Arzneimittel und Therapie

Übermäßige Behaarung: Wenn Haarwuchs zum Problem wird

Nicht nur Haarausfall, auch übermäßige Behaarung kann zum Problem werden. Bei einer umschriebenen Hypertrichose handelt es sich meist nur um ein kosmetisch störendes angeborenes Behaarungsmuster. Der Hirsutismus, eine verstärkte, dem männlichen Typ entsprechende Sexual-, Körper- und Gesichtsbehaarung, ist bei Frauen aus dem Mittelmeerraum häufig anzutreffen. Seltene Erbkrankheiten, Atavismen oder eine geschlossene Spina bifida führen zu abnormaler Behaarung des Neugeborenen. Ändern sich Art oder Lokalisation des Haarwachstums beim Erwachsenen auffällig, kann das Ausdruck einer hormonellen Störung oder einer Stoffwechsel-Erkrankung sein. Auch bei Einnahme einiger Medikamente kommt es zu verstärkter Kopf- und Körperbehaarung.

Das menschliche Haar erfüllt im Gegensatz zum Fellhaar der Tiere keine unverzichtbaren physiologischen Aufgaben mehr. Menschen mit einer Alopezia areata totalis, dem völligen Verlust aller Körperhaare, haben dadurch keine gesundheitlichen Einschränkungen zu befürchten.

Trotzdem hat das Kopfhaar eine wichtige Symbolkraft im Sinne von Schönheit, Jugend und Gesundheit, sodass Menschen mit Haarausfall einem hohen Leidensdruck ausgesetzt sein können. Doch auch das Gegenteil ist nicht immer erwünscht. Ist das üppige Brusthaar beim Mann noch Sache des Geschmacks oder der Mode, gilt eine starke Behaarung am Rücken, wie sie häufig beim pyknischen Männertypus auftritt, als störend. Doch meist sind es Frauen, die unter Haarwuchs an den falschen Stellen leiden.

Haare sind Hautanhangsgebilde. Aus den feinen, unpigmentierten Lanugohaaren, die schon das ungeborene Kind besitzt, werden nach der Geburt etwas dickere Vellushaare am ganzen Körper, die fein, marklos und bereits pigmentiert sein können. Im Bereich der Kopfhaut, Augenbrauen, Wimpern sowie sexualhormonabhängig im Bart-, Achsel-, Brust- und Schambereich sowie im äußeren Gehörgang und am Naseneingang entwickeln sich Terminalhaare, die dick, markhaltig und stärker pigmentiert sind. Zur Veränderungen des physiologischen Behaarungsmusters kommt es durch die vermehrte Umwandlung wenig auffälliger, nicht-pigmentierter Vellushaare in auffällige, pigmentierte Terminalhaare.

Hypertrichose

Bei einer Hypertrichose handelt es sich um nicht-androgenabhängiges verstärktes Haarwachstum, das nicht dem Alter, Geschlecht oder der Rasse entspricht. Man unterscheidet zwischen angeborener und erworbener sowie nach Lokalisation in generalisierte oder umschriebene Hypertrichosen. Bei erworbener Hypertrichose wird die Anagenphase des Haarzyklus induziert.

Die Ursachen können sehr vielfältig sein. So treten lokalisierte Hypertrichosen beim chronischen Porphyriesyndrom an lichtexponierten Hautstellen, bei Sklerodermie sowie beim Myxödem aufgrund einer Schilddrüsenunterfunktion auf. Nach Schädel-Hirn-Traumen kann es nach zwei bis vier Monaten zu Hirsutismus kommen, der bis zu einem Jahr anhält. Auch wiederholte Frakturen und Nervenverletzungen können mit verstärktem Haarwuchs in Verbindung gebracht werden.

Als seltene Ursachen kommen schwere Mangelernährung bei Anorexia nervosa (Magersucht) oder ein Malignom infrage. Sehr selten ist die Trichomegalie, eine Wimpern-Hypertrichose bei AIDS-Patienten. Beim Neugeborenen können tierfellartig behaarte Muttermale auftreten, bei Neurodermitis zeigt sich der Haaransatz manchmal pelzkappenartig. Verstärkter Haarwuchs tritt auch als Folge des fetalen Alkoholsyndroms auf.

