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Phytotherapie: Tibetische Arzneien auf dem Prüfstand

Die Tibetische Medizin findet in der westlichen Welt zunehmend Beachtung, und zwar sowohl bei Patienten, die alternativen Medizinsystemen zuneigen, als auch in der Schulmedizin und ihren Grundlagenwissenschaften. Vom 5. bis 8. November 2003 fand in Washington D.C. der 2. Internationale Kongress zur Tibetischen Medizin statt. Zuvor wurden bereits einige neueste Forschungsergebnisse bei den 3. Luzerner Phytotherapiegesprächen am 23. Oktober präsentiert, zu denen das Kantonsspital Luzern und der Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Zürich eingeladen hatten.

Ganzheitlicher Ansatz

Wie im Ayurveda oder in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) entspricht auch in der Tibetischen Medizin der ganzheitliche Ansatz einem weit verbreiteten Bedürfnis der modernen Gesellschaft. Ein vehementer Fürsprecher und Förderer der Tibetischen Medizin ist der derzeit amtierende 14. Dalai Lama.

Er plädiert für einen Brückenschlag zwischen der östlichen und der westlichen Medizin, indem die Therapieerfolge der Tibetischen Medizin mit schulmedizinischen Maßstäben evaluiert werden. Ein Forum fand er z. B. auf dem 1. Weltkongress für Tibetische Medizin 1998 in Washington D.C. und auf dem internationalen Symposium "Medizin im Kontext der Kulturen" im Mai 2003 in München.

Fertigrezepturen aus der Schweiz

Seit 1970 werden von der Firma Padma AG, Zürich, tibetische Rezepturen auch als Fertigpräparate hergestellt und intensiver Forschung unterworfen. Einige haben in der Schweiz den Arzneimittelstatus und dürfen auch zu Lasten der Krankenkassen verschrieben werden.

Die wissenschaftliche Aufmerksamkeit gilt besonders Padma 28, einem tibetischen Phytotherapeutikum aus 22 bzw. 20 Bestandteilen (s. Tab. 1) mit durchblutungsfördernden, entzündungshemmenden, immunstimulierenden und antibakteriellen Wirkungen.

Es wird bei Erkrankungen des atherosklerotischen Formenkreises wie periphere arterielle Verschlusskrankheiten (PAVK) und zerebrale Durchblutungsstörungen, auch bei Tinnitus und Sehstörungen, erfolgreich eingesetzt (und ist dafür zugelassen). Zudem wird es als Hoffnungsträger für die Hepatitis- und adjuvante Krebstherapie erprobt.

Vielstoffgemische in Minimalkonzentrationen

Anders als im westlichen Denkansatz baut die Tibetische Medizin (wie auch TCM und Ayurveda) gerade auf Vielstoffgemische, deren Wirksubstanzen sich synergistisch, additiv oder antagonistisch beeinflussen.

Die Rezepturen sind – meist in Minimalkonzentrationen – so komponiert, dass nicht nur erwünschte Wirkungen verstärkt, sondern auch unerwünschte Effekte aufgehoben werden. Tibetische Arzneien greifen – so ist der Anspruch – nicht in einzelne biochemische Vorgänge ein, sondern "harmonisieren" biologische Regelkreise.

Der Einfluss von Padma 28 auf viele Einzelschritte des multifaktoriellen Entzündungsgeschehens und antiatherogene Aktivitäten konnte bereits in zahlreichen In-vitro-Studien aufgezeigt werden. Es bewirkt u. a.

  • Zellprotektion durch Hemmung der induzierbaren NO-Synthase (iNOS),
  • Hemmung der Lipidoxidation durch antioxidative, chelatbildende und Radikalfänger-Eigenschaften,
  • Inhibition der oxidativen Stressreaktion (oxidative burst),
  • Reduktion der makrophageninduzierten Chemotaxis und
  • Verhinderung von inflammatorischen Reaktionen in den Effektorzellen.

Atherosklerose – ein entzündlicher Prozess

Früher galt die Lehrmeinung, dass die Atherosklerose ausschließlich durch degenerative Prozesse verursacht wird. Heute nimmt man an, dass es sich dabei weit mehr um chronische Entzündungsprozesse handelt und dass auch der Einfluss von Infektionserregern, wie z. B. Chlamydien, nicht unterschätzt werden darf (A. Pospischil, Zürich).

