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Berichte
St.-Albertus-Magnus-Apothekergilde: Therapie im Spannungsfeld zwischen Fortschri
Eingebettet in die Tagung war die Jahreshauptversammlung der St.-Albertus-Magnus-Apothekergilde, bei der der Vorstand neu gewählt wurde. Als PräsidentInnen wurden gewählt: Lore Bopp, befristet bis zum 15. November 2003, anschließend Dr. Jürgen Steiniger, Silke Opzondek und Esther Corvin. Die anderen Vorstandsmitglieder wurden in ihren Ämtern bestätigt.
Arzneimittel im Genom-Zeitalter
Prof. Dr. Theo Dingermann, Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt/ Main, sprach über die "Konsequenzen der Genomforschung für Diagnostik und Therapie". Dingermann begann mit einem Zitat aus Goethes "Die Metamorphosen der Pflanzen" aus dem Jahre 1798: "Alle Gestalten sind so ähnlich, und keine gleicht der anderen, und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz auf ein heiliges Rätsel".
Vor zehn Jahren fassten Biologen, Genetiker und Biochemiker den kühnen Entschluss, dieses Rätsel um die "Gestalten" endgültig zu lüften, das geheime Geisteswerk zu erforschen, das den Mensch zum Menschen macht und doch so unterschiedliche Individuen schafft. Das Genom-Konsortium und die amerikanische Biotech-Firma Celera Genomics haben 2001 in den Top-Wissenschaftsjournalen Science und Nature simultan ihre Resultate publiziert.
Wenn die Gene die Blaupausen, die Instruktoren für das Leben sind, dann sind die Proteine die Exekutoren, die ausführenden Werkzeuge. Diese spalten und verknüpfen, funken und empfangen, löchern und dichten ab, leiten und isolieren mit großer Präzision und faszinierender Anmut. Man nimmt an, dass es weit mehr Proteine gibt, als es die doch recht kleine Zahl an Genen vermuten ließe. Kennt man erst die Form und Funktion dieser molekularen Maschinen, so kann man gezielte rationale Strategien entwerfen, diese Apparate an- oder auszuschalten, sie zu verlangsamen oder zu beschleunigen oder sie gar umzufunktionieren.
Die Stoffe, die an den Knöpfen und Hebeln der Proteinmaschinen drehen, sind die Arzneimittel. Das Genomprojekt wird einen ungeahnten Schub bei der Entwicklung neuer, gezielter einsetzbarer Arzneimittel bewirken, die das heutige Arsenal an Therapien spektakulär erweitern, verändern und umwälzen werden. Es sind diese Zauberkugeln, die zu verwalten die Gesellschaft den ApothekerInnen zugedacht hat. Ärztinnen und Ärzten werden immer neue Werkzeuge bereit gestellt werden, mit denen Krankheiten noch genauer charakterisiert und behandelt werden können. ApothekerInnen werden immer stärker das Gespräch mit den Patienten zu suchen haben, um die stetig komplexer werdenden Therapiestrategien zu erklären und die überforderten Patienten bei der therapeutischen Stange zu halten.
Heute können wir nicht nur den genetischen Status "gesund" oder den genetischen Status "krank" diagnostizieren, sondern wir können den genetischen Status "gefährdet" erkennen, wobei es sich nicht um eine Erbkrankheit handeln muss, wohl aber um ein Erbrisiko, welches durch das Hinzukommen weiterer Faktoren zu einer Erkrankung führen kann. Die Diagnostik der Postgenom-Ära beschränkt sich also nicht mehr ausschließlich auf den Nachweis von Krankheiten, sondern immer mehr auch auf den Nachweis von Krankheitsrisiken. Dies ist Chance und Risiko zugleich, die für den Patienten genutzt, aber auch missbraucht werden kann.
