Phytotherapie

M. Schmidt, A. NahrstedtIst Kava lebertoxisch? &ndas

Im November 2001 informierte das BfArM die Presse über die Einleitung eines Stufenplanverfahrens zu den von Kava ausgehenden Leberrisiken. Führende Mitarbeiter des BfArM traten unter anderem in Gesundheitssendungen des Fernsehens auf und nahmen das Ergebnis der laufenden Untersuchung de facto vorweg: Kava soll in Deutschland wegen des untragbaren Leberrisikos vom Markt verschwinden Ų ein Horn, in das unreflektiert auch das Medizinskandalblatt "arznei-telegramm" stieß. In den Apotheken sorgten die Veröffentlichungen für erhebliche Verunsicherung, Patienten brachten angebrochene Packungen mit der Forderung nach Rückerstattung zurück. Das Apothekenpersonal wurde mit der Situation völlig alleingelassen. Wie ernst ist die Lage aber wirklich zu bewerten? Eine nähere Analyse der aufgetretenen Fälle zeigt, dass die Information der Presse auf fehlerhaften und unsauber recherchierten Daten basierte. Der Schaden für die Phytotherapie dürfte kaum reversibel sein.

Per Schreiben vom 8. November 2001 wurden die Herstellerfirmen von Kava-Präparaten über die Eröffnung eines Stufenplanverfahrens zur Bewertung möglicher Leberrisiken durch Einnahme von Kava-Präparaten informiert. Stufenplanverfahren sind eine im Sinne der Arzneimittelsicherheit vorgesehene Maßnahme zur Neubewertung von Nutzen und Risiko eines Arzneistoffes, wenn aktuelle Daten Zweifel an der bisherigen Einschätzung wecken. Im Rahmen eines Stufenplanverfahrens haben die Hersteller die Möglichkeit, die aufgetretenen Fälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) zu analysieren, und ggf. Maßnahmen zur Verbesserung der Anwendungssicherheit vorzuschlagen.

Stellt sich im Laufe dieses Prozesses heraus, dass die Bewertung nicht zu einer veränderten Nutzen-Risiko-Bewertung führt, kann es auch ohne Konsequenzen wieder eingestellt werden – wie aktuell im Fall von Ginkgo-Präparaten geschehen. Im Extremfall kann bei drohender Gefahr ein Vertriebsverbot für die betreffende Substanz verhängt werden. Zwischen diesen beiden Extrempolen liegen zum Beispiel Auflagen hinsichtlich der Angaben in der Packungsbeilage und Fachinformation.

Vorwegnahme des Ergebnisses des Stufenplanverfahrens

Im Falle von Kava wurde mit der Information der Presse das Ergebnis schon vorweggenommen, ohne dass die Hersteller die Möglichkeit gehabt hätten, zuvor Stellung zu den Vorfällen zu beziehen [9]. Das BfArM informierte über die Absicht, die Zulassung von Kava-Präparaten einschließlich homöopathischer Zubereitungen bis zur Endkonzentration D6 so schnell wie möglich zu widerrufen. In Fernsehsendungen wurde gar zum Ausdruck gebracht, dass Kava-Präparate nach heutigen Maßstäben aufgrund der nicht nachgewiesenen Wirksamkeit niemals eine Zulassung als Arzneimittel hätten erhalten dürfen.

Die Eröffnung des Stufenplanverfahrens durch das BfArM basierte auf einem so genannten Line-Listing mit 24 UAW-Fällen im Zusammenhang mit gravierenden hepatotoxischen Wirkungen bis hin zu Leberversagen, (cholestatischer) Hepatitis oder Leberzirrhose. In 18 dieser Fälle klassifizierte das BfArM den Zusammenhang mit Kava als wahrscheinlich oder möglich, in einem Fall sei die unerwünschte Wirkung an der Leber tödlich gewesen. In fünf Fällen sei keine Co-Medikation verabreicht worden, zwei Berichte seien aufgrund fehlender klinischer Daten nicht auswertbar. Auch in den Fällen, in denen Co-Medikation verabreicht wurde, machte das BfArM Kava für die Nebenwirkung verantwortlich. Serologische Untersuchungen auf Virushepatitiden seien – sofern durchgeführt – immer negativ verlaufen.

