Arzneimittel und Therapie

Folsäure und Fehlgeburten: Chinesische Studie gibt Entwarnung

Die regelmäßige Einnahme von Folsäure in der Frühschwangerschaft wird empfohlen, um das Risiko eines Neuralrohrdefektes beim Neugeborenen zu senken. Der Verbrauch von Folsäurepräparaten ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen und gilt als unbedenklich. Umso alarmierender war das Ergebnis einer 1997 veröffentlichten Studie, die einen Anstieg der Fehlgeburtsrate um 16 Prozent mit der Einnahme von 800 Mikrogramm Folsäure in Zusammenhang brachte. Eine Studie widerlegt nun diesen Verdacht. Der Anteil der Schwangeren mit Fehlgeburt, die täglich 400 Mikrogramm Folsäure eingenommen hatten, lag nicht höher als in der unbehandelten Vergleichsgruppe.

Die Beurteilung unerwünschter Arzneimittelwirkungen in der Schwangerschaft ist schwierig und beruht meist auf retrospektiv erhobenen Daten. Da prospektive Arzneimittelstudien an schwangeren Frauen ethisch kaum vertretbar sind, werden neue Wirkstoffe nur in Ausnahmefällen, bekannte Wirkstoffe nur sehr restriktiv eingesetzt.

Anders sieht es bei der Supplementierung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen aus. Eisen, Kaliumjodid, Magnesium und Folsäure werden in großen Mengen für Schwangere verordnet oder im Rahmen der Selbstmedikation gekauft. Für die werdenden Mütter zählt das Bewusstsein, damit der Entwicklung des Kindes und dem erfolgreichen Verlauf der Schwangerschaft zu dienen.

Wenig Studien mit Schwangeren

Der Befund einer ungarischen Studie aus dem Jahr 1997 zeigte, dass auch im Bereich der Supplementierung mit Vitaminen genaue Untersuchungen notwendig sind. Dort erlitten die Frauen in der Gruppe, die ein Multivitaminpräparat mit 800 Mikrogramm Folsäure erhielten, 16 Prozent mehr Fehlgeburten als die Frauen in der Vergleichsgruppe. Die Autoren führten diese Steigerung auf Folsäure zurück. Da kein Monopräparat gegeben wurde, konnten sie aber keine eindeutigen Belege hierfür liefern. Auch andere Studien lenkten den Verdacht auf dieses Vitamin, obwohl die Ergebnisse statistisch nicht signifikant waren.

Eine amerikanisch-chinesische Studie widerlegt nun diesen Verdacht. Der Anteil der Schwangeren mit Fehlgeburt, die täglich 400 Mikrogramm Folsäure und keine anderen Vitamine und Mineralstoffe eingenommen hatten, lag nicht höher als in der unbehandelten Vergleichsgruppe. Nach den Ergebnissen dieser großen retrospektiven Studie mit mehr als 20 000 Frauen kann für die Folsäureeinnahme in der Schwangerschaft Entwarnung gegeben werden.

Chinesische Gesundheitskampagne liefert Daten

Um die Zahl der Neugeborenen mit Neuralrohrdefekten zu senken, propagiert das chinesische Gesundheitsministerium seit 1993 in einer Public-Health-Kampagne, dass alle Frauen, die demnächst heiraten werden oder eine Schwangerschaft planen, Folsäure einnehmen sollten.

Um Daten über die Reduktion dieser Fehlbildung unter Folsäurebehandlung zu erhalten, registrierten die Gesundheitsbehörden alle Frauen in 21 Bezirken von drei Provinzen, die heirateten oder schwanger wurden, in einem Monitoring-Programm. Sie erhielten die Weisung, vom Zeitpunkt der Registrierung an bis zum Ende des ersten Trimenons einer Schwangerschaft täglich 400 Mikrogramm Folsäure einzunehmen und sonst keine anderen Vitamine oder Mineralstoffe.

Monatlich suchten Mitarbeiter des staatlichen Gesundheitsdienstes die registrierten Frauen auf, übergaben ihnen jeweils 31 Folsäuretabletten und dokumentierten den Zeitpunkt der Menstruation. Diese Daten wurden im Evaluations-Center der Medizinischen Fakultät der Universität Peking gesammelt und ausgewertet.

Spätestens zwei Wochen nach Ausbleiben der Monatsblutung wurde ein HCG-Test veranlasst. Jede Frau mit positivem Schwangerschaftstest erhielt eine Broschüre, in der sie die Entwicklung der Schwangerschaft dokumentieren sollte. Nach Beendigung der Schwangerschaft wurden die Broschüren gesammelt und zentral ausgewertet. Für die Erfassung der Neuralrohrdefekte wurden Schwangerschaften, die vor der zwanzigsten Woche mit einer Fehlgeburt endeten, ausgeschlossen, da man bis dahin die Fehlbildung nicht eindeutig feststellen kann.

