorbeugung der in der Massentierhaltung so gefürchteten Masseninfektionen, die ganze Geflügel- oder Schweinebestände auslöschen können. Gleichzeitig aber wurden Antibiotika auch als Wachstumsförderer zur Fleischproduktion eingesetzt – ohne dass man ausreichend bedachte, dass dies die Resistenzentwicklung mikrobieller Krankheitserreger für Mensch und Tier beschleunigen kann.

Heute kennt man den Pathomechanismus bakterieller und viraler Infektionen und weiß, dass die Voraussetzung zur Produktion virulenter Toxine die Adhärenz der Erreger an epitheliale Oberflächen ist, die über spezifische Antigene und komplementäre Kohlenhydrat-Rezeptoren verläuft. Verschiedene Oligosaccharide mit homologen Strukturen, ganz besonders einige spezielle saure Di- und Trigalakturide aus Karotten oder Reis, vermögen die Adhärenz von Erregern wie Salmonella, Klebsiella, Enterobacter, Helicobacter pylori oder Rotaviren an die Darmmukosa durch kompetitive Verdrängung am Rezeptor zu blockieren. Sie werden inzwischen bereits – ebenso wie in der Humanmedizin – mit großem Erfolg zur Durchfallprophylaxe in der Ferkel- und Hühneraufzucht anstelle von Antibiotika eingesetzt.

Nicht weniger erfolgversprechend sind Zufütterungsversuche mit antibakteriell und antiviral wirksamen Gewürzpflanzen oder ihren ätherischen Ölen. Neben Salbei, Oregano, Koriander, Zimt und Zitronellgras bewährt sich vor allem der Thymian in unterschiedlichen Chemovaren. Hier ist es eher eine Frage der Entwicklung ansprechender Darreichungsformen, dass solche Mischungen von den Tieren angenommen werden – eine Aufgabe der Hersteller.

Auch nach antiparasitär (anthelminthisch, nematozid und antiprotozoisch) wirksamen Pflanzen wird dringlich geforscht, denn auch hier ist das Resistenzproblem akut. Mit Melia azadirachta (Neem, Nim), Ananas comosus, Annona squamosa, Embelia ribes (Myrsinaceae) und Fumaria-Arten sind nur einige der aussichtsreichen Forschungsobjekte genannt.

Gewürze im Futter erhöhen die Fleischqualität

Viele Gewürze besitzen aufgrund ihrer phenolischen Bestandteile ein hohes antioxidatives Potenzial. Seit jeher macht man Nahrungsmittel und Fleisch damit haltbarer. Studien ergaben nun, dass schon das Verfüttern solcher Gewürze – auch hier zeigt Thymian die ausgeprägteste Wirkung – einen haltbarkeitsfördernden Effekt auf das Fleisch der damit gefütterten Tiere aufweist, sodass die Gefahr geringer ist, dass es während des Verarbeitungsprozesses verdirbt.

Generell wird viel Forschung betrieben, um den Einfluss bekannter Heilpflanzen in Zumischungen zum Futter zu klären. Auf diesem Weg will man sich beispielsweise die beruhigende oder immunstimulierende Wirkung mancher Arzneipflanzen in der Großtierhaltung zunutze machen und hofft, Fleischweichmacher, Geschmacksstoffe oder Repellents gleich mit dem Futter verabreichen zu können. Das geltende Futtermittelrecht (von 2000) kommt diesen Ideen entgegen, Restriktionen für pflanzliche Zusätze sind vergleichsweise gering.

Umdenken ist notwendig

So wie es langsam wieder Allgemeinwissen wird, dass und wie wir mit der Nahrung unsere Gesundheit beeinflussen und Krankheiten vorbeugen können, so tritt, vom Verbraucher gefordert, auch in der Tierhaltung ganz allmählich wieder ein Gesinnungswandel ein. Nicht nur in der Ökoszene wird erkannt, dass mit richtiger und gesunder Fütterung gesunde Produkte erzielt werden. Im EU-Komitee Food Quality and Safety befasst sich eine eigene Arbeitsgruppe mit dem "Einfluss der Tiernahrung auf die menschliche Gesundheit" (Impact of animal feed on human health).

Haustierhalter waren da schon immer eher um das Wohlergehen ihrer Lieblinge besorgt (der Haustierfuttermarkt ist ein stabiler Wirtschaftsfaktor von 2 bzw. 10 Mrd. Euro/Jahr Umsatz in Deutschland bzw. in Europa). Im "Petfood" sowie in der Tierhaltung sind pro- und präbiotische Futterzusätze daher genauso aktuell wie in unserer Nahrung. Unter den natürlichen Zusätzen bewährt sich z. B. Topinambur-Inulin zur Immunstärkung – ganz wichtig in der Absetzphase bei Zuchttieren. Mikroalgen (Chlorella, Spirulina) erhöhen die Fertilität, wie Studien an Schweinen, Rindern, Leg- und Truthühnern, Karpfen oder Nutrias zeigen konnten.

