- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 35/2003
- Kunst, Kultur und ...
DAZ-Feuilleton
Kunst, Kultur und Lebensgefühl (Graz – europäische Kulturhauptstadt 2003
Die Idee, jedes Jahr eine andere europäische Stadt zum Brennpunkt europäischer Kultur zu machen, geht auf die frühere griechische Kulturministerin Melina Mercouri zurück. Die Intention ist, die Völker der EU-Mitgliedstaaten einander näher zu bringen, die kulturelle Zusammenarbeit und den kulturellen Einigungsprozess zu fördern. Für 2003 wurde Graz dafür auserwählt.
Graz ist voller Geschichte
1128 wurde die Stadt erstmals urkundlich erwähnt. Seitdem haben zwei Kaiser die Stadt zur Residenz erwählt, die Stadt musste sich heftig umkämpfen lassen und hat Herzöge und Erzherzöge gesehen. Die uneinnehmbare Burg ließ Napoleon schleifen, heute sind die Reste der Burg zu besichtigen. Doch die Stadt selbst lebte weiter. Graz kann einen Dom und ein Mausoleum aufweisen, seinen berühmten Uhrturm als Wahrzeichen hat sich die Stadt bis heute bewahrt.
Graz, so hieß es in der Bewerbung der Stadt um den Titel "Kulturhauptstadt Europas", liegt seit Jahrhunderten am Schnittpunkt der europäischen Kulturen. Hier konnten sich romanische und slawische, selbst noch germanisch-alpine Einflüsse zu einem spezifischen Charakter verbinden. Man spürt diesen Charakter sofort, wenn man das erste Mal diese Stadt durchstreift. Nicht nur die Architektur verströmt in Graz einen Hauch italienischen Flairs.
Man findet eine Stadt vor, umgeben von Obst- und Weinland, die sich Kultur und Erscheinungsbild südlicher Nachbarländer durch die Jahrhunderte erschlossen hat. Graz liegt in der Mitte eines neuen Europas, Ljubljana ist ebenso nah wie Wien, Zagreb so nah wie Linz, Budapest nicht weiter entfernt als München, Venedig nicht weiter als Innsbruck. Die multikulturelle Tradition hat den Charakter der Stadt geprägt.
"Grazie, Graz!"
Wer die Straßen und Gassen von Graz durchstreift, spürt bereits das südländische Lebensgefühl. Zahlreiche Restaurants, Wirtschaften und Cafés, die ihre Stühle und Tische vors Haus gestellt haben, laden zum Verweilen ein. Aufgrund des milden Klimas - das der Stadt schon den Beinamen "Pensionopolis" einbrachte, da viele Ältere und Rentner die Stadt als Altersruhesitz wählten - herrschen auch im Herbst in Graz angenehme Temperaturen.
Von wegen Überalterung - davon ist heute in Graz nichts zu spüren. Aufgrund seiner Universität hat die Stadt eine junge Szene, von den 250 000 Einwohnern der Stadt sind rund 40 000 Studenten. Das prägt das Leben in einer Stadt. Das zeigt aber auch: Graz lebt von Gegensätzen.
Die Stadt gehört zu den besterhaltensten historischen Altstädten Mitteleuropas mit einer einmaligen Dachlandschaft, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Gleichzeitig ist Graz eine Stadt der Hochtechnologie, der Autoindustrie, des Sports - und des Jazz: Hier gibt es die älteste akademische Jazz-Schule Europas.
Graz 2003
Für das Programm zur Kulturhauptstadt Graz 2003 haben die Verantwortlichen kein Ganzjahresspektakel gewählt, die Programmvielfalt zeigt sich vielmehr in architektonischen Höhepunkten, in zahlreichen Ausstellungen, in Musik und Theater, in Literatur und Film. Egal zu welcher Zeit man in diesem Jahr die Stadt besucht. Sie bietet immer ein reichhaltiges Programm.
Höhepunkt im Herbst soll die Eröffnung des futuristischen Kunsthauses an der Mur werden, das wie ein Ufo im Dächermeer gelandet ist. Eine bereits gut frequentierte Attraktion ist eine künstlich geschaffene Insel in der Mur, wie zwei Schalen einer geöffneten Muschel, die den Grazer Altstadtkern und den Mariahilferplatz verbindet und als Amphitheater und Café genutzt wird.
Beim Rundgang durch die Stadt trifft man immer wieder auf künstlerische Experimente und Objekte, z. B. die Spiegelinstallationen auf Grazer Innenstadtplätzen, der Schattenturm des Grazer Uhrturms (das Grazer Wahrzeichen hat einen gleichgroßen Schattenturm bekommen), der Marienlift, der Passanten auf die Höhe der Marienstatue am Eisernen Tor befördert.
Einen Schwerpunkt bildete die Ausstellung zum Phänomen des Masochismus in der Kulturgeschichte und im täglichen Leben ("Phantom der Lust"). Im Mittelpunkt der Ausstellung stand dabei der Grazer Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch, der unfreiwillige Ahnherr des Begriffs Masochismus.
