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Aus der Hochschule
Innovationen der Arzneimittelentwicklung
Filmüberzüge für das Colon-Targeting
Das Colon-Targeting, d. h. die gezielte Wirkstofffreisetzung oral verabreichter Arzneimittel im Dickdarm (Colon), wird sowohl zur Behandlung der Darmerkrankungen Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und kolorektales Karzinom als auch zur Applikation systemisch wirksamer Peptid- oder Proteinarzneistoffe genutzt. Für die festen Arzneiformen (Tabletten, Pellets) werden Überzüge entwickelt, die im Dickdarm durch Enzyme der dortigen Mikroflora (z. B. Glykosidasen) abgebaut werden, nachdem sie die Magen- und Dünndarmpassage relativ unbeschadet überstanden haben. Neben ausreichender Dünndarmstabilität und rascher enzymatischer Abbaubarkeit im Dickdarm sind geringe Quellbarkeit und gute Filmbildung besondere Anforderungen an solche Überzüge.
In den vergangenen Jahren wurden bereits zahlreiche Polysaccharide untersucht, z. B. Dextran-, Pektin- und Galaktomannanderivate, β-Cyclodextrin und seine Derivate, Natriumcarboxymethylstärke und Konjac-Glucomannan. Die Galaktomannane und das Konjac-Glucomannan zeichneten sich durch eine gute Abbaubarkeit aus und werden nun in Kombination mit Filmbildnern untersucht. (Nadia Schwalm, Ali Alraghban, Rolf Schubert)
Gezielter Gentransfer
Die Gentherapie beruht auf dem Transfer von DNA in bestimmte Zellen. So könnten in Zukunft Muskelzellen und Endothelzellen Targets einer gentherapeutischen Behandlung der Atherosklerose sein. Der Gentransfer kann auf viralem oder auf nicht-viralem Weg erfolgen. Ein nicht-virales Gentransfersystem, das in Freiburg erforscht und optimiert wird, beruht darauf, dass Plasmide (DNA) mit kationischen Lipiden zu Lipoplexen aggregiert werden.
Vier Schritte des Gentransfers stellen besondere Anforderungen an die Technologie:
- die zelluläre Aufnahme (Endozytose),
- die endosomale Freisetzung aus Endozytose-Kompartimenten,
- die Durchwanderung des Cytosols und
- die Aufnahme in den Zellkern.
Es gibt fünf unterschiedliche Wege der Endozytose, die mit spezifischen Inhibitoren gezielt blockiert werden können; dadurch wird sie kontrollierbar. Nach Inkubation einer Zellkultur mit fluoreszenzmarkierten Lipoplexen lässt sich eine erfolgte Endozytose mithilfe der Durchflusszytometrie oder auch mikroskopisch nachweisen.
Die endosomale Freisetzung ist u. a. von der Lipidzusammensetzung und der Oberflächenladung (Zetapotenzial) der Lipoplexe abhängig. Die Barriere zwischen Zytosol und Zellkern kann nur durch aktiven Transport überwunden werden. Proteine mit spezifischen Erkennungsregionen (wie beispielsweise Importin) können hindurchgelangen, ebenso DNA, die über ein nukleares Lokalisierungssignal an ein solches Protein gebunden ist. Ist die DNA in den Kern gelangt, erfolgt dort ihre Transkription, sodass die Zelle letztendlich das gewünschte Protein synthetisiert. (PD Dr. Regine Peschka-Süss, Stefanie Häfele)
Polymersomen – verbesserte Liposomen
Amphiphile Moleküle wie Tenside, Phospholipide oder Block-Copolymere können sich im wässrigen Medium durch Selbstorganisation zu Vesikeln formieren. Vesikel aus Phospholipiden (Liposomen) können Arzneistoffe transportieren, indem sie hydrophile Substanzen in den wässrigen Innenraum aufnehmen und lipophile Stoffe in die Lipidmembran einbauen. Eine neue Form solcher Transportvesikel sind Polymersomen, deren Bilayer-Membran aus amphiphilen Block-Copolymeren besteht, z. B. aus Poly(2-vinylpyridin-β-ethylenglykol) oder Poly(isopren-β-ethylenglykol). Vorteile gegenüber Liposomen sind
- die pegylierte Oberfläche (Verlängerung der biologischen Halbwertszeit),
- die größere mechanische und chemische Stabilität und
- die leichte Funktionalisierung (Drug Targeting).
