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- DAZ 50/2002
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Information und Beratung
Carbamazepin
1. Handelspäparate
(Auswahl ohne Wertung hinsichtlich der pharmazeutischen Qualität, die z. B. die Bioverfügbarkeit bestimmt)
1.1. Feste Applikation 1.1.1. unretardiert Carbamazepin STADA 200 mg® Tabletten, Stada Carba 200 von ct®, ct-Arzneimittel Finlepsin® Tabletten, Asta Medica AWD Tegretal 200® Tabletten, Novartis Timonil 200/400® Tabletten, Desitin 1.1.2. retardiert Carba 400 retard von ct®, ct-Arzneimittel Tegretal 200/400 retard® Retardtabletten, Novartis Timonil 150/200/ 300/400/600 retard® Retardtabletten, Desitin 1.2. Flüssige Applikation Tegretal Suspension® Retardtabletten, Novartis Timonil 200/400 Saft® Retardtabletten, Desitin
2. Einordnung
Iminostilben-Derivat Antikonvulsivum
3. Indikationen
- Epilepsien: einfache partielle Anfälle (fokale Anfälle); komplexe partielle Anfälle (psychomotorische Anfälle; Grand mal, insbesondere fokaler Genese (Schlaf-Grand mal, diffuses Grand mal); gemischte Epilepsieformen.
- Trigeminus-Neuralgie.
- Genuine Glossopharyngeus-Neuralgie.
- Schmerzhafte diabetische Neuropathie.
- Anfallsverhütung beim Alkoholentzugssyndrom.
- Nichtepileptische Anfälle bei Multipler Sklerose, wie z. B. Trigeminusneuralgie, tonische Anfälle, paroxysmale Dysarthrie und Ataxie, paroxysmale Parästhesien und Schmerzanfälle.
- Zur Prophylaxe manisch-depressiver Phasen, wenn die Therapie mit Lithium versagt hat, beziehungsweise wenn Patienten unter Lithium schnelle Phasenwechsel erlebten und wenn mit Lithium nicht behandelt werden darf.
4. Pharmakologie
4.1. Wirkungsmechanismus Der Wirkungsmechanismus von Carbamazepin ist derzeit nicht abschließend geklärt. Die Wirksamkeit soll durch eine Hemmung der konvulsatorischen Entladungen und eine Hemmung synaptischer Reizübertragungen vermittelt werden. Für die Inhibition der Erregungsleitung scheint ein Angriff an spannungsabhängigen Natriumkanälen eine Rolle zu spielen.
Auch eine GABA-erge Wirkung ist nachgewiesen, deren klinische Relevanz aber unklar ist. Carbamazepin weist in der chemischen Struktur, nicht aber im pharmakologischen Profil eine Ähnlichkeit mit trizyklischen Antidepressiva auf. Aufgrund seiner Lipophilie überwindet Carbamazepin gut die Blut-Hirn-Schranke und reichert sich im Gehirn als seinem Wirkort an.
4.2. Pharmakokinetik
5. Vorsichtsmaßregeln
5.1. Schwangerschaft Carbamazepin ist im Gegensatz zu anderen Antikonvulsiva erst in toxischen Dosen im Tierversuch teratogen. Beim Menschen wurden Missbildungen beobachtet, deren Ursache auch in der Grunderkrankung liegen kann.
In der Schwangerschaft – besonders zwischen dem 20. und 40. Schwangerschaftstag – sind folgende Hinweise zu beachten:
5.2. Stillzeit Carbamazepin geht in geringem Maße in die Muttermilch über. In der Amnionflüssigkeit sind 17 bis 31% des Plasmaspiegels nachweisbar. Vom Stillen ist nur abzusehen, wenn sich beim Kind Sedation und mangelnde Gewichtszunahme als unerwünschte Wirkungen des Carbamazepin zeigen.
5.3. Leber- und Nierenfunktion Bei Leber- und Nierenerkrankungen ist eine sorgsame Überwachung des Blutplasmaspiegels und erforderlichenfalls eine Dosisanpassung notwendig. Veränderungen der Leberparameter unter Therapie sind möglich, Ikterus und Hepatiden können auftreten. Carbamazepin induziert Cytochrom-P-450-Isoenzyme in der Leber, die für den Metabolismus zahlreicher Arzneistoffe, unter anderem auch von Carbamazepin selbst verantwortlich sind. Carbamazepin übt u. a. einen antidiuretischen Effekt aus, der den Wasser- und Mineralhaushalt beeinflusst. Daher sollten Serum-Calcium- und -Natrium-Spiegel beobachtet werden und auf Ödeme und das Körpergewicht geachtet werden.