Das Line-Listing des BfArM enthält Fehler

Die nähere Betrachtung der gemeldeten Verdachtsfälle auf Lebernebenwirkungen zeigt jedoch ein anderes Ergebnis und wirft erhebliche Fragen auf. So ist die Auskunft hinsichtlich der Virus-Serologie irreführend; solche Untersuchungen wurden in den wenigsten Fällen durchgeführt, und bezeichnenderweise vor allem bei den aus der Schweiz gemeldeten Fällen. Insgesamt ist die Aufarbeitung der UAW-Fälle in der Schweiz als vorbildlich zu bezeichnen, während die Bearbeitung des Line-Listings durch das BfArM weit davon entfernt ist, heutigen Ansprüchen an die Erfüllung der einschlägigen europäischen Guidelines zu genügen.

Betrachtet man die Vorgänge im Detail, so stellt man fest, dass die Zuordnung der Kausalitätsbewertung zu Kava zu großen Teilen nicht nachvollziehbar und willkürlich erscheint. Darüber hinaus wurden bei der Bewertung der Fälle vielfach vorliegende Informationen nicht berücksichtigt, zum Beispiel hinsichtlich anderer Ursachen.

Ein Extrembeispiel dürfte der oben angesprochene Todesfall sein (Fall Nr. 98004297): Hier war nachweislich bekannt, dass die Ursache dieses Leberversagens langjähriger Alkoholmissbrauch war und Kava an der Entstehung der Lebersymptomatik nicht beteiligt war – hatte doch die Biopsie ergeben, dass die zirrhotischen Prozesse der Leber schon lang vor der Einnahme von Kava begonnen hatten!

Weitergabe falscher Daten an die Presse

Dieser Zusammenhang und auch andere, für die Bewertung der Einzelfälle wichtige Daten gehen aus einem zweiten, internen Line-Listing hervor, das den Herstellern für die Stellungnahme auf die Androhung des Widerrufs der Zulassung jedoch nicht zur Verfügung gestellt wurde. Dieses zweite Listing enthält eine Kompilierung aller beim BfArM bekannten Verdachtsfälle (insgesamt 32, inklusive der aus der Schweiz berichteten und der in der Literatur veröffentlichten Fälle, die sich wegen bekannter Doppelmeldungen aber nur auf 30 Zeileneinträge verteilen). Dieses Listing ist zwar deutlich sorgfältiger geführt als das "offizielle" Papier, enthält aber nach wie vor eine Reihe von offensichtlichen Fehlern.

Wären die dem BfArM bekannten Daten bei Information der Öffentlichkeit und Hersteller berücksichtigt worden, hätte sich möglicherweise ein anderes Bild der ersten Risikoeinschätzung ergeben. Über die Gründe, warum diese elementaren Daten nicht weitergegeben und verwertet wurden, kann nur spekuliert werden. Ergebnis ist jedenfalls eine falsche Bewertung zu Ungunsten des Phytopharmakons.

Neubewertung der Fälle auf der Basis der Datenlage

Die Informationen des BfArM wurden in den benachbarten Ländern als Grundlage für die Neubewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses herangezogen. Nach derzeitigem Kenntnisstand liegen aus Frankreich, Belgien, Österreich, Großbritannien und Kanada keine eigenen Fallmeldungen vor. Dagegen wurden mittels eines Screenings bei US-amerikanischen Ärzten vier Verdachtsfälle nachträglich gesammelt, die in der dieser Arbeit zugrundeliegenden Fallbewertung bereits berücksichtigt sind. Die Gesamtzahl der Falldokumentationen beläuft sich somit auf 36, wobei von dieser Summe jedoch die Mehrfachmeldungen und eindeutigen Fehlzuordnungen abgezogen werden müssen.

Als Informationsquelle für die vorliegende Fallbewertung wurden daher neben den beiden Line-Listings des BfArM auch Daten der Interkantonalen Kontrollstelle (IKS) der Schweiz, der Pharmakovigilanz-Datenbank der WHO, der US-amerikanischen FDA sowie der betroffenen Herstellerfirmen ausgewertet. Nicht einbezogen wurde die Auflistung von Kava-Verdachtsfällen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ).

Die Liste der häufigsten UAW-Meldungen der AKDÄ enthält keine Hinweise auf Lebertoxizität von Kava-Produkten. Zudem legt die AKDÄ die auslösenden Präparate nicht offen, was eine sinnvolle Nutzung der Daten a priori verhindert. Die der Bewertung zugrundeliegenden Dokumentationen der Verdachtsfälle enthalten Mehrfachmeldungen. Zieht man darüber hinaus die Fälle ab, deren Zusammenhang mit Kava unwahrscheinlich oder zweifelhaft ist, und berücksichtigt man die Fälle, die aufgrund der mangelhaft dokumentierten Beobachtung nicht bewertbar sind, ergibt sich das in der Tabelle 1 wiedergegebene Bild.