Weitere Ausstellungen beschäftigen sich mit Kunst und Krieg ("M_ARS"), mit dem Frauenleben im Zeughaus ("Rock und Rüstung"), mit dem Ursprung von Sprache und Schrift ("Turmbau zu Babel"), mit Transformationen der Schwerkraft ("Himmelschwer") und mit automobilen Unikaten aus der ganzen Welt ("Auto Art2003").
Eine besondere Ausstellung bietet der "Berg der Erinnerung": In den Stollengängen des Schlossberges, die während des Krieges als Luftschutzbunker dienten, haben Grazer Bürgerinnen und Bürger zahlreiche Gegenstände und Zeitdokumente aus dem 20. Jahrhundert zusammengetragen und zu einer interessanten Ausstellung komponiert.
Darüber hinaus findet ständig ein wechselndes Programm an Musik-, Film- und Theatervorführungen statt.
Juwelen der Pharmaziegeschichte
Wer als Apothekerin oder Apotheker nach Graz kommt, findet hier - auch über das Jahr 2003 hinaus - einen pharmaziehistorischen Leckerbissen. Ins Grazer Stadtmuseum eingegliedert ist eine dreiräumige Apotheke mit einer Offizin aus der Biedermeierzeit zu besichtigen.
Kulturhistoriker sprechen von einem "Juwel" und auch die Österreichische Apothekerkammer ist stolz auf die hier liebevoll zusammengetragene Sammlung pharmaziegeschichtlicher Kostbarkeiten.
Um die wirklich sehenswerte Museumsapotheke einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und gleichzeitig die Apotheken in das Kulturjahr 2003 mit einzubinden, entwickelte die steirische Zweigstelle der Apothekerkammer zusammen mit dem Grazer Tourismusbüro einen speziellen Stadtrundgang mit dem Titel "Auf den Spuren von Pillen und Tinkturen".
Diese Tour wird von einer Kulturhistorikerin äußerst fachkundig und interessant zugleich geleitet und erfreut sich großer Beliebtheit unter Einheimischen und Besuchern der Stadt. Keinesfalls versäumen, falls Sie nach Graz reisen - diesen Tipp möchten wir den Leserinnen und Lesern der DAZ ans Herz legen!
Startpunkt der Führung ist die Museumsapotheke im Hinterhaus der Sackgasse 18. Ein engagierter Grazer Apotheker, dem ehemals die Hirsch-Apotheke gehörte, schenkte der Stadt im Jahr 1978 rund 4000 Objekte aus seiner Privatsammlung. Um den darin enthaltenen Kostbarkeiten einen würdigen Rahmen zu geben, nahm die Stadt Kontakt mit der Apothekerkammer auf - und diese fand nach einer breit angelegten Suche in der ganzen Umgebung schließlich die historische Offizin der Mariahilf-Apotheke in Feldbach.
Diese wurde ins Grazer Stadtmuseum überführt und dient dort als Ausstellungsraum für die umfangreiche Sammlung, die im Laufe der Zeit noch durch weitere Gaben aus den Apotheken der Steiermark ergänzt wurde. Außer der gut erhaltenen Offizin aus der Biedermeierzeit sind eine Kräuterkammer und ein Labor zu besichtigen.
Alte Tiegel, Labor- und Aufbewahrungsgefäße, Gerätschaften, kunstvolle Schränke, Waagen verschiedenster Größe, Mörser und Pistille sind ebenso zu bewundern wie historische Reiseapotheken, Etiketten für Human- und Veterinärmedizin und - besonders erwähnenswert - so genannte Vipernschnüre.
Diese angeblich mit Vipernblut präparierten Schnüre wurden bis 1930 verwendet, galten als sehr teure Arznei und wurden zum Abbinden kranker Körperteile eingesetzt. Das Vipernblut galt schon in der Römerzeit als besonders heilkräftig. Das Fleisch weiblicher Vipern war jahrhundertelang Bestandteil der "Wunderarznei" Theriak.
Wer diese wunderschöne und interessante Museumsapotheke näher erläutert haben möchte, kann auch über das Tourismusbüro eine fachspezifische Führung bei der Apothekerkammer bestellen.
Im Rahmen des Stadtrundgangs "Auf den Spuren von Pillen und Tinkturen" erfuhr man nun, dass die ersten Grazer Apotheken im sechzehnten Jahrhundert gegründet wurden. Es gab zur damaligen Zeit die so genannten Hof-Apotheken - diesen wurde das Recht zum Führen der Apotheke vom Kaiserhof erteilt.
Die "politische Opposition" bildete damals der Adel und Landadel - auch dieser nahm sich das Recht, Apotheken zu gründen und an Pächter zu übergeben. Es entstanden die so genannten Landschafts-Apotheken. Sowohl Hof- als auch Landschafts-Apotheken waren ihren Auftraggebern verpflichtet und konnten nur im engen Rahmen frei handeln. Dies rief die Städte auf den Plan und auch die Stadt Graz vergab daraufhin an einen Apotheker das Recht, eine "Bürgerapotheke" zu gründen.
