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Physikalische Chemie: Neues über Aggregatzustände und Modifikationen des Wasse
Wassermoleküle sind anziehend
Wasser ist ein so kleines Molekül, dass es eigentlich keine großen Überraschungen hinsichtlich seiner Eigenschaften mehr verspricht. Die letzten Jahre haben aber zu Erkenntnissen geführt, die das Wasser sowohl in der Atmosphäre als auch in der lebenden Zelle in neuem Licht erscheinen lassen.
So haben kürzlich Heidelberger Umweltphysiker Wasserdimere in der Atmosphäre nachgewiesen. Der Nachweis der paarweise gebundenen Wassermoleküle gelang der Gruppe um Klaus Pfeilsticker auf einer 18 340 m langen, vier Meter über dem Meeresspiegel geführten Lichtstrecke von Dagebüll zur Hallig Langeneß mittels der eigens entwickelten Differentiellen Optischen Absorptionsspektroskopie (DOAS).
Etwa ein halbes Prozent aller Wassermoleküle in der Atmosphäre liegen demnach als Dimere vor. Diese Entdeckung ist so überraschend wie bahnbrechend. Für die Heidelberger Forscher sind Wasserdimere ein wichtiges Treibhausgas der Atmosphäre. Mehrere Dimere können sich zu Clustern zusammenlagern.
Wassercluster spielen beispielsweise an den Oberflächen von Katalysatoren, in der Nanotechnologie und möglicherweise sogar in der Krebsforschung eine wichtige Rolle. In der Atmosphäre stimulieren sie wahrscheinlich die Wolkenbildung. Die Dimerisation ist somit der erste Schritt im Phasenübergang vom gasförmigen zum flüssigen oder festen Wasser. Dem Dimer wiederum liegt die Wasserstoffbrückenbindung zugrunde (Abb. 1).
Kein Leben ohne Wasserstoffbrücke
Ohne die Wasserstoffbrückenbindung gäbe es wohl kein Leben auf der Erde, denn Wasser würde aufgrund der geringen Größe des Moleküls bereits bei –75 °C sieden und bei –120 °C gefrieren. Die Wasserstoffbrückenbindung bildet ein rasch fluktuierendes Netzwerk an Molekülen und hält das Wasser zwischen 0 und 100 °C im flüssigen Zustand.
Auch das Eis birgt viele Überraschungen. Nur unter Normaldruck entsteht das Eis Eins oder Eis-Ih ("h" steht für hexagonal). Die hexagonale Kristallstruktur bedingt, dass Eis ein größeres Volumen und ein geringeres spezifisches Gewicht als Wasser besitzt. Bei hohen Drücken bilden sich Eisphasen ganz anderer Struktur mit abweichenden thermischen und mechanischen Eigenschaften. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches; das gibt es beim Kohlenstoff auch. Doch beim Eis sind mittlerweile mehr als zehn verschiedene Kristallstrukturen nachgewiesen (Abb. 2 und 3).
Vor wenigen Jahren noch kannte man nur Eisstrukturen, in denen intakte Wassermoleküle über die asymmetrisch angeordneten H-Atome miteinander verbunden sind. Dies entspricht den Eisregeln nach Linus Pauling (siehe Kasten). Dass es unter hohen Drücken auch symmetrische Wasserstoffbrücken gibt, konnte nun an der Ruhr-Universität in Bochum gezeigt werden. Die Wassermoleküle zerfallen beim Eis Zehn (Eis-X) in ihre Bestandteile, das molekulare Eis wandelt sich zu einem elektrisch leitenden Festkörper, der den Eisregeln nicht mehr gehorcht.
Wasser an Grenzflächen
Die komplexen Vorgänge des Lebens spielen sich im wässrigen Medium ab. Aber neben Wasser, wie wir es kennen, tritt das H2O in lebenden Zellen nahezu zweidimensional auf: die äußerst dünnen Schichten von wenigen Molekülen übereinander haben sehr wahrscheinlich andere physikalische Eigenschaften als dreidimensionales Wasser. Insbesondere die Wechselwirkung, die Dynamik und Funktion des Wassers mit und an molekularen Grenzflächen steht deshalb seit zwei Jahren im Zentrum des Interesses und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft intensiv gefördert.
