Fortbildung

Meningokokken-Erkrankungen

Rechtzeitig mit Antibiotika therapieren

Von Rüdiger Leutgeb | Jedes Jahr im Frühjahr und Herbst nimmt bei uns die Zahl der Meningokokken-Erkrankungen wieder zu. Diese bakteriellen Infektionen sind zwar nicht häufig - etwa ein Fall pro 100000 Einwohner und Jahr. Aber eine Meningokokken-Meningitis kann blitzartig auftreten und ist oft lebensbedrohlich. Eine sofortige Behandlung solch einer Hirnhautentzündung mit Antibiotika ist erforderlich, denn für den Ausgang der Erkrankung ist der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns entscheidend.

Neisseria meningitidis (Meningokokken) sind gramnegative, unbewegliche Diplokokken. Neben diesen wichtigsten Erregern der eitrigen Meningitis oder Sepsis, die ausschließlich humanpathogen sind, gibt es noch zahlreiche apathogene Arten (z. B. N. lactamica, N. mucosa), die sich in der Standortflora auf den Schleimhäuten des Nasopharynx befinden.

Übertragung durch Tröpfcheninfektion

Meningokokken, die ausschließlich beim Menschen vorkommen, werden über Tröpfcheninfektion übertragen. Da es sich um einen sehr empfindlichen bakteriellen Erreger handelt, der in der Umgebungsluft sehr schnell abstirbt, ist eine Infektion nur direkt von Mensch zu Mensch möglich, z. B. durch Husten, Niesen oder Küssen. Überträger sind zum einen bereits Erkrankte, aber auch so genannte asymptomatische Träger. Bei diesen Personen ist der Nasen-Rachen-Raum mit humanpathogenen Arten der Neisserien besiedelt, ohne dass sie selbst Krankheitserscheinungen zeigen.

Die Trägerrate beträgt in der Bevölkerung durchschnittlich 10%, kann aber abhängig vom Alter (bei Jugendlichen bis zu 25%) und den Lebensumständen (Wohnen in beengten Verhältnissen) auch deutlich höher sein. In diesem Fall erhöht sich auch das Infektionsrisiko der Personen in der Umgebung. Da der Träger in der Regel symptomlos bleibt, ist in dieser Situation eine Erregerübertragung immer und zu jeder Zeit möglich, ohne dass man sich davor schützen kann. Warum manche Menschen die Bakterien auf den Schleimhäuten tragen können, ohne Symptome zu entwickeln, andere jedoch schwer erkranken, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

Allerdings kennt man Risikofaktoren, die das Auftreten von invasiven Meningokokken-Erkrankungen begünstigen. Dazu gehören unter anderem aktives und passives Rauchen, aber auch vorangegangene Virusinfekte. In diesen Fällen ist die Schleimhaut bereits vorgeschädigt und ihre Barrierefunktion kann von den Neisserien leichter überwunden werden.

Säuglinge und Kleinkinder am häufigsten betroffen

Ein weiterer Risikofaktor für invasive Verläufe ist eine Splenektomie oder funktionelle Asplenie. Da die Milz unter anderem für den Abbau bekapselter Bakterien, dazu gehören neben den Meningokokken auch die Pneumokokken und Haemophilus influenzae, zuständig ist, kann ihre fehlende Funktion zu perakuten plötzlich einsetzenden Infektionen mit bekapselten Bakterien führen, die auch OPSI-Syndrom (overwhelming postsplenectomy infection) genannt werden. Grundsätzlich gilt, dass Personen mit eingeschränkter Funktion ihres Immunsystems ein erhöhtes Risiko einer Meningokokken-Infektion tragen.

Dabei muss die Ursache des Immundefektes nicht unbedingt einen pathologischen Hintergrund haben. Säuglinge und Kleinkinder beispielsweise haben auf Grund ihres Alters ein noch nicht voll funktionsfähiges Immunsystem und sind damit ebenfalls besonders gefährdet. Betrachtet man die Altersverteilung bei den invasiven Meningokokken-Erkrankungen, so ist die Personengruppe der Säuglinge, Kleinkinder und Kinder unter fünf Jahren am häufigsten betroffen. Fast 40% der Erkrankungen treten in diesem Alterssegment auf.

Neben den ganz Kleinen sind vor allem auch Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren häufig betroffen. Dieser zweite, wenn auch deutlich geringere Altersgipfel umfasst gut 20% aller invasiven Meningokokken-Erkrankungen. Gerade bei den Jugendlichen ist sicherlich nicht der Status ihres Immunsystems Grund für die gehäuften Erkrankungen. Eine exakte Erklärung für die Häufung gibt es aber nicht, es wird spekuliert, dass hier vor allem die Lebensumstände dieser Personengruppe einen wesentlichen Einfluss nehmen.

