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Arzneimittel und Therapie
Natalizumab nach Todesfall in Therapiestudie zurückgezogen
Natalizumab ist seit November in den USA zur Behandlung der rezidivierenden multiplen Sklerose (MS) zugelassen und befindet sich seit längerem in der Erprobung zur Behandlung des Morbus Crohn. In Europa wurde die Zulassung beantragt.
Kombination mit Interferon beta-1a
Jetzt trat bei zwei MS-Patienten, die zwei Jahre lang Natalizumab in Kombination mit Interferon beta-1a (Avonex®) erhalten hatten, eine progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML) auf, die bei einem Patienten bereits tödlich verlief.
Die seltene, bisher nicht behandelbare und rasch voranschreitende Entmarkungserkrankung des Gehirns wird durch das JC-Virus verursacht. Dieses ubiquitäre humane Polyomavirus kann in der Niere persistieren und Lymphozyten und innere Organe befallen. Bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem verursacht das Virus die progressive multifokale Leukoenzephalopathie. Die Abkürzung "JC" steht für die Initialen des ersten Patienten, bei dem das Virus beschrieben wurde.
Schwerwiegende Nebenwirkung
Dies sind die beiden ersten Erkrankungsfälle einer PML, die unter der Behandlung mit Natalizumab bekannt wurden. Bisher trat die seltene Hirnerkrankung überwiegend bei immungeschwächten Patienten auf. Eine Assoziation mit der MS unter anderen Therapien ist bislang nicht bekannt.
Insgesamt sind bislang rund 3000 Patienten mit multipler Sklerose, Morbus Crohn und rheumatoider Arthritis in klinischen Studien mit Natalizumab behandelt worden. Bislang waren in den klinischen Studien mit Natalizumab keine Fälle von PML bei MS-Patienten unter Natalizumab-Monotherapie oder bei Patienten mit Morbus Crohn oder rheumatoider Arthritis aufgetreten.
Bisher nicht bei Monotherapie
Die Firma Biogen hat bis heute keine Berichte über Fälle von PML in Monotherapiestudien mit Tysabri® oder Avonex® erhalten. Aus etwa 650.000 Patientenjahren Erfahrung mit dem Einsatz von Avonex® liegen keine Berichte über das Auftreten von PML vor. Auch von den anderen zur Behandlung der MS eingesetzten Interferon-beta-Präparate sind keine derartigen Fälle bekannt.
Behandlung abbrechen
Obwohl der Zusammenhang zwischen Natalizumab und dem Auftreten einer PML nicht gesichert ist, hat die Firma Biogen in Absprache mit der amerikanischen Gesundheitsbehörde (FDA) aus Sicherheitsgründen die folgenden Schritte vorgenommen:
- In den USA wurden sämtliche Marketing-Aktivitäten des dort bereits zugelassenen Tysabri® eingestellt.
- In allen Studien, in denen derzeit die Wirksamkeit von Natalizumab zur Behandlung der MS oder anderen Erkrankungen untersucht wird, wird die Gabe von Tysabri® zunächst ausgesetzt. Die betroffenen Teilnehmer der Therapiestudien mit Natalizumab werden von ihren Behandlungszentren über notwendige Maßnahmen direkt informiert.
In Zusammenarbeit mit den klinischen Prüfern werden die Unternehmen die Daten der mit Natalizumab behandelten Patienten auswerten, um das mögliche Risiko der Entwicklung von PML besser zu verstehen. Je nach Ausgang dieser Untersuchungen könnte es zu einer Wiederaufnahme der Dosierung in den klinischen Studien und zu einer Wiedereinführung des Medikaments auf dem Markt kommen.
Stellungnahme des Ärztlichen Beirates des DMSG Bundesverband e.V.
Bereits in seiner Stellungnahme vom Dezember 2004 hatte der Ärztliche Beirat der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) ausgeführt, dass die Zulassung der innovativen Substanz in den USA derzeit keine Auswirkungen auf bestehende Therapieempfehlungen bei der MS hat. Der Beirat hatte zudem auf die noch fehlenden Daten zur Langzeitsicherheit hingewiesen. Dennoch ist Tysabri® bereits in Einzelfällen über Importe in Europa eingesetzt worden. Daher empfiehlt der Ärztliche Beirat der DMSG, dass Patienten, die Natalizumab erhalten haben, die Behandlung nicht fortführen und sich mit ihrem behandelnden Arzt in Verbindung setzen.
Natalizumab wirkt als Adhäsionsmolekül-Inhibitor
In klinischen Studien verhinderte Natalizumab bei MS-Patienten die Bildung neuer Entzündungsherde im Gehirn und Rückenmark um bis zu 50%. Auch bei Morbus Crohn wurde Natalizumab erprobt. Hier betrug die höchste Remissionsrate 44%, die höchste Ansprechrate lag bei 71%. Natalizumab hemmt Adhäsionsmoleküle. Dieser Wirkungsmechanismus ist ein neuer Ansatz zur Bekämpfung von Entzündungskrankheiten, bei denen Autoimmunmechanismen eine Rolle spielen.
Adhäsionsmolekül-Inhibitoren verhindern, dass Leukozyten aus dem Blut in das Gewebe einwandern und dort die zelluläre Immunabwehr aktivieren. Dieser Vorgang führt zu lokalen Entzündungen oder Gewebeschäden. Voraussetzung für die Einwanderung, die Migration, ist das Anheften, die Adhäsion, der Leukozyten am Gefäßendothel. Dieses Anheften wird durch Adhäsionsmoleküle vermittelt.
Verschiedene Adhäsionsmoleküle
Adhäsionsmoleküle werden in Selektine, Integrine und die Immunglobulin-Superfamilie (ICAM) unterteilt. Selektine vermitteln den ersten Kontakt zwischen dem weißen Blutkörperchen und dem Endothel. Dann rollen die Leukozyten langsam an der Wand der Blutgefäße entlang und heften sich über Integrine auf den Endothelzellen fest an das Gefäßendothel an. Der Durchtritt in das Gewebe wird vor allem über die interzellulären ICAM-Adhäsionsmoleküle ermöglicht.
Natalizumab bindet an die Alpha-Untereinheit von Alpha-4-Integrinen, die sich auf T-Zellen befinden. Die Substanz schiebt sich zwischen die Kontaktstellen, die Rezeptoren von Lymphozyten und den Endothelzellen der Blutgefäße und behindert dadurch die Interaktion der Alpha-4-Integrine mit ihren Liganden VCAM und MadCAM auf Endothelzellen. Als Folge wird das Anheften und das Übertreten von entzündungsbereiten T-Lymphozyten aus der Blutbahn ins Hirngewebe bei der multiplen Sklerose gehemmt.
Weitere Adhäsionsmolekül-Inhibitoren in der Entwicklung
Efalizumab (Raptiva®) ist ein weiterer Antikörper, dessen Wirkung auf einem vergleichbaren Prinzip basiert. Die Substanz wird bei der Psoriasis eingesetzt und auch bei der rheumatoiden Arthritis untersucht.
Eine weitere Substanz mit vergleichbarem Ansatzpunkt ist das Präparat Cipizumab oder Medi507 der Firma Medimmun. Es handelt sich hierbei um einen Blocker des transmembranären Glykoproteins CD2, der derzeit in klinischen Studien bezüglich seiner Wirksamkeit in der Behandlung der Psoriasis überprüft wird. hel
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