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Flusslandschaft des Jahres 2004/2005: Die Havel im Widerstreit von Ökologie und

Die NaturFreunde Deutschlands und der Deutsche Anglerverband haben die Havel zur dritten Flusslandschaft Deutschlands erklärt, nach der Gottleuba in Sachsen und der Ilz in Bayern. Am 22. März 2004, dem "Tag des Wassers", soll voraussichtlich das Bundesumweltministerium die offizielle Proklamation vornehmen. Die beiden Vereine wollen auf eine einzigartige Kulturlandschaft und deren Bedrohung durch den Ausbau der Untere-Havel-Wasserstraße hinweisen.

Ein aparter Tieflandfluss

"Die Havel ist ein aparter Fluss. [...] Das Blau ihres Wassers und ihre zahlreichen Buchten machen sie zu einer Art Unikum, Stätte ältester Kultur in diesen Landen. Hier entstanden hart am Ufer des Flusses die Bistümer Brandenburg und Havelberg. Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut. Die Havel darf sich einreihen in die Zahl deutscher Kulturströme."

So hat Theodor Fontane die Havel beschrieben. Im 21. Jahrhundert geht es nicht mehr um diesen ganzheitlichen Blick. Jetzt streiten Ökologie und Ökonomie um die Deutungshoheit über den Wert dieses Flusses und seiner traumhaften Landschaft.

Die letzte Eiszeit hat im Havelland ein breites Urstromtal hinterlassen. Die Havel schlängelt sich seitdem als träger Tieflandfluss mit zahlreichen seenartigen Erweiterungen durch die zurückgebliebene Jungmoränenlandschaft. Im Krämer Forst erstrecken sich große Mischwaldgebiete mit Eichen, Buchen und Birken.

Weiter westlich liegt das von Gräben durchzogene Havelländische Luch mit seinen Wiesen. Der Naturpark Westhavelland besitzt beidseitig der unteren Havel eins der größten zusammenhängenden Feuchtgebiete im Binnenland des westlichen Europas. Es bietet vom Aussterben bedrohten Pflanzen und Tieren Lebensraum und Tausenden von Zugvögeln Rastplätze.

Die Havel hat ihren Ursprung in den drei kleinen Dambecker Seen zwischen Ankershagen und Kratzeburg in Mecklenburg, am nordöstlichen Rand des Müritz-Nationalparks. Die so genannte Havelquelle, die von einer Säule markiert wird, ist ein morastiges Loch, in dem man nicht einmal Wasser sieht, nur 63 m über dem Meeresspiegel.

Von hier bis zur Mündung in die Elbe bei Werben ist die Havel 363 km lang und hat ein Gefälle von lediglich 41 m. Dutzende Seen, von denen der Wannsee in Berlin am bekanntesten ist, begleiten den Fluss. Daher stammt wohl auch der Name der Havel, denn altnordisch "haf" bedeutet See. Von rechts fließen Rhin und Dosse, von links Spree, Nuthe und Plaue zu.

Wertvolle Flora-Fauna-Habitate

Die Verbände NaturFreunde Deutschlands und Deutscher Anglerverband wollen mit ihrer Initiative auf die einzigartige Kulturlandschaft der Havel und deren Bedrohung durch den Wasserstraßenbau hinweisen. Der Fluss diene den Fischern als Broterwerb und warte auf die Besucherströme des expandierenden Tourismus.

Deshalb gelte es, die Schönheit und Vielfalt der durch diesen langsam strömenden Tieflandfluss geformten Landschaft mit seenartigen Erweiterungen, Schilfgürteln, Wäldern, zeitweise überschwemmten Feuchtgebieten und den vielen Kulturdenkmälern der anliegenden Städte und Dörfer zu erhalten. Die vielen Natur- und Vogelschutzgebiete und Flora-Fauna-Habitate würden durch den Ausbau der Havel zerstört.

Auch die NABU-Stiftung "Nationales Naturerbe" hat sich mit der Sektion "Untere Havelniederung" das Ziel gesetzt, die Landschaft zu erhalten. Sie erwirbt permanent Flächen und verpachtet sie langfristig an naturverträglich wirtschaftende Betriebe. Es sollen Altarme wieder angeschlossen, Auenflächen reaktiviert und die natürliche Abflussdynamik für den aktiven Hochwasserschutz wieder hergestellt werden.

Dazu arbeitet die NABU-Sektion mit dem Bundesamt für Naturschutz und den Naturschutzverwaltungen Brandenburgs und Sachen-Anhalts zusammen. Letztes Ziel soll die Entlassung der Havel aus dem Bundeswasserstraßennetz sein.

VDE 17 hat schon begonnen

Zumindest die letzte Forderung scheint realitätsfremd. Zwar soll die Untere-Havel-Wasserstraße von Plaue bei Brandenburg bis zur Havelmündung aufgegeben werden, doch der Abschnitt von Berlin bis Plaue und der anschließende Elbe-Havel-Kanal, dessen erstes Teilstück bereits 1743 angelegt wurde, sind Bestandteile des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 17 (VDE 17).

Übrigens soll auch die Havel-Oder-Wasserstraße, die Berlin an die untere Oder und den Ostseehafen Stettin anbindet, ausgebaut werden, und für den Ausbau der Spree-Oder-Wasserstraße als Verbindung zur oberen Oder und nach Schlesien setzt sich das Land Brandenburg ein. Die drei Wasserstraßen treffen sich am "Spandauer Knoten", wo die Spree in die Havel mündet.

Als West-Ost-Verbindung ist das VDE 17 besonders wichtig, da durch die EU-Osterweiterung ein steigendes Verkehrsaufkommen erwartet wird. Sein bekanntestes Teilstück ist das soeben fertiggestellte Magdeburger Wasserstraßenkreuz. Die neue Kanalbrücke über die Elbe ist mit 928 m Länge die größte Trogbrücke der Welt; östlich davon verbindet eine 190 m lange Doppelschleuse in Hohenwarthe den Mittellandkanal (56 m üNN) mit dem Elbe-Havel-Kanal (37,45 m üNN).

Früher mussten die Schiffe eine kurze Strecke auf der Elbe fahren, um vom einen Kanal zum anderen zu gelangen. Dabei wurde der Schiffsverkehr wegen Niedrigwasser oft wochenlang behindert oder sogar ganz eingestellt. Mit dem Bau der Doppelschleuse war schon 1934 begonnen worden. Doch Krieg und deutsche Teilung brachten alles zum Erliegen. Das Wasserstraßenkreuz Magdeburg erlaubt nun, mehr als achtzig Jahre nach seiner ersten Projektierung, eine ganzjährige, wasserstandsunabhängige Elbequerung.

Zum Ausbau des Elbe-Havel-Kanals gehört unter anderem auch der Neubau von je einer zweiten Schleusenkammer an den Staustufen Zerben und Wusterwitz. Der Stichhafen in Genthin erhält einen Anschluss über den modernisierten Roßdorfer Altkanal.

Bei Parchau/Ihleburg wird mit einem 2 km langen Durchstich der Kurvenradius des Kanals vergrößert, wobei das abgetrennte Gewässer als Feuchtbiotop geschützt werden soll. Die Wasserspiegelbreite des Kanals soll von derzeitig 35,5 m auf 55 m verbreitert und die Sohle von 3,5 m auf 4 m vertieft werden. Im Dezember 2003 wurde auch die neue Schleuse Charlottenburg fertiggestellt. Europaschiffe können jetzt mit einer Abladetiefe von 2,5 m zum Berliner Westhafen fahren.

Bis 2006 sollen im Rahmen des VDE 17 auch alle 22 Brücken renoviert bzw. auf eine Mindesthöhe von 4,5 m über dem Wasserspiegel angehoben sein, damit Containerschiffe mit zwei Lagen übereinander von Hamburg in den Westhafen Berlins fahren können. 2012 soll das VDE 17 fertig sein. Dann können Schubverbände mit einer Länge von bis zu 180 m auf der Havel fahren.

Flusseinzugsgebietsmanagement

Wie alle größeren Bauvorhaben wird auch das VDE 17 von umfangreichen Umweltverträglichkeitsprüfungen begleitet. Darüber hinaus unterstützt das BMBF-Förderprogramm "Forschung für die Umwelt" seit Oktober 2001 das von der Universität Potsdam geleitete Projekt "Bewirtschaftungsmöglichkeiten im Einzugsgebiet der Havel".

Hauptziel ist es, mit einem ganzheitlichen Flusseinzugsgebietsmanagement die Gewässergüte zu verbessern. Gemäß europäischer Wasserrahmenrichtlinie (WRRL 2000) soll bis zum Jahre 2015 in allen europäischen Gewässern ein "guter Zustand" mit möglichst wenig "gestörten Verhältnissen" erreicht werden. Was darunter bei der Havel zu verstehen ist, ist allerdings umstritten.

Das Kernproblem der Havel ist seit je her die Eutrophierung. Trotz der Schließung maroder Industrien und des Baus moderner Kläranlagen hat sich die Wassergüte nicht entscheidend gebessert. Aktuell gelten viele Havelabschnitte noch immer als "kritisch belastet" bis "stark verschmutzt".

Die wichtigsten Gründe dafür sind die Abwasser des Ballungsraums Berlin und das Freisetzen von Nährstoffen aus Flusssedimenten. In trockenen Sommern steigt die Nährstofffreisetzung besonders stark an und fördert das Algenwachstum weiter.

Von Natur aus eutroph

Die Havel in ein naturnahes Gewässer hoher Wassergüte zu verwandeln, ist auch deshalb nicht so einfach, weil man die natürliche Havel nicht kennt. Schon im Mittelalter sind hier Kanäle gebaut worden. Und der Einfluss des Menschen auf den Eutrophierungsgrad ist nicht bekannt. Da die Havelseen und die verdunstungsintensiven Niederungen oft mehr Wasser abgeben, als ihnen zufließt, haben die Seen im Laufe der Jahrtausende bis zu 30 m mächtige Sedimente von Mineralien und Nährstoffen gebildet.

Die natürlichen Stoffsenken des gesamten Einzugsgebiets sind also primär ohne menschliches Zutun nährstoffreich (polytroph) geworden. Die Entwicklung wurde allerdings stark beschleunigt, als im Mittelalter durch die Rodung der Wälder die Sedimentfracht anstieg.

Dieser Prozess wird nun von der Quantitativen Paläolimnologie untersucht. Aus hundert Seen werden derzeit Eichdatensätze von Diatomeenresten in tiefen Sedimentschichten erhoben. Sie werden an den gewässerchemischen Daten kalibriert und mit den aktuellen Daten verglichen.

Auf diese Weise soll eine quantitative Rekonstruktion der prähistorischen und mittelalterlichen Belastung der Havel mit Phosphor, Stickstoff, Kalium, Natrium, Chlorid und Sulfat möglich werden. Das von der WRRL der EU geforderte Leitbild eines naturnahen Flusses könnte also bei der Havel einen hohen Eutrophierungsgrad fordern.

Es wird aber wohl egal sein, was die Forschung herausbekommt. Der Streit zwischen so genannten Umweltschützern und so genannten Technokraten wird weitergehen.

Holland an der Havel

Die Wiesen entlang der Havel nördlich von Berlin haben einst Luise Henriette, eine geborene Prinzessin von Oranien und Ehefrau des Großen Kurfürsten, so stark an ihre holländische Heimat erinnert, dass für sie hier das Schloss Oranienburg errichtet wurde.

Fluch der Kultivierung

Durch Begradigungen und Eindeichungen wurde die Havel, so wie die meisten anderen deutschen Flüsse, eines Großteils ihrer Auen, der natürlichen Überflutungsflächen, beraubt. Nach der großen Flut vom Sommer 2002 wird das sehr kritisch gesehen.

Märkischer Wein

In Werder an der Havel wächst "auf der nördlichst gelegenen, weingesetzlich erfassten Reblage der Welt", dem "Werderaner Wachtelberg", ein hervorragender Müller-Thurgau. (Qualitätswein: QbA Saale-Unstrut) www.wachtelberg.de

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