Rezeptur

Eigenherstellung magensaftresistenter Kapseln?

Die Herstellung magensaftresistenter Kapseln in der Apotheke ist problematisch, weil das dafür angebotene vorgefertigte Material Qualitätsmängel aufweisen kann. Das ZL untersuchte das einzige auf dem Markt erhältliche Set zur Herstellung magensaftresistenter Kapseln und kam zu dem Ergebnis, dass die befüllten und gemäß den Anweisungen versiegelten Kapseln nicht den Anforderungen des Europäischen Arzneibuchs an diese Arzneiform entsprachen. Der Hersteller hat die Konsequenzen gezogen und bietet die Kapseln seither nicht mehr als "magensaftresistent", sondern als "Kapseln mit verzögerter Wirkstofffreisetzung" an.

Magensaftresistente Arzneiformen werden eingesetzt, um den Arzneistoff vor Inaktivierung durch den stark sauren und enzymatisch aktiven Magensaft zu schützen, um Irritationen der Magenschleimhaut zu vermeiden oder um die Wirkstoffabgabe aus der Arzneiform zu steuern oder zu modifizieren [1].

Probleme der Herstellung und Kinetik

Bei der Herstellung magensaftresistenter Hartgelatinekapseln durch Überziehen mit einem magensaftresistenten Film ergeben sich verschiedene Probleme: Zunächst müssen die Quelleigenschaften der Gelatinekapselhüllen bedacht werden. Oft ist auch die Haftung zwischen Gelatine und Filmbildner schlecht. Ein langer Trocknungsprozess und zu hohe Temperaturen können zur Versprödung der Kapselhülle führen [2].

Hinzu kommt, dass monolithische magensaftresistente Arzneiformen eine schwer vorhersagbare Kinetik aufweisen. Bereits bei Nüchterneinnahme können sie bis zu zwei Stunden lang im Magen verweilen. Bei Einnahme zum oder nach dem Essen – hier genügt auch schon eine kleine Mahlzeit – sind Gesamtverweilzeiten von drei bis zehn Stunden möglich [3]. Somit bestehen die Gefahren der zu frühen Freisetzung des Wirkstoffs bereits im Magen, der verspäteten oder gar ausbleibenden Freisetzung sowie der Überdosierung durch Anhäufung mehrerer, zu unterschiedlicher Zeitpunkten eingenommener Arzneien [4].

Da < 2 mm große Partikel auch bei geschlossenem Pylorus vom Magen ins Jejunum gelangen können, besitzen Multiple-unit-Formulierungen mit magensaftresistenten Pellets oder Teilchen ein besser vorhersagbares Wirkprofil und sind im Allgemeinen gegenüber monolithischen magensaftresistenten Arzneiformen zu bevorzugen.

Ist die Kapselhülle oder der Kapselinhalt magensaftresistent?

Die Angaben in der Roten Liste geben leider oft keinen Aufschluss darüber, ob es sich bei der jeweiligen Arzneiform um eine magensaftresistent überzogene Hart- bzw. Weichgelatinekapsel oder um magensaftresistente Teilchen in einer magensaftlöslichen Kapsel handelt. Auch die Terminologie des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes sah keine Abgrenzung zwischen magensaftresistentem Kapselinhalt und magensaftresistenter Kapselhülle vor [5].

Eine nähere Betrachtung des Fertigarzneimittelmarktes zeigt, dass das Angebot von Präparaten mit magensaftresistenter Hartgelatinekapselhülle sehr begrenzt ist [7]. Die große Mehrheit der magensaftresistenten Peroralia besteht aus einer magensaftlöslichen Hülle, die magensaftresistente Mikrotabletten, Mikropellets oder Granulate enthält.

Leere Hartgelatinekapseln für die Eigenherstellung

Auf dem Markt befand sich im letzten Jahr, als das ZL die Untersuchung durchführte, ein einziges vorgefertigtes Produkt zur Herstellung magensaftresistenter Hartgelatinekapseln in apothekenüblichen Mengen (Hersteller: LGA, Bandol, Frankreich). Es besteht aus magensaftresistenten Hartgelatinesteckkapseln und einer Flüssigkeit zur Versiegelung der Körper-Kopf-Verbindung der Kapseln. Nach Angaben der Firma handelt es sich bei dieser Flüssigkeit um eine Eudragit-Lösung (Abb. 1).

Die befüllten Kapseln sollen laut Herstellungsanweisung 10 Sekunden lang in die Flüssigkeit getaucht und auf einem Tuch getrocknet werden. Bei Bedarf wird ein weiteres Mal (nicht länger als 5 Sekunden) getaucht.

 

Prüfung der Freisetzung

Zur Prüfung der Freisetzung des Arzneistoffs aus der Kapsel schlägt die Firma folgenden In-vivo-Test vor, der repräsentativer und realistischer als In-vitro-Tests sein soll: Die Kapseln werden mit Vanillin und Methylenblau gefüllt und gemäß Vorschrift versiegelt. Dann werden die Kapseln von Probanden geschluckt. Besitzt deren Atem einen aromatischen Geruch, ist dies ein Hinweis, dass sich die Kapseln bereits im Magen geöffnet haben. Ein blau gefärbter Urin zeigt an, dass die Kapseln den Wirkstoff erst im Darm freigesetzt haben.

