Feuilleton

Zur Erinnerung: 200. Geburtstag von Charles Frédéric Kuhlmann

Die chemische Industrie entwickelte sich in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts noch recht langsam. Sie stellte vor allem Schwefelsäure, Natriumsulfat, Soda, Salzsäure, Chlor, Salpetersäure und Alkalihydroxide her. Zu ihren Pionieren in Frankreich zählte Charles Frédéric Kuhlmann, der am 22. Mai 1803 in Colmar (Elsass) geboren wurde.

Kuhlmann (sprich: Kühlmann) erlernte in Colmar und Nancy die Pharmazie. Nach dem Chemiestudium bei Louis-Nicolas Vauquelin (1763 – 1829) in Paris wurde er 1824 Dozent der angewandten Chemie in Lille, wo er im Auftrag der Stadt vor allem Handwerker und Industrielle unterrichtete.

Da es in den Textilfabriken Nordfrankreichs einen großen Bedarf an Chemikalien gab, beschloss Kuhlmann, sie selbst zu produzieren. Mit dem Kapital einiger Schüler errichtete er 1825 in Loos bei Lille eine Schwefelsäurefabrik, bald darauf eine Sodafabrik, die nach dem Leblanc-Verfahren arbeitete.

Nachdem schon Humphry Davy (1778 – 1829) und Johann Wolfgang Döbereiner (1780 – 1849) die katalytischen Eigenschaften des Platins erforscht hatten, entwickelte Kuhlmann 1838 eine Methode, Salpetersäure aus Ammoniak herzustellen, indem er ein Gemisch von Ammoniak und Luft über einen Platinschwamm leitete; bei diesem Vorgang bildeten sich Stickoxide.

Noch im gleichen Jahr gelang Kuhlmann die katalytische Oxidation von Schwefeldioxid zu Schwefeltrioxid mit einem Platinschwamm. Dagegen misslang es ihm, Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff mittels Katalysatoren herzustellen. Erst 1908, als Fritz Haber (1868 – 1934) Eisen als Katalysator verwendete, konnte man Ammoniak nach dem Haber-Bosch-Verfahren gewinnen.

Als der französische "Bürgerkönig" Louis Philipp (reg. 1830 bis 1848) befahl, die Hosen und Käppis der französischen Infanterie mit Krapp rot zu färben, schuf Kuhlmann eine neue Methode zur Gewinnung des roten Farbstoffs aus der Krappwurzel. Dem gelben Farbstoff in der Krappwurzel gab er den Namen "Xanthin". Außerdem erfand er eine Methode zur Erkennung von Baumwolle in Leinwand.

Mit Justus von Liebig stand Kuhlmann in freundschaftlicher Verbindung, seitdem dieser ihn im Herbst 1828 besucht hatte. Beide interessierten sich für die Agrikulturchemie. Als Erster in Frankreich nahm Kuhlmann im großen Umfang die Herstellung von Superphosphat auf. Auch als Schöpfer der Barytindustrie (Schwerspat) in Frankreich hat er sich einen Namen gemacht.

Die Ergebnisse seiner zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten publizierte Kuhlmann zwischen 1823 und 1877 in verschiedenen französischen Fachzeitschriften ("Annales de physique et de chimie", "Comptes rendus d'Academie des Sciences", "Mémoires de la Société des Sciences de Lille"; Aufsatzsammlung: "Recherches scientifiques et publications diverses", Paris 1877).

1848 wurde Kuhlmann Direktor der Münze zu Lille, bald danach Präsident der Handelskammer von Lille, Mitglied des Conseil des Département du Nord und korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris. Seine Lehrtätigkeit beendete er 1847, als er von seinem Einkommen als Unternehmer leben konnte.

Mit der Zeit hatte Kuhlmann neben seinem Unternehmen in Loos noch vier weitere Fabriken in Nordfrankreich (La Madeleine, Amiens, St.-André, Corbehem) errichtet, die unter anderem Blausäure, Schwefel- und Salpetersäure, Baumaterialien, Düngemittel, Rübenzucker und Textilchemikalien produzierten.

1861 erwarb er ein Salzbergwerk mit Saline in Villefranque bei Bayonne, und 1870 schloss er seine Fabriken zur "Manufacture des Produits Chimique du Nord" zusammen. Aus ihr gingen 1875 die Etablissements Kuhlmann hervor, die 1966 bzw. 1971 mit den Firmen Ugine und Péchiney fusionierten (PUK). Im Zuge der Neuformierung wurde der Chemiesektor 1969 an Rhône Poulenc (heute: Aventis) verkauft.

Zitat:

Kuhlmann hat sich an der Stelle der Baracke, in der wir einst übernachteten, ein prachtvolles Schlösschen gebaut mit einer überaus reichen Einrichtung. Man sieht, dass seine jährlichen Einkünfte hunderttausende von Franken erreichen. Seine Fabrik in Madeleine auf der anderen Seite von Lille ist die schönste chemische Fabrik, die ich bis heute gesehen habe.

Justus von Liebig, 1855, in einem Brief an seine Frau

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