Insgesamt verbleibt somit ein einziger Fall einer Lebernebenwirkung mit offenbar gesichertem Zusammenhang zu Kava (Strahl et al. 1998 [112]). In weiteren drei Fällen (IKS 2000-0014; IKS 2000-3502; Kraft et al. 2001 [63]) ist ein Zusammenhang wahrscheinlich; in diesen Fällen wurde Kava jedoch nicht gemäß der Dosierungsempfehlung (Monographie "Kava-Kava, Piper methysticum" der Kommission E) von maximal 120 mg Kavalactonen pro Tag eingenommen.

Ein Fall [63] kann sogar als Arzneimittelmissbrauch identifiziert werden. Lediglich dieser letzte relevante Fall wurde erst nach Abschluss des Stufenplanverfahrens in der Schweiz im Herbst des Jahres 2000 bekannt. Die anderen relevanten Beobachtungen waren bereits zuvor Gegenstand der gleichen Nutzen-Risiko-Bewertung gewesen, die noch am 19. Oktober 2000 zu der Stellungnahme des Bundesinstitutes führte, derzufolge die Behörde keine Notwendigkeit für eine Neubewertung der Kava-Präparate erkennen konnte [7]. Letztlich basiert das jetzt eingeleitete Stufenplanverfahren somit auf einem einzigen, neu bekannt gewordenen Fall des nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs eines Kava-Präparates.

Verbot von Kava würde Leberrisiko steigern

Im Laufe der letzten zehn Jahre wurden nach konservativen Schätzungen ca. 250 Millionen Tagesdosen ethanolischer Kavaextrakt-Produkte abgegeben. Im gleichen Zeitraum wurden lediglich zwei UAW-Fälle (Strahl et al. 1998 [112]; Kraft et al. 2001 [63]) bekannt, bei denen ein Kausalzusammenhang mit der Einnahme eines ethanolischen Kavaextraktes als wahrscheinlich erscheint. Einer der beiden Fälle [63] basierte auf Arzneimittelmissbrauch und entsprach somit nicht dem bestimmungsgemäßen Gebrauch. Dennoch soll er für diese Berechnung mit herangezogen werden.

Auf der Basis dieser beiden weitgehend gesicherten Fälle errechnet sich eine Inzidenz von 0,008 UAW-Fällen auf eine Million Tagesdosen. Vergleicht man dies mit der für Benzodiazepine ermittelten Inzidenz hepatischer Nebenwirkungen auf eine Million Tagesdosen von

  • 0,90 Fällen für Bromazepam,
  • 1,23 Fällen für Oxazepam bzw.
  • 2,12 Fällen für Diazepam [101], so wäre ein Vertriebsstopp für Kava-Produkte für die betroffenen Patienten bei Umstellung auf eine Alternativmedikation mit Benzodiazepinen mit einer 112- bis 265fachen Steigerung des hepatischen Risikos verbunden.

    Bei Patienten, die Kava im Rahmen der Selbstmedikation eingenommen haben, und mit ihren Problemen in Zukunft alleingelassen werden, besteht die Gefahr eines vermehrten Rückgriffes auf Alkohol – auch dies mit bekannt negativen Folgen für die Leber. Selbst wenn alle bislang bekannt gewordenen Verdachtsfälle Kava zuzuordnen wären, ergäbe sich immer noch ein günstigeres Bild für die Risikobewertung des Phytopharmakons im Vergleich zu alternativen Medikationen des gleichen Indikationsgebietes.

    Verbot von Kava bis zur homöopathischen Dosis D6?

    Angekündigt wurde vom BfArM das Verbot von Kavazubereitungen bis zur homöopathischen Dosierung D6. Damit stufte das BfArM die Toxizität von Kava höher ein als die hochgiftiger Substanzen. Zum Vergleich: Kaliumcyanid, bekanntermaßen extrem giftig, ist unterhalb der Konzentration D3 nicht mehr rezeptpflichtig.

