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Gesundheitsprodukte: Arzneimittel oder Lebensmittel?

Viel diskutiert, viel beschrieben und trotzdem immer wieder erklärungsbedürftig ist die rasante Entwicklung des Heilmittel- und Gesundheitsmittelmarktes. Im Spannungsfeld zwischen Arzneimittel und Lebensmittel herrscht eine Produktvielfalt, die in der Folge des GMG stark zugenommen hat.

Immer mehr Arzneimittelhersteller weichen auf den Nahrungsergänzungsmittelsektor aus und bieten von ein und demselben Inhaltsstoff (z. B. Calcium) unterschiedlichste Produktkategorien an. Die Palette der Nährstoffsupplemente hat fast unüberschaubare Dimensionen angenommen. Seitdem im Mai dieses Jahres die Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NEMV) in Kraft getreten ist (sie setzt eine EU-Richtlinie von 2002 in deutsches Recht um), herrscht zwar etwas mehr Übersicht und Klarheit, trotzdem muss man immer noch sehr genau hinschauen, um die unzähligen Gesundheitsprodukte eindeutig zuordnen zu können. Noch herrscht Übergangszeit und viele Hersteller überstrapazieren bzw. dehnen ganz bewusst die Vorschriften. Der Apotheker sollte jedoch imstande sein, für die kompetente Beratung der Kunden die Spreu vom Weizen zu trennen.

NEM - jetzt klar geregelt

Die NEMV hat Nahrungsergänzungsmittel (NEM) als eigene Produktkategorie genau definiert: Sie sind Lebensmittel und keine Arzneimittel, auch wenn sie in der medikamentenüblichen, dosierten Darreichungsform eher diesen gleichen. Entsprechend unterliegen sie dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG), benötigen keine (kostspielige) Zulassung, müssen allerdings, bevor sie in den Verkehr kommen, angemeldet werden und bestimmten Kennzeichnungsvorschriften (z. B. Inhaltsstoffe, Dosisempfehlungen, Warnhinweise) genügen. Neben Nährstoffkonzentraten oder Stoffen mit ernährungsspezifischer Wirkung dürfen nur die in einer Positivliste aufgeführten Vitamine und Mineralstoffe in NEM verarbeitet werden.

Sekundäre Pflanzenstoffe und Pflanzenextrakte sind offiziell in Deutschland in NEM noch nicht zugelassen. Somit sind NEM klar von funktionellen oder diätetischen Lebensmitteln, aber auch von Medizinprodukten abgegrenzt. Letztere sollten in erster Linie physikalisch wirksam sein - was natürlich sehr weit interpretiert werden kann: Halspastillen befeuchten die Schleimhäute, Schlankmacher nehmen Fett mit usw. Diätetische Lebensmittel und ergänzende bilanzierte Diäten (EBD) sind eine eigene, übergeordnete Klasse und unterstehen der Diätverordnung.

Der Zweck bestimmt das Produkt

Entscheidend für die Produktkategorie ist die Zweckbestimmung, wie sie sich in Wirkversprechen (Claims) und Anwendungsbestimmungen ausdrückt. NEM dürfen - wie Nahrungsmittel generell - nicht mit einem Bezug zu Krankheiten beworben werden. Das ist allerdings mehr oder weniger Auslegungssache. Werbeaussagen, die sich auf die Gesunderhaltung von Organen und Körperfunktionen beziehen, sind inzwischen weitgehend akzeptiert. Klare Aussagen zum Nährwert (nutrition claims), zur Funktion (functional claims) oder zur Vermeidung von Krankheitsrisiken (disease risk reduction claims) anstelle von Gesundheitsstories bürgern sich erst langsam ein, in der Schweiz geht man hier mit gutem Beispiel voran.

Ergänzende bilanzierte Diäten müssen als solche in der Auslobung erkenntlich sein, und die Empfehlungen müssen sich auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Wo früher oft darauf abgezielt wurde, Arzneimittel vorzutäuschen, ist jetzt ein Riegel vorgeschoben: Auf der Packung muss die Verkehrsbezeichnung (zur Nahrungsergänzung oder als ergänzende Diät) genannt werden, Dosisangaben haben sich nach den Tagesempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung oder nach EU-Angaben zu richten.

EU-Regelungen für pflanzliche NEM noch nicht in Sicht

In der EU bemüht man sich nun schon seit zehn Jahren, Nahrungsergänzungsmittel europaweit einheitlich zu definieren und zu klassifizieren. Bisher scheiterte dies aber an den auseinanderklaffenden nationalen Regelungen. Angelpunkte für Uneinigkeiten sind vor allem pflanzliche Präparate. Deutschland und Frankreich handhabten sie bisher auf dem hohen Niveau des Arzneimittelstatus, während sie in vielen Mitgliedstaaten (BE, NL oder UK) als dietary supplements galten. Die Notwendigkeit allgemein gültiger Rahmenbedingungen für pflanzliche NEM erscheint immer dringlicher.

