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Medikamentenmüll – recyceln oder vermeiden? (Außenansicht)
Das TV-Magazin, dies als Skandal betrachtend, ging der Frage nach, ob es Sparmöglichkeiten gebe und Verluste vermeidbar seien. Beim Recherchieren stieß man auch auf den als "Spardoktor" bekannten Landarzt Dr. Berendes, der angebrochene oder ihm zurückgegebene Arzneimittelpackungen an andere Patienten weitergibt.
Er begründete seine (gesetzwidrige) Handlungsweise damit, dass unser Gesundheitssystem an die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit gekommen sei und er sparen helfen wolle (was lobenswert ist, vermutlich aber auch das eigene Budget entlastet). Als Gegner der Arzneimittelsparer wurden Apothekerschaft und Pharmaindustrie ausgemacht, denen man vorwirft, dass sie unter dem Vorwand der Arzneimittelsicherheit nicht am Sparen, sondern am Konsum interessiert seien.
Es ist aber nun einmal so, wie es ist: Arzneimittel dürfen laut Gesetz weder von Ärzten und Apotheken zurückgenommen noch an andere Patienten weitergegeben werden. ABDA-Präsident Friese betont, dass hinter der Verordnung vor allem Sicherheitsgründe stehen, worin ihm das Gesundheitsministerium voll zustimmt.
Anders der Freiburger Hygieneprofessor Daschner. Er sieht die Sicherheit von Arzneimitteln durch ihre Wiederverwendung keineswegs gefährdet und weist auf die strengen Haltbarkeitstests hin, denen Arzneimittel vor ihrer Abgabe unterworfen werden. Nach seiner Ansicht könne ein Arzneimittel vom Patienten zu Hause gar nicht so falsch gelagert werden, als dass es unbrauchbar oder für andere Patienten gefährlich werden könne.
Nun, Arzneimittelsicherheit ist ein vielschichtiges Problem. In Zeiten eines weltumspannenden Terrorismus und zunehmender Kriminalität sei der Hygieniker darauf hingewiesen, dass dieses zu möglichst großer Sicherheit der Patienten eingeführte Gesetz nicht nur die Haltbarkeit von Medikamenten betrifft. Internethandel, Re-Importe und Medikamentenfälschungen reduzieren die "Sicherheit" von Arzneimitteln ohnehin schon genug, Arzneimittel-Recycling muss nicht auch noch hinzukommen.
Doch dem Recyceln von Arzneimitteln kann Karl Lauterbach durchaus etwas abgewinnen, natürlich aus ökonomischer Sicht. Er glaubt, dass von den 4 Milliarden Euro Arzneimittelmüll rund die Hälfte vermeidbar wäre. (Sogar noch mehr, aber nicht durch Recyceln!)
Die Handlungsweise von Dr. Berendes und die Argumente der befürwortenden Experten machen auf den ersten Blick durchaus Sinn, aber eben nur auf den ersten. Statt die Müllhalden nach wieder verwendbaren Medikamenten abzusuchen, sollte man sich lieber fragen, warum Medikamente überhaupt dorthin gelangen. Womit wir bei einem der größten und am meisten vernachlässigten (nicht nur in Bezug auf Arzneimittel) gesundheitsökonomischen Probleme wären: der Non-Compliance.
Hier die Fakten: Die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung lagen im Jahr 2002 bei 134,14 Mrd. Euro, die Arzneimittel haben hieran mit 22,5 Milliarden Euro einen Anteil von 16,8%. Wenn man von der (zu optimistischen) Annahme ausgeht, dass die verschriebenen Medikamente "nur" von einem Drittel der Patienten (die Realität liegt bei etwa 50%) nicht, nur teilweise oder unvorschriftsmäßig angewandt werden, dann heißt dies nichts anderes, als dass von der GKV bezahlte Arzneimittel im Wert von 7,5 Milliarden Euro auf dem Müll landen.
Interessant dabei ist, dass es gerade die vom Arzt verordneten Medikamente sind, die unangebrochen im Abfall landen. Dies ist durchaus nicht unverständlich, denn der Arzt verordnet und der Apotheker gibt ab, ohne dass beide groß aufklären oder beraten. Und der Patient fragt nicht, er liest den Beipackzettel und wirft weg. Da wir von den OTC-Produkten, das heißt den aus der eigenen Tasche bezahlten Arzneimitteln wissen, dass die Compliance deutlich höher ist als bei vom Arzt verschriebenen Präparaten, mag sich dieses Verhalten mit den Zuzahlungen in Zukunft ändern.
Die Non-Compliance hat aber nicht nur ökonomische, sondern vor allem auch medizinisch-gesundheitliche Folgen. Denn Arzneimittel wirken nicht, wenn sie nicht, und wirken schlecht, wenn sie falsch angewandt werden. Die mit der Non-Compliance verbundenen Folgekosten betreffen wechselnde Neuverschreibungen, gehäufte Diagnostik, verlängerte Krankschreibungen, vermehrte Hospitaleinweisungen, spätere Pflegeabhängigkeit, verlorengegangene Arbeitstage und Verdienstausfall. Sie sind bei der hier aufgemachten Rechnung noch gar nicht berücksichtigt.
Es geht also um viel mehr als vier Milliarden Euro Schaden und zwei Milliarden Euro Einsparpotenzial. Ob also vermeiden nicht besser wäre als recyceln? Darüber sollten die Gesundheitsreformer und die sie beratenden Experten möglichst bald einmal nachzudenken beginnen.
Klaus Heilmann
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