Naturstoffchemie

Sind Naturprodukte mit Methyleugenol kanzerogen?

Die technischen Entwicklungen im Bereich der analytischen Chemie versetzen uns heutzutage in die Lage, in nahezu jedem nur erdenklichen Lebensmittel Spuren giftiger oder kanzerogener Stoffe aufzuspüren. Einer dieser Stoffe, der in den letzten Jahren Schlagzeilen machte, ist das Methyleugenol, das in verschiedenen Gewürzpflanzen, Früchten und ätherischen Ölen enthalten ist (s. Tab. 1). Es gehört mit Estragol zu einer Gruppe von Phenylpropanderivaten, die sich, als Einzelstoffe verwendet, in Tierversuchen als kanzerogen erwiesen haben und seit 2001 weder Aromen und Lebensmitteln noch Kosmetika zugesetzt werden dürfen. Die Frage, ob auch Obst, Gewürze oder ätherische Öle, die von Natur aus Methyleugenol enthalten, für den Menschen ein kanzerogenes Risiko darstellen, wird immer wieder gestellt. Der vorliegende Beitrag fasst die derzeit verfügbaren Daten zu dieser Problematik zusammen.

"Verlust der Unschuld"

Die Flavour and Extract Manufacturers' Association (FEMA) hatte dem Methyleugenol (ME) 1965 den GRAS-Status (Generally Recognized As Safe) attestiert und nach der Evaluierung der verfügbaren Daten 1979 nochmals bestätigt [14]. Mit der Veröffentlichung des US-amerikanischen National Toxicology Program (NTP) im Jahr 1998 verlor ME jedoch seine "Unschuld" und gilt seither als potenzielles Kanzerogen [22].

Obwohl im Vorwort der NTP-Studie darauf hingewiesen wird, dass die Schlussfolgerungen des Berichtes ausschließlich auf den Resultaten von Studien beruhen, die mit Ratten und Mäusen durchgeführt wurden und deshalb eine Extrapolation auf andere Tierarten ebenso unzulässig ist wie eine quantitative Risikoabschätzung für den Menschen als Konsumenten, gaben diese Resultate bereits verschiedentlich Anlass zu ersten konkreten Vorsichtsmaßnahmen. Die maximal zulässigen Konzentrationen für kosmetische Produkte, in denen ätherische Öle mit ME enthalten sind, wurden in Deutschland vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft im März 2003 neu festgelegt.

Vorkommen, Exposition und Bioverfügbarkeit

Methyleugenol (4-Allyl-1,2-dimethoxybenzol) ist ein natürlicher Bestandteil des ätherischen Öls verschiedener Pflanzen, die traditionell als Gewürze, Arzneimittel und in der Kosmetik Verwendung finden. An oberster Stelle stehen die Gewürze Anis, Basilikum, Estragon, Muskatnuss und Piment (Tab. 1). Spuren von ME enthalten aber auch Äpfel, Bananen, Grapefruits, Orangen und andere Obstarten, Karotten sowie Ingwer und Tabak. Für die Kosmetik noch heute von Bedeutung ist die Rose (z. B. Rosa damascena), aus der Rosenöl und Rosenwasser gewonnen werden. ME als Monosubstanz wurde zudem den unterschiedlichsten Lebensmitteln (Süßigkeiten aller Art, Getränken, Ketchup u.a.m.) als Geruchs- oder Aromastoff beigefügt (seit 2001 in der EU verboten).

Zum Ausmaß der täglichen Aufnahme von ME liegen unterschiedliche Schätzungen vor [12, 25, 32]. Alle Angaben bewegen sich, bezogen auf ein Kilogramm Körpergewicht pro Tag (kg KG/d), im Mikrogramm-Bereich und liegen damit weit unterhalb der in den Tierversuchen eingesetzten Mengen (37 bis 1000 mg/kg KG/d; Tab. 2). In einer großen Portion (1 kg) Pasta al Pesto, die mit 10 Gramm des besonders ME-reichen Ocimum basilicum cv. Genovese Gigante angerichtet wurde, waren nur etwa 250 µg Methyleugenol enthalten [21].