Pferdeschwanzähnliche Hypertrichie am unteren Rücken ist ein deutlicher Hinweis auf eine darunter liegende Fehlbildung der Wirbelsäule. Auch Chromosomenanomalien wie die Trisomie 18, die zum Edwards-Syndrom mit komplexen Fehlbildungen führt, sind mit vermehrtem Haarwachstum verbunden.

Eine sehr seltene angeborene Form ist die Hypertrichosis lanuginosa, bei der die Flaumhaare des Feten nicht durch andere Haartypen ersetzt werden. Das Neugeborene ist dann am gesamten Körper von diesen so genannten Lanugohaaren bedeckt, die später zu etwa zehn Zentimeter langen silbrigen feinen Haaren heranwachsen. Ein historisches Beispiel für einen so genannten Haarmenschen findet sich in der Gemäldesammlung von Schloß Ambras in Tirol. Das Porträt von 1580 zeigt das gänzlich behaarte Gesicht des Petrus Gonsalvus, der als Attraktion an mehreren Höfen Europas lebte und von vielen Ärzten und Naturforschern untersucht wurde. Die Krankheit wird autosomal dominant vererbt, sodass zwei der vier Kinder des Haarmenschen mit derselben Anomalie behaftet waren.

Haarwuchs als unerwünschte Arzneimittelwirkung

Eine Hypertrichose kann auch iatrogen durch Arzneimittel ausgelöst werden. Bei der Anwendung von Minoxidil (Lonolox®) zur Blutdrucksenkung und von dem 5-Alpha-Reduktsehemmer Finasterid (Proscar®) gegen Prostatakrebs beobachtete man einen verstärkten Haarwuchs der Patienten. Diese medikamentös verursachte Hypertrichose führte zur Entwicklung neuer Haarwuchsmittel. Als Fertigarzneimittel unter dem Namen Regaine® und in Rezepturen wird Minoxidil äußerlich eingesetzt, während sich Finasterid unter dem Handelsnamen Propecia® als wirksames Haarwuchsmittel zur systemischen Anwendung beim Mann durchgesetzt hat.

Zu den Wirkstoffen, bei denen eine Hypertrichose als unerwünschte Wirkung entstehen kann, gehören außerdem Vitamin D2, Streptomycin, Ciclosporin A, Diazoxid, Psoralene, Phenytoin und Thioridazin. Neuroleptika, anabole Steroide, und Glucocorticoide führen ebenfalls zu verstärkter Behaarung, die aber eher dem männlichen Verteilungstyp entspricht. Tritt diese Form einer lokalisierten Hypertrichose bei Frauen auf, bezeichnet man sie als Hirsutismus.

Hirsutismus

Vor allem Frauen aus südlichen Regionen neigen zu verstärktem Haarwuchs nach männlichem Muster im Genitalbereich, Brust und Gesicht. Das Risiko für androgenetischen Haarausfall, Menstruationsstörungen und Akne ist bei diesen Frauen ebenfalls erhöht. Der genetisch bedingte Hirsutismus beginnt im Verlauf der Pubertät und beruht wahrscheinlich auf einer erhöhten Empfindlichkeit der Haarfollikel für männliche Hormone.

Nur in zehn Prozent der Fälle sind die Serumspiegel von Testosteron und Dehydroepiandrosteron (DHAES) tatsächlich erhöht. Am häufigsten ist der so genannte "Damenbart", eine Form des Hirsutismus im Gesicht. Eine Haarentfernungstechnik, die schnell und wenig aufwändig ist, ist die Rasur, die allerdings täglich durchgeführt werden muss.

Länger – über einige Wochen – hält der Effekt einer Haarentfernung inklusive Haarwurzel durch Wachs oder Epiliergeräte an. Erst in der nächsten Anagenphase sprießt dann ein neues Haar, das dann allerdings häufig noch kräftiger erscheint. Im Gesichts- und Intimbereich ist diese schmerzhafte Methode der mechanischen Haarentfernung nur begrenzt möglich.

Dort kommen Enthaarungs- oder Bleichcremes zum Einsatz. Diese enthalten Thioglycolate, Wasserstoffperoxid in einer Konzentration bis 20 Prozent oder verdünnten Ammoniak. Der Erfolg der Epilationscremes hält bis zu zwei Wochen an, sie können aber zu Hautreizungen führen.