Die räumliche Enge einer biomolekularen Umgebung, ob in einer Lipidmembrandoppelschicht oder einer Proteintasche, beeinflusst die Eigenschaften des Wassers. Dass Wasser eine entscheidende Rolle in der Proteinfaltung einnimmt, ist schon einige Zeit bekannt. Ziel ist es nun, diese Rolle weiter zu erhellen. Die Ergebnisse dieser Forschung werden die Entwicklung von Nanokapseln für bestimmte Arzneistoffe befördern. Dies gilt besonders für invers mizellare Systeme, die den Wirkstoff und die notwendige wässrige Umgebung aufnehmen.
An der Universität Bochum wird derzeit ein Oligopeptid untersucht: Ein Bindegewebsprotein aus der Elastinfamilie verhält sich ungewöhnlich. Es faltet sich bei einer Erhöhung der Temperatur auf 30 bis 50 °C (Abb. 4). Normalerweise sollte es umgekehrt sein, weil mit steigender Temperatur die Entropie, sprich die Unordnung, zunimmt.
Aber die das Peptid umgebenden Wassermoleküle tragen entscheidend zur Stabilität der Faltung bei. Sehr wahrscheinlich ändert sich das dynamische Verhalten der an das Peptid gebundenen Wassermoleküle bei der Faltung abrupt. Das kleine Peptid mit seinem inversen Faltungsverhalten könnte irgendwann die Welt mit verändern helfen.
Die Bochumer Forscher hoffen, dass es eines Tages als Modell für die Umwandlung von Wärmeenergie in Bewegungsenergie in biomolekularen Maschinen genutzt werden könnte. Wasser wird auch hier eine entscheidende Rolle spielen.
Wasser
Wasser ist einzigartig. Es ist die einzige Substanz, die uns in allen drei Aggregatformen begegnet. Und viel gibt es auch davon. 70 Prozent der Erdoberfläche sind vom kühlen Nass bedeckt. Doch hier sprechen wir von Meeres- und damit Salzwasser. Das für Menschen nutzbare Trinkwasser wird immer knapper.
Die UNESCO hatte deshalb 2003 zum Jahr des Süßwassers ausgerufen, um auf dessen zunehmende Verschmutzung weltweit durch Düngemittel, Arzneistoffe, Pestizide und sonstige Syntheseprodukte hinzuweisen. Ihr Weltwasserbericht spricht von einer in den nächsten Jahrzehnten bevorstehenden drastischen Wasserknappheit. Es ist anzunehmen, dass künftige Kriege auch um den Zugang zu sauberem Wasser geführt werden. Im Zweistromland und anderswo hat Wasser schon heute eine strategische Bedeutung.
Eisregeln nach Linus Pauling
- Wassermoleküle im Eis entsprechen den Wassermolekülen in der Gasphase.
- Jedes Wassermolekül ist so orientiert, dass seine zwei Wasserstoffatome mit zweien der vier das Molekül in Tetraederform umgebenden Sauerstoffatome eine Wasserstoffbrückenbindung eingehen.
- Nur ein Wasserstoffatom sitzt zwischen jedem benachbarten Sauerstoff-Sauerstoff-Paar.
- Unter normalen Bedingungen stabilisiert die Wechselwirkung nicht benachbarter Moleküle keine der vielen möglichen Konfigurationen spürbar.
Überkritisches Wasser
Bei Temperaturen über 374 °C und hohem Druck (s. Abb. 2) ähnelt Wasser einer Flüssigkeit, hat aber ganz andere physikalische Eigenschaften. Dieses überkritische Wasser spielt bei der hydrothermalen Mineralbildung in der Erdkruste eine wichtige Rolle. Es wird – trotz großer technischer Schwierigkeiten – bei neuen Entsorgungsverfahren als Lösungsmittel hochtoxischer Chemikalien benutzt.
Wasser im Weltraum
Nicht nur auf dem Mars gibt es Wasser. Der Jupitermond Europa besitzt einen riesigen Ozean, der unter einem dicken Eispanzer liegt. Ende der 70er-Jahre wurde zum ersten Mal Wasser in einer anderen Galaxie, und zwar in der nahen Spiralgalaxie M33 im Sternbild Dreieck, nachgewiesen.
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