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Berichte
Botanikertagung in Freiburg: Von Alkaloiden, Vitaminen und biologischer Vielfalt
Automatisiertes Screening
Nur ein Bruchteil der Pflanzen der Erde kann als phytochemisch untersucht gelten, gerade in der Pflanzenvielfalt des Regenwaldes werden viele neue Naturstoffe vermutet. Die Suche nach Wirkstoffen verläuft mehr und mehr automatisiert: Beim high throughput screening (HTS) verteilen Laborroboter Pflanzenextrakte in kleinsten Mengen auf Mikrotiterplatten für Wirkungstests, Fraktionierung und Strukturaufklärung (Beitrag von D. Berg; Fa. Bayer, Monheim).
Höhere Produktion von Pflanzensekundärstoffen
Therapeutisch bedeutsame Pflanzensekundärstoffe wie Morphin, Podophyllotoxin, Scopolamin oder Bestandteile ätherischer Öle haben häufig einen hohen Marktwert, weil sie nur in kleinen Mengen akkumulieren oder aufwändig zu isolieren sind. Es ist sehr schwierig, durch klassische Züchtung Pflanzen mit höherer Produktivität zu erzeugen. Die gezielte genetische oder metabolische Beeinflussung der Wirkstoffbildung setzt immer voraus, dass die einzelnen Bildungsschritte bekannt sind. Folglich beschäftigen sich zahlreiche Forschungsgruppen mit der Biosynthese, den Enzymen, den Genen und ihrer Regulation.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Anwendung moderner gen-analytischer Methoden wurde am Schlafmohn gezeigt. Die metabolischen Schritte der Morphinbildung sind bekannt, aber nur einige der beteiligten Enzyme und Gene. Mit DNA-Makroarrays werden die Genexpressionsmuster von unterschiedlichen Schlafmohnsorten verglichen, um ähnlich wie beim Aufspüren von Genen, die mit bestimmten Krankheiten korrelieren, zu erkennen, welche Gene für eine hohe Morphinproduktion verantwortlich sind (Arbeitsgruppe T. M. Kutchan, Halle).
Süßer Genuss ohne Reue
Auch Pflanzen mit neuen Nahrungseigenschaften werden durch gentechnische Manipulation erzeugt: Während Rohrzucker (Saccharose) an den Zähnen der ideale Nährboden für Kariesbakterien ist, trifft dies für Palatinose (Isomaltulose, ein Isomer der Saccharose), nicht zu. Palatinose ist angenehm süß und kann z. B. zu zahnschonenden Lutschbonbons verarbeitet werden. Kartoffeln wurden mit dem Gen für die Isomerisierung der Saccharose aus dem Bakterium Erwinia rhapontici ausgestattet. Darauf produzierten und speicherten sie Palatinose in so großen Mengen in den Knollen, dass diese Gewinnung des Zuckeraustauschstoffs wirtschaftlicher ist als die chemische Umwandlung von Saccharose (Arbeitsgruppe U. Sonnewald, Gatersleben).
Zeaxanthin aus optimierten Kartoffeln
Trotz des reichlichen Nahrungsangebots mangelt es an einigen Vitaminen in unserem täglichen Essen. Dazu gehören zweifellos Folsäure und einige Carotinoide, die von vielen Menschen in zu geringen Mengen aufgenommen werden. Durch gezielten Eingriff in die Bildungsschritte gelang es, die Ausbeute zu erhöhen. So wurden auf der Botanikertagung Kartoffeln vorgestellt, die von dem orangegelben Carotinoid Zeaxanthin sehr viel mehr speichern als gewöhnlich.
Zeaxanthin ist zusammen mit Lutein für den "gelben Fleck" der Netzhaut des Auges verantwortlich. Mangel an Zeaxanthin wird mit der Makuladegeneration, die in Entwicklungsländern schon bei jungen Menschen auftritt, in Zusammenhang gebracht. Nur wenige Pflanzen akkumulieren Zeaxanthin, bei den meisten wird es durch Oxidation umgebaut.
Nun gelang es, in Kartoffeln das oxidierende Enzym durch anti-sense-mRNA so weit zu unterdrücken, dass der Zeaxanthingehalt bis auf das 130fache stieg (F. Kauder, Universität Konstanz, in Zusammenarbeit mit der Firma SaKa-Ragis Pflanzenzucht GbR, Windeby). Das ist schon mit bloßem Auge zu erkennen: Die Kartoffeln sehen im Querschnitt deutlich gelber aus als der unveränderte Wildtyp der Sorte 'Baltica'. Auch die getrockneten gepulverten Knollen behalten den Wirkstoff und damit die gelbe Farbe.