Durch Rauchen vorgeschädigte Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raumes, aber auch intensivere Sozialkontakte in Diskotheken und auf Parties gehen mit einem erhöhten Infektionsrisiko einher. Das gemeinsame Benutzen von Trinkgläsern kann ausreichend sein, die Bakterien weiterzugeben.

Bekapselte Diplokokken 

Meningokokken sind gramnegative, unbewegliche Diplokokken. Sie besitzen eine Kapsel aus Polysacchariden, die vor Phagozytose schützt und damit einen Pathogenitätsfaktor darstellt. Die Zusammensetzung der Polysaccharidkapsel bestimmt die Serogruppe der Meningokokken. Bisher sind 13 verschiedene Serogruppen bekannt, die über Agglutinationsreaktionen mit Kapsel-spezifischen Antiseren identifiziert werden können. Weitere Unterteilungen der Serogruppen in Serotypen ermöglichen die äußeren Membranproteine. Zusätzlich gibt es noch die Einstufung nach Serosubtyp und Immunotyp. Neben Neisseria meningitidis, dem wichtigsten Erreger der eitrigen Meningitis oder Sepsis, der ausschließlich humanpathogen ist, gibt es noch zahlreiche apathogene Arten (z. B. N. lactamica, N. mucosa).

Schnellerer Verlauf bei Kindern

Die Inkubationszeit der Meningokokken-Erkrankungen beträgt in der Regel drei bis vier Tage, kann aber auch im Bereich von zwei bis zehn Tagen liegen. Die klinische Manifestation der systemischen Meningokokken-Infektionen kann sehr variabel sein und reicht von vorübergehenden Bakteriämien, über eine Sepsis mit und ohne Meningitis bis hin zum fulminant und innerhalb weniger Stunden letal verlaufenden Waterhouse-Friderichsen-Syndrom. Die Symptome einer transienten Bakteriämie sind vergleichbar mit denen respiratorischer Erkrankungen, die spontan ausheilen.

Klinisch bedeutsam sind dabei vor allem die Meningokokken-Meningitis, die in ca. 40% der Erkrankungsfälle auftritt, die Meningokokken-Sepsis bei ca. 20% der Erkrankten sowie Mischformen aus den beiden erst genannten. Eine Meningokokken-Sepsis, im wesentlichen charakterisiert durch hohes Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gelenkschmerzen, Erbrechen, Nackensteifigkeit und Lichtscheu, kann sich auch ohne Prodromi aus völliger Gesundheit heraus entwickeln. Hauterscheinungen wie makulo-papulöse oder hämorrhagische Exantheme sind bei 75% aller Meningokokken-Erkrankungen vorhanden und Ausdruck perivaskulärer Entzündungsherde bzw. von Hauteinblutungen. Sie finden sich vor allem am Körperstamm und an den Extremitäten.

Häufig letaler Verlauf

Während Erwachsene binnen 24 Stunden schwer erkranken, kann bei Kindern der Verlauf noch deutlich beschleunigt sein. 5 bis 10% aller invasiven Meningokokken-Erkrankungen verlaufen als Waterhouse-Friderichsen-Syndrom. Bei dieser fulminant verlaufenden Meningokokken-Infektion steht das septische Krankheitsbild im Vordergrund, welches durch massive Blutungen und Nekrosen der Haut und der inneren Organe (bevorzugt Nebennierenrinde) innerhalb weniger Stunden nach auftreten der Symptome tödlich endet. Neben der hohen Letalität der Meningokokken-Sepsis, die Angaben reichen bis zu 53%, kann es auch zu lebenslangen Defektheilungen kommen. Die Spät- und Dauerschäden umfassen auf Grund großflächiger Gewebenekrosen schwerste Narbenbildung oder sogar Amputationen einzelner Finger, Zehen bis hin zu gesamten Gliedmaßen.

Informationen für Eltern und Ärzte 

Das Nationale Referenzzentrum für Meningokokken am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg im Auftrag des Robert Koch-Instituts stellt auf seinen Seiten im Internet Informationen über Meningokokken-Erkrankungen, ihre Übertragungswege, Krankheitssymptome und mögliche Vorbeugemaßnahmen für Ärzte und Eltern bereit: www.meningococcus.de

Rechtzeitig Antibiotikatherapie einleiten

Die Prognose der Infektion hängt im Wesentlichen von der frühzeitigen Diagnosestellung, der rechtzeitigen Antibiotikatherapie und der möglichst schnellen intensivmedizinischen Behandlung ab. Die Meningokokken-Meningitis verläuft meist weniger dramatisch und ist therapeutisch besser zu beherrschen. Neben allgemeinen Krankheitszeichen wie hohem Fieber, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit, Übelkeit und Erbrechen, finden sich als spezifische Symptome Lichtscheu und Nackensteifigkeit. Gerade diese können allerdings bei Säuglingen und Kleinkindern fehlen und erschweren damit die Diagnosestellung maßgeblich.

