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- DAZ 39/2003
- Pharmaziemuseum Brixen
Berichte
Pharmaziemuseum Brixen
Im Jahr 1602 erhielt die Stadt Brixen – sie konnte damals bereits auf eine 600-jährige Geschichte zurückblicken – zusätzlich zur bestehenden und der Geistlichkeit vorbehaltenen Fürstbischöflichen Hofapotheke eine zweite, der Bürgerschaft zugedachte Apotheke.
Bald (1693) zog die neue Stadtapotheke in ein schon damals ehrwürdiges Bürgerhaus an der Adlerbrückengasse Nummer 4 um und hat ihren Standort seither nicht mehr gewechselt. Seit 1787 befindet sie sich durchgehend im Besitz von bereits sieben Generationen der Apothekerfamilie Peer.
Diesen glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass sich hier über Jahrhunderte ein beachtenswert vollständiger und unverfälschter Bestand an Apothekengerätschaften, Einrichtungsgegenständen, Heilmitteln und Büchern erhalten hat, dessen pharmaziehistorischer Wert in Fachkreisen seit langem bekannt ist.
Vor allem wurden – das betonen die derzeitigen Eigentümer, Apotheker Dr. Oswald Peer und Apothekerin und Pharmaziehistorikerin Dr. Elisabeth Peer als die maßgeblichen Initiatoren des Museums – die Bestände nie durch Sammlerleidenschaft und Zukäufe erweitert und repräsentieren so den originalen Zustand einer Apotheke in verschiedenen Jahrhunderten.
Ausstellungsschwerpunkt "Arzneimittel"
Zum 400-jährigen Apothekenjubiläum wurden diese Schätze nun dauerhaft im 2. Stock des historischen und denkmalgeschützten Stadt-Apothekenhauses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Familie Peer stellte die Räumlichkeiten und die pharmaziehistorischen Gegenstände zur Verfügung, Betreiber und Träger des Pharmaziemuseums Brixen aber ist der private Förderverein "recipe!", gemeinsam ermöglichte man die Projektfinanzierung.
Bewusst hat man in dem neuen Museum davon Abstand genommen, in herkömmlicher Manier einfach Apotheken-Gerätschaften und -Mobiliar zu zeigen (was der reiche Fundus des Hauses leicht hergäbe). Mit einem internationalen Experten- und Beraterteam, u. a. aus Heidelberg, Ingolstadt und Innsbruck, einigte man sich auf einen museumsdidaktischen Schwerpunkt: "Das Heilmittel in Geschichte und Gegenwart".
Denkmalschutz und moderne Präsentation
In drei original restaurierten Tiroler Stuben mit barocken Fresken und Kassettendecken bietet das intime Museum in zeitgenössischen Installationen und mit modernsten Mitteln einen informativen Rückblick in die Arzneigeschichte und spannt den Bogen hin bis zum modernen Medikament und dem Aufgabenbereich heutiger Apotheker.
Alle ausgestellten Geräte, Heilmittel, Gefäße und Verpackungen wurden aus den weiträumigen Kellern und Speichern des alten Hauses zusammengetragen und stammen aus dem täglichen Apothekengebrauch. In einzelnen Themenschwerpunkten beschreiben sie Fortschritt und Wandel der Arzneikunde am Beispiel eines originalen Bestandes.
Apothekerkunst von einst bis jetzt
Die im Museum präsentierte Auswahl reicht von historischen Arznei-Raritäten aus den Anfängen der Stadtapotheke im 17. Jahrhundert bis zu hochaktuellen Industrieprodukten und individuell dosierten Einzelanfertigungen aus dem heutigen Apothekenlabor.
Neben Mörsern, Zäpfchenformen und Pillenrechen können jeweils auch die originalen oder nach historischen Rezepten nachgearbeiteten Präparationen studiert werden: vergoldete und versilberte Pillen für die VIPs von einst, erste Pflastervorläufer aus eingeweichten Rinden, "Stahlkugeln" des 17. Jahrhunderts (aus Eisenweinstein mit Gummi arabicum) für anämische Jungfern, Ingwer- und Kalmuskonfekt als Vorläufer der heutigen Gummibären, aber auch moderne TTS und automatische Infusionspumpen.
All das gibt anschaulichen Einblick in die Erkenntnisse der jeweiligen Zeit und verdeutlicht selbst dem laienhaften Besucher die Bandbreite der "ars pharmaceutica" und wie sie sich vom galenischen Handwerk zur Wissenschaft der Pharmazeutischen Technologie entwickelt hat.
Materia medica aus 400 Jahren
Auch der Kenner und Fachmann hat seine Freude (und entdeckt eigene Wissenslücken) beim Ziehen der vielen beleuchteten Schubladen des Wunderschrankes "Drogen aus aller Welt" mit höchst informativen Texten.