    Ein konkreter Anlass für diese restriktive Grenzkonzentration ist aus den Falldaten nicht zu erkennen. Lediglich ein Fall (Doppelmeldung 97002825/97003551) wurde für ein niedrig dosiertes Kombinationspräparat bekannt, dessen Kavalacton-Dosis bei umgerechnet 0,6 mg pro Einheit lag. Das BfArM hatte in diesem Fall lediglich den unter vielen anderen Bestandteilen enthaltenen Kavaextrakt als verdächtige Teil-Medikation klassifiziert – ohne dass Gründe für die Einschränkung erkennbar wären. Angesichts der Datenlage wurde der Fall von uns hinsichtlich des Kausalitätszusammenhangs mit Kava als "zweifelhaft" bewertet (Tab. 1).

    Kava – wirkungslos und risikobehaftet?

    Aufgrund der geschilderten Zusammenhänge ist weder eine relevante Veränderung der Datenlage zur Arzneimittelsicherheit noch eine Risikominimierung für die Bevölkerung durch ein Vertriebsverbot von Kava-Präparaten zu erkennen. Rein rational betrachtet, sollte ein Widerruf der Zulassung für Kava-Präparate auf der Basis des Leberrisikos kaum begründbar sein. Allerdings hat das BfArM darüber hinaus in seinem Anhörungsschreiben vom 8. November 2001 auch die Wirksamkeit von Kava generell in Abrede gestellt. Kava hat nicht nur im südpazifischen Raum eine über mehr als tausend Jahre zurückreichende Anwendungstradition. Extrakte und Zubereitungen dieser Pflanze sind auch in Deutschland mindestens seit 1886 im Einsatz [69], sodass auch hierzulande von einer breiten Anwendungserfahrung ausgegangen werden kann.

    Zu dieser breiten therapeutischen Erfahrung zählen auch offene klinische Untersuchungen an mittlerweile mehr als 15 000 Patienten, deren Ergebnisse keine Zweifel an der generellen Wirksamkeit von Kava aufkommen lassen. Bestätigung finden diese Erfahrungen in der praktischen Anwendung von Kava-Präparaten in einer Vielzahl präklinischer und klinischer Untersuchungen bis hin zu modernen Doppelblindstudien sowie in zahlreichen pharmakologischen Untersuchungen.

    Im Vergleich zu anderen Phytopharmaka sind für Kava die für die Wirkung verantwortlichen Inhaltsstoffe sehr gut bekannt und charakterisiert, sowohl hinsichtlich ihres Wirkspektrums als auch der Toxikologie. Kava zählt als rationales Phytopharmakon zu den gut untersuchten Pflanzen unseres Arzneischatzes. Zweifellos sind ergänzende Untersuchungen immer wünschenswert – dies gilt aber nicht nur für Kava im Speziellen, sondern für alle Arzneistoffe im Allgemeinen, auch für die chemisch definierten.

    Verglichen mit manchem chemisch definierten Präparat dürfte die Datenlage von Kava deutlich besser erscheinen. Eine pauschale Ablehnung aller bisher veröffentlichten Daten zu Kava ist somit inakzeptabel. Sie ist ein willkürlicher Schlag ins Gesicht der universitären Forschung, der ein großer Teil unseres heutigen Wissens zu Kava zu verdanken ist.

    Kein Hinweis auf Lebertoxizität aus Modellstudien

    Sowohl über Kavaextrakte als auch die daraus isolierten Inhaltsstoffe wurde eine Reihe von Toxizitätsstudien publiziert, die auch die Beeinflussung von Leberparametern zum Thema hatten. Übereinstimmend wurde in allen Studien das Fehlen einer hepatotoxischen Wirkung festgestellt (z. B. [21; 50; 54; 64; 75; 78; 109]), zuletzt auch in Experimenten an humanen Leberzellen [41].

    Auch aus der ethnopharmakologischen Literatur lassen sich trotz jahrhundertelanger Anwendung von Kava keine Hinweise auf Leberprobleme durch Kava-Einnahme ableiten – sieht man von einer umstrittenen Studie an australischen Aborigenes ab, deren Kavakonsum selbst für südpazifische Verhältnisse als extrem zu betrachten war und deren begleitender Alkoholkonsum nicht in die Bewertung einbezogen wurde [72]. In Europa liegen nach Angaben der Hersteller mittlerweile (zumeist unveröffentlichte) Daten aus Anwendungsbeobachtungen von mindestens 15 000 Patienten vor. In keinem einzigen Fall kam es zu Effekten an der Leber¹.