Diese Methode wurde am ZL nicht angewandt, vielmehr wurde die Zerfallszeit nach den Vorgaben des Europäischen Arzneibuches getestet (Monographie 4.00/0016 Kapseln, Magensaftresistente Kapseln, Prüfung auf Reinheit): "Kapseln mit einer magensaftresistenten Hülle müssen der Prüfung 'Zerfallszeit von Tabletten und Kapseln' (2.9.1) mit folgenden Änderungen entsprechen: Als Flüssigkeit wird Salzsäure (0,1 mol/l) verwendet. Die Apparatur wird ohne Scheiben 2 h lang oder in zugelassenen Fällen eine abweichende Zeit in Betrieb gehalten. Anschließend wird der Zustand der Kapseln geprüft. Die Widerstandsdauer in saurem Milieu ist je nach Kapselzusammensetzung unterschiedlich lang; normalerweise beträgt sie 2 bis 3 h; sie darf auch in zugelassenen Fällen nicht unter einer Stunde liegen. Keine der Kapseln darf Zeichen eines Zerfalls oder Risse aufweisen, die zu einer Freigabe des Inhalts führen könnten."

Material und Methoden

Das ZL untersuchte zwei Komplettpakete "Leere magensaftresistente Kapseln", Fa. LGA, F-Bandol, bestehend aus magensaftresistenten Hartgelatinesteckkapseln der Größe 0 (Chargenbezeichnung Kit: 900013, Kapseln: 040026) bzw. 00 (Chargenbezeichnung Kit: 900011, Kapseln: 840015) und der Siegelflüssigkeit (Abb. 1). Die Kapseln der Größe 00 wurden mit einer Mischung aus 99,5 Teilen Mannitol und 0,5 Teilen Aerosil, die der Größe 0 mit Mannitol/Methylenblau befüllt.

Anschließend wurden die Kapseln nach verschiedenen Verfahren mit der Siegelflüssigkeit versiegelt:

  • gemäß Anweisung des Herstellers einmal eingetaucht,
  • gemäß Anweisung des Herstellers zweimal eingetaucht,
  • gemäß dem vom NRF beschriebenen Tauchverfahren [6] (s. Kasten auf folgender Seite) verarbeitet,
  • nur die Verbindung zwischen Ober- und Unterteil der Steckkapsel durch zweimaliges Auftragen der Flüssigkeit versiegelt.

Um personenspezifische Aufarbeitungsfehler auszuschließen, wurden die Versiegelungen unabhängig voneinander von zwei verschiedenen Mitarbeitern durchgeführt. Die so hergestellten Kapseln (jeweils n = 6 Stück) wurden gemäß Europäischem Arzneibuch (Monographie 4.00/0016 Kapseln, s.o.) einem Zerfallstest in 0,1 N Salzsäure unterzogen (Tab. 1). Die Ergebnisse zeigt die Abbildung 2.

Ergebnisse

Keine der Kapseln erfüllte die Anforderungen an magensaftresistente Kapseln der Monographie 4.00/0016 Kapseln, Magensaftresistente Kapseln des Europäischen Arzneibuchs (Tab. 1 und Abb. 2).

Die von der Firma LGA hergestellten – und von vielen verschiedenen Lieferanten angebotenen – magensaftresistenten Kapseln mit Siegelflüssigkeit erfüllen nicht die Anforderungen des Europäischen Arzneibuchs und sind somit nicht zur Herstellung magensaftresistenter Kapseln geeignet.

Konsequenzen

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden der Firma LGA mitgeteilt. Diese hat daraufhin Ende 2004 die Gebrauchsanweisung geändert und macht in ihren neuen Unterlagen sehr deutlich, dass die Kapseln nicht dem Europäischen Arzneibuch entsprechen. Sie bietet die Kapseln seither nicht mehr als "magensaftresistent", sondern als "Kapseln mit verzögerter Wirkstofffreisetzung" an.

LGA empfiehlt zudem, keine Arzneistoffe zu verarbeiten, die ernsthafte gesundheitliche Schäden beim Öffnen im Magen auslösen könnten, z. B. Arzneistoffe, die durch Magensäure inaktiviert werden oder die Magenschleimhaut schädigen könnten. Der Anwender wird deutlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Verwendung und Einnahme der Kapseln nun auf eigene Gefahr geschieht. Auch auf den Etiketten gibt es keine Angaben, die den Eindruck erwecken könnten, dass die Kapseln magensaftresistent oder arzneibuchkonform sind.

