Arzneimittel und Therapie

Gentherapiestudien: Von Risiken und ersten Behandlungserfolgen

Im Rahmen der dritten internationalen Konferenz der Euregenethy berichteten internationale Experten am Paul-Ehrlich-Institut in Langen über Erfolge und Nebenwirkungen der klinischen Gentherapie. Erste klinische Versuche bei der angeborenen Immunschwächekrankheit ADA-SCID waren sehr erfolgreich, bei der Immunschwächekrankheit SCID-X1 traten allerdings Leukämien als Nebenwirkung auf. Fazit: In jedem Fall ist eine Risiko-Nutzenanalyse notwendig, die auf genauer Kenntnis der einzelnen Gentherapiemethode basiert.

Nach einigen Rückschlägen sind im Rahmen klinischer Gentherapiestudien inzwischen Behandlungserfolge erzielt worden. So berichtete Alessandro Auiti vom San Raffaele Telethon Institut für Gentherapie in Mailand, dass bei Patienten mit der angeborenen Immunschwächekrankheit ADA-SCID (Adenosin Desaminase – Severe Combined Immunodeficiency Disease) durch die Anwendung genetisch modifizierter Blutstammzellen ein weitgehend normal funktionierendes Immunsystem wiederhergestellt werden konnte. Dies gelang zum Teil über einen Zeitraum von mehreren Jahren.

Leben im Isolierzelt?

Durch einen Gendefekt fehlte bei den Betroffenen das Enzym Adenosin-Deaminase (ADA). Als Folge kann der Körper ein für die weißen Blutkörperchen giftiges Protein nicht abbauen und die für die Immunabwehr so wichtigen T-Lymphozyten reiften im Knochenmark nicht oder nur in zu geringer Zahl heran.

Die von dieser Krankheit betroffenen Kinder sind allen Krankheitserregern fast vollkommen schutzlos ausgesetzt und überleben trotz Behandlung und einem Leben unter sterilen Bedingungen nur selten ihre Kindheit. Bei der angewendeten Methode werden Stammzellen aus dem Knochenmark der Patienten genetisch modifiziert.

Mit so genannten retroviralen Genfähren wird ein funktionsfähiges Gen als Ersatz für das fehlerhafte Gen auf die Stammzellen übertragen. Die funktionierende Kopie des defekten Gens wird in das Knochenmark der ADA-SCID-Patienten eingeschleust und übernimmt dort die Produktion des fehlenden Enzyms:

Diese Blutstammzellen reifen im Körper der Patienten zu normalen Blutzellen aus, wodurch das Immunsystem wieder funktionieren kann. Zum ersten Mal wurde damit nicht an den Symptomen einer genetisch bedingten Krankheit angesetzt, sondern direkt an der Wurzel – dem Defekt im Erbgut.

Risiko-Nutzenanalyse unabdinglich

Klaus Cichutek, Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts, fasste die Ergebnisse der Konferenz zusammen: "Es ist abzusehen, dass die Gentherapie für einige Krankheiten verbesserte Therapiemöglichkeiten bieten wird. Allerdings treten mit erhöhter Wirksamkeit auch Risiken zutage. Wir müssen lernen, diese einzuschätzen und zu beherrschen."

Um die Risiken soweit wie möglich zu minimieren, sei daher in jedem Fall eine Risiko-Nutzenanalyse notwendig, die auf genauer Kenntnis der einzelnen Gentherapiemethode basiere. Ein Beispiel dafür sei die erfolgreiche Behandlung der lebensbedrohlichen Immunschwächekrankheit SCID-X1. Bei dieser Methode waren bei zwei von zehn erfolgreich behandelten Patienten Leukämien als Nebenwirkung aufgetreten.

Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse ist das Risiko bei der gentherapeutischen Behandlung insgesamt jedoch geringer als bei der konventionellen Therapie. Die bei der SCID-X1-Gentherapie in Paris aufgetretenen Leukämien wurden nur bei dieser speziellen Gentherapie beobachtet. Sie sind eine im Vorfeld lediglich theoretisch bekannt gewesene Nebenwirkung der Anwendung retroviraler Genfähren.