    Überlegungen zum Wirkmechanismus der Leberschädigung

    Insgesamt ist bei vier Nebenwirkungsfällen (IKS 2000-0014; IKS 2000-3502; Kraft et al. 2001 [63] und Strahl et al. 1998 [112]) eine Beteiligung von Kava an der Entstehung der Lebererkrankung wahrscheinlich (Tab. 1).

    Bei zwei dieser Fälle ([112] und IKS 2000-0014) liegen genauere Daten vor, die ein immunologisches Geschehen nahe legen. Gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass die beiden Patienten schlechte Metabolisierer hinsichtlich des 2D6-Subsystems der Cytochrom-P450-Oxidase waren.

    Sollte allein diese Kombination ungewöhnlicher Umstände, die im Übrigen auch mit jedem anderen Arzneistoff hätte auftreten können, ursächlich für das Auftreten der Nebenwirkungen gewesen sein, so wären vergleichbare Fälle nur extrem selten zu erwarten.

    Keine Einbindung der Kommission E in das Stufenplanverfahren

    Zur üblichen Vorgehensweise bei der Eröffnung eines Stufenplanverfahrens zählt auch die Einholung von Expertenmeinungen. Im Falle pflanzlicher Präparate ist der Sachverstand in der eigens für diese Präparate einberufenen Kommission E des BfArM angesiedelt. Den Kommissionsmitgliedern wurde im Vorfeld des Stufenplanverfahrens jedoch weder das Vorhaben des Amtes hinsichtlich des Widerrufs der Zulassung erläutert, noch wurden ihnen sachdienliche Informationen zur Bewertung übermittelt. Dagegen wurde Mitgliedern der Kommission E deutlich gemacht, dass dieses Expertengremium lediglich aus formalen Gründen informiert werden müsse und dass die Berücksichtigung eines Votums der Experten nicht vorgesehen sei.

    Androhung des Sofortvollzugs für den Widerruf der Zulassung

    Parallel zur Eröffnung des Stufenplanes wurden die Pharma-Unternehmen von einem weiteren Vorhaben des Bundesinstitutes hinsichtlich der Behandlung widerrufener Zulassungen unterrichtet. Die Mitteilung, die in der Fachpresse nicht zur Kenntnis genommen wurde, beinhaltete einen neuen Beschluss des BfArM, demzufolge den Firmen in Zukunft grundsätzlich der Klageweg bei Entzug der Zulassung genommen wird. Konkret bedeutet dies:

    • Klagt eine Firma gegen einen Widerruf der Zulassung, so tritt ein Sofortvollzug in Kraft, das Präparat muss vom Markt genommen werden.
    • Klagt das Unternehmen nicht, so tritt der Widerruf regulär in Kraft – auch dann muss das Präparat vom Markt genommen werden. Den Herstellern wird so jede Möglichkeit genommen, gegen Entscheidungen der Behörden vorzugehen. Vor dem Hintergrund des Kava-Stufenplanverfahrens lässt dies nichts Gutes erwarten.

    Beide Vorgänge – offiziell in keinem inhaltlichen Zusammenhang – könnten Präzedenzfälle schaffen, die leicht das Ende der Phytotherapie in Deutschland bedeuten können. Diese Marktbereinigung, medienwirksam inszeniert, kann der Bevölkerung sogar als Maßnahme zur Verbessung der Arzneimittelsicherheit und Qualität der Versorgung vermittelt werden. Im Falle von Kava dürfte das gesundheitspolitische Gesamtresultat eher ins Gegenteil umschlagen – nur wäre es dann für den Erhalt einer wirksamen und vergleichsweise sicheren Medikation zu spät.

    Unterstellung unter die Verschreibungspflicht als Ausweg?

    Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Stufenplanverfahren wurde von verschiedenen Seiten der Vorschlag unterbreitet, Kava unter die Verschreibungspflicht zu stellen [8, 104]. Dieser Vorschlag wurde vom BfArM mittlerweile aufgegriffen, wobei die Frage des möglichen Vertriebsverbotes damit keinesfalls beantwortet ist.

    Bei Betrachtung der aufgetretenen Fälle besteht für eine Unterstellung unter die Rezeptpflicht jedoch ebenso wenig Anlass wie für den Widerruf der Zulassungen. Zu diskutieren wäre gegebenenfalls eine Verschreibungspflicht für Kavalacton-Dosen jenseits der Empfehlung der Kava-Monographie der Kommission E, mithin also oberhalb von 120 mg pro Tag.