Exaktere Aussagen zur ME-Belastung liefern Messungen des menschlichen Blutplasmas. Bei 206 repräsentativen amerikanischen Bürgern lag der mittlere ME-Spiegel bei 24 pg/g (Bereich: < 3,1 bis 390 pg/g) [2]; vier Versuchsteilnehmer hatten einen Wert unter der Nachweisgrenze von 3,1 pg/g. Der höchste gemessene ME-Spiegel (390 pg/g) ist um den Faktor 3800 niedriger als der niedrigste ME-Spiegel derjenigen Ratten, denen 37 mg ME/kg KG verabreicht wurde (ca. 1,5 µg/ml). Damit weisen auch diese Untersuchungen darauf hin, dass die ME-Menge, die der Mensch natürlicherweise aufnimmt, wahrscheinlich um mindestens drei Zehnerpotenzen unterhalb der Dosierungen in den Tierexperimenten liegt.

Methyleugenol ist ein lipophiles Molekül (Oktanol-Wasser-Verteilungsverhältnis = 800 : 1), das die Zellmembran leicht durchdringt. Für die Verweildauer im Magen wird eine Halbwertszeit von nur 5 bis 15 Minuten angegeben [1]. Die Plasma-Spitzenkonzentration wird unabhängig von der Dosis bereits nach ca. 5 Minuten erreicht. Die Bioverfügbarkeit steigt mit zunehmender Dosis. Nach kurzer Verweildauer im Blut (5 bis 120 min) wird ME in der Leber durch P450-Enzyme metabolisiert und teils renal, teils biliär ausgeschieden [35].

Studien zur Toxizität und Kanzerogenität

In der Zwei-Jahres-Studie von Johnson und Mitarbeitern [18] erhielten weibliche und männliche Ratten bzw. Mäuse während 105 Wochen an fünf Tagen pro Woche per Sonde (Sondenzufuhr wegen des widerwärtigen Geschmacks) Methyleugenol in Dosen von 37, 75 oder 150 mg/kg KG/d (je 50 Tiere pro Gruppe). Zwei weitere Gruppe mit je 60 Ratten beiderlei Geschlechts erhielten während 53 Wochen 300 mg ME/kg KG/d und für die verbleibenden 52 Wochen nur noch die Trägersubstanz des Methyleugenols (Methylcellulose). Auch die gleich großen Kontrollgruppen von Mäusen und Ratten beiderlei Geschlechts erhielten die Trägersubstanz Methylcellulose.

Es wurden Blutparameter und Gewebeuntersuchungen (auf Krebs) vorgenommen sowie die Gewichtszunahme und die Überlebensrate bestimmt. Den Daten (Auswahl in Tab. 2) kann man entnehmen, dass selbst Gaben von 150 mg ME/kg KG/d nicht "zwangsläufig", d. h. bei jeder Gruppe von Versuchstieren, zu einer Zunahme von Karzinomen oder zu einer signifikanten Abnahme der Überlebensrate geführt haben. Die männlichen Mäuse mit einer Dosis von 150 mg ME/kg KG/d unterschieden sich hinsichtlich der Fälle von Leberkarzinomen und der Überlebensrate nur unwesentlich von der Kontrollgruppe – ein Ergebnis, das bisher noch keine Erklärung gefunden hat. Ansonsten haben die Tumorerkrankungen (vorwiegend Lebertumoren) parallel zur Dosis deutlich zugenommen. Bei den Überlebensraten traten ausgeprägte geschlechtsspezifische Unterschiede auf, deren Ätiologie ebenfalls noch ungeklärt ist.