Viel Neues und doch Altbekanntes kam in Wien zur Diskussion: Beim Klee, früher "das" Kuhfutter schlechthin, heute weitgehend von (undurchsichtigen) Futtermischungen abgelöst, bewiesen unsere Altvorderen gutes Gespür: Klee (Trifolium pratense) und Alfalfa oder Luzerne (Medicago sativa) sind besonders reich an Proteinen, antioxidativ wirksamen Polyphenolen und vor allem an Saponinen mit nachgewiesenen antifungalen, antiprotozoischen und cholesterinsenkenden Eigenschaften. Für manche regional überlieferte pflanzliche Tierarznei, heute in ausgedehnten ethnoveterinärmedizinischen Studien wieder mühsam zusammengetragen, kann mit modernen Untersuchungsmethoden der chemische oder klinische Wirkungsnachweis erbracht werden.

Bewährte Phytotherapeutika auch zur Anwendung am Tier geeignet

Naheliegend und einfach bietet sich natürlich an, erprobte Phytopharmaka und Heilpflanzen der Humanmedizin auch in der Tiermedizin einzusetzen. Die richtige Dosis kann jedoch, da war man sich in Wien einig, nicht einfach nur durch Umrechnung entsprechend dem tierischen Lebendgewicht erfolgen, sondern sollte, ebenso wie die Bioverfügbarkeit eines Arzneistoffes im Tier, in genauen Studien bestimmt werden.

Sehr gute Ergebnisse brachte u. a. die Behandlung von chronisch obstruktiver Bronchitis (COPD) bei Pferden mit einem Extrakt aus Primelwurzel und Thymiankraut (Bronchipret® TP Filmtabletten). Vergleichsstudien mit einem gängigen Antibiotikum zeigten, dass diese langwierige und die Leistungsfähigkeit von Pferden stark beeinträchtigende Erkrankung mit dem erprobten Phytopräparat gleichwertig unter Kontrolle zu bringen war. Bei allergisch bedingter COPD erwies sich ein Petasites-Spezialextrakt (Ze 339) als hochwirksam. Crataegus für das tierische Altersherz hat schon lange einen festen Platz in vielen Veterinär-Praxen, und Echinacea-Krautpresslinge sind ein beliebter Pferdefutterzusatz.

Silymarin für leberkranke Kühe

In der gesundheitlichen Stressphase kurz vor und nach dem Kalben, aber auch durch kontaminiertes Futter sind Kühe vermehrt von Lebererkrankungen oder -intoxikationen bedroht. Kontaminationsmetaboliten (etwa von Aspergillus flavus) können als schädigende Toxine in die Milch übergehen. Ihre erlaubten Maximalkonzentrationen sind in der EU streng reguliert. Silymarin bzw. ein für die Verabreichung am Tier entwickelter Silymarin-Phospholipid-Komplex zeigt hier signifikante detoxifizierende Effekte und kommt somit der Tiergesundheit wie der Milchqualität zugute.

Gemeinsamer Aufbruch

Zum Abschluss der Tagung wurde die neugegründete Arbeitsgruppe auch benannt: "European Task Force for the use of bioactive plant products in animals". Illusionen gibt man sich jedoch nicht hin, denn man weiß, dass bislang in den maßgeblichen Gremien der EU keine großen Sympathien (also auch keine Gelder) für die Ideen der Forschungsgruppe zu finden sind. Man weiß auch, dass gerade in der nahrungsproduzierenden Tierhaltung extreme gesetzliche Limitierungen existieren oder zu erwarten sind. Dabei würde man annehmen, dass die Fleischindustrie selbst das größte Interesse an der geplanten Forschung haben sollte.

Kleinere Unternehmen stehen, wie auch das Symposium gezeigt hat, den vorgetragenen Neuerungen wesentlich aufgeschlossener gegenüber. Dort aber fürchtet man die Auflagen, an denen kleinere Betriebe schlichtweg scheitern können. Trotzdem, die Hoffnung ist groß, dass entsprechend den Ergebnissen der rationalen Phytotherapie in der Humanmedizin auch bald ähnlich gute Ergebnisse für die Begründung einer rationale Phytotherapie in der Veterinärmedizin zu erwarten sind.

P. S.: Erst nach dem Symposium wurde bekannt, dass das o. g. EU-Komitee für 2003 "Alternatives to antimicrobials in feeds" zum Jahresthema erhoben hat mit dem Ziel, "die Forschung über die Anwendung solcher pflanzlichen Extrakte und Naturstoffe anzuregen und zu rationalisieren, die unbedenklich für die menschliche und tierische Gesundheit sind und als Alternative zu den bisher eingesetzten Antibiotika dienen können". Und nun gibt es dafür auch Forschungsgelder!

Mehr zum Symposium unter ww.vu-wien.ac.at/i104/i104home.htm

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