    In analoger Form wurde dies auch bei Ibuprofen realisiert, wo die Dosierung von 200 mg apothekenpflichtig, Zubereitungsformen mit 400 mg jedoch verschreibungspflichtig sind. Für die Empfehlung von Kavalacton-Dosen oberhalb von 120 mg besteht zudem bei der Selbstmedikation von situativ bedingten Stress- und Unruhebeschwerden kein nachvollziehbarer Anlass, während die ärztlich kontrollierte Behandlung von Angststörungen eine höhere Dosis erforderlich machen könnte.

    Ausblick

    Die Vorgehensweise im Rahmen des Kava-Stufenplanverfahrens ist bislang ohne Beispiel. Mit der Instrumentalisierung der Medien und der Öffentlichkeit ist eine erhebliche Verunsicherung von Verbrauchern, Apotheken und Therapeuten gelungen.

    Die Vorgehensweise der Verbreitung fehlerhafter Informationen und der Vorwegnahme eines Ergebnisses, das eigentlich erst am Ende des Diskussionsprozesses stehen sollte, verletzt rechtstaatliche Prinzipien. An das BfArM ist die dringende Aufforderung zu richten, der erforderlichen Sorgfaltspflicht in der Bearbeitung von Verdachtsfällen auf Nebenwirkungen gerecht zu werden. Von Herstellerfirmen wird zu Recht die Umsetzung der neuesten Richtlinien zur Pharmakovigilanz gefordert. An diesen Maßstäben muss sich auch die oberste Bundesbehörde messen lassen.

    Zusammenfassung

    • Die Analyse der bekannten Daten zu den UAW von Kavaextrakten zeigt, dass in der Presse ein verzerrtes Bild gezeichnet wurde. Nach Abzug von Mehrfachmeldungen und Fällen, die nicht oder sehr wahrscheinlich nicht im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava standen, verbleiben gerade einmal vier einigermaßen gut dokumentierte Verdachtsfälle (IKS 2000-0014; IKS 2000-3502; [63] und [112]), von denen lediglich ein einziger Fall im Zusammenhang mit einer monographiekonformen Dosierung auftrat [63].
    • Aus den hinsichtlich des Zusammenhangs als "wahrscheinlich" zu betrachtenden Fällen errechnet sich eine Inzidenz von 0,008 Fällen auf 1 Million Tagesdosen ethanolischer Kavaextrakte, entsprechend 1 Fall bei 125 Millionen Anwendungstagen. Diese Inzidenzschätzung liegt um den Faktor 265 unterhalb des für Diazepam bekannten Leberrisikos (1 Fall auf 472 000 Anwendungstage). Ein Verbot von Kava und eine damit verbundene vermehrte Umstellung der Patienten auf Benzodiazepine würde somit das Nebenwirkungsrisiko steigern und nicht senken.

    Fußnote

    ¹ Eine Aufbereitungsmonographie der Kooperation Phytopharmaka ist derzeit in Vorbereitung und wird voraussichtlich nähere Details zu den noch unveröffentlichten Studien enthalten.

    Literatur

    Die zitierte Literatur sowie die detaillierten Fallbeschreibungen sind im Internet verfügbar unter www.uni-muenster.de/chemie/pb/kava/analyse.html

  • Im November 2001 hat das BfArM als zuständige Aufsichtsbehörde ein Stufenplanverfahren für Kava-Präparate gemäß Arzneimittelgesetz eingeleitet. Damit reagierte es auf die Meldung von 30 Fällen schwerer Leberschädigungen nach Einnahme von Kava-Präparaten. Zugleich informierte das BfArM die Presse über die von Kava-Präparaten ausgehenden Leberrisiken. Dieses letztere Vorgehen war nicht korrekt, denn damit wurde das erwartete (oder angestrebte?) negative Ergebnis des Stufenplanverfahrens quasi vorweggenommen. Eine nüchterne Analyse der Fälle zeigt inzwischen, dass Kava-Präparate nur zu einem geringen Teil für die unerwünschten Arzneimittelwirkungen verantwortlich gemacht werden können. Offensichtlich wurde schlampig recherchiert und die Öffentlichkeit unnötig verunsichert. In zwei Beiträgen legen Autoren aus pharmazeutisch-biologischer und klinisch-pharmakologischer Sicht dar, wie das Gesundheitsrisiko von Kava-Präparaten realistisch einzuschätzen ist.

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