In der 14-Wochen-Studie von Abdo und Mitarbeitern [1] erhielten weibliche und männliche Ratten und Mäuse per Sonde an fünf Tagen pro Woche Methyleugenol in Dosen von 10, 30, 100, 300 oder 1000 mg/kg KG/d (je 10 Tiere pro Gruppe). Die gleich großen Kontrollgruppen von Mäusen und Ratten beiderlei Geschlechts erhielten nur die Trägersubstanz Methylcellulose. Alle Ratten überlebten die Versuchszeit. Von den Mäusen, die 1000 mg/kg KG/d erhielten, überlebte dagegen nur eine männliche Maus, und in der Gruppe mit 300 mg/kg KG/d starben je eine männliche und eine weibliche Maus.

Geschlechtsspezifische Unterschiede der Überlebensraten (wie bei Johnson und Mitarbeitern, s. o.) zeichneten sich in dieser Studie nicht ab. Ab einer Dosis von 300 mg/kg KG/d nahm das durchschnittliche Körpergewicht ab, das relative Gewicht der Leber dagegen zu. Der Drüsenmagen der mit ME gefütterten Tiere atrophierte in vielen Fällen, und die Läsionen an Leber und Magen zeigten eine deutlich dosisabhängige Zunahme. Die beiden Studien zeigen, dass hohe Dosen von ME bei Ratten und Mäusen kanzerogen wirken. Als No-Observed-Effect-Level (NOEL) wurden bei Mäusen 10 mg ME/kg KG/d angegeben, bei Ratten 30 mg ME/kg KG/d [1].

Tests auf Genotoxizität und Mutagenität

Die experimentellen Arbeiten zur Genotoxizität und Mutagenität von ME sind z. T. widersprüchlich. So erwies sich ME im Ames-Test (S. typhimurium, Stämme TA 98, TA 100, TA 1535, TA 1537) und in E. coli WP2 mit und ohne den metabolischen Aktivator S9-Mix als nicht mutagen [22, 30]. Darüber hinaus wurde berichtet, dass ME in CHO-Zellen (Chinesischer Hamster) keine Chromosomen-Aberrationen hervorrief; ein Schwester-Chromatid-Austausch (SCE) trat nur bei gleichzeitiger Anwesenheit von S9-Mix auf [30].

Im Hefemodell (Saccharomyces cerevisiae) wurde beobachtet, dass ME mit und ohne S9-Mix eine intrachromosomale Rekombination induzierte [29]. Im UDS-Test (Unscheduled DNA Synthesis) mit kultivierten Rattenhepatozyten induzierten ME und seine Metaboliten 1'-Hydroxymethyleugenol und 2',3'-Epoxymethyleugenol eine außerplanmäßige DNA-Synthese. Hierbei erwies sich 1'-Hydroxymethyleugenol als die am stärksten wirksame Substanz [7]. In zwei Studien konnte gezeigt werden, dass Metaboliten des ME (und von Safrol und Estragol) an die DNA von Hepatozyten und an Proteine binden können [24]. Mit der 32P-Postlabelling-Methode konnten in der Mausleber DNA-Addukte nachgewiesen werden [25].

Mechanismen der Genotoxizität

Die Kanzerogenität des Methyleugenols beruht hauptsächlich auf genotoxischen Effekten elektrophiler Metaboliten, die mit der DNA kovalente Bindungen eingehen. Von den drei wichtigsten Abbauwegen, die sich im Metabolismus des ME nachweisen lassen, nämlich O-Demethylierung, Epoxidation und 1'-Hydroxylierung, führt nur die 1'-Hydroxylierung zu elektrophilen Carbeniumionen, die mit der DNA interagieren und dadurch genotoxisch wirken (Abb. 1). Obwohl auch die Epoxide in vitro DNA-Addukte bilden, lassen sich in vivo infolge ihrer schnellen Detoxifikation durch Epoxidhydrolasen und Glutathiontransferasen keine DNA-Addukte nachweisen [17, 20].