Arzneimittel und nichts anderes werden die Erfolgsstory der Medizin schreiben – auch, ja gerade auch in der Postgenom-Ära. Sie werden neue Indikationen erobern, und damit Krankheiten behandelbar machen, vor denen wir heute noch in vielen Fällen kapitulieren müssen, z. B. Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen in fortgeschrittenen Stadien, Parkinson und Alzheimer.
Der Referent behauptete, dass auch Stammzellen und deren noch ungetestetes Potenzial, über das heute viel geredet wird, zu den Therapeutika und Medikamenten zu zählen sind. Weil das Gesundheitssystem immer komplizierter, für den Laien immer abstrakter und für viele immer weniger akzeptabel wird, werde der Arzneimittelfachmann Apotheker als Mittler zwischen Fortschritt und Angst mehr gefragt sein denn je.
Lifestyle-Arzneimittel
Prof. Dr. M. Schubert-Zsilavecz sprach über "Lifestyle-Arzneimittel – kritisch betrachtet".
Es sei schon irgendwie paradox: Nicht die großen Erfolge bei der Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung von bedrohlichen Erkrankungen machen seit einiger Zeit in den Publikumsmedien Furore; vielmehr zieht eine heterogene Gruppe von Arzneimitteln (und Arzneistoffen) die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich Arzneimittel, denen man irgendwann einmal (zu Recht oder zu Unrecht) das Etikett "Lifestyle-Arzneimittel" verpasst hat. Warum dieses Etikett? Weil diese Arzneimittel mehr können als "nur" veritable Krankheiten bessern? Weil sie dafür sorgen, dass Menschen glücklicher, fitter und jünger, hübscher, attraktiver und auch sexuell potenter bleiben oder wieder werden? Weil sie helfen, dem Schicksal, der genetischen Anlage und/oder dem Lebenswandel ein Schnippchen zu schlagen?
Fünf Gruppen von Lifestyle-Arzneimitteln diskutierte der Referent: Haarpracht statt Glatze, Happy pills (vom Fluoxetin zum Johanniskraut), Jung und fit, Potenzsteigerung, Schön und schlank. Beim letzten Punkt empfahl er vor allem eine Ernährungstherapie (Umstellung der Ernährung) und körperliche Aktivität. Medikamente, die ein früheres Sättigungsgefühl bewirken, können zwar mithelfen, aber die gesunde Lebensweise nicht ersetzen.
"Ethik des Heilens" kontra ärztliches Ethos
Prof. Dr. G. Höver (Bonn) sprach über "Gesundheit – Krankheit – Heilung – im Horizont der biomedizinischen Entwicklung".
Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms gilt als einer der Wendepunkte der Wissenschaftsgeschichte. Die molekular- und zellbiologische Grundlagenforschung beginnt das Gesamtsystem der Medizin zu revolutionieren. An die Entwicklungen knüpfen sich Hoffnungen auf neue Heilungsmöglichkeiten gerade im Bereich der so genannten regenerativen Medizin.
Gleichzeitig entstehen mit der Einrichtung neuartiger biomedizinischer Wissenschaftszweige wie etwa der Stammzellenforschung auch Ängste. Denn mit der Genomforschung wird unsere menschliche Natur der medizinischen Diagnose und Intervention in einer Weise zugänglich, wie dies bislang nicht einmal vorstellbar war. Würde und Identität des Menschen sind durch die heutige Biomedizin antastbar geworden; ihr Schutz ist daher das vorrangige Ziel internationaler Abkommen wie etwa der Bioethikkonvention des Europarates.
Dem Verständnis von Gesundheit, Krankheit und Heilung kommt heute in verstärktem Maße eine normative Leitfunktion zu, da davon die Legitimation ärztlicher Eingriffe auf der Basis aufgeklärter Zustimmung ("informed consent") abhängt. Die Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO "Gesundheit ist der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen" ist nicht nur utopisch, sie ist auch zu pauschal, um zwischen verantwortbaren und unverantwortbaren Eingriffen zu unterscheiden. Daher sucht man im Hinblick auf die Tatsache, dass die chronischen Erkrankungen zahlenmäßig anwachsen und es zunehmend darauf ankommt, mit diesen Krankheiten zu leben, seitens der WHO nach Konzepten der so genannten "Gesundheitsbezogenen Lebensqualität".