"Auftretende Nebenwirkungen müssen international schnell kommuniziert und von der wissenschaftlichen Gemeinschaft der mit der Gentherapie vertrauten Biomediziner evaluiert werden", forderte Odile Cohen-Haguenauer als Vertreterin des Euregenethy network, Paris.

Der Leiter der SCID-X1 Gentherapiestudie in Paris, Alain Fischer, hatte sich nach Einschätzung der Euregenethy hierbei vorbildlich verhalten, indem er seine Studie unterbrach und nachfolgende Forschungen zu den Ursachen der Leukämien international kommunizierte.

Suche nach einem Impfstoff gegen das HI-Virus

Weitere Highlights der Konferenz waren Berichte über die klinische Entwicklung der Gentherapie der rheumatoiden Arthritis durch Barrie Carter, Targeted Genetics Corporation, Seattle, sowie anderer Wissenschaftler über die Gentherapie kardiovaskulärer Erkrankungen und maligner Tumorerkrankungen und die erste Prüfungen vorbeugender Impfstoffe auf Basis von Genfähren.

Vorgestellt wurden auch Erfahrungen über den ersten Einsatz von vermehrungsunfähigen Genfähren, die von HI-Viren abgeleitet wurden. Inder Verma, The Salk Institute, La Jolla, berichtete zu diesem Thema über die Weiterentwicklung solcher lentiviralen Genfähren.

Es handelt sich dabei um vermehrungsunfähige Partikel des Humanen Immundefizienzvirus oder anderer verwandter Lentiviren. In den USA läuft derzeit die erste klinische Studie, bei der solche Genfähren zur Übertragung HIV-hemmender Gene auf Körperzellen HIV-infizierter Patienten eingesetzt werden.

Man erwartet von dem Einsatz lentiviraler Genfähren insgesamt eine Verbesserung des Gentransfers und damit eine bessere Behandlungsmöglichkeit auch bei anderen schweren Krankheiten, wie beispielsweise Krebs. Hier könnten so genann-te Tumorsupressorgene eingesetzt werden, die die Vermehrung entarteter Zellen unterdrücken.

Quelle

Alessandro Aiuti, Mailand; Barrie Carter, Seattle; Klaus Cichutek, Langen; Odile Cohen-Haguenauer, Paris; Inder Verma, La Jolla: "Euregenethy 3rd International Conference: Clinical Gene Therapy 2004" am Paul-Ehrlich-Institut, Langen, 16. April 2004, veranstaltet von der Wissenschafts-Pressekonferenz e. V. ck

Gentherapie wirft viele Fragen auf

Euregenethy ist ein Netzwerk von Wissenschaftlern und Ärzten, deren Ziel es ist, die internationale Standardisierung der Gentherapie-Regularien voran zu treiben und Diskussionen zu Fragen der Ethik in der Gentherapie anzuregen. Euregenethy wird von der Europäischen Kommission unterstützt und von Odile Cohen-Haguenauer, Ecole Normale Supérieure de Chachan, Paris, koordiniert.

Mit ihren regelmäßig stattfindenden Konferenzen bietet die Euregenethy Wissenschaftlern aus akademischen Instituten, regulatorischen Behörden, der Industrie und Mitgliedern von Ethikkommissionen eine gemeinsame Diskussionsplattform.

Genfähre

Als Genfähre wird eine Transport-DNA bezeichnet, mit deren Hilfe Fremd-Gene in eine Zelle oder ein Bakterium eingeschleust werden. Dies kann ein Plasmid oder ein Virus sein. Die Transportmittel für die Übertragung von Genen an ihr Ziel müssen hohen qualitativen und quantitativen Anforderungen genügen, denn der Erfolg gentherapeutischer Eingriffe hängt wesentlich von den Vektoren ab, mit deren Hilfe die Gene in die Zielzellen übertragen werden.

Zum Weiterlesen: Indikationserweiterung für Ibandronat. Wenn Tumorzellen den Knochen zerstören. DAZ 2003, Nr. 51, S. 52-55. www.deutsche-apotheker-zeitung.de

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