Unbehandelt zeichnet sich auch die Meningitis durch eine hohe Letalität aus, die im Kindesalter allerdings durch rechtzeitige Diagnostik und Therapie auf 1 bis 3% verringert werden kann. Spätschäden von Meningitis-Erkrankungen sind zentralnervöser Art und umfassen unter anderem allgemeine Entwicklungsstörungen, Hirnnervenlähmungen, Krampfanfälle oder auch Taubheit auf Grund einer Innenohrschädigung. Bei der Therapie von Meningokokken-Infektionen ist Penicillin G das Mittel der Wahl.

Auch wenn in Deutschland Antibiotikaresistenzen bisher keine nennenswerte Rolle spielen, wird aus südlichen Ländern immer häufiger über die Zunahme von nur intermediär empfindlichen oder gar Penicillin-resistenten Meningokokken-Stämmen berichtet. Hier ist eine Therapie mit Cephalosporinen der 3. Generation angezeigt.

Angegriffene Schleimhaut begünstigt Infektion

In Deutschland werden jährlich zwischen 700 und 800 Fälle invasiver Meningokokken-Erkrankungen gemeldet, wobei die Erkrankungsrate gerade in den ersten drei Monaten des Jahres über dem Durchschnitt liegt. Eine Erklärung dafür kann die kalte Jahreszeit sein, in der auch gehäuft respiratorische Erkrankungen auftreten, die durch Vorschädigung der Nasen- und Rachenschleimhäute den Infektionsweg der Meningokokken begünstigen. Mehr als 90% der in Deutschland registrierten Erkrankungen werden allein durch die Serogruppen B und C der Meningokokken verursacht, alle anderen Serogruppen spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Während in früheren Jahren mindestens 70% der invasiven Meningokokken-Erkrankungen durch die Serogruppe B ausgelöst wurden und der Anteil der Serogruppe C gerade nur 20% betrug, hat sich diese Tendenz in den letzten beiden Jahren deutlich verändert. Im Jahr 2002 lag der Anteil der durch Serogruppe C verursachten Erkrankungen erstmals bei über 30% und auch für das Jahr 2003 zeigt sich mit 27,4% ein deutlich erhöhtes Niveau.

Impfprophylaxe 

Neben der Chemoprophylaxe kann bei Ausbrüchen oder regionalen Häufungen auf Empfehlung der zuständigen Gesundheitsbehörden zusätzlich eine Meningokokken-Impfung indiziert sein. Gegen Meningokokken der Serogruppen A, C, W135 und Y stehen ein bi (A, C)- sowie tetravalente Polysaccharidimpfstoffe zur Verfügung, die allerdings bei Säuglingen und Kleinkindern nur eine ungenügende Immunantwort erzeugen. Gegen die Serogruppe C sind Konjugatimpfstoffe erhältlich, die auch bei Kindern unter zwei Jahren immunogen sind.

  • Polysaccharidimpfstoffe Meningokokken-Impfstoff A+C Merieux (Aventis Pasteur MSD) Menomune® (Aventis Pasteur MSD) Mencevax® ACWY (GlaxoSmithKline)
  • Konjugatimpfstoffe Meningitec® (Wyeth) Menjugate® (Chiron Behring) NeisVac-C™ (Baxter)

 

Meningokokken-C-Erkrankungen sind impfpräventabel

Die Zunahme der Meningokokken-C-Erkrankungen in Deutschland ist aus zweierlei Gründen von speziellem Interesse. Zum einen sind die Erkrankungsverläufe bei den durch die Serogruppe C verursachten Infektionen in ihrer Prognose ungünstiger, als bei Meningokokken-B-Erkrankungen, und zum anderen sind sie impfpräventabel. Mit einer Letalität von durchschnittlich 10%, im Jahr 2002 waren es sogar 13%, nehmen Meningokokken-C-Erkrankungen wesentlich häufiger einen tödlichen Verlauf (bei Serogruppe B: 7%).

Und auch die lebenslangen Folgeschäden, wie Entwicklungsstörungen, Hirnnervenlähmungen, Taubheit, zum Teil großflächige Narbenbildung oder auch Amputationen, finden sich bei Erkrankungen durch die Serogruppe C mit annähernd 20% wesentlich häufiger, (Meningokokken-B-Erkrankungen: 3 bis 4%).

Im Jahr 2002 verliefen von insgesamt 155 aufgetretenen Meningokokken-C-Erkrankungen 20 Infektionen tödlich, in annähernd doppelt so vielen Fällen haben die Betroffenen ein Leben lang unter den Folgen der Infektion zu leiden. Für all diese Betroffenen hätte es eine Alternative gegeben, da Meningokokken-C-Erkrankungen impfpräventabel sind. Innerhalb der Ärzteschaft ist weiterhin offen, ob Fallzahlen in dieser Größenordnung die allgemeinen Impfempfehlungen beeinflussen können und sollen.

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