„Ohne hervorragende Rechtsabteilung kann derzeit kein Hersteller mehr auf den Markt gehen.“ Dr. G. Hanke, Heilbronn

Von der European Food Safety Agency (EFSA) wurde im Juni ein Diskussionspapier erstellt, in dem vor allem die Sicherheit und Risiken pflanzlicher Präparate für den Verbraucher diskutiert werden, weniger ihr Sinn und ihre Wirkung. Als Basis der Sicherheitsbewertung strebt man eine genauere Charakterisierung des pflanzlichen Ausgangsmaterials und Regeln für die Herstellung an, um in der Vergangenheit festgestellte Verunreinigungen, Schwermetall- und mikrobielle Belastungen oder Wechselwirkungen mit Arzneimitteln zu vermeiden.

Neue Produkte, deren Inhaltsstoffe noch unbekannt (und eventuell toxisch) sind, unterliegen der Novel Food Verordnung. Sie sind zulassungspflichtig, was die Vorlage genauer toxikologischer und ernährungsphysiologischer Informationen voraussetzt.

Gesunder Lebensstil versus Gesundheitsmittel

Vielfach erliegen die Konsumenten gesundheitsfördernder Trendprodukte dem Irrglaube, dass sie sich über diesen Umweg Gesundheit kaufen, ansonsten aber weiterleben können wie bisher. Es ist aber eher umgekehrt: Der Normalbürger könnte sich die Nahrungsergänzungsmittel sparen, wenn er sich sinnvoll ernähren und dazu ausreichend bewegen würde. Dies erfordert aber von den meisten Menschen eine Änderung des Lebensstils, die sie nicht zustande bringen.

„Wir leben heute im Schlaraffenland: 50 Millionen Jahre lang hieß es für den Menschen: Bewegung ist garantiert, das Essen vielleicht. Seit 50 Jahren heißt es: Essen garantiert, Bewegung vielleicht. Folge: metabolische Erkrankungen aller Schweregrade.“ 
Prof. Dr. E. Steinhagen-Thiessen, Berlin

Gerade für die Prophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen, der heute häufigsten Todesursache, ist die richtige Ernährung enorm wichtig. Von zehn Risikofaktoren sind nur drei nicht beeinflussbar (Geschlecht, Alter, genetische Veranlagung), die anderen wie Rauchen, Bluthochdruck, zu hohe Cholesterinwerte, Diabetes mellitus Typ 2 und Übergewicht liegen weitgehend in unserer Hand. Neben den Empfehlungen der American Heart Association gibt es nun auch europäische (noch strengere) Richtlinien zu gesunden Lipidwerten: Gesamtcholesterin sollte weniger als 190 mg/dl und LDL weniger als 115 mg/dl betragen. Mit einer ausgewogenen Ernährung aus 15% Eiweiß, 35% gesundem Fett (überwiegend ungesättigte Fettsäuren) und 50% hochwertigen Kohlenhydraten sollten solche Werte erreichbar sein.

Kritische Prüfung angebracht

Der Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln ist teils mehr, teils weniger sinnvoll. So nutzen Hersteller den großen Leidensdruck von Neurodermitikern aus, indem sie mit zum Teil erlogenen Mangelbeschreibungen und daher notwendigen Supplementierungsempfehlungen von Spurenelementen, Phospholipiden oder PUVA große Geschäfte machen. Bei einer Vielzahl der modernen (und teuren) Trendprodukte gilt schlichtweg: Sie schaden nicht, ein Nutzen ist jedoch auch nicht erkennbar.

Unbestritten aber gibt es Produkte, die aus präventivmedizinischer Sicht durchaus nützlich sind. Vor allem Nahrungsergänzungsmittel und ergänzende bilanzierte Diäten sind von ernährungsphysiologischer Bedeutung. Hier liegt in der Zukunft für den Apotheker ein großes Wirkungsfeld, zum einen ein ausgewähltes und sinnvolles Sortiment bereit zu halten und dem Kunden mit kompetenter Beratung bei der Auswahl zur Seite zu stehen.

R. Seitz, Emmering

Quelle 
Dr. G. Hanke, Heilbronn: „Arzneimittel oder Lebensmittel? Theorie und Praxis“; Prof. Dr. M. Schubert-Zsilavecz, Frankfurt: „Wissenschaft und Pseudowissenschaft von Nahrungsergänzungsmitteln – eine Marktanalyse“; Dr. R. Schwaitle, Bonn: „Regelungsansätze in Europa“; Prof. Dr. E. Steinhagen-Thiessen, Berlin: „Prophylaxe von kardiovaskulären Erkrankungen – Stellenwert der Ernährung“. Vorsymposium „Die Produktvielfalt im Spannungsfeld zwischen Arzneimittel und Lebensmittel – Regularien und Relevanz“ am 7. Oktober 2004 im Rahmen der DPhG-Jahrestagung in Regensburg, veranstaltet von der DPhGFachgruppe Pharmazeutische Biologie, moderiert von Prof. Dr. S. Alban, Kiel. (Der Vortrag „Omega-3-Fettsäuren – Quellen, Physiologie, krankheitsspezifische Effekte“ von Prof. Dr. Christine Metzner fiel wegen Krankheit aus.)

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