Versuche mit Ratten haben gezeigt, dass mit zunehmender ME-Konzentration die O-Demethylierung abnimmt, die 1'-Hydroxylierung dagegen zunimmt [28, 35]. Zudem läuft die 1'-Hydroxylierung von ME konzentrationsabhängig an unterschiedlichen Enzymen der CYP450-Familie ab [15]: Bei einer Dosierung unter 30 mg/kg KG/d erfolgt die Metabolisierung durch das konstitutiv exprimierte CYP 2E1. Bei höherer Dosierung treten durch eine ME-induzierte Genexpession CYP 2B1/2 und CYP 1A2 hinzu, wodurch der Anteil an genotoxisch wirkenden Metaboliten erheblich zunimmt. So hohe ME-Dosen werden aber selbst mit einer relativ ME-reichen Mahlzeit Pasta al Pesto bei weitem nicht erreicht (ca. 250 µg ME; s. o.).

Unterschiedliche Befunde bei Mensch und Tier

Die O-Demethylierung von ME führt zu Eugenol, aus dem entweder durch CYP450-Enzyme oder durch Peroxidasen das zytotoxische Chinonmethid entsteht, das jedoch sogleich und sehr effizient mithilfe von Glutathion (GSH) entgiftet wird [3, 34]; seine zytotoxische Wirkung setzt vermutlich nur dann ein, wenn die detoxifizierenden Mechanismen überlastet sind (Erschöpfung des GSH-Pools) [3].

Untersuchungen zum Metabolismus des ME beim Menschen liegen bis heute nicht vor, wohl aber zum Metabolismus der Phenylpropanderivate trans-Anethol und Estragol (= Methylchavicol), die sich beide von ME durch das Fehlen einer Methoxygruppe und untereinander nur durch die Stellung der Doppelbindung am Propenyl unterscheiden [5, 28]. Hier stimmte das qualitative Spektrum der Metaboliten im Harn der Probanden weitgehend mit den tierexperimentellen Befunden überein.

In quantitativer Hinsicht traten dagegen wichtige Unterschiede auf, denn trans-Anethol und Estragol wurden beim Menschen wesentlich schneller abgebaut und ausgeschieden als bei den Nagern [5]. Zudem zeigte das quantitative Metabolitenmuster im Urin von Probanden, die 1, 50 und 250 mg trans-Anethol oral einnahmen, keine dosisabhängigen Veränderungen wie bei den Nagern, d. h., dass sich der Anteil der genotoxisch relevanten Metaboliten beim Menschen mit zunehmender Dosis nicht erhöhte.

Methyleugenol als GST-Inhibitor

Die Glutathion-S-Transferase (GST) gehört zu den Enzymen des Phase-II-Metabolismus. Einige der GST-Isoenzyme weisen in schnell wachsendem Krebsgewebe eine hohe Aktivität auf, was unter anderem dazu führen kann, dass Zytostatika schneller abgebaut werden und einen Teil ihrer Wirksamkeit verlieren. Untersuchungen an humanem Leberzytosol haben gezeigt, dass Eugenol und Methyleugenol in Gegenwart von Tyrosinase als GST-Inhibitoren wirken [27]. Aufgrund dieses Befundes wird sogar der Einsatz von Methyleugenol als GST-Inhibitor für die Tumortherapie diskutiert.

Die Entgiftung von Xenobiotika

ME ist ein Prokanzerogen, das durch das Cytochrom-P450-System der Leber "gegiftet" wird; dies erscheint paradox, denn das Cytochrom-P450-System spielt eine wichtige Rolle bei der Entgiftung unseres Körpers. Unser Organismus befindet sich nicht nur in einer andauernden Auseinandersetzung mit mehr oder weniger aggressiven Pathogenen, die vom Immunsystem in der Regel erfolgreich in Schach gehalten werden, sondern er ist auch stets (potenziell) toxischen Substanzen ausgesetzt, die teils aufgenommen werden (Xenobiotika), teils aus körpereigenen Stoffen entstehen.

Was der Krankheitserreger für das Immunsystem ist, das ist das toxische Xenobiotikum für das Entgiftungssystem der Leber (Cytochrom-P450-Enzyme). Beide Systeme haben sich in einem koevolutiven Prozess mit pathogenen Erregern bzw. toxischen Xenobiotika herausgebildet. Pflanzen (und die aus ihnen hergestellten Phytopharmaka und z.T. auch kosmetischen Produkte) enthalten eine Reihe von Stoffen, die den Organismus bei der Entgiftung toxischer Verbindungen unterstützen. Dazu gehören beispielweise Flavonoide, Phytosterine, Glucosinolate, Sulfide, Saponine, Monoterpene und Proteaseinhibitoren.

