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Junger Apotheker auf der Straße – 30 Tage ohne Geld!

MÜNCHEN (lub). Ohne Arbeit, ohne Geld, ohne Wohnung – obdachlos zu sein ist wohl die unterste Stufe der sozialen Leiter in Deutschland. Wie das praktisch aussieht, das hat der Münchner Apotheker Lukas Vogel am eigenen Leib erlebt.

Für eine TV-Reportage (RTL II) stellte sich der 30 Jahre alte Pharmazeut als "Teilzeit-Obdachloser" zur Verfügung. Er musste sich 30 Tage lang ohne Geld, nur mit einer Decke, seinem Personalausweis und einem Plastikbeutel in Hamburg durchschlagen: "Es war eine verdammt harte Zeit", so Vogel im DAZ-Exklusivinterview, "am schlimmsten war die Einsamkeit." Niemanden zu haben, mit dem er seine Gefühle und seine Probleme besprechen konnte – das machte ihm am meisten zu schaffen. "Ich habe oft geheult und war völlig verzweifelt", beschreibt der Münchner seine Erlebnisse während der Zeit auf den Straßen Hamburgs.

Zu Beginn dieses Experiments musste Vogel alles abgeben, was für ihn normalerweise Alltag bedeutet: Handy, Geld, Auto, Kleidung zum Wechseln: "Das war nicht schwierig." Doch dann war das erste wirkliche Problem zu lösen: "Wo schlafe ich heute Nacht?" In der ersten Nacht in Hamburg hat er Glück, ein hilfsbereiter Security-Mann stellt ihm seinen muffigen Hobbykeller als Schlafstelle zur Verfügung. Später kampiert der Apotheker unter einem umgedrehten Ruderboot an der Alster, in Parks und schließlich auf dem Gelände eines Sportvereins. Er wird mehrfach verjagt, muss sich mit anderen Obdachlosen um eine gute "Platte" (=Schlafplatz) streiten und leidet unter der nächtlichen Kälte und Feuchtigkeit.

Dauernd auf Achse

Tagsüber ist Vogel dauernd auf Achse, immer auf der Suche nach einem Job, einem Schlafplatz, etwas Essbarem: "Ich habe mich gewaltig reduziert", erzählt der Inhaber der "Kranich-Apotheke" in München, "oft nur eine Banane am Tag gegessen!" Insgesamt nimmt er mehr als acht Kilo Gewicht ab. Immerhin baut der freiwillige "Obdachlose" viele neue Muskeln auf: "Im Schnitt bin ich pro Tag 16 Kilometer durch die Stadt gelaufen!"

Lukas Vogel organisiert sich Seifen-, Shampoo- und Parfüm-Pröbchen, um wenigstens äußerlich einen guten Eindruck machen zu können: "Das einzige Kapital, das man auf der Straße hat!" Denn nur mit seinem Personalausweis kommt er nicht weit: "In Deutschland brauchst du x Bescheinigungen, um einen Job zu kriegen – ohne bist du ein Nichts!" Auf dem Rummelplatz arbeitet er schwarz und wird vom Arbeitgeber prompt um seinen kargen Lohn betrogen. Einmal schuftet er zwölf Stunden lang für ein warmes Mittagessen und eine heiße Dusche.

Später hat er mehr Glück: "Ich hab die Hamburger Obdachlosen-Zeitschrift ,Hinz und Kuntz' verkauft – das war okay." Auf der Straße trifft er viele "Leidensgenossen", die das Schicksal aus den unterschiedlichsten Gründen aus der Bahn geworfen hat: "Einmal die, die vom Alkohol zerstört worden sind. Dann die, die gar nicht mehr anders können, nicht mehr zurück wollen, und drittens die große Gruppe derjenigen, die durch Scheidung, Krankheit, Unfälle, Pleiten und Ähnliches aus ihrem scheinbar sicheren bürgerlichen Umfeld herausgerissen worden sind."

Am Ende nur noch Lethargie

Apotheker Vogel tut sich schwer, die harte Wirklichkeit zu ertragen. Der junge Mann aus gutem Haus wird im Lauf der 30 Tage immer dünnhäutiger und schließlich lethargisch: "Am Ende war mir alles irgendwie egal, ich hab nur noch das fürs Überleben Essentielle gesehen und war schließlich völlig fertig." Das ungewöhnliche Experiment hat ihn verändert und ihm die Augen geöffnet, sagt Vogel: "Ich bin jetzt dankbar für scheinbar selbstverständliche Dinge wie eine Dusche, ein Bett, einen gefüllten Kühlschrank. Ich bin dankbar für meine Familie und meine Freunde. Ich sehe Obdachlose als Menschen und nicht als Subjekte, denen man ein Geldstück hinwirft. Für die ist ein Gespräch oft viel wichtiger und bringt mehr als Geld!"

Und noch etwas hat der Apotheker aus München gelernt: "Manchmal hab ich vier Tage lang von zwei Euro gelebt – das geht! Wenn man muss!"

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