Kapseln, die lediglich eine verzögerte oder veränderte Wirkstofffreisetzung aufweisen, müssen keine speziellen Anforderungen des Arzneibuchs erfüllen. Letztendlich liegt es nun in der Entscheidung des Apothekers, ob er die Kapseln verarbeitet und für welche Zwecke.

Alternative Herstellungsmöglichkeiten

Für die Herstellung magensaftresistent überzogener Arzneiformen können allgemein folgende Filmbildner verwendet werden:

  • Celluloseacetatphthalat (CAP)
  • Hydroxypropylmethylcellulosephthalat (HPMCP)
  • Eudragit L (Methacrylsäure, Methylmethacrylat 1:1)
  • Eudragit L 30 D (wässrige Lösung)
  • Eudragit S (Methacrylsäure, Methylmethacrylat 1:2)
  • Polyvinylacetatphthalat (PVAP)

Allerdings ist der Bezug der industriell verwendeten Filmbildner in apothekenüblichen Mengen problematisch.

Werden Gelatinekapseln mit 1 – 2%iger acetonischer Formaldehyd-Lösung behandelt, entstehen durch Quervernetzung der Gelatine schwerlösliche Kapseln. Da die Inhaltsstoffe dann hauptsächlich nach Diffusionsregeln freigesetzt werden, kann man hier nicht von einer echten Magensaftresistenz sprechen.

Als Herstellungsverfahren sind für die Apotheke das Wirbelbettverfahren mittels Miniatur-Wirbelschichtgerät, das Tauchverfahren nach NRF (siehe Kasten) sowie die Verwendung eines Dragierkessels beschrieben worden. Von diesen hat sich aber lediglich das Wirbelbrettverfahren als praktikabel erwiesen. [6]. Der "enteric capsule coater" (Fa. Feton) erlaubt die gleichzeitige Herstellung von 60 Kapseln in einem Tauchbad. Als Tauchlösung wird eine 10%ige Celluloseacetatphthalat-Fertiglösung vorgeschlagen [8].

Im Prinzip wäre auch die Verwendung vorgefertigter magensaftresistenter Kapselhüllen möglich. Die jüngsten Recherchen (Mai 2005) haben jedoch ergeben, dass derzeit keine magensaftresistenten Hartgelatine-Steckkapselhüllen angeboten werden.

Anschrift für die Verfasser:
Dr. Astrid Kaunzinger, 
Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker Carl-Mannich-Str. 20, 
65760 Eschborn
 

Literatur

[1]  Bauer, Frömming, Führer: Lehrbuch der Pharmazeutischen Technologie, 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1999.
[2] Magensaftresistent überzogene Hartgelatinekapseln, Produkt- information Eudragit L 12,5. Röhm Pharma Polymere.
[3] Wunderer, H.: Monolithische Arzneiformen nur nüchtern ein- nehmen. Pharm. Ztg. 145, 4308 – 4309 (2002).
[4] Rauws, A.G.: Wie sinnvoll sind magensaftresistent überzogene Arzneiformen?. Pharm. Ztg. 137, 319 ! ! ! ! ! ! ! ! – ! ! ! ! ! ! ! ! 327 (1992).

[5]Krämer, J., Pfefferle, H.-J., Blume, H.: Magensaftresistent überzogene Zubereitungen. Pharm. Ztg. 139, 3998 –4005 (1994).

[6] Reimann, H., Nickel, C.: Magensaftresistente Hartgelatine- Steckkapseln. Pharm. Ztg. 141, 4602 – 4603 (1996).

[7] Kircher, W.: Arzneiformen richtig anwenden, 2. Auflage. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2000.

[8] www.feton.be/products.html.

Definition

"Magensaftresistente Kapseln sind Kapseln mit verzögerter Wirkstofffreisetzung. Sie sind im Magensaft beständig und setzen den Wirkstoff oder die Wirkstoffe erst im Darm frei. Sie werden normalerweise durch Füllen von Kapseln mit magensaftresistent überzogenen Granulaten oder Teilchen hergestellt oder, in bestimmten Fällen, unter Verwendung von Hart- oder Weichkapseln mit einer magensaftresistenten Hülle." Pharm. Eur. 4.00/0016 Kapseln

Tauchverfahren nach NRF

  • Gefüllte, verschlossene Kapsel mit abgeplatteter Pinzette im oberen Drittel greifen
  • Kapsel senkrecht zu Zweidrittel ihrer Länge in die Lacklösung eintauchen, ohne dass die Pinzette mit der Lösung in Berührung kommt
  • Kapsel aus der Lacklösung herausnehmen, hierbei abfließende Tropfen am Gefäßrand abstreifen
  • Lack auf der Kapsel mit einem auf Kaltluftstrom eingestellten Fön mindestens 1 min lang trocknen
  • Kapsel von dem anderen Ende her mit der Pinzette greifen und das jetzt entgegengesetzte Ende entsprechend lackieren
  • Lackiervorgänge abwechselnd von beiden Enden her noch zweimal wiederholen, sodass die Kapsel mindestens drei Überzüge trägt, im Mittelteil sogar sechs Lackierungen

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