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Der Airbag der Zukunft – ein intelligentes Prallkissen

Der Airbag ist ein Meilenstein der Fahrzeugentwicklung. Das technologische Wunderwerk hat die Sicherheit der Autoinsassen erheblich verbessert und bereits Zehntausenden von Menschen das Leben gerettet. Bis zur Verwirklichung der Vision des verletzungsfreien Fahrens ist aber noch ein Stück Weges zu gehen.

Die Idee, Autofahrer mittels eines sich explosionsartig aufblasenden Luftkissens zu schützen, ist etwas mehr als 50 Jahre alt. Damals wurde in den USA und in Deutschland jeweils ein Patent dafür erteilt. Das zugrunde liegende Prinzip eines trägheitsgesteuerten Ventils, das einen Druckgasspeicher mit komprimierter Luft öffnet, erwies sich allerdings als nicht praktikabel. Die Pressluftflaschen wären zu groß ausgefallen und die Luftsäcke hätten sich viel zu langsam aufgeblasen, als dass sie bei einem Unfall hätten Schutz gewähren können. Die Geschwindigkeit der Entfaltung des Prallsackes ist schließlich die entscheidende Größe für ein Funktionieren dieser Technik.

 

Airbag-Symposium

Bei dem vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) alle zwei Jahre veranstalteten Karlsruher Airbag-Symposium treffen sich regelmäßig mehr als 1000 Wissenschaftler und Ingenieure, um Erfahrungen auszutauschen und neue Ideen vorzustellen. Zu Gast sind neben hochrangigen Vertretern der Industrie u. a. die amerikanische Verkehrs-sicherheitsbehörde NHTSA, das Institut der amerikanischen Versicherungswirtschaft (IIHS) und renommierte Unfallexperten aus mehr als 20 Nationen.

 

In jedem Auto steckt ein Sprengsatz

1968 begann die eigentliche Entwicklung der heutigen Airbags bei Mercedes-Benz in Stuttgart. Die Ingenieure griffen auf die Wehrtechnik zurück, um die notwendige Explosivität mit ausreichendem Gasvolumen in einem kompakten System unterzubringen. Dabei aktiviert ein Sensor über einen Zünder den Gasgenerator, der den Prallsack von etwa 60 bis 70 Litern Volumen innerhalb von 30 Millisekunden mit einem inerten Gas (idealerweise Stickstoff) füllt. Der Airbag für den Beifahrer ist etwa doppelt so groß, da er auch den Raum des fehlenden Lenkrads ausfüllen muss. Das ganze System mitsamt dem zusammengefalteten Sack aus Polyamid sitzt in einem Stahlbehälter und ist mit Kunststofffolie abgedeckt, die schnell aufreißen kann. Die ersten serienmäßigen Airbags arbeiteten wie ein Raketentriebwerk auf Basis von Nitrocellulose und Nitroglycerin. Da hierbei zu viel NOx und CO entsteht, entwickelten die Firmen Bayern-Chemie und Daicel in Ottobrunn einen Treibsatz aus Natriumazid (NaN3), Kaliumnitrat (KNO3) und Quarzsand (SiO2), der geringste Schadstoffemissionen und eine 15 Jahre lange Haltbarkeit gewährleistet. Der in Tablettenform gepresste Treibsatz brennt unter Freisetzung von Stickstoff mit einer Geschwindigkeit von 4700 m/s ab (Abb. 1). Außer Stickstoff entsteht zunächst Natrium, das durch Reaktion mit Kaliumnitrat weiteren Stickstoff freisetzt. Die resultierenden Kalium- und Natriumoxide reagieren mit dem Quarz zu Glas (Natriumsilicat). Da das Glas nicht aus dem Gasgenerator in den Prallsack gelangen darf, sitzt dazwischen ein Rückhaltefilter. Der Stickstoff ist zunächst bis zu 2000 °C heiß. Da Kühlbleche einen Teil seiner Wärme ableiten, schießt er mit 400 bis 500 °C in den Prallsack. Durch Luftschlitze entweicht das Gas sofort wieder aus dem aufgeblasenen Airbag, der damit seine Schuldigkeit getan hat und verbraucht ist. 1 Gramm NaN3 produziert bei 25 °C 376 ml Gas. Demnach wären etwa 200 Gramm Natriumazid zur Füllung eines Airbags von 70 Litern Volumen notwendig. Wegen der hohen Temperaturen des Gases reicht aber etwa die Hälfte aus. Doch Natriumazid ist giftig und somit problematisch zu entsorgen. Deshalb kommen seit 1997 auch Treib-sätze auf der Basis von Alkalichloraten zum Einsatz. Dynamit Nobel hat mit SINCO ein Treibmittel entwickelt, das keine schädlichen Stoffe entstehen lässt.

 

Wasserdampf ist das Treibmittel der Zukunft

Immer häufiger werden Hybridgasgeneratoren in Airbags eingebaut. Sie entwickeln kaum noch Schadstoffe, da der Treibsatz nur die Verschlussmembran eines Behälters öffnen muss, in dem das Gas gespeichert ist. Es ist eine Mischung aus 98% Argon und 2% Helium und steht unter einem Druck von 240 bar. Da sich das Gas beim Entspannen stark abkühlt, dient ein kleiner Teil des Treibsatzes zum Erwärmen des Gases. Dadurch wird auch das Gefrieren der Druckbehälteröffnung verhindert. Im Moment der größten Ausdehnung trägt der Prallsack die Kraft von 2 Tonnen. Um das Problem der Explosivstoffe ganz zu umgehen, wird derzeit am Fraunhofer-Institut für Technische Chemie in Karlsruhe ein Dampf-Airbag entwickelt. Dem Prallsack ist bei diesem Konzept eine Druckflasche mit stark überhitztem Wasser vorgeschaltet. Löst der Unfallsensor das Ventil, entspannt sich der Dampf, kühlt sich ab und füllt den Polyamidsack. Dieses System verspricht gleich mehrere Vorteile. Die Problematik der giftigen Gase, die bei der Explosion der Treibsätze entstehen, entfällt. Darüber hinaus steht der Dampf-Airbag in Verbindung mit der Idee eines intelligenten, regulierbaren und angepassten Prallschutzes. Denn die notwendige Menge an Wasserdampf lässt sich mit einem dem Ventil vorgeschalteten geeigneten Signalgeber sehr genau dosieren. Je nach Unfallsituation muss ja nicht immer die gesamte Menge abgegeben werden. Das bisher noch ungelöste Problem ist die Aufheizphase des Wasserdampfes. Der Airbag ist also nicht sofort einsatzbereit, wenn man mit dem Auto losfährt.

 

Tödliche Überschläge

Geländewagen, Vans und andere Fahrzeuge mit hohem Schwerpunkt zeigen ein besonders hohes Risiko, sich bei Unfällen zu überschlagen. In den USA geht mittlerweile ein Viertel aller tödlichen Unfälle auf das Konto von Überschlägen. Deshalb werden solche Fahrzeuge künftig mit aufblasbaren Seitenvorhängen und seitlichen Kopfairbags ausgestattet, die bei einem seitlichen Abrollen den Insassen vor dem Kontakt mit der Straße schützen.

Intelligente Airbags

Ziel aktueller Forschungsarbeiten ist es, das Aufblasen des Prallsackes für jeden Menschen individuell so genau zu steuern, dass der Airbag besser zur Unfallsituation passt, als der Maßanzug dem Fahrer. Eine zarte Frau mit 50 kg Körpergewicht und ein Mann, der im Superschwergewicht boxen könnte, haben unterschiedliche Massen, die bei einem Aufprall verschieden schnell beschleunigt werden. Darauf soll der Airbag angemessen reagieren und sich entsprechend dosiert füllen. Sensormatten im Sitz, die das Körpergewicht bestimmen, gibt es bereits. In Zukunft könnten Sensoren in Satelliten, die die Fahrgastzelle permanent abtasten, diese Aufgabe übernehmen. Ob der Beifahrer im Moment des Unfalls im Handschuhfach kramt oder ob er die Füße auf das Armaturenbrett gelegt hat oder ob auf dem Beifahrersitz eine Babyschale liegt – die Informationen sollen jeweils an den Airbag weitergegeben werden und dessen Aufblasverhalten regulieren. Unfälle können sehr hohe Anforderungen an einen intelligenten Airbag stellen. Rollt das Auto nach dem ersten Aufprall die Böschung hinunter, überschlägt sich mehrmals und wird abschließend von einer Eiche aufgefangen, soll der Airbag der Zukunft sich mehrmals mit dem notwendigen Volumen aufblasen. Für diese komplizierten Prozesse sind Hochleistungssensoren notwendig, die in Millisekunden reagieren und Signale aussenden können. Beispielsweise baut BMW seit 1999 einen Vorläufer dieses mitdenkenden Airbags an seine Fahrzeuge ein. Es ist ein Zweistufensystem, das so sanft wie möglich und so scharf wie nötig reagiert. Dazu dienen statt bisher einer einzigen jetzt zwei in einem Gasgenerator integrierte Stufen, die je nach Bedarf mit großem oder kleinem Zeitverzug gezündet werden. Durch diese Kombinationsmöglichkeiten ist es möglich, den Airbag bedarfsgerecht an die jeweilige Unfallschwere anzupassen.

 

Ausgezeichneter Airbag

BMW hat den Automotive Division Award 2004 der europäischen Abteilung der Gesellschaft für Plastikentwicklungen (SPE; Society of Plastics Engineers) gewonnen. Das Unternehmen hat zusammen mit mehreren Zulieferfirmen für Rolls-Royce einen unsichtbaren Beifahrer-Airbag entwickelt, der ohne Deckel und Aufreißnaht auskommt.

Internet

Film über explodierende Airbags im Pressearchiv www.siemens.de Airbag-Forschung am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie www.ict.fhg.de/deutsch/projects/safety/airbag_gr.html Sicherheit von Kindersitzen bei Unfällen www.kvw-mhm.de/kindersitz/airbag.htm

Pre-crash-Sensorik

Die Geschwindigkeit der Sensoren ist für solche Prozesse ein wichtiges Kriterium. Da Trägheitssensoren zu langsam reagieren, sollen demnächst akustische Airbags, die zehnmal schneller reagieren, serienreif werden. Trifft der Wagen auf ein Hindernis, löst der Aufprall einen internen Körperschall im Fahrzeug aus, der sich mit wesentlich höherer Geschwindigkeit ausbreitet, als die Trägheit der beschleunigten Massen registriert werden kann. Die Steuerung kann also schon reagieren, wenn das Kreischen des Blechs gerade 

Schutz vor Lawinentod

Ein spezieller Airbag wird künftig Wintersportler vor dem Lawinentod retten. Wenn ein Schneebrett den Skifahrer überholt, bläst sich ein großer Ballon auf dessen Rücken auf und hält ihn an der Oberfläche der Schneemassen. Die Chance, gerettet zu werden, steigt sehr stark an.

beginnt. In fast Dreiviertel aller schweren Seitenkollisionen geht dem Aufprall ein Schleudern des Fahrzeugs voraus. Dieser unkontrollierte Fahrzustand dauert oft mehrere Sekunden. Schutzsysteme wie Airbags oder Gurtstraffer, die nur einmal wirken, können in dieser Phase noch nicht aktiviert werden, da ein Aufprall möglicherweise noch vermeidbar ist. Angesichts der geringen seitlichen Knautschzone muss die Aktivierung präzise und schnell ablaufen. Um allen Eventualitäten des Unfalls möglichst genau gerecht zu werden, entwickeln die großen Automobilhersteller derzeit ein passives Schutzsystem, die Pre-crash-Sensorik. Die Grundlagen dazu hat DaimlerChrysler bereits geschaffen. Dem Airbag werden zunächst individuelle Parameter der zu schützenden Person wie Größe, Geschlecht und Körperproportionen eingespeichert – so wie heute schon die Sitz- und Außenspiegeleinstellung gespeichert werden kann. Ein individuell angepasstes Sicherheitssystem könnte dann zum Beispiel dafür sorgen, dass sowohl bei einem jungen Insassen mit hoher physischer Belastbarkeit als auch bei einem älteren Menschen die Rückhaltewirkung optimal eingestellt wird. Mögliche Parameter sind dabei Airbagvolumen, Straffkraft der Gurte, Höhe der Gurtkraftbegrenzung und individuelle Sitzeinstellung. Der ideale Airbag fragt auch das Alter der Insassen ab, denn je älter um so zarter die Knochen. Doch wer will beim Einsteigen in den Wagen dauernd an sein Alter erinnert werden?

 

Dr. Uwe Schulte
Händelstraße 10,
 71640 Ludwigsburg
schulte.uwe@t-online.de

 

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