Die Erreger setzen, wie auch lokale Noxen, vielfältige entzündungsregulatorische Prozesse in Gang, die langfristig zu Veränderungen des vaskulären Endothels mit zunehmender Gefäßverengung führen. In der Hälfte von atherosklerotischen Gewebeproben wurden solche Erreger nachgewiesen.

So ist auch einleuchtend, dass die typischen Zellveränderungen der Atherosklerose (Schaumzellen) oft schon in jungen Jahren (ab 20) zu erkennen sind, lange bevor die Symptome der PAVK auftreten. Die Schaumzellen bilden sich aus Makrophagen, die zur Abwehr der Erreger gebildet werden, aber auch oxidiertes LDL aufnehmen. Sie wandern in die Gefäßintima, proliferieren dort und sezernieren inflammatorische Zytokine, wodurch Entzündungen chronisch aufrechterhalten werden.

Padma 28 reguliert Entzündungsmediatoren ...

Dass Padma 28 auch die Zytokinproduktion beeinflusst, konnten In-vitro-Studien an der Hebrew University (V. Barak, Jerusalem) belegen: In humanen Blutmonozyten gesunder Probanden wurde die Zytokinproduktion durch Endotoxin u. a. stimuliert. Die gleichzeitige Inkubation mit wässrigem Padma 28-Extrakt verringerte signifikant die Produktion proinflammatorischer Zytokine (IL-1β, IL-6, IL-8, TNF-α) und erhöhte die Produktion des antiinflammatorischen Zytokins IL-10.

Eine wichtige Markersubstanz in der Entzündungskaskade ist das C-reaktive Protein (CRP), das als humoraler Botenstoff die Expression des proinflammatorischen Adhäsionsmoleküls E-Selektin fördert. Als Gegenspieler des E-Selektins wirkt die Hämoxygenase-1.

Der Wiener Pathologe Prof. M. Exner fand, dass ein wässriger Padma 28-Extrakt die Expression von E-Selektin in mit CRP inkubierten humanen Aortenendothelzellen vollkommen verhindern konnte. Gleichzeitig war eine Aufregulierung von Hämoxygenase zu beobachten. U. a. wird diese Fähigkeit für die antiatherosklerotische Wirkung von Padma 28 bei PAVK mitverantwortlich gemacht.

... und Apoptose

Im Arbeitskreis von Prof. F. Überall, Innsbruck, wurde beobachtet, dass Padma 28 die Proliferation lymphatischer Leukämiezellen hemmt und gleichzeitig Apoptose induziert. Die Zunahme der Apoptose lässt sich anhand der durch die Caspasenaktivierung erhöhten PARP (Poly-ADP-Ribose-Polymerase) -Spaltung und durch vermehrtes Auftreten apoptotischer Körper nachweisen. Im Gegenzug kann Padma die antiapoptotische Aktivität des Proteins Bcl-2 mindern.

Die Apoptose spielt eine wichtige Rolle im Entzündungsgeschehen, wo geschädigte Zellen "entsorgt" werden müssen. Man erhofft sich von der Aufklärung des apoptotischen Geschehens aber auch neue Ansätze in der Krebstherapie: Die Ankurbelung des programmierten Zelltods von Krebszellen soll die Wirkung der zytotoxischen Chemotherapeutika synergistisch unterstützen und deren Dosis reduzieren.

Registriert zur Anwendung bei PAVK

Zur registrierten Indikation von Padma 28, der Anwendung bei peripheren arteriellen Verschlusskrankheiten im Stadium I und II, wurde eine wissenschaftliche Gesamtbewertung von acht klinischen Studien, davon sechs Doppelblindstudien, vorgestellt (Saller/Brignoli, Zürich). Erfasst waren insgesamt 444 Patienten mit Claudicatio intermittens (Schaufensterkrankheit, PAVK Stadium IIb) im Durchschnittsalter von 63 Jahren.

Die Auswertung ergab eine signifikante mittlere Zunahme der maximalen Gehstrecke um rund 93% in den Verum-Gruppen gegenüber 26% in den Plazebo-Gruppen. Unter Verum wurde auch eine im Vergleich zu Plazebo signifikante Zunahme der schmerzfreien Gehstrecke beobachtet. Die Verträglichkeit des Präparates war gut, das Risiko-Nutzen-Verhältnis günstig.

