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Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern: Stillstand oder Bewegung?
Er sei froh, zur Zeit selbst keine politische Verantwortung tragen zu müssen, so Professor Wasem, denn die Gesundheitspolitik befinde sich in einer extrem schwierigen Situation. Mittlerweile habe man eingesehen, dass Beitragssatzsteigerungen der Krankenkassen ein Einnahmen- und kein Ausgabenproblem seien. Verminderte Einnahmen sind zurückzuführen auf Verschiebebahnhöfe zu Gunsten von Fiskus, Rente- und Arbeitslosenversicherung und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Hinzu kommt, dass die Bestandteile des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die nicht der Beitragspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen, schneller wachsen als diejenigen Bestandteile des BIP, die der Beitragspflicht unterliegen. Und: Die Massenarbeitslosigkeit hat zugenommen mit der Folge, dass die niedrigere Beitragsbemessungsgrundlage für Arbeitslose an Bedeutung gewonnen hat.
Auch die gesundheitspolitische Positionierung von Beitragssatzsicherungsmaßnahmen falle ihm schwer, so Wasem. Unklar sei z. B., ob aus beschäftigungspolitischer Sicht steigende Beitragssätze der GKV schlecht oder gut für den Arbeitsmarkt seien. Vor diesem Hintergrund plädiere er jetzt für eine "richtige strukturelle Reform", bei der auch die Frage der systematischen Einnahmeschwäche der GKV thematisiert werden müsste.
Empfindliche Umsatzminderungen für Apotheken
Die Politik habe sich nun für ein Vorschaltgesetz, dem "Beitragssatzsicherungsgesetz" entschlossen. Dies beeinflusst auf gesetzlichem Weg Umsätze, Preise und Abrechnungsbeträge, beispielsweise gelte dies für Zahntechniker, Ärzte und Zahnärzte, für Krankenhaus und Krankenkassen.
Schwerpunkt des Beitragssatzsicherungsgesetzes sei jedoch der Bereich der Arzneimittelversorgung. Die vorgesehenen Maßnahmen: Der Apothekenrabatt an die gesetzlichen Krankenkassen soll in dem Marktsegment oberhalb von 32,– Euro Abgabepreis spürbar in mehreren Staffeln auf bis zu 10% erhöht, der "Basisrabatt" auf 6% festgeschrieben werden, obwohl dies nach dem Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz nur eine zeitlich befristete Maßnahme sein sollte. Die pharmazeutischen Unternehmen sollen 6%, die pharmazeutischen Großhändler 3% Rabatt zu Gunsten der Krankenkassen einräumen.
Insgesamt soll dies ein Einsparvolumen von 1,4 Milliarden Euro ergeben, was empfindliche Umsatzminderungen bei den Apotheken nach sich zieht, wenngleich das Ausmaß der Wirkungen letztendlich schwer abzuschätzen ist. So ist beispielsweise fraglich, wie sich die Aut-idem-Regelung weiterhin auswirken wird, außerdem ist unklar, inwieweit der Großhandel die Belastung von 3% selbst trägt oder sie auf die Apotheken verlagert. Nach Ansicht von Wasem würden die Gewinne des Großhandels weitgehend wegschmelzen, wenn er den Rabatt alleine tragen müsste.
"Komfortable" Ausgangssituation in "Meck-Pomm"
Um auf die Situation der Krankenkassenausgaben in Mecklenburg-Vorpommern einzugehen, konnte Wasem als Vorsitzender des Schiedsamtes zwischen Krakenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung berichten, dass sich die Arzneimittelverordnungen in Mecklenburg-Vorpommern auf einem hohen Ausgabenniveau bewegen.
Das Schiedsamt habe dies als für erforderlich angesehen aufgrund regionaler Einflussfaktoren in diesem Bundesland. So finden sich dort z. B. ein deutlich überdurchschnittlicher Überalterungsprozess in der Bevölkerung, die Morbiditätsstruktur der Versicherten hat sich weiter verschlechtert und die Zahl der Krankenhaustage wurde kontinuierlich weiter gesenkt, was zwangsläufig steigende Arzneimittelausgaben im ambulanten Bereich zur Folge hat.
Da dieses Bundesland zudem eine unterdurchschnittliche Apothekendichte hat, folgerte Wasem daraus, dass die Umsätze der Apotheken in diesem Bundesland im arithmetischen Mittel durchaus attraktiv sein dürften im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Wenngleich die Regelungen des Vorschaltgesetzes für Apotheken schmerzhaft sind, so können die Apotheker in Mecklenburg-Vorpommern diese Einschnitte "aus einer durchaus recht komfortablen Ausgangssituation heraus antreten", so Wasem.
