Arzneimittel und Therapie

Mythen und Märchen rund um die Verstopfung, Teil 5

Zur Entstehung und Behandlung einer Verstopfung existieren bei Laien und oft auch in Fachkreisen viele beharrlich vertretene Vorstellungen, die in einigen Fällen jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. So auch die weit verbreitete Meinung, dass bei Frauen eine Verstopfung hormonell bedingt sei. Wir sprachen mit dem Gastroenterologen Herrn Prof. Dr. Müller-Lissner, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin der Parkklinik Weißensee, Berlin.

DAZ

Herr Professor Müller-Lissner, in Ihrer Publikation beschäftigen Sie sich mit dem Einfluss von Hormonen auf Verstopfung. Haben geschlechtsspezifische hormonelle Unterschiede einen Einfluss auf die Darmfunktion? Kommen tatsächlich physiologische Veränderungen der Hormonspiegel als Ursache in Betracht?

Müller-Lissner:

Interessant ist, dass bei Kindern eine Obstipation häufiger bei Jungen auftritt. Schaut man sich die Erwachsenen im Alter von 15 bis 50 Jahren an, ist Obstipation bei Frauen häufiger verbreitet. In der Praxis berichten Frauen häufig auch über Veränderungen der Darmfunktion im Verlauf des Menstruationszyklus. All dies weist daraufhin, dass hormonelle Veränderungen mit einer Obstipation verbunden oder zumindest teilweise dafür verantwortlich sind.

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Sind also tatsächlich die Hormone der Grund, warum deutlich mehr Frauen als Männer unter Verstopfungen leiden?

Müller-Lissner:

Aufgrund systematischer Untersuchungen scheint der Einfluss der Sexualhormone auf die Darmfunktion bei gesunden Frauen während des Menstruationszyklus minimal zu sein. Während der Schwangerschaft, die mit größeren Veränderungen im Hormonhaushalt assoziiert ist, können diese eine Rolle bei der Verlangsamung der Darmpassage spielen. Es scheint so, als ob die Sexualhormone in diesem Falle einen gewissen Einfluss auf die Darmtätigkeit haben.

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Im Körper gibt es ja noch weitere Hormone, die für einen Einfluss auf Körperfunktionen haben: Wie ist der Zusammenhang zwischen einer Hypothyreose und Obstipation zu sehen?

Müller-Lissner:

Die Daten sind hier recht klar: Obstipation wird immer wieder als Symptom bei Patienten mit Hypothyreose genannt. Tatsächlich verändert sich die Darmfunktion bei Hypothyreose aber nur gering in Richtung Obstipation. In der Praxis ist die Prävalenz einer Hypothyreose bei Frauen mit Verstopfung so niedrig, dass wir auch bei dieser Patientenpopulation Schilddrüsenuntersuchungen nur dann empfehlen, wenn weitere Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion vorliegen.

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Herr Professor Müller-Lissner, vielen Dank für das Gespräch!

Ulrika Hinkel, Bad Vilbel

Mythen und falsche Vorstellungen zur Verstopfung

Zur Entstehung und Behandlung einer Verstopfung halten sich beharrlich Vorstellungen und Empfehlungen, beispielsweise zur allgemeinen Lebensweise, die jedoch in einigen Fällen jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren. Um hier für Klarheit zu sorgen, haben internationale Gastro-Experten gemeinsam eine Übersichtsarbeit erstellt. Hierzu wurden die Arbeiten der letzten 30 Jahre gesichtet, 105 von ihnen enthielten Daten zum Thema Obstipation. Diese Übersichtsarbeit wurde im Januar im American Journal of Gastroenterology publiziert (Müller-Lissner, S. A.; Kamm, M.; Scarpignato, C.; Wald, A.: Myths and misconceptions about chronic constipation. Am. J. Gastroeneterol. 100, 232 – 242 (2005).

Teil 1 des Interviews mit einem der Auto- ren, erschienen in der DAZ 12, räumt auf mit der Vorstellung, dass viel Trinken gegen Verstopfung hilft.

Teil 2, erschienen in der DAZ 13, beschäf- tigte sich mit den Vor- und Nachteilen von Ballaststoffen.

Teil 3, erschienen in der DAZ 14, verweist den Mythos Autointoxikation ins Reich der Legenden.

Teil 4, erschienen in der DAZ 15, beschäf- tigte sich mit dem Einfluss der körperli- chen Aktivität auf die Darmfunktion.

Teil 6 des Interviews lesen Sie in der nächsten Ausgabe der DAZ!

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