Neben der diskutierten entzündungshemmenden Aktivität von Padma 28 dürften für diese Wirkung u. a. auch seine ausgeprägten antioxidativen Eigenschaften und seine Hemmung der Thrombozytenaktivität maßgeblich sein.

Vielfältige Anwendungen in der Praxis

Einige Fallberichte aus der Praxis stimmen mit den Studienresultaten überein. So konnte eine 73-jährige Patientin berichten, dass sie wegen rezidivierender Gefäßverschlüsse in den Beinen vor der Amputation stand, diese aber durch die Einnahme von Padma 28 verhindern konnte.

Heute kann sie wieder gehen und blieb von akuten Rezidiven verschont. In der Hausarztpraxis bewährt sich Padma 28 bei Muskelkrämpfen, Restless-legs-Syndrom und verschiedensten Stadien der PAVK bis hin zur Claudicatio sowie auch bei angegriffenem Immunstatus ("chronisches Kränkeln").

Aus einer Schweizer Klinik für Komplementärmedizin werden Behandlungserfolge mit Padma 28 bei Macula-Degeneration, Multipler Sklerose und Herzbeutelentzündung berichtet, allerdings jeweils bei gleichzeitiger Gabe weiterer komplementärmedizinischer Heilmittel. Zu solchen Anwendungen existieren jedoch bisher keine wissenschaftlichen Studien.

Nach Vorträgen von Prof. A. Pospischil (Universität Zürich), Prof. Markus Exner (Universität Wien), Prof. Vivian Barak (Hadassah University, Jerusalem), Prof. Florian Überall (Universität Innsbruck), Dr. Reto Brignoli (Zürich), Dr. Simon Feldhaus (Aeskulap-Klinik, Brunnen) und Dr. Beat Schaub (Binningen) auf den 3. Luzerner Phytotherapiegesprächen am 23. Oktober 2003.

"Unser jahrtausendealtes Medizinsystem kann heute entscheidend dazu beitragen, einen gesunden Geist und einen gesunden Körper zu erhalten. Es muss aber die Wirksamkeit unserer Heilpflanzen verstanden werden. Dazu brauchen wir rigorose Studienprogramme, denn unsere Pflanzenmischungen müssen einer kritischen Analyse standhalten." Dalai Lama

Zusammensetzung von Padma 28 (Menge pro Tablette).

Droge/ mg Aconiti tuber (Eisenhutknollen)/ 1 Aegle marmelos fructus (Marmelosfrucht)/ 20 Amomi fructus (Nelkenpfeffer)/ 25 Aquilegiae vulgaris herba (Akeleikraut)/ 15 Calcii sulfas (Gips)/ 20 Calendulae flos (Ringelblumenblüten)/ 5 Cardamomi fructus (Kardamom)/ 30 Caryophylli flos (Gewürznelke)/ 12 Costi amari radix (Ind. Costuswurzel)/ 40 Dextrocamphora (natürlicher Campher)/ 4 Hedychii rhizoma (Hedychwurzel)/ 10 Lactucae sativae folium (Gartenlattich)/ 6 Lichen islandicus (Isländisches Moos)/ 40 Liquiritiae radix (Süßholzwurzel)/ 15 Meliae azadirachtae fructus (Nimbaumfrucht)/ 35 Myrobalani fructus (Myrobalanen)/ 30 Plantaginis herba (Spitzwegerichkraut)/ 15 Polygoni herba (Vogelknöterichkraut)/ 15 Potentillae aureae herba (Goldfingerkraut)/ 15 Santali rubrum lignum (Rotes Sandelholz)/ 30 Sidae cordifoliae herba (Sidakraut)/ 10 Valerianae radix (Baldrianwurzel)/ 10

Padma 28

Als "trockene" Arznei ist Padma 28 ein zu Tabletten gepresstes Gemisch aus 20 pflanzlichen Drogenpulvern sowie Campher und Gips (s. Tab. 1). Padma bedeutet Lotus. Die Mischung stammt als "Nummer 28" aus einer tibetischen Rezeptursammlung, die im 19. Jahrhundert über St. Petersburg in den Westen gelangte. Im Lauf der Zeit modifizierte man die Zusammensetzung, indem man schwer zugängliche, im Himalaja beheimatete Pflanzen gegen europäische Arten derselben Gattungen austauschte.