5.4. Kontraindikationen Absolute Kontraindikationen:
Relative Kontraindikationen:
5.5. Wechselwirkungen Eine antikonvulsive Therapie sollte first-line als eine Monotherapie durchgeführt werden, auf die 80% der Patienten suffizient ansprechen. Bei ausbleibendem Erfolg sollte auf eine Monotherapie mit einem anderen Antikonvulsivum gewechselt werden.
Erst dann kann bei mangelndem therapeutischem Ansprechen die Kombination mit anderen geeigneten Antikonvulsiva erwogen werden. Zahlreiche antikonvulsiv wirksame Arzneimittel zeigen pharmakokinetische Interaktionen mit Carbamazepin im hepatischen Metabolismus.
Carbamazepin induziert insbesondere das Isoenzym der Cytochrom-P-450-Familie CYP 3A4, das für den Metabolismus zahlreicher Arzneistoffe verantwortlich ist. Deswegen ist eine Aktivierung des Metabolismus und ein Anstieg der Plasmaspiegel zahlreicher Arzneistoffe zu beachten. Außerdem wird die Metabolisierung von Carbamazepin durch andere Arzneistoffe mit Einfluss auf diese Enzyme vermindert oder erhöht.
5.6. Teilnahme am Straßenverkehr und Bedienen von Maschinen Sofern nicht bereits die Grunderkrankung das Führen eines Kraftfahrzeugs oder gefährlicher Maschinen verbietet, kann Carbamazepin die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen so weit verändern, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt oder nicht mehr gegeben ist. Dies gilt insbesondere bei Kombination mit anderen zentral wirksamen Pharmaka sowie in Zusammenwirken mit Alkohol.
6. Nebenwirkungen
Die Kombination von Antikonvulsiva verstärkt das Auftreten von Nebenwirkungen signifikant. Deswegen sollte bei mangelhaftem Ansprechen zunächst auf andere Substanzen gewechselt werden, bevor Kombinationen angewandt werden. Nebenwirkungen treten vor allem zu Beginn der Therapie auf und verschwinden häufig innerhalb von 8 bis 14 Tagen.
Deswegen und wegen der Autoinduktion ist eine einschleichende Dosierung mit sukzessiver Dosiserhöhung anzuraten. Im Vordergrund stehen zentrale Nebenwirkungen wie Sedation und Kopfschmerzen, bei geriatrischen Patienten ferner Verwirrtheit und Unruhe. Außerdem zeigen sich gelegentlich bis häufig allergische Hautreaktionen.
Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen sind ebenfalls typische Nebenwirkungen zu Beginn einer Behandlung. Blutbildveränderungen können auftreten, wobei aplastische Anämien und Agranulozytosen eher selten, klinisch irrelevante Leukopenien relativ häufig sind. Leber- und Nierenlaborparameter sollten wegen potenzieller Leber-/Nierenfunktionseinschränkungen beobachtet werden.
Eine mögliche Hyponatriämie durch eine vasopressinartige Wirkung kann die Überwachung des Serumnatriumspiegels erforderlich machen. In Einzelfällen sind kardiale Effekte zu beobachten.
7. Hinweise zur Einnahme
Es besteht keine enge lineare Korrelation zwischen applizierter Dosis und Plasmaspiegel. Im höheren Dosisbereich ist ein Abflachen zu verzeichnen. Deswegen sollte die Therapie anhand von Blutspiegeln kontrolliert und die Dosierung daran und am klinischen Bild des Patienten ausgerichtet werden.
In manchen Fällen hat sich die Verteilung auf 4 bis 5 Einzelgaben in nicht retardierten Darreichungsformen als besonders wirksam erwiesen. Die Steigerung der Dosis auf Erhaltungsniveau kann in Schritten von 150 bis 200 mg alle 3 bis 5 Tage erfolgen. Nach 3 bis 4 Wochen ist die hepatische Autoinduktion voll ausgeprägt.
Der Plasmaspiegel sollte dann kontrolliert und die Dosis eventuell erneut angepasst werden (vgl. auch "10. Besondere Hinweise"). Die Werte in den Tabellen können nur Anhaltswerte sein. Die therapeutisch erforderlichen Dosen können im Einzelfall entweder unter oder auch über den angegebenen Werten liegen, wenn z. B. die hepatische Clearance durch andere Arzneistoffe, insbesondere andere Antikonvulsiva, verändert ist.
