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Adipositas – das große Gesundheitsproblem unserer Zeit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet die Adipositas als globale Epidemie und spricht von dem größten vernachlässigten Gesundheitsproblem unserer Zeit. In der dezentralen Fortbildung der Bayerischen Landesapothekerkammer im Frühjahr 2003, an der in acht Veranstaltungsorten ca. 2000 Kollegen teilgenommen haben, wurden Ursachen, Folgen und Behandlungswege von Übergewicht diskutiert. Ziele der Adipositastherapie, so Prof. H. Kasper, sind ein langfristiger Gewichtsverlust durch weniger Essen und mehr Bewegung, die Reduktion von Begleiterkrankungen und die Verbesserung des Gesundheitsverhaltens.

In Deutschland ist mittlerweile jeder Zweite übergewichtig, und etwa 20% der Bevölkerung sind adipös, konstatiert Prof. H. Kasper, der mit besonderer Sorge die Zunahme des Übergewichtes bei Kindern und Jugendlichen beobachtet. Je nach Definition sind in unserem Lande 10 bis 20% der Schulkinder und Jugendlichen übergewichtig. Etwa die Hälfte bleibt auch im Erwachsenenalter übergewichtig. Nach der WHO handelt es sich bei Erwachsenen mit einem BMI (kg/m²) ab 25 um Übergewicht, ab 30 um Adipositas.

Das Wissen um die gesundheitlichen Risiken durch Übergewicht und Adipositas ist sehr alt wie ein Zitat nach Hippokrates von 400 v. Christus belegt: Fettsucht stellt eine Gefahr für Gesundheit und Leben dar. Sie begünstigt die Sterilität der Frau. Übergewicht erhöht die Entstehung der Mehrzahl häufiger chronischer Erkrankungen, sowohl in den hochindustrialisierten Ländern als auch in zunehmendem Maße in so genannten Schwellenländern, die als Folge steigenden Wohlstandes ihre traditionellen Lebens- und Ernährungsgewohnheiten aufgeben.

Risiken der Adipositas reichen von den häufigen und allgemein bekannten Erkrankungen des kardiovaskulären Systems und dem metabolischen Syndrom bis hin zu erhöhtem Tumorrisiko, Schlafapnö, degenerativen Gelenkerkrankungen, psychosozialen Problemen u. a.

Fettverteilungsmuster

Das Erkrankungsrisiko ist nicht nur von der Körperfettmasse, sondern auch vom Fettverteilungsmuster abhängig. Der metabolisch relevante Adipositas-Typ ist die androide (viszerale) Form. Diese auch als abdominelle Adipositas bezeichnete Form ist gekennzeichnet durch eine Fettansammlung im Bereich des Stammes, wobei das Fett nicht nur subkutan, sondern auch in der Bauchhöhle gespeichert ist (Apfeltyp). Vergleichsweise gering ist das Gesundheitsrisiko bei der gynoiden Form (periphere Adipositas) mit einer Fetteinlagerung im Hüft- und Oberschenkelbereich (Birnentyp).

Die der Adipositas zugrundeliegenden pathophysiologischen und pathobiochemischen Mechanismen sind extrem komplex und trotz erheblicher Fortschritte in den letzten Jahren nur partiell bekannt. Das gleiche gilt für psychosoziale Faktoren, die neben den genetisch vorgegebenen Stoffwechseleigenschaften mitverantwortlich sind. Weniger essen, mehr bewegen, so lautet nach Prof. Kasper das Motto für Übergewichtige. Die mit der Nahrung zugeführte Energie soll über dem Verbrauch für Muskelarbeit, Aufrechterhaltung der Körpertemperatur etc. liegen.

Ernährungsberatung aus der Apotheke

Apothekerin M. Schlenk stellt die Aufgabe des Apothekers bei der Beratung von übergewichtigen Kunden heraus: dem Patienten im Dschungel der Präparate sinnvolle Wege aufzuzeigen und mit Hilfe einer fundierten Ernährungsberatung eine Hilfe auf seinem Weg hin zum Ziel einer realistischen Gewichtsreduktion anzubieten (siehe Kasten Checkliste).