Fehlgeburten gut dokumentiert

Gerade diese aussortierten Fälle ermöglichten nun die statistische Berechnung des Fehlgeburtsrisikos unter Folsäure-Monotherapie. Dazu wurden die Daten aller Frauen der Stadt Jiaxing, die zwischen dem 1. Oktober 1993 und dem 30. September 1995 zum ersten Mal schwanger wurden und die bereits vor Beginn der Schwangerschaft oder sofort nach dem positiven Schwangerschaftstest Folsäure erhielten, ausgewertet. Mehr als 95 Prozent der neu verheirateten Frauen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren wurden in diesem Zeitraum schwanger. Die Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes meldeten jeden Fall, der vor der zwanzigsten Schwangerschaftswoche mit einer Fehlgeburt endete.

Insgesamt erlitten 2155 Frauen der Folsäuregruppe eine Fehlgeburt; durchschnittlich 9 Prozent. Bei den Frauen der Vergleichsgruppe, die nach Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Body Mass Index, Ausbildungsstand und Beruf sehr ähnlich strukturiert war und keine Folsäure erhielt, lag der Anteil der Fehlgeburten bei 9,3 Prozent. Das relative Risiko für eine Fehlgeburt betrug für die Folsäuregruppe 0,97, wobei die Risikodifferenz nicht signifikant war (95% CI 0,84 – 1,12). Die Folsäureeinnahme stellt also weder einen Schutz vor noch ein Risiko für Fehlgeburten dar. Hochsignifikant schützt sie dagegen vor Neuralrohrdefekten.

Unerkannte Fehlgeburten durch Folsäuremangel

Die Beziehung zwischen Folsäurestatus, niedrigem Homocysteinspiegel und der erfolgreichen Embryogenese ist gut untersucht. Bei niedrigem Folsäurespiegel können in dieser frühen Schwangerschaftsphase so schwere Fehlentwicklungen ablaufen, dass es zum Abort kommt. Häufig bleiben diese Schwangerschaften unbemerkt.

Eine Hypothese lautete, dass sich bei hoher Folsäurezufuhr geschädigte Embryonen noch einige Wochen weiterentwickeln, bis es dann zur Fehlgeburt kommt. Diese zeitliche Verschiebung könnte ein Grund für die beobachtete Zunahme dieser Ereignisse in den bisherigen Studien sein.

Durch die engmaschige Beobachtung der chinesischen Frauen konnte so ein Shift ausgeschlossen werden. Bei den Frauen der Folsäuregruppe wurden durchschnittlich 58 Schwangerschaftstage bis zur Fehlgeburt gezählt, bei der Vergleichsgruppe waren es 62 Tage. Insgesamt lag die Fehlgeburtsrate bei den Frauen in dieser Studie insgesamt zwei Prozent unter der in vergleichbaren europäischen oder amerikanischen Untersuchungen. Als Gründe hierfür werden das niedrigere Durchschnittsalter der Chinesinnen bei der ersten Schwangerschaft sowie der konsequente Ausschluss vorheriger Fehlgeburten genannt.

Kastentext: Probandinnen gesucht

Das größte Problem bei der Planung einer prospektiven Kohortenstudie über Arzneimittelwirkungen in der Schwangerschaft liegt in der Rekrutierung der Teilnehmerinnen. Sie müssen bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft erfasst und ihr Schwangerschaftsverlauf muss lückenlos dokumentiert werden. Neben dem hohen bürokratischen Aufwand in der Überwachung und Dokumentation steht auch die Schwierigkeit, eine Schwangerschaft konkret zu planen, einer solchen Studie im Weg.

In China, einem Land mit konsequenter Geburtenkontrolle und einem straff organisierten staatlichen Gesundheitswesen, liegen für eine solche Untersuchung bessere Bedingungen vor als in Europa oder den Vereinigten Staaten. Wissenschaftler vom Nationalen Zentrum für Geburtsfehler und Entwicklungsstörungen, Krankheitsüberwachung und Prävention in Atlanta arbeiteten aus diesem Grund mit ihren Kollegen vom Nationalen Zentrum für Gesundheit von Mutter und Kind an der Universität Peking zusammen.

Quelle

Gindler, J., et al.: Folic acid supplements during pregnancy and risk of miscarriage, Lancet 358, 796 – 800 (2001).

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