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Arzneimittelrecht: Einzelrezeptur oder Fertigarzneimittel?

Arzneimittel bedürfen grundsätzlich der Zulassung, die jedoch im Einzelfall sehr kosten- und zeitraubend sein kann. Für Hersteller von Wirkstoffen ist es daher attraktiv, diesen Aufwand zu umgehen, indem man sich auf Ausnahmetatbestände des Arzneimittelgesetzes beruft. Solche Fallgestaltungen können bei der Abgabe im Rahmen von grundsätzlich zulassungsfreien Einzelrezepturen und bei Herstellung in der Apotheke in Anspruch genommen werden. Der Vorteil grundsätzlich einschlägiger Ausnahmetatbestände kann jedoch, wie ein Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts zeigt (Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 25. Juli 2002, Az. 3 U 322/01) durch nicht abgestimmte Werbemaßnahmen zunichte gemacht werden.

Die meisten Arzneimittel dürfen nur mit einer entsprechenden Zulassung in Verkehr gebracht werden. Dies gilt insbesondere für Fertigarzneimittel, die nach § 4 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) wie folgt definiert werden: (1) Fertigarzneimittel sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden.

Die Zulassungspflicht regelt § 21 Abs. 1 AMG: (1) Fertigarzneimittel, ... dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind . ...

Das in den §§ 21 ff. AMG detailliert normierte Zulassungsverfahren erfordert vom Antragsteller die Beibringung zahlreicher Unterlagen, es ist kosten- und zeitintensiv. Es kann daher nicht verwundern, wenn die Hersteller von Wirkstoffen diese u. U. nicht durch einzelfallunabhängige Herstellung und verbrauchergerechte Verpackung zu Fertigarzneimitteln aufwerten wollen. Die Zubereitung des Arzneimittels und die Abgabe an den Verbraucher wird dann im Einzelfall von der Apotheke übernommen, die sich hier auf das auch europarechtlich anerkannte "Privileg der Einzelrezeptur" berufen können.

Dass dieses Privileg der Einzelrezeptur vom Hersteller des Wirkstoffes durch nicht abgestimmte Werbemaßnahmen gefährdet werden kann, zeigt das Urteil des HansOLG Hamburg. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Ein Pharmaunternehmen stellt den Stoff "Ribavirin" her und liefert diesen an Apotheken. Das Unternehmen wirbt gleichzeitig bei Ärzten dafür, dass diese im Wege der Einzelrezeptur Ribavirin-Kapseln verordnen, welche dann unter Verwendung des gelieferten Wirkstoffes in der Apotheke hergestellt werden.

Das Unternehmen betont dabei, dass durch die rezepturmäßige Herstellung bis zu 80 % der Kosten eines Ribavirin-haltigen Fertigarzneimittels eingespart werden könnten – in Zeiten beschränkter Arzneimittelbudgets für die Verordner sicherlich ein Anreiz, entsprechend zu rezeptieren.

Gegen diese Werbung ging ein Konkurrent vor, welcher Ribavirin-haltige Fertigarzneimittel vertreibt. Als der Konkurrent nicht von Vorwürfen des wettbewerbswidrigen Verhaltens abrücken wollten, beantragte das Pharmaunternehmen im Wege der negativen Feststellungsklage, festzustellen, dass die praktizierte Bewerbung der rezepturmäßigen Verordnung rechtmäßig sei. Dem wollte das HansOLG Hamburg jedoch nicht folgen. Vielmehr steht nach Ansicht des Gerichtes der Beklagten ein Anspruch auf Unterlassung der entsprechenden Werbung zu.

Keine Zulassungspflicht wegen Einzelrezeptur?

Das Gericht begründete seine Entscheidung über § 1 UWG, 3a HWG, 21 AMG: Die Klägerin habe mit der Aufforderung, die Ärzte sollten die Herstellung der Kapseln in der Apotheke verordnen, ein nicht zugelassenes Arzneimittel beworben. Dabei hatte das Gericht sowohl die beworbenen Ribavirin-Kapseln als auch den von der Klägerin gelieferten Ausgangsstoff Ribavirin als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG eingeordnet.