Unerwünschte Haare beseitigen

Sehr effektiv ist die Epilation nach der Photoderm-Methode oder mittels Rubinlaser. Hierbei kommt es durch hochenergetisches Blitzlicht, das bevorzugt vom Melanin pigmentierter Haarschäfte absorbiert wird, zur Follikelzerstörung. Am besten sprechen dunkel pigmentierte, dicke Haare bei hellem Hauttyp auf die Behandlung an. Zur vollständigen Zerstörung der Haarfollikel sind vier bis acht Epilationsversuche nötig.

Während beim Mann die nicht tolerablen systemischen Nebenwirkungen nur eine lokale Therapie ermöglichen, besteht bei Frauen die Möglichkeit, durch antiandrogen wirksame Substanzen das unerwünschte Haarwachstum zurückzudrängen. Meist ist die in entsprechenden Kontrazeptiva enthaltene Dosis von 2 mg Cyproteronacetat (in Diane 35® kombiniert mit 0,035 mg Ethinylestradiol) oder 2 mg Chlormadinon (in Gestamestrol® N mit 0,05 mg Mestranol oder in Neo-Eunomin® mit 0,05 mg Ethinylestradiol) ausreichend. 50 bis 60 Prozent der Patientinnen sprechen auf die Therapie an. Werden höhere Dosierungen benötigt, wird das umgekehrte Sequenzprinzip angewendet und vom ersten bis fünfzehnten Zyklustag zusätzlich Androcur® 10 mit 10 mg Cyproteronacetat zusätzlich eingenommen. Häufige Nebenwirkungen sind ein Spannungsgefühl in der Brust und Zyklusstörungen.

Die antiandrogene Therapie kann auch mit niedrig dosierten Glucocorticoiden oder in seltenen Fällen mit Spironolacton durchgeführt werden. Das kaliumsparende Diuretikum wirkt sowohl als Antagonist am Aldosteronrezeptor als auch am 5-Alpha-Dihydrotestosteronrezeptor. Systemisch wird es in einer Dosierung von zweimal täglich 25 mg bei androgenetischem Haarausfall, Akne und Hirsutismus empfohlen. Optimale Ergebnisse wurden bei 150 bis 200 mg Spironolacton täglich gemessen, wobei aber mit unerwünschten diuretischen, neurologischen und gastrointestinalen Nebenwirkungen zu rechnen ist.

In einer Studie mit 50 mg Spironolacton täglich wurde der Haarschaftdurchmesser um 40 Prozent nach sechs Monaten und um 83 Prozent nach zwölf Monaten und die Haardichte um 40 bis 60 Prozent reduziert. Im Gegensatz zu Cyproteronacetat und Chlormadinon eignen sich sowohl Spironolacton als auch dessen Hauptmetabolit Kanrinon auch zur topischen Anwendung bei Hirsutismus.

Kontraindiziert ist die Behandlung mit Antiandrogenen bei Frauen mit einer Thrombose oder Embolie in der Vorgeschichte. Auch eine mögliche kanzerogene Wirkung, die bisher nur im Tierversuch gesehen wurde, schränkt die Langzeittherapie ein. Oft dauert die Rückbildung des unerwünschten Haarwuchses Monate bis Jahre, in manchen Fällen lässt sich nur das Fortschreiten des übermäßigen Haarwachstums verhindern.

Haarwachstum als Krankheitssymptom

Eine sorgfältige endokrinologische Untersuchung sollte der antiandrogenen Behandlung immer vorausgehen, denn auch virilisierende Tumoren, ein Cushing-Syndrom, Störungen im Schilddrüsen- und Zuckerstoffwechsel sowie andere endokrine Störungen können für Hirsutismus verantwortlich sein. Auch ein Somatotropin-Überschuss beim Krankheitsbild der Akromegalie geht mit gesteigertem Haarwuchs nach männlichem Verteilungsmuster einher.