Offensichtlich gab es Platz für alle drei Typen von Apotheken und man arrangierte sich mit der jeweiligen Kundschaft. Ärger und Eifersüchteleien sollen allerdings aufgekommen sein, sobald Neugründungen drohten. Auch als ein kirchlicher Orden noch eine Apotheke zusätzlich einrichten wollte - man befürchtete sofort Konkurrenz. Diese ließ sich jedoch nicht vermeiden. Und auf Initiative des Franziskanerordens entstand die "Apotheke der barmherzigen Brüder" mit dem Beinamen "Zum Granatapfel". Die Samen des Granatapfels stehen als Symbol für Nächstenliebe und Barmherzigkeit - auch heute noch.
Nach dieser kleinen geschichtlichen Einführung wurden nun im Rahmen eines Stadtrundgangs sechs alte und ehrwürdige Grazer Apotheken besucht und betrachtet, während des laufenden Geschäftsbetriebs am Samstag vormittag.
Erste Station war die Landschafts-Apotheke, gegründet um 1570. Einer der ersten hier tätigen Apotheker ging auf besondere Weise in die Stadtgeschichte ein: Der Grabstein seiner Frau mit namentlicher Erwähnung ("die Fezerin") ist noch heute im Franziskanerkloster der Stadt anzuschauen. Besonders interessant die Inschrift, die eine "fröhliche Auferstehung" wünscht.
Station Nummer zwei war die Hirschen-Apotheke, die als zweitälteste Apotheke der Stadt gilt und 1566 vom damaligen Leib- und Hofapotheker des Erzherzogs Karl II eröffnet wurde. Da der Inhaber den Erzherzog viel auf dessen Reisen begleiten musste und deshalb die Geschäfte in der Apotheke versäumte, sorgte er schon damals für finanziellen Ausgleich durch "Nebeneinkünfte". Diese gewann er dadurch, dass seine Angestellten Tinte, Siegellack und Ähnliches, was wir heute als "Büromaterial" bezeichnen würden, vermarkteten.
Die erste bürgerliche Apotheke in der Grazer Innenstadt, die Bären-Apotheke, war Station drei des Stadtrundgangs. Von Leonhardt Bliem gegründet, befindet sich die Apotheke heute nicht mehr am ursprünglichen Ort, sondern musste wegen der Vergrößerung des Rathauses um die vorletzte Jahrhundertwende auf die gegenüberliegende Straßenseite der Herrengasse ausweichen.
Auf der vierten Station ging es in die älteste Grazer Apotheke, die Adler-Apotheke, die auch heute noch wunderschön anzuschauen ist. Die erste urkundliche Erwähnung datiert aus dem Jahr 1535. Damals wurde sie von den Ständen als "landschaftliche Offizin" errichtet und dem Italiener Dominicus Clemens zur Führung übergeben. Wenn auch heute vieles erneuert und modernisiert wurde, so präsentiert sich die Offizin doch noch in einer Ausstattung aus der Zeit um 1900.
Wenig zu sehen war leider auf der fünften Station: die Mohren-Apotheke befindet sich zur Zeit im Umbau und ist hinter einem Bauzaun kaum zu erkennen. Die Mohren-Apotheke liegt - vom Stadtzentrum aus gesehen - auf der anderen Seite des Flusses Mur und war bei ihrer Gründung im Jahr 1711 die erste öffentliche Apotheke außerhalb der Grazer Stadtmauern. Auch ihre Entstehung stieß damals bei den Innenstadt-Apothekern auf große Ablehnung - ließ sich aber nicht verhindern.
Als letzte und sechste Station führte der Stadtrundgang dann zu der bereits erwähnten Apotheke zum Granatapfel, die 1615 vom Kloster der Barmherzigen Brüder durch Kaiser Ferdinand II gegründet wurde und damit über ein kaiserliches Privileg verfügte. Seit 1922 wird die Apotheke von zivilen Apothekenleitern geführt. Besonders hervorzuheben ist das wunderschöne Deckengemälde, das die Offizin ziert.
Kleines "Extra" für die Teilnehmer der Tour war ein "Stempel-Sammelpass", in den jede der besuchten Apotheken ihren Tagesstempel drückte. Als kleine Überraschung gab es in der Apotheke zum Granatapfel noch Proben der dort üblichen Hausspezialitäten: ein Kräuterelixier und eine Hautsalbe nach überlieferten "geheimen" Rezepten. diz/rb
Graz – Europäische Kulturhauptstadt 2003 Graz, die zweitgrößte österreichische Stadt und Hauptstadt der Steiermark, durchflossen von der Mur, ist in diesem Jahr die europäische Kulturhauptstadt. Nicht zuletzt das ist Grund genug, dieser Stadt einen Besuch abzustatten. So bündelt die Kulturhauptstadt zahlreiche kulturelle, architektonische und künstlerische Höhepunkte. Für Pharmazeuten gibt es einen Grund mehr, die Kulturhauptstadt zu besuchen: ein Apothekenmuseum und zahlreiche alte Apotheken laden zum Besuch ein.
Informationen zu Graz findet man bei Graz Tourismus Information Herrengasse 16 A-8010Graz Tel. 0043 316 8075-0 Fax 0043 316 8075-15 E-Mail info@graztourismus.at
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.