Wie unterschiedlich die Wirkungen eines pflanzlichen Vielstoffgemischs und einer einzelnen, darin enthaltenen Substanz sein können, zeigt der Vergleich zwischen einem ethanolischen Fenchelextrakt (Foeniculum vulgare) und der Monosubstanz Estragol [31]: Estragol wirkt hepatokanzerogen; es durchläuft die gleichen Abbauwege wie ME und wirkt aufgrund des gleichen Prinzips. Dagegen löste ein ethanolischer Fenchelextrakt bei Mäusen (Swiss albino) beiderlei Geschlechts weder nach einmaliger (24 h: 0,5, 1 und 3 g/kg KG) noch nach chronischer Gabe (90 d: 100 mg/kg KG/d) eine erhöhte Krebsrate aus [31].

Problematischer Substratüberschuss

Da nicht unbegrenzt Versuchstiere und Zeit zur Verfügung stehen, werden Toxizitätsstudien praktisch immer im Hochdosisbereich getestet – ein seit mehr als zwei Jahrzehnten gängiges Verfahren, das auch von der FDA empfohlen wird. Allfällige kanzerogene Wirkungen der getesteten Stoffe lassen sich auf diese Weise sehr schnell aufdecken. Anschließend wird von den getesteten hohen Dosen auf niedrige Dosen extrapoliert. Dies kann jedoch zu massiven Überschätzungen des Risikos führen, da bei derart hohen Dosen beim Versuchstier fast immer Anzeichen einer Vergiftung auftreten, die sich z. B. durch Leberschädigung, Gewichtsverlust oder Rückgang der Gewichtszunahme dokumentieren.

Es ist bekannt, dass hohe Konzentrationen einer Substanz die jeweiligen substanzspezifischen Enzyme durch Substratüberschuss hemmen können, wohingegen kleinere Mengen derselben Substanz ohne Probleme metabolisiert werden. Im Falle einer Substratüberschusshemmung kann die aufgenommene Substanz z. B. unverändert ausgeschieden, vorübergehend im Fettgewebe gespeichert oder auf eine unübliche Weise metabolisch verändert werden.

Induziert Safrol Karzinome bei Betelkauern?

Safrol ist ein Phenylpropandrivat, das sich von Methyleugenol durch eine Dioxymethylengruppe anstelle der beiden Methoxygruppen unterscheidet. Da es wie ME zu elektrophilen Carbeniumionen abgebaut werden kann (s. o.), wird vermutet, dass DNA-Addukte seiner Metaboliten mitverantwortlich sind für die Mundhöhlenkarzinome (OSCC und OSF), die gehäuft bei Betelkauern auftreten [8, 9]. Das gewohnheitsmäßige Betelkauen bedingt eine dauerhaft hohe Exposition mit dem im Betelbissen enthaltenen Safrol und kann durchaus als eine Art chronische Polyintoxikation bezeichnet werden. Diese Situation ist mit dem Genuss von Gewürzen oder der Anwendung von Arzneimitteln und Kosmetika nicht vergleichbar.

Die kanzerogene Wirkung des Betelkauens ganz dem Safrol zuzuschreiben, greift aber dennoch zu kurz, denn eine Untersuchung zeigte, dass auch ein Extrakt aus dem Betelnuss-Samen, der kein Safrol enthält, sowohl isolierte als auch zelluläre DNA oxidativ schädigt [19]. Zudem waren mindestens 27 der 36 untersuchten betelkauenden Mundhöhlenkarzinompatienten Zigarettenraucher [8, 9].