Lebensqualität wird hierbei definiert als die "Wahrnehmung der Individuen von ihrer Stellung im Leben im Kontext ihres Kultur- und Wertesystems bezogen auf ihre Ziele, Erwartungen und Standards". Gesundheitsbezogene Lebensqualität bedeutet auch, dass die Biomedizin das Thema Gesundheit – Krankheit – Heilung stärker auf die Fragen von Lebenssinn und Lebensführung beziehen sollte. In diesem Rahmen muss die christliche Botschaft vom Leben neu verkündigt und vermittelt werden.
Bisher unterscheidet sich eine christlich-ethisch begründete Therapie nicht vom ärztlichen Ethos. Elementarer Antrieb des ärztlichen Tuns ist die Hilfeleistung (Sicherung der Vitalfunktionen, vor allem Linderung von Schmerzen und Unterstützung der physischen und psychischen Gesundheit). Der Arzt führt primär keinen Kampf gegen Krankheit und Tod, sondern er führt einen Kampf für den kranken Menschen. Im ärztlichen Auftrag liegt es, durch Heilung und Palliation zur Lebens- und Leidensbewältigung des Patienten beizutragen. Dabei ist die Heilungsabsicht ganz selbstverständlich den allgemein geltenden ethischen Prinzipien des Achtungsgebots der Menschenwürde, des Gleichheitsgrundsatzes und des Tötungsverbotes unterzuordnen. Es gibt keine Pflicht zur Heilung um jeden Preis, wohl aber eine Pflicht zur Palliation, zum Beistand in jeder Situation.
Voraussetzung dieser Sicht ist, dass der Mensch ein Verhältnis zur Endlichkeit im Sinne der Bejahung seiner Kreatürlichkeit findet. Diese Bejahung ist das Herzstück des ärztlichen Ethos. Es wird jedoch im Horizont der biomedizinischen Entwicklung durch neue Leitutopien in Frage gestellt.
Die Formel von der "Ethik des Heilens" macht das "Heilen" rechtfertigungsbedürftig, weil nämlich zu diesem Zweck die Menschenwürde eingeschränkt und geopfert werden soll. Die "Ethik des Heilens" ist eine Konstruktion, die dem ärztlichen Ethos zutiefst widerspricht. Das Opfer, das aktuell auf der Tagesordnung steht, ist die Einschränkung oder Bestreitung der Menschenwürde von Embryonen. In dem Maße, wie Heilung bzw. Gesundheit absolut gesetzt werden, verliert die Palliation an Stellenwert: Heilungsutopie und Euthanasie erweisen sich als komplementär.
Die "Ethik des Heilens" ist Teil eines Wertesystems, das den bisherigen gesellschaftlichen Grundkonsens zu sprengen in der Lage ist. Wer jedoch um die Einheit von Heilung und Palliation weiß, die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens verteidigt und in dieser Haltung seiner Tätigkeit nachgeht, hat nicht nur gute Argumente, sondern vor allem auch die Erfahrung des Menschlichen auf seiner Seite. Man kann die Angst vor dem Fortschritt nur nehmen, indem man die Therapie in die richtige Relation zum Heil setzt.
Eine Besichtigung von Trier und Ausflüge in die Umgebung rundeten die Tagung der St.-Albertus-Magnus-Apothekergilde ab. Die Tagung endete mit einem festlichen Abend, bei dem allen Veranstaltern ein herzliches Dankeschön gesagt wurde.
Kasten: Literaturtipp
Gerald Klose, Manfred Schubert-Zsilavecz, Dieter Steinhilber, Hans-Peter Volz, Hans Wolff: Lifestyle-Arzneimittel – was ist Mache, was ist dran? 208 Seiten, 45 Tab. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2000. 24,50 Euro. ISBN 3-8047-1765-9
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