In einem von der VW-Stiftung geförderten Projekt, in dem mehrere Arbeitskreise zusammenarbeiten, sollen neuartige Polymervesikel für die kontrollierte Freisetzung von Wirkstoffen und Genen entwickelt werden. Die Arbeitskreise von Prof. Förster an der Universität Hamburg und von Prof. Antonietti am MPI Potsdam beschäftigen sich mit der Synthese der Block-Copolymere und deren Funktionalisierung sowie der Charakterisierung der Vesikel. Prof. Mayer an der Universität Duisburg bestimmt mittels NMR die Freisetzungsrate von Stoffen durch die Membran.
Im Arbeitskreis von Prof. Schubert und Peschka-Süss in Freiburg wird die Herstellung der Vesikel, deren Charakterisierung sowie der Einbau und die Freisetzung von Wirkstoffen untersucht. Die Methoden zur Charakterisierung der Vesikelstruktur sind Licht-, Neutronen- und Röntgenstreuung, Fluoreszenzmikroskopie, und Kryo-Transmissionselektronenmikroskopie (Kryo-TEM). Die Polymervesikel wurden auf die für Liposomen übliche Weise (Filmbildung, Ultraschall, Extrusion, Entfernung des Detergens) hergestellt. Indem ihre Größe und Verteilung jeweils durch Photonen-Korrelations-Spektroskopie und Kryo-TEM überprüft wurden, konnte ein geeignetes Herstellungsverfahren festgelegt werden.
In weiteren Versuchen sollen der Einbau und die Freisetzung von Wirkstoffen (z. B. Doxorubicin) bestimmt werden. Die Organverteilung soll in Tierversuchen, die Endozytose fluoreszenzmikroskopisch bestimmt werden. (Anja Rank, Regine Peschka-Süss, Rolf Schubert)
Targeting von Glucoseoxidase-Liposomen
Die septische Granulomatose, ein seltener primärer Immundefekt (Prävalenz ca. 1:250.000), äußert sich darin, dass phagozytierte Bakterien und Pilze nicht mittels reaktiver Sauerstoffspezies abgetötet werden. Die Folge dieses Defektes sind rezidivierende Infektionen und Granulombildungen. Die jetzige Therapie sieht eine lebenslange Dauerprophylaxe mit Co-trimoxazol sowie die eventuelle Gabe von g-Interferon vor. Weitere Ansätze sind die Blut- und Knochenmarktransfusion. Hoffnungen richten sich auch auf die Gentherapie sowie auf die intravenöse Gabe von liposomal verkapselter Glucoseoxidase.
Wenn das Enzym Glucoseoxidase in einen Phagozyt gelangt ist, aktiviert es dort den oxidativen Stoffwechsel. Es katalysiert die Reaktion von Glucose und Sauerstoff zu Wasserstoffperoxid, mit dem die Bakterien und Pilze abgetötet werden. Die Wirksamkeit der Glucoseoxidase-Liposomen wurde bereits in vitro belegt [1]. Ein Problem ist allerdings ihre schnelle Entfernung aus dem Blutkreislauf durch das retikulo-endotheliale System. Dadurch nehmen die Phagozyten nur relativ wenig Liposomen auf.
Das Targeting soll durch eine Modifikation der Liposomen verbessert werden: Man koppelt Immunglobulin G an deren Oberfläche, das zielstrebig den Fc-Rezeptor auf der Phagozytenoberfläche ansteuert. In Versuchen soll nun die vermehrte Phagozytose der modifizierten Liposomen gezeigt werden. (Markus Gantert, Rolf Schubert)
[1] Gerber CE, Bruchelt G, Falk UB, Kimpfler A, Hauschild O, Kuci S, Bachi T, Niethammer D, Schubert R. Reconstitution of bactericidal activity in chronic granulomatous disease cells by glucose-oxidase-containing liposomes. Blood 98:2001;3097-105.