Derzeit befinden sich folgende rezeptpflichtige Präparatgruppen auf dem Markt:

  • komprimatbildende, nichtresorbierbare Quellstoffpräparate auf Cellulosebasis. Wirkstoff: vernetzte Cellulose aus Flachs, Baumwolle und Holzfasern. Beratungshinweise: Es dürfen nur unbeschädigte (Vorsicht bei der Entnahme) und verschlossene Kapseln (unzerkaut schlucken) mit viel Flüssigkeit eingenommen werden, da sonst die Freisetzung des Kapselinhaltes im Mund oder der Speiseröhre erfolgt und entsprechende Gefahren wie z. B. Verschluss der Atemwege entstehen können. (Wegen dieser möglicher Nebenwirkungen unterliegen sie seit 2002 neu der Verschreibungspflicht.) Bei Patienten mit bereits bestehenden Darmerkrankungen sind sie kontraindiziert.
  • nichtresorbierbare Stoffe, die fettspaltende Enzyme im Gastrointestinaltrakt hemmen. Wirkstoff: Orlistat. Beratungshinweise: Als Nebenwirkung der Hemmung der Fettresorption treten fettige, ölige Stühle (auch bei geschlossenem Anus) auf. Der Patient muss auf die Einhaltung einer fettnormalisierten Ernährung hingewiesen werden! Als Interaktion ist die verminderte Resorption fettlöslicher Arzneistoffe (z. B. hormonelle Kontrazeptiva) zu nennen.
  • nach Resorption aus dem Gastrointestinaltrakt ZNS-wirksame Stoffe, die in Übertragungsmechanismen der Neurotransmitter im Gehirn eingreifen. Wirkstoff: Sibutramin. Beratungshinweise: Während der Behandlung müssen Puls und Blutdruck engmaschig kontrolliert werden (Blutdruckmessung; Führen eines Blutdruckpasses). Die Behandlung sollte abgesetzt werden, falls der Ruhepuls zweier aufeinanderfolgender Messungen um 10 Schläge bzw. der systolische Blutdruck mehr als 10 mm Hg erhöht ist. Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer rufen möglicherweise ein erhöhtes Blutungsrisiko hervor, aus diesem Grund sind Interaktionen mit anderen die Homöostase oder die Thrombozytenfunktion (z. B. ASS) beeinflussenden Arzneistoffen zu beachten. Bei gleichzeitiger Gabe von Arzneistoffen, die eine Erhöhung der Serotoninspiegel im Gehirn bewirken (z. B. Sumatriptan, Dihydroergotamin bei Migränepatienten), können schwerwiegende Wechselwirkungen, die unter dem Begriff Serotonin-Syndrom bekannt sind, auftreten.

    Ferner sind folgende apothekenpflichtige oder freiverkäufliche Präparate zu nennen:

  • homöopathische Arzneimittel,
  • Quellstoffpräparate auf Alginat- oder Collagenbasis mit Komprimatbildung,
  • Chitosan-Produkte,
  • Quellstoffpräparate ohne Komprimatbildung.

    Ein herzlicher Dank gilt Herrn Professor Kasper und Frau Apothekerin M. Schlenk, die durch ihr Engagement ausdrücklich demonstrieren wollten, wie bedeutend für Arzt und Apotheker die kritische Beurteilung der Präparate zur Behandlung des Übergewichts und der Sättigungskontrolle ist und welche Herausforderung es an den Apotheker stellt, den abnehmwilligen Kunden durch eine fundierte Ernährungsberatung pharmazeutisch zu begleiten.

  • Checkliste zur Bewertung von Präparaten zur Gewichtsreduktion und Diätkonzepten

    Leitsatz: Gewichtsreduktion ohne negative Energiebilanz ist nicht zu erreichen! 1. Zulassung als Arzneimittel oder Medizinprodukt? Oder Diätetikum gemäß DGE-Richtlinie und Lebensmittelverordnung bzw. der neuen EU-Richtlinie für Nahrungsergänzungsmittel (bindend ab 2005)? 2. Bei Nahrungsergänzungsmitteln keine Werbung, durch die der Laie sie als Arzneimittel einstufen könnte. 3. Stichhaltigkeit und Relevanz zitierter Quellen und Studien. Kann der Hersteller die Studien zur Verfügung stellen? 4. Art der Inhaltsstoffe und demnach Preis/Leistungsverhältnis. 5. Erfolgt eine pauschale Kalorienreduktion oder das Konzept des Fettsparens? 6. Dichtung oder Wahrheit: Wie viel Kilo Abnahme an Körpergewicht werden in welchem Zeitraum versprochen? 7. Keine starren Verbote oder Regeln: rigide Kontrollmechanismen sind zu erkennen und auszuschalten! Statt durch Verbote sind die Verhaltens- und Essensziele mit flexibler Kontrolle zu erreichen. 8. Sind getroffene Aussagen rational nachvollziehbar? Gibt es wissenschaftliche Belege (nicht nur in der Werbeschrift)? 9. Gibt es eine Erfolgskontrolle der propagierten Methode/des Produktes (Evaluation)? 10. Bestehen Wechselwirkungen, Kontraindikationen, Nebenwirkungen der angepriesenen Methode/Diät/Produkt? Aus: Kasper, Schlenk: Adipositas - Ursachen, Folgen, Behandlungswege. Govi Verlag 2003

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