Perspektiven für eine kommende Gesundheitsreform
In der Koalitionsvereinbarung heißt es für den Bereich des Arzneimittelmarktes: Die Arzneimittelversorgung wird liberalisiert". Diese knappe Aussage wird ergänzt durch die Absicht, die so genannte vierte Hürde einführen zu wollen, also die Bewertung des pharmakoökonomischen Nutzens eines neuen Arzneimittels, was durch ein neu zu gründendes Deutsches Institut für Qualität in der Medizin geschehen soll. Wasem unterstützte dieses Vorhaben, neben Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität auch den therapeutischen Nutzen und die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels zu bewerten.
Zu einer kommenden Gesundheitsreform gehört nach seiner Ansicht außerdem die Einführung einiger weiterer Instrumente wie beispielsweise Disease Management Programme, die auf evidenzbasierten Leitlinien und Endpunktstudien für die Arzneimitteltherapie aufbauen.
Versandhandel gehört dazu
Unter einer Liberalisierung der Arzneimittelversorgung stelle er sich außerdem – so sei es auch in einem Eckpunktpapier seiner Expertengruppe ausgewiesen – die Zulassung von Versandhandel und einer wettbewerblichen Preisgestaltung vor.
Wasem räumte ein, dass es derzeit "eine ganze Menge schwarzer Schafe" unter den Internet-Apotheken gebe. Deshalb benötige man beim Versandhandel klare Zulassungsregelungen. Die hohen Standards deutscher Apotheken müssten auch für den Arzneiversandhandel in Deutschland gelten. Er halte vor diesem Hintergrund das Schweizer Modell, in dem der Versandhandel grundsätzlich ausgeschlossen bleibe, auf Antrag jedoch einzelne Apotheken zugelassen werden könnten, auch in der Bundesrepublik für praktikabel. Von einer zugelassenen Versandhandelsapotheke erwarte er keine Nachteile gegenüber der stationären Apotheke.
Wasem sieht jedoch auch die Gefahr, dass sich der Versandhandel auf ein hochpreisiges Sortiment beschränkt, was allerdings in der Schweiz nicht beobachtet wird. Dennoch wäre eine Veränderung der Preisverordnung notwendig, um solche Effekte abzufedern. Er hält es für sinnvoll, ähnlich wie in der Schweiz verstärkt die eigentlichen Dienstleistungen der Apotheker zu vergüten, was auf eine partielle Abkehr von prozentual an den Herstellerabgabepreis geknüpften Entgelten hinausläuft.
Wirtschaftliche Vorteile sieht Wasem für die gesetzliche Krankenversicherung weiter darin, wenn der einheitliche Apothekenabgabepreis fällt und an seine Stelle vereinbarte Preise treten. Der Kontrahierungszwang der Krankenkassen mit allen Apotheken müsste vor diesem Hintergrund fallen, was für Wasem einen zentralen Eckpfeiler für eine Reform im Gesundheitswesen darstellt.
Mehr Wettbewerb
Eine Gesundheitsreform müsste weiter dazu beitragen, systematisch alle Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, wozu eine wettbewerbliche Ausgestaltung des Gesundheitssystems einen Beitrag liefern kann. Auch auf Seiten der Krankenkasse sei ein straffes Wettbewerbsrecht notwendig, damit sich keine marktbeherrschenden Stellungen ausbilden.
Fällt der Kontrahierungszwang, können Krankenkassen für ihre Versicherten die Versorgung durch Vertragsapotheken, die auch Versandapotheken sein können, sicherstellen. Darüber hinaus müssen die ökonomischen Anreize für die Krankenkassen richtig ausgestaltet sein. Hierzu sei ein morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich wichtig, damit für die Kassen kranke Versicherte ebenso willkommen sind wie gesunde Versicherte.
Wasem machte keinen Hehl daraus, dass nicht alle Offizinapotheken solche Veränderungen überleben werden. Aber, so Wasem wörtlich: "Schutzbedürftig sind nicht die Apotheken, schutzbedürftig ist der Anspruch der Versicherten und Beitragszahler auf eine qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Versorgung mit Arzneimitteln."
Kasten
Dr. Max Brentano, Präsident des Schweizerischen Apothekervereins, stellte auf dem Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern die Neuorganisation der Arzneimittelversorgung in der Schweiz vor, Hans-Günter Friese, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – ABDA –, machte die Apothekerinnen und Apotheker mit den Vorschlägen der ABDA vertraut, wie man sich die zukünftige Arzneimittelversorgung aus Sicht der Apotheker vorstellt.
Über diese beiden Vorträge sowie das wissenschaftliche Programm der Scheele-Tagung berichten wir ausführlich in unserer nächsten DAZ-Ausgabe.
Wie soll es mit der Arzneimittelversorgung in Deutschland weitergehen? Wird das bisherige Versorgungssystem als Stillstand angesehen und verlangt die Politik "mehr Bewegung" von Apothekern? Der Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern, der vom 8. bis 10. November zusammen mit der Scheele-Tagung in Binz auf Rügen stattfand, befasste sich unter dem Motto "Bewegung und Stillstand" aus gesundheitspolitischer Perspektive mit der Arzneimittelversorgung in Deutschland. Prof. Dr. Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Universität Greifswald, betrachtete in seinem Vortrag die Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl.
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