Zwar seien die Ribavirin-Kapseln – so das Gericht – kein Fertigarzneimittel gem. § 4 Abs. 1 AMG, da sie nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht werden. Eine Zulassungspflicht gem. § 21 Abs. 1 AMG läge damit nicht vor.

Hieraus wollte das Gericht jedoch nicht schließen, dass die Kapseln insgesamt von der Zulassungspflicht freigestellt sind. Zwar handle es sich bei dem Privileg der Einzelrezeptur um eine, im Arzneimittelgesetz nicht ausdrücklich benannte, aber allgemein anerkannte Ausnahme von der Zulassungspflicht, die gem. Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 Nr. 4 der entsprechenden Richtlinie 65/65/EWG auch europarechtlich zulässig sei – auch die Richtlinie erlaube Ausnahmen für Einzelrezepturen, die sog. formula magistralis.

Da jedoch eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Zulassungspflicht vorliege, sei die entsprechende Bestimmung eng auszulegen. Bei einer solchen engen Auslegung wollten die Richter jedoch das Kriterium der "Einzelrezeptur" nicht mehr als gegeben ansehen; so bezieht Art. 1 Nr. 4 der EG-Richtlinie den Begriff der Einzelrezeptur nur auf Fälle, in denen ein Arzneimittel in einer Apotheke nach ärztlicher Vorschrift für einen bestimmten Patienten zubereitet wird.

Im konkreten Fall finde zwar eine Zubereitung nach ärztlicher Vorschrift in der Apotheke statt, jedoch fehle das Merkmal der Zubereitung für einen bestimmten Patienten, d. h. für einen Einzelfall. Gerade die flächendeckende Bewerbung einer konkreten Rezeptur zeige so das Gericht – dass keine "Einzelfalllösungen" propagiert werden, sondern eine systematische und über den Einzelfall hinausgehende Rezeptierung und Herstellung der Ribavirin-Kapseln. Die grundsätzlich bestehende Zulassungspflicht könne also nicht durch eine Berufung auf das Privileg der Einzelrezeptur verdrängt werden.

Keine Zulassungspflicht wegen Herstellung in der Apotheke?

Auch § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG sah das Gericht als nicht einschlägig an. Nach dieser Vorschrift bedarf es keiner Zulassung für Arzneimittel, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind und aufgrund nachweislich häufiger ärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in eine Apotheke in einer Menge bis zu 100 abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe in dieser Apotheke bestimmt sind.

Diese Vorschrift sah das Gericht aus zwei Gründen als nicht einschlägig an: So war nicht festzustellen, dass die von der Klägerin beworbenen Ribavirin-Kapseln häufig ärztlich verschrieben würden. Außerdem werde der maßgebliche, arzneilich allein wirksame Bestandteil, das Ribavirin, nicht in der Apotheke sondern bei dem werbenden Pharmaunternehmen hergestellt, während § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG "die" – das heißt alle -maßgeblichen Herstellungsschritte in der Apotheke vorsieht. Da auch diese Ausnahmevorschrift nicht greife, verblieb es nach Ansicht des Gerichtes bei der grundsätzlichen Zulassungspflicht.

In der entsprechenden Werbung sah das Gericht jedoch nicht nur eine Bewerbung der Ribavirin-Kapseln, sondern auch eine Bewerbung des Stoffes "Ribavirin". Bereits dieser Stoff sei nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 AMG zwar nicht als Fertigarzneimittel, wohl aber als Arzneimittel einzuordnen, welcher ebenso wie die Ribavirin-Kapseln zulassungspflichtig sei. Die Werbung für die auf Rezeptur herzustellenden Kapseln sowie die Werbung für den Stoff selbst wurden daher als unzulässig und wettbewerbsverletzend eingestuft.

Fazit

Der Vertrieb eines Wirkstoffes unter Hinweis auf die Möglichkeit der Einzelrezeptur kann durchaus lukrativ sein. Einspareffekte bei der patientennahen Herstellung der fertigen Anwendung in der Apotheke können durchaus zu einer höheren Verordnung führen. Ob ein Unternehmen sich auch die Zulassung "sparen" kann, ist im Einzelfall möglicherweise zweifelhaft. Gerade bei umfangreichen Werbemaßnahmen dürfte sich ein entsprechendes Verfahren "zur Sicherheit" anbieten.

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