8. Aufbewahrung
Carbamazepinpräparate werden wie alle Arzneimittel vor Kindern gesichert aufbewahrt.
9. Überdosierung
Toxische Symptome treten in der Regel bei Plasmaspiegeln ab 20 mg/l auf. An absichtliche Überdosierungen in suzidaler Absicht muss gedacht werden. Eventuell liegen Mehrfachintoxikationen von mehreren Pharmaka vor. Ob Nebenwirkungen wie Schwindel, Übelkeit oder Verwirrtheit plötzlich (wieder) auftreten, sollte sorgfältig beobachtet werden. Gerade der Apotheker sollte hierbei auch an Arzneimittelinteraktionen aufgrund einer Enzyminhibition denken und die ärztliche Therapie dahingehend unterstützen.
Typische Symptome einer Intoxikation sind außerdem Tremor, Erregung, respiratorische und kardiovaskuläre Störungen sowie Bewusstseinsstörungen. Die Laborparameter können eine Leukozytose, Leukopenie, Neutropenie, Glykurie und/oder Acetonurie zeigen.
Folgende Maßnahmen sind bei einer Überdosierung durchzuführen: Spezifisches Antidot ist nicht verfügbar, daher symptomatische Behandlung: Auslösen von Erbrechen, Magenspülungen, Verabreichen von Aktivkohle oder Laxans. Klinische Überwachung der Vitalfunktionen. Forcierte Diurese ist wegen der nicht unerheblichen Proteinbindung wenig sinnvoll.
10. Besondere Hinweise
Aufgrund der starken interindividuellen Unterschiede der Blutspiegel bei gleicher Dosierung, der umfangreichen Nebenwirkungen und der relativ geringen therapeutischen Breite ist die Überwachung der Blutspiegel sinnvoll.
Die Messung und/oder das Errechnen von Dosisempfehlungen für den Arzt kann durch den Apotheker aufgrund seiner analytischen und biopharmazeutischen Kenntnisse durchgeführt werden.
Dabei werden pharmakokinetische Daten wie Clearance, Verteilungsvolumen oder Eliminationskonstante im Idealfall aus den Patientendaten errechnet oder – falls nicht verfügbar – aus den Populationsdaten ermittelt. Daraus lassen sich Steady-state-Blutspiegel, Dosierungen und Dosierungintervalle berechnen, die zur Orientierung für die ärztliche Therapie dienen. Dabei sollte stets das klinische Bild des Patienten mit einbezogen werden.
Die Plasmaspiegel müssen stets zur gleichen Tageszeit abgenommen werden, um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten. Die Blutabnahme vor der morgendlichen Arzneimittelgabe bietet sich an, um den Talspiegel zu bestimmen. Zur Einstellung von Dauerdosierungen von Carbamazepin sollte stets die Autoinduktion, die 3 bis 4 Wochen in Anspruch nimmt, bedacht werden. Außerdem sollten 2 bis 8 Tage z. B. bei einer neu angesetzten Kombinationstherapie bis zum Erreichen des Steady states zur Beurteilung der Blutspiegel abgewartet werden.
Die Blutspiegel sollten je nach klinischem Bild des Patienten, Indikation und gewünschtem Therapieziel bei 4 bis 12 mg/l liegen. Ab einem Bereich von 8 bis 9 mg/l ist mit deutlichem Auftreten von Nebenwirkungen zu rechnen; ab 20 mg/l sind toxische Effekte zu befürchten.
Besondere Indikationen für eine engmaschige Blutspiegelkontrolle sollten sein:
Durch Carbamazepin können bei den Laborparametern Alkalische Phosphatase, Bilirubin und Harnglucose falsch positive bzw. erhöhte Werte vorgetäuscht werden.
Oxcarbazepin (Trileptal®) als neuentwickeltes Derivat mit 10-Oxo-Funktion an der 10,11-Dihydrobrücke soll nach derzeitigem Stand eine geringere Tendenz zu Interaktionen und Nebenwirkungen aufweisen. Bewährt es sich auch im klinischen Einsatz, könnte es eine interessante Option gerade bei Patienten mit Interaktionsproblematik darstellen.
Literatur
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Kastentext
Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. H. P. T. Ammon, Tübingen, Prof. Dr. Dr. E. Mutschler, Frankfurt/Main, Prof. Dr. H. Scholz, Hamburg. Autor dieser Folge: Dr. Thilo Bertsche, Berlin
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