Entstehung von metabolischer Diversität
Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage nach dem Ursprung von pflanzlichen Sekundärstoffen während der Evolution der Pflanzenfamilien. Sekundärstoffe werden im Gegensatz zu Molekülen des Grund- oder Primärstoffwechsels (z. B. Glucose, Aminosäuren, Nucleinsäuren) nur in bestimmten Pflanzen und in bestimmten Organen akkumuliert.
Sie zeigen eine strukturelle Vielfalt, die weit über die der Primärstoffwechselmoleküle hinausgeht. Für die Funktion jeder einzelnen Pflanzenzelle sind sie nicht nötig – viele Sekundärstoffe sind sogar Zellgifte –, aber als Abwehrstoffe gegen Parasiten oder Fressfeinde sind sie für das Überleben und die Ausbreitung einer Pflanzenart entscheidend. Die strukturelle Vielfalt der Sekundärstoffe und ihre biologische Bedeutung zu verstehen war das Anliegen zahlreicher Kongressbeiträge.
Ein bereits bekannter Mechanismus für die Entstehung von metabolischer Diversität umfasst mehrere Entwicklungsschritte: 1. Ein Gen für ein Enzym des Primärstoffwechsels wird in einem ersten Mutationsschritt dupliziert. 2. Eines der beiden Genduplikate unterliegt dann vermehrten Punktmutationen, weil seine Funktion nicht mehr lebensnotwendig ist. 3. Durch Zufallsveränderung und nachfolgende Selektion entsteht ein Enzym mit neuen Eigenschaften, das ein neues Produkt bildet. 4. Wenn das Produkt irgendwann einen Selektionsvorteil zeigt, z. B. Pathogene abwehrt, kann sich der Pflanzenklon mit diesem neuen Gen durchsetzen und weiter diversifizieren.
Ein schönen Beispiel dafür sind die Polyketidsynthasen (Enzyme, die den ersten Schritt zu Polyketiden katalysieren). Sie steuern die Bildung von Flavonoiden z. B. in Mariendistel oder Pomeranzenschalen, von Benzophenonen in Johanniskraut und von Tetracyclinen und Makroliden in Mikroorganismen. Sie alle benutzen Malonyl-CoA als Baustein und leiten sich wahrscheinlich von Enzymen der Fettsäurebildung ab (Arbeitsgruppen um J. Schröder, Freiburg, L. Beerhues, Braunschweig, U. Matern, Marburg).
Natürlich haben die neu gewonnenen Abwehrstoffe für die Pflanzen ihren Preis, denn sie benötigen Energie, Stickstoff und Speicherplatz. Pflanzen, die sich nach einer Pathogenattacke intensiv mit Abwehrstoffen schützen, bilden verglichen mit nicht infizierten Vergleichspflanzen weniger Samen und weniger Speicherstoffe. Damit hat die Kenntnis der Evolution und Funktion von Sekundärstoffbildung durchaus praktische Bedeutung: Wenn man die pflanzlichen Optimierungsstrategien kennt, kann man gezielt Pflanzen optimieren, ohne sie zu "überzüchten".
Pflanzen produzieren tierische Wirkstoffe
Mit Selektion und Optimierung von Wirkstoffpflanzen ist die "Grüne Biotechnologie" für Pharmazeuten noch nicht umfassend beschrieben. Pflanzen eignen sich für die Produktion von Vitaminen und therapeutischen Proteinen, auch wenn diese tierischen oder menschlichen Ursprungs sind. Antikörper (Plantibodies), Allergene für die Desensibilisierung, Impfstoffe, Enzyme, menschliches Serumalbumin werden in Pflanzen synthetisiert und akkumuliert, die zuvor mit den Genen, die für diese Proteine codieren, transformiert wurden. Gegenüber menschlichen oder tierischen Zellkulturen sind Pflanzen preisgünstiger zu halten, sie brauchen sehr viel weniger Energie, und die so gewonnenen Präparate sind nicht mit Säugetierviren infiziert.
Kasten Deutsche Botanische Gesellschaft
Alle zwei Jahre veranstaltet die Deutsche Botanische Gesellschaft ihre Botanikertagung. Nächster Tagungsort im Jahr 2004 wird Braunschweig sein. Dazwischen finden Symposien der einzelnen Sektionen statt. Pharmazeutisch besonders relevant sind hier die Symposien der Sektion "Pflanzliche Naturstoffe". Für biologisch interessierte Pharmazeuten lohnt es sich, die Aktivitäten der Botanischen Gesellschaft aufmerksam zu verfolgen. www.deutsche-botanische-gesellschaft.de
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