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Deutscher Ärztetag: Ärzte prangern Misstrauenskultur an
Neue Strukturen
Zuvor hatte Landesgesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) den neuen Gesetzentwurf, der den Apotheken Versandapotheken und Mehrbesitz bescheren will, verteidigt. Fischer stellte mit Nachdruck die Notwendigkeit neuer Strukturen im Gesundheitswesen heraus. Das GMG solle die rechtlichen Bedingungen für neue Versorgungsformen wie Gesundheitszentren, die integrierte Versorgung, aber auch mehr Möglichkeiten für die Krankenhäuser im ambulanten Bereich schaffen, wozu jeweils freie Preisverhandlungen gehören sollen. Die Rede der Landesgesundheitsministerin wurde mehrmals von höhnischem Gelächter unterbrochen, beispielsweise bei ihrer Forderung nach mehr Produktivität im Gesundheitswesen.
Ziele von Schmidt
Neue, "moderne" Versorgungsformen hielt auch die Bundesgesundheitsministerin für nötig für ein effektiveres Arbeiten im Gesundheitssektor, was auf ungläubiges Gelächter bei den Medizinern stieß. Sie wolle "Strukturen in Ordnung bringen", meinte Ulla Schmidt, und daher neben Apothekern (die sie von allen zuerst nannte), der pharmazeutischen Industrie, den Krankenkassen und Patienten auch die Ärzte einbeziehen. Zwar forderte sie die Mediziner zu Reformvorschlägen auf, zugleich signalisierte sie, dass sie große Abstriche an ihrem Gesetz nicht vornehmen will.
Das Gesundheitswesen muss ihrer Ansicht nach mehr leisten, neue Milliardenspritzen zur Finanzierung seien nicht in Sicht. Das Geld müsse effektiv eingesetzt werden, ansonsten verabschiedeten sich die Bürger aus der Solidargemeinschaft. Ziel sei daher der Erhalt der Versorgungsqualität für alle gesetzlich Versicherten, die Senkung der Lohnnebenkosten, aber auch die "Lenkung von Ressourcen" in der GKV, zugleich solle rationales Verhalten der Bürger gestärkt, also die Prävention als eigenständige Säule in der Krankenversicherung gefördert werden. In diesem Zusammenhang erwähnte Schmidt die Erhöhung der Tabaksteuer, mit der versicherungsfremde Leistungen finanziert werden sollen.
Zentrum für Qualität und Chipkarte
Das von der Ärzteschaft abgelehnte "Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin" verteidigte die SPD-Politikerin. Evidence based Medicine sei notwendig, unter anderem für eine "rationellere Arzneimitteltherapie". Den Vorwurf der Staatsmedizin nannte sie in diesem Zusammenhang absurd, schließlich werde das Bundesgesundheitsministerium nur die Rechts- und nicht die Fachaufsicht über das neue Institut führen.
Ab 2006 werde die elektronische Gesundheitskarte kommen, bekräftigte die Ministerin. Dies bedeute mehr Transparenz für den Patienten und in der Arzneimittelversorgung mehr Sicherheit verbunden insgesamt mit der Entbürokratisierung im Gesundheitswesen.
Gesundheitszentren gut für Ärztinnen
Schmidt kündigte erhebliche Änderungen bei der Haus- und Facharztstruktur an, was sie den Medizinern mit einer kalkulierbaren Honorierung schmackhaft machen wollte. Die Existenzvernichtung der freien niedergelassenen Fachärzte plane sie nicht. Das Gesetz von Schmidt sieht nach einer Übergangszeit nur noch Einzelverträge für die neu hinzukommenden Fachärzte mit den Krankenkassen vor. Auch die Etablierung von Gesundheitszentren, mit denen man in Brandenburg gute Erfahrungen gemacht habe, in den alten Bundesländern, sieht sie positiv. Vorteilhaft sei dies vor allem für Ärztinnen, die nach einer Familienphase die freie Niederlassung samt Verschuldung, aber auch die Tätigkeit in einem Krankenhaus scheuten.
Ärzte: Politik misstraut uns
Trotz der Dialogbereitschaft der Ministerin blieb der Präsident der Bundesärztekammer skeptisch. Professor Jörg-Dietrich Hoppe warf den Gesundheitspolitikern der rotgrünen Regierung eine "defätistische Misstrauenskultur" gegenüber der Ärzteschaft vor, sichtbar an der "Gutachten-Inflation". Das Ziel von Schmidt sei die Begrenzung medizinischer Leistungen in der GKV, was so offen aber nicht gesagt werde. Hoppe verwahrte sich dagegen, die Krankenversicherung auf Kosten der Ärzte sanieren zu wollen. Käme das Gesetz so wie geplant, drohe neben der Finanzkrise der GKV auch noch eine Vertrauenskrise. Die Regierung wolle mehr Lenkung und mehr Staatsmedizin. Es solle ein neuer Arzttypus entstehen, ein durch Leitlinien gelenkter Medizindienstleister, was mit dem bisherigen Verständnis der Mediziner und der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung nichts mehr zu tun habe.
Neues Zentrum - schlechtere Versorgung
Bei dem geplanten Deutschen Zentrum für Qualität in der Medizin vermutete Hoppe, es solle als "Quasi-Behörde" angelegt werden. Käme es dadurch zu versteckter Rationierung von Leistung drohe eine schlechtere Qualität der Behandlung von Patienten. Auch die Aufhebung der freien Facharztwahl gefährde die flächendeckende und wohnortnahe ambulante Versorgung. Die künftigen Einzelverträge von Fachärzten mit Krankenkassen würden als Wettbewerb dargestellt, führten jedoch zu Abhängigkeiten der Mediziner von der "AOK-dominierten Kassenfront".
Lob für Kanzler
Hoppe lobte ausdrücklich Äußerungen des Bundeskanzlers, der die Qualität des deutschen Gesundheitswesens im internationalen Standard herausgestellt habe. Gerhard Schröder habe auch anerkannt, dass der medizinische Fortschritt und die wachsende Zahl älterer Menschen die gesundheitlichen Leistungen ansteigen ließen. Ehrlich habe der Kanzler zugegeben, dass die Kostendämpfung an ihre Grenzen stoße. Erste richtige Konsequenz sei die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen der GKV durch die höhere Tabaksteuer. Dies begrüßte der Präsident der Bundesärztekammer. Da das allerdings nicht ausreiche, müsse über weitere Mittel für die klammen Kassen nachgedacht werden.
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