Padma 28 ist in der Schweiz, Österreich und Dänemark als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen. Es ist identisch mit dem verschreibungs- und erstattungsfähigen, in der Schweiz als Arzneimittel registrierten Präparat Padmed circosan. EU-Padma hat die gleiche Zusammensetzung, außer dass Campher und Eisenhutknollen fehlen.

Im Arzneimittelkompendium der Schweiz 2002 werden folgende Indikationen aufgelistet: Ameisenlaufen, Schwere und Spannungsgefühl in den Beinen und Armen, Einschlafen von Händen und Füßen sowie Wadenkrämpfe. Kontraindikationen und unerwünschte Wirkungen sind nicht bekannt.

Die Dosierung beträgt 3-mal täglich 2 Tabletten.

Tibetische Medizin In noch undokumentierten Ansätzen entwickelte sich das Gedankengebäude der Tibetischen Medizin schon in vorchristlichen Jahrhunderten, vieles aus animistischen Heilpraktiken, vieles auch aus ayurvedischem und chinesischem Gedankengut der Nachbarländer entlehnt.

Mit Übernahme des buddhistischen Glaubens in dieser Region wurde sie im 8. Jahrhundert auf königliche Anregung hin auch schriftlich fixiert und gelangte bis zum 17. Jahrhundert zur klassischen Reife. Im "Gyüshi", dem Grundlagenwerk der Tibetischen Medizin, werden 84 000 Krankheiten und 2293 Heilmittelzutaten klassifiziert. Die meisten davon sind pflanzlicher Natur.

Über St. Petersburg in den Westen

Etwa um diese Zeit wurde in der ehemaligen Hauptstadt Lhasa auch eine medizinische Schule gegründet, ursprünglich nur den Mönchen vorbehalten, 1916 eine zweite, nun auch für Laien zugänglich. Damals wurde die Tibetische Medizin nicht nur in Tibet und angrenzenden Regionen wie Nepal, Sikkim oder Ladakh, sondern auch in Indien, China und der Mongolei praktiziert. Tibetische Ärzte aus Burjatien (eine buddhistische Region Sibiriens) eröffneten im 19. Jahrhundert in St. Petersburg die erste Klinik für Tibetische Medizin Europas.

Nach der Annexion Tibets 1959 durch China ging die tibetische Medizinschule nach Dharamsala, Indien, ins Exil. Von dort verbreitete sich das Medizinsystem dann sehr bald im Westen, neue Unterrichtszentren in der ganzen Welt wurden gegründet.

Drei Prinzipien und fünf Elemente

In der Tibetischen Medizin gilt gemäß der an den Buddhismus anknüpfenden philosophischen Grundlage geistige Unwissenheit als die Ursache aller Krankheiten, da sie eine illusorische Abspaltung des Individuums von seiner Umwelt bewirkt. Als Folge entwickeln sich die drei Geistesgifte Hass, Ignoranz (= Verdunkelung) und Gier (= Durst), die über die drei entsprechenden Körperprinzipien Galle, Schleim und Wind als krankmachende Gifte auch im körperlichen Bereich wirken können.

Fünf Elementarenergien (analog zum Ayurveda: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum) sind für die Vitalität des Geistes und des Körpers verantwortlich. In einem gesunden Körper sind die Elemente und Körperprinzipien im Gleichgewicht. Ein unharmonischer Zustand auf der geistigen Ebene drückt sich in einem energetischen Ungleichgewicht aus, das sich auf körperlicher Ebene als Krankheit manifestiert.

Die Methoden, die drei Körperprinzipien im Gleichgewicht zu halten, bilden das Fundament der Tibetischen Medizin. Dazu gehören die rechte Lebensweise und Ernährung, Arzneimittel aus Pflanzen, Mineralien, seltener tierischem Material und äußerliche Heilmaßnahmen (Bäder, Aderlass, Moxibustion) sowie einfache Chirurgie.

Diagnostiziert wird in erster Linie mit Pulsdiagnose und intensiver Befragung.

Internet

www.tibetischemedizin.org www.padma.ch

Literaturtipp

Tibetan Medicinal Plants

Christa Kletter, Monika Kriechbaum (Eds.) XV, 384 Seiten, 77 Farbtafeln mit 415 Abbildungen, 51 Tabellen, gebunden, 138,– Euro.

medpharm Scientific Publishers, Stuttgart 2001 ISBN: 3-88763-067-X

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