Die Funktion von Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse, der Schilddrüse und Ovarien sollte genau überprüft werden. Die Diagnostik umfasst nicht nur die Bestimmung der Testosteron- und DHEAS- Spiegel, sondern auch das Verhältnis zwischen luteinisierendem und follikelstimulierendem Hormon, Estradiol und dessen 3-Alpha-Glucuronid, Somatotropin, steroidhormonbindendes Globulin und die Schilddrüsenhormone. Hirsutismus kombiniert mit androgenetischer Alopezie kann auch Ausdruck einer Hyperprolaktinämie durch Neuroleptika, Hypophysenadenom oder polyzystische Ovarien sein.

Liegt dem Hirsutismus eine endokrinologische Erkrankung zugrunde, verschwindet er mit deren Behandlung. Bei starkem Androgenüberschuss, wie er bei hormonproduzierenden Tumoren auftritt, geht der Hirsutismus in das Krankheitsbild des Virilismus über. Hier treten weitere Zeichen einer Maskulinisierung hinzu. Es kommt zu Veränderungen der primären weiblichen Geschlechtsmerkmale wie Klitorishypertrophie und Menstruationsstörungen. Außerdem können eine tiefere Stimme, veränderte Körperhaltung und Brustform, psychische Veränderungen und Libidoverlust auftreten.

Nicht nur Haarausfall, auch übermäßige Behaarung kann zum Problem werden. Bei einer umschriebenen Hypertrichose handelt es sich meist nur um ein kosmetisch störendes angeborenes Behaarungsmuster. Der Hirsutismus, eine verstärkte, dem männlichen Typ entsprechende Sexual-, Körper- und Gesichtbehaarung, ist bei Frauen aus dem Mittelmeerraum häufig anzutreffen. Auch bei Einnahme einiger Medikamente kommt es zu verstärkter Kopf- und Körperbehaarung.

Hypertrichose Unter Hypertrichose (griechisch, Überbehaarung) versteht man stärkeres Wachstum von Haaren, als es dem betreffenden Körperteil, Alter, Geschlecht oder Rasse entspricht. Dieses Haarwachstum ist von männlichen Sexualhormonen (Androgenen) unabhängig.

generalisierte Hypertrichosen

  • rassisch, ohne zugrundeliegende Störung
  • präpuberale Hypertrichose in der frühen Kindheit
  • durch Allgemeinerkrankungen oder Medikamente ausgelöste lokalisierte Hypertrichose
  • familiäre umschriebene Mehrbehaarung, z. B. der Ohren, Ellbogen
  • behaarte pigmentierte Muttermale

Hirsutismus

Hirsutismus (hirsutus lat.: borstig, struppig) bezeichnet die verstärkte Behaarung der Frau entsprechend dem männlichen Behaarungsmuster.

Arzneistoffe, die einen vermehrten Haarwuchs verursachen können.

  • Cyclosporin A, Finasterid
  • Danazol, Glucocorticosteroide
  • Diazoxid, Interferone
  • Diphenylhydantoin/Phenytoin, Minoxidil
  • D-Penicillamin, Psoralene
  • Fenoterol, Streptomycin

Drei-Phasenzyklus des Haarwachstums

Anagenphase: Wachstumsphase

  • Dauer etwa zwei bis sechs Jahre
  • Das Haar steckt tief im Corium (Lederhaut) und umfasst die Papille druckknopfartig
  • Anagenhaare sind durch hohe Stoffwechselaktivität in der Matrix gekennzeichnet

Katagenphase: Übergangsphase

  • Dauer etwa ein bis zwei Wochen
  • Haar rundet sich basal ab und ist fest von äußerer Wurzelscheide umschlossen
  • Stoffwechselaktivität erlischt

Telogenphase: Ruhephase

  • Dauer zwei bis vier Monate
  • kolbiges, aufsteigendes Haar, dessen Wurzelscheide schwindet
  • neues Anagenhaar treibt das Telogenhaar aus

Zum Weiterlesen:

Eflornithin zur Haarentfernung. Topische Anwendung bei Hirsutismus Med Monatsschr Pharm 2001:24:38-9 www.deutscher-apotheker-verlag.de/MMP

1 Kommentar

Haarausfall

von vardeh am 28.10.2019 um 16:57 Uhr

Helfen diese frei verkäuflichen Mittel auch bei Haarausfall durch Hirsutismus?

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