Er staunt beim Anblick von Magischem und Wundersamem über die medizinische Phantasie seiner mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorgänger und die Glaubenskraft damaliger Patienten. Signaturenlehre kann höchst augenscheinlich am Objekt studiert werden, der phantasiereiche Einsatz von Naturprodukten (z. B. von Läusen!) erzwingt Bewunderung.
Die Auswahl frönt jedoch nicht nur Nostalgischem, sondern widmet sich gleichermaßen aktuellen Arzneidrogen mit ihren Zubereitungen und Anwendungen.
Viele der kunstvollen Beschriftungen auf den hauseigenen schönsten Standgefäßen und Behältnissen aus vier Jahrhunderten im Kostbarkeitenregal "Geordnete Vielfalt und Fülle" dürften wohl auch manchem pharmazeutischen Zeitgenossen nur noch Geheimnis sein (denn wer kennt noch Confectio Alcermes, Electuarium lenitivum etc.), geben aber einen nachhaltigen Eindruck vom umfassenden Apothekensortiment zu allen Zeiten und dokumentieren den Wandel und Fortschritt in Ausstattung, Stil und Verarbeitung.
Von Paracelsus beeinflusst
Manche der Raritäten stammen noch aus der Zeit des Paracelsus oder sind von seiner bahnbrechenden Lehre inspiriert. Der berühmte Arzt war in den Jahren um 1540 im nahen Sterzing tätig. Er propagierte schon damals, der "reinen Wirksubstanz aus den Pflanzen" den Vorzug zu geben, und wurde so zum Vorläufer und Inspirator der "Chemischen Kunst".
Ihr gilt ein weiterer der fünf Themenkreise, wo neben Destillierkolben und Sublimierhauben auch dem nicht so Fachkundigen schön die Entwicklung vom mittelalterlichen Geheimmittel über die ersten von berühmten Apothekern isolierten Naturstoffe bis hin zu den daraus gewonnenen "Spezialitäten" aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts vorgeführt wird.
Pharmazeutische Kompetenzen
Unter dem Titel "Sicherheit, Service, Sortiment" belegen Mikroskope, botanische Bestecke, Spindeln und sonstige Prüfgerätschaften die Vielseitigkeit und Kompetenzenvielfalt des Apothekerberufes. "100 Fragen an den Apotheker", die anlässlich der Museumseröffnung von Südtiroler Kollegen aufgezeichnet wurden (und die per Kopfhörer abgehört werden können), machen eindringlich die manchmal recht hochgeschraubten Erwartungen des Patienten an das "Allwissen" des Apothekers deutlich.
Dass Angebot und Sortiment schon immer auch dem individuellen Engagement des Apothekers überlassen waren, zeigt eine Sammlung leuchtender Farbpigmente aus einer Geschäftsperiode, als der Leiter der Apotheke selbst begeisterter Maler war.
Gelebte Geschichte
In einer Kleinstadt wie Brixen erfüllten Apotheker immer auch wichtige gesellschaftliche Aufgaben, die weit über die reine Berufsausübung hinaus reichten.
Unter dem Blick der Peerschen Ahnen erfährt man in einer individuell zu bedienenden Multimedia-Installation neben 200 Jahren Familienhistorie auch Amüsantes und Interessantes aus der Stadt- und Regionalgeschichte: welche Umwälzungen der Bau der Brennerstraße für die Region brachte, dass nach 1920 die vormals österreichische Stadt zwangsweise italienisiert wurde, dass 1940 die Bewohner "ins Reich heimkommen" sollten und vieles mehr von einem Wechselspiel zwischen öffentlichem Engagement, beruflicher Tradition und familiärer Bindung.
Zur Forschung freigegeben
Einen besonderen Schatz stellt die reichhaltige Bibliothek mit naturwissenschaftlichem Schrifttum aus fünf Jahrhunderten dar. Bibliophile Kostbarkeiten wie z. B. eine Pharmacopoeia Londinensis von 1662 und andere zeitgleiche Arzneibücher oder das berühmte, 1586 in Frankfurt erschienene Kräuterbuch von Matthiolus werden wechselnd zur Schau gestellt.
Der wertvolle Bestand ist auf Wunsch auch für interessierte Besucher offen, soll aber vor allem, ebenso wie die reichhaltigen Restbestände der Peerschen Sammlung, in Zukunft der wissenschaftlichen Auswertung zugänglich gemacht werden.
Lebendige Tradition
Das Pharmaziemuseum Brixen dokumentiert mit seiner umfangreichen Sammlung nahezu lückenlos 400 Jahre lebendige Tradition eines einzigen Hauses. Man verzichtete dabei bewusst auf den Anspruch pharmaziegeschichtlicher Vollständigkeit, sondern orientierte sich lieber gezielt am vorhandenen Fundus. In einer geglückten Verknüpfung von Gestern und Heute gelingt hier das Kunststück, Information, Tiefgang und ästhetisches Vergnügen in gleichem Maße zu bieten.
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