Differenzierte Risikowahrnehmung

Wir sind für die Wahrnehmung von Gesundheitsrisiken sensibilisiert, obwohl unsere Lebensmittel, Kosmetika und Pharmaka noch nie so sicher waren wie heute. Risiken stellen keine fixen Größen dar, sondern unterliegen immer der subjektiven Bewertung, wobei die Psyche meistens die wichtigere Rolle spielt als die Ratio. So werden bekannte Risiken fast regelmäßig unterschätzt und unbekannte Risiken meistens überschätzt.

Zu den Risiken, die wir am meisten fürchten, gehören jene, die unsichtbar und unvermeidbar sind. Dazu zählen auch die potenziell schädlichen Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln, die wir weder riechen noch schmecken. Zwar sind schätzungsweise 30% der Krebserkrankungen ernährungsbedingt, man geht jedoch heute davon aus, dass in erster Linie das Essverhalten und weniger die toxischen Inhaltsstoffe dafür verantwortlich sind. Da Methyleugenol – soviel lässt sich bereits heute schon sagen – nicht zu den klinisch bedeutsamen Risiken zählt, stellt sich die Frage, inwieweit die Bestrebungen, dieses marginale Risiko zu eliminieren, aus volksgesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Gründen überhaupt zu rechtfertigen sind.

Schlussfolgerung

Bereits im Jahr 1985 erschien unter dem Titel "Does Nature Know Best?" ein Bericht des American Council on Science and Health, der sich mit der Problematik natürlicher kanzerogener und antikanzerogener Stoffe in Nahrungsmitteln befasste. Schon damals wurde darauf hingewiesen, dass die Wissenschaft im Begriff sei, in praktisch jedem Nahrungsmittel kanzerogene Stoffe zu entdecken, und dass es ebenso unmöglich wie unnötig sei, diese seit Menschengedenken bestehende Gefahr vollständig eliminieren zu wollen.

Bei Methyleugenol handelt es sich um ein potenzielles genotoxisches Kanzerogen. Man geht davon aus, dass es für genotoxische Kanzerogene keine Schwellendosis und kein Nullrisiko gibt. Das Krebsrisiko würde demzufolge mit dem Auftreten des ersten genotoxischen Moleküls linear ansteigen. Die biologische Realität der Tierversuche liefert jedoch ein komplexes Bild, das sich mit der einfachen Annahme eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem genotoxischen Kanzerogen und dem Krebsrisiko nicht in Übereinstimmung bringen lässt. Eine einheitliche Dosis-Wirkungs-Beziehung von ME konnte in den Tierversuchen nicht beobachtet werden.

Es steht außer Zweifel, dass tierexperimentelle Untersuchungen wichtige Hinweise auf kanzerogene Stoffe liefern können, dennoch lassen sich die dabei gewonnenen Daten nicht vorbehaltlos auf den Menschen übertragen, und zwar weder hinsichtlich erwünschter Wirkungen noch bezüglich Nebenwirkungen und Toxizität. Gründe dafür sind z. B. die (sehr hohe) Dosierung, die Applikationsform (als Monosubstanz) sowie qualitative und quantitative Unterschiede im Stoffwechsel von Nagern und Mensch.

Entscheidend für eine zuverlässige Risikoabschätzung sind letztlich Daten, die den Menschen direkt betreffen, seien diese klinischer, epidemiologischer oder experimenteller Natur. Da die Menschheit ME-haltige Gewürze und Arzneipflanzen jahrhundertelang verwendet hat und weil es weder klinische noch epidemiologische Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Methyleugenol und Leberkrebs beim Menschen gibt, erscheint ein solches Risiko als verschwindend gering, sollte es ein solches Risiko überhaupt geben.

Methyleugenol (ME) ist eine im Pflanzenbereich weit verbreitete Substanz, die sich in Tierversuchen als kanzerogen erwiesen hat. Folgt daraus, dass alle ME-haltigen Produkte potenziell kanzerogen sind? Nicht unbedingt. Denn die Dosierungen in den Toxizitätsprüfungen an Mäusen und Ratten übersteigen die Menge, die ein Mensch durch Nahrungs- oder Arzneimittel zu sich nehmen kann, um das hundert- bis tausendfache. ME selbst ist nicht kanzerogen, sondern bestimmte Metaboliten. Diese entstehen aber nur bei hohen Plasmaspiegeln des ME, weil es dann durch andere Enzyme verstoffwechselt wird als bei niedrigeren Konzentrationen.

Xenobiotika trainieren das Entgiftungssystem

Es ist anzunehmen, dass eine von Xenobiotika befreite Umwelt unsere Entgiftungsmechanismen ebenso schwächen würde, wie eine absolut keimfreie Umwelt erwiesenermaßen das Immunsystem schwächt. Kommt es in einem sterilen Milieu trotz aller Vorsichtsmaßnehmen zu einer Kontamination, verläuft die Krankheit meist wesentlich schlimmer als unter natürlichen Umständen.

Betelkauen

Das Betelkauen, das leicht zur Abhängigkeit führt, ist in Südostasien weit verbreitet. Neben dem Samen der Betelnuss (Areca catechu) und einer Prise Kalk ist das Blatt des Betelpfeffers (Piper betle) der dritte obligatorische Bestandteil des Betelbissens. Beim Kauen entsteht aus dem Alkaloid Arecolin des Betelnuss-Samens das zentralstimulierende Arecaidin, das die Stimmung aufhellt sowie Ausgeglichenheit und Wohlbefinden erzeugt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Bisher gibt es weder klinische noch epidemiologische Studien oder Fallberichte, die eine Gefährdung des Menschen durch den Verzehr oder den Gebrauch von ME-haltigen pflanzlichen Produkten belegen.
  • Die Abschätzung des ME-Risikos stützt sich derzeit ausschließlich auf Untersuchungen, die mit der Monosubstanz an Ratten und Mäusen durchgeführt wurden, wobei die Dosierungen die ME-Mengen, die der Mensch mit der Nahrung, über Naturkosmetika und pflanzliche Arzneimittel aufnimmt, um das 100- bis 1000fache überstiegen.
  • ME-haltige Lebensmittel, Gewürze, Phytopharmaka und Naturkosmetika sind Vielstoffgemische, die sich in ihren Wirkungen, Nebenwirkungen und ihrer Toxizität ganz erheblich von der Monosubstanz ME unterscheiden.
  • Die Ergebnisse der Tierversuche mit ME lassen sich auch deshalb nicht auf den Menschen übertragen, weil Nager und Mensch einen anderen Stoffwechsel haben.

Die Autoren

Prof. Dr. Jürgen Reichling (Jg. 1943) studierte Biologie, Chemie und Physik in Heidelberg; dort 1972 Promotion am Botanischen Institut, seit 1975 wiss. Mitarbeiter am Institut für Pharmazeutische Biologie, 1983 Habilitation, seit 1991 apl. Professor. Forschungsgebiete: Naturstoffanalytik; biologisch aktive pflanzliche Sekundärstoffe; Entwicklung von Phytopharmaka. Anschrift: Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, Im Neuenheimer Feld 364, 69120 Heidelberg Juergen.Reichling@urz.uni-heidelberg.de

Dipl.-Biol. Felix Iten (Jg. 1958) studierte Biologie an der Universität Zürich; dort 1994 Diplom, seit 1999 wiss. Mitarbeiter am Universitätsspital, Abteilung Naturheilkunde. Anschrift: Universitätsspital Zürich, Dept. für Innere Medizin, Abtl. Naturheilkunde, Rämistr. 100, CH-8091 Zürich, felix.iten@usz.ch

Prof. Dr. med. Reinhard Saller (Jg. 1947) studierte Medizin in Würzburg und Frankfurt. 1977 Promotion in Pharmakologie, 1986 Habilitation für das Fach Innere Medizin, seit 1994 Professor für Naturheilkunde an der Universität Zürich und Leiter der Abteilung Naturheilkunde am Universitätsspital (s.o.). Forschungsschwerpunkt: Phytotherapie. reinhard.saller@usz.ch

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