Entwicklung und Herstellung von Biopharmazeutika
Der Entwicklung und Herstellung von biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln, sog. Biopharmazeutika, kommt weltweit immer größere Bedeutung zu. New Biologic Entities (NBE) haben bereits heute einen Anteil von über 15% sowohl am gesamten Arzneimittelmarkt als auch an den weltweit bedeutendsten 50 Arzneimitteln. Fast drei Viertel dieses Umsatzes wird in den USA erzielt, die bezüglich innovativer Arzneimittel – und hier insbesondere der Biopharmazeutika – weltweit einen enormen Vorsprung besitzen.
Jedes dritte von der FDA neu zugelassene Arzneimittel wird biotechnologisch hergestellt, in der Immunologie ist gar jedes zweite neue Arzneimittel ein NBE. Dass es sich hier nicht um ein vorübergehendes Phänomen handelt, beweisen die fast 400 in Entwicklung befindlichen Biopharmazeutika, darunter über 200 Proteine und monoklonale Antikörper.
Insofern erscheinen prognostizierte Marktwachstumsraten von jährlich M15% bis 2010 als durchaus realistisch. Da auch auf absehbare Zeit zwei Drittel der Gelder für Forschung und Entwicklung in die USA fließen, ist es dringend geboten, dass die EU und insbesondere Deutschland die im 6. Europäischen Rahmenprogramm gesetzten Ziele nicht nur immer wieder diskutieren, sondern praktisch umsetzen. Denn die im Durchschnitt fast zehnjährige Forschungs- und Entwicklungszeit bei Biopharmazeutika ist teuer und riskant.
Die Pharmaindustrie braucht die innovativen Biotech-Unternehmen. 67% aller Biopharmazeutika sind einlizenziert (d. h., die Hersteller haben die Rechte an den Biopharmazeutika von den Entwicklern übernommen), vereinzelt sogar über 90%. Da die Erfolgsrate insgesamt in den letzten Jahren auf ca. 8% gefallen ist, kommt einer Exzellenz in der Entwicklung wie auch der weltweiten Einführung und Produktion besondere Bedeutung zu.
Phasen der Entwicklung
In der frühen Entwicklungsphase kommt es darauf an, so schnell wie möglich durch Einsatz von Plattformtechnologien in die präklinische oder klinische Prüfung zu kommen. In der späten Entwicklungsphase steht die qualitativ hochwertige, maßstabvergrößerbare und marktkompetitive vor- und nachgelagerten Produktion (Upstream, Downstream) im Mittelpunkt, insbesondere
- Hochexpressionssysteme, Highthroughput-Verfahren in der Klonselektionierung, Medien- wie Prozessoptimierungen im Upstream,
- Effizienz von Reinigungs- und Virusinaktivierungsschritten im Downstream. Dabei müssen Laborverfahren in der Entwicklung um ein Vielfaches effizienter und robuster gestaltet werden als in der frühen Phase.
Die Entwicklung geht stets mit der Analytik zur Charakterisierung komplexer Moleküle einher. Bei monoklonalen Antikörpern z. B. müssen Mikroheterogenitäten wie proteolytische Faltungen, Deamidierung, Dimerformationen, Oxidation, Disulfidbrückenbildung oder gar Denaturierung mit bis zu 50 verschiedenen analytischen Methoden eindeutig bestimmt und für den Fall, dass sie die Wirksamkeit oder Sicherheit beeinflussen, ausgeschlossen werden. Nach erfolgreicher Entwicklung eines komplexen Biopharmazeutikums stellt der Maßstabstransfer von wenigen Litern auf 15.000 Liter die letzte große Herausforderung dar.
Fazit: Weltweite Kompetenz in Compliance, Produktion und Materialwirtschaft, angefangen von der Auswahl geeigneter Rohstoffe bis hin zur Distribution, sind erforderlich, um ein innovatives Biopharmazeutikum erfolgreich zu entwickeln und zu vermarkten. (Dr. Wolfram Carius, Fa. Boehringer Ingelheim, Biberach)
Quelle:
Wissenschaftliches Symposium des FAF (Förderverein für die Arzneimittelforschung) am 